5 . . . 3RROR
»Du willst jetzt doch nicht wirklich laufen gehen?« Gerade verlagere ich mein Gewicht aufs andere Bein und lehne mich gegen den Türrahmen, da knarzen die Dielen unter mit genauso entrüstet, wie ich beim Anblick von Savios Motivation seufze.
Er trägt eine knallrote Badehose und darüber ein weißes Tank-Top, wodurch man an den Stellen die Konturen seiner Tattoos erkennt, an denen sich der Stoff besonders eng an die Brust schmiegt. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, wieso er die Motivation hat, zu joggen. Schließlich ist heiß, das Salz kratzt nach einer Zeit auf der Haut und man hat das Gefühl, man läuft über Lava und nicht über Sand.
Obwohl, denke ich und betrachte die muskulösen Oberarme, die mit schwarzer Tinte verziert ist. Für Cardio am Morgen habe ich auch eine ziemlich reizende Alternative, die meines Erachtens nach viel prickelnder und genauso effizient Kalorien verbrennt. Und wenn es nicht um die Kalorien geht, sondern um die Ausdauer an sich, dann kann ich ebenfalls beteuern, dass meine Art von Cardio am Morgen, fernerhin Erfolg verspricht.
»Wieso nicht?«, stellt er die Gegenfrage. Mit seinen Händen fährt er sich durch die Haare, wodurch sich sein Bizeps anspannt. Um nicht wie ein Kätzchen, das nach Milch giert zu miauen, beiße ich mir auf die Unterlippe. Durch den Spiegel mustert er mich auf einer Weise, für ihn kein Argument gegen das Joggen stehen – als wäre es für ihn selbstverständlich.
Ich stoße mich von dem Türrahmen ab und gehe an ihn vorbei, ins Badezimmer. »Weil normale Menschen erst um diese Uhrzeit aufstehen?«
Kurz lacht er auf, und dieses Lachen ... Dadurch, dass er selbst erst vor einigen Minuten aufgestanden ist, dringt eine raue Lachsalve tief aus seinem Brustkorb und sorgt für Gänsehaut meinerseits.
»Wir haben schon zwölf Uhr. Ich weiß zwar nicht, wann du normalerweise aufstehst, doch die meisten Menschen bereiten schon das Mittagessen vor.« Er beobachtet mich weiterhin vom Spiegel aus, weswegen ich mich bedacht zum Fenster umdrehe, um mein breites Grinsen zu verstecken.
Ihm sagen, dass es für mich viel zu früh ist und ich normalerweise noch in meinem Schönheitsschlaf wäre, verbiete ich mir. Denn ich weiß, dass er mich mit Fragen bombardieren würde, schließlich weiß er nicht, dass ich die ganze Nacht vorm Bildschirm saß und mich weiterhin am Code versucht habe – vergebens.
»Und wieso bereitest du dann kein Essen für uns vor?«, möchte ich wissen. Am liebsten würde ich mir über die Schulter schauen oder mich ganz zu ihm umdrehen, bloß um die Grimasse zu sehen, zu der er sein Gesicht verzieht. Doch anstelle dafür, reiße ich mich zusammen und fahre den Pfad des geflochtenen Korbes entlang, gehe die Produkte im Korb durch. Ich habe meine Sachen noch gar nicht richtig ausgepackt, fällt mir ein.
»Wie wäre es, wenn du dich auch umziehen gehst, wir zusammen eine Runde laufen und dann gemeinsam das Essen vorbereiten?«, schlägt er vor.
Langsam drehe ich mich wieder in seine Richtung. Und ich weiß nicht, worüber ich mehr erschrocken sein soll. Darüber, dass er es wirklich in Betracht zieht, mit mir zusammen zu joggen oder, dass sich in diesem Körbchen mehr Hygieneartikel für Männer befinden, als ich Hygieneprodukte in der Abteilung für Frauen finden kann.
»Sag mal, rasierst du dir die Beine?«, möchte ich wissen und halte das Serum in die Höhe, was man nach der Rasur auf die Haut schmiert, damit sie geschmeidiger wird und Rasierpickelchen vermieden werden.
Savio schluckt, bevor er auf mich zu kommt und mir das Serum samt Körbchen aus der Hand reißt. »Lass das.«
Mir entkommt ein überraschter Laut, was sich nicht als Lachen oder anderes identifiziert. Er benutzt diese Produkte wirklich? Ich meine ... Jetzt wirklich? Ich glaube, ich träume, als ich dabei zusehe, wie Savio alles wieder im Körbchen sortiert und ihn haargenau auf derselben Stelle stellt, von eben.
»Warte, du willst mich doch verarschen«, sage ich und hoffe es auch insgeheim. Doch seine zusammengekniffenen Augen und die Furchen auf seiner Stirn sprechen für etwas anders. Er meint es wirklich ernst, wird mir klar.
Trügerisch lache ich auf. »Mann, ich dachte auf tätowierter Haut wachsen keine Haare.«
»Das stimmt auch, aber ich bin ja nicht ganz in die Tinte gefallen«, erklärt er und deutet auf die Stellen seines Körpers, bei denen man noch ein Teil seiner olivfarbenen Haut erhaschen kann.
»Die sind minimal.«
»Trotzdem vorhanden«, merkt er an.
Ich runzle die Stirn. Der hat sie doch nicht mehr alle. Während ich mich auf den Winter freue, um mir genügend Fell für die Jahreszeit wachsen zu lassen, oder nur so weit rasiere, wie ich muss, zieht er es wirklich durch.
»Und du rasierst dich jedes Mal ...?«
Er nickt.
»Sag mal, hast du irgendwie ein Tick oder so?«, will ich ohne jeglichen Hintergedanken wissen.
Er schnaubt und dreht sich dann wieder in meine Richtung. »Nur weil ich ein Mann bin, dem Ordnung und Hygiene wichtig sind, heißt es lange noch nicht, dass ich einen Tick habe«, streitet er ab.
Ich blinzle einige Male. Verdammt, er verarscht mich wirklich nicht, wird es mir bewusst, als sich nach einigen Sekunden immer noch nichts in seiner Miene regt.
Mir entkommt ein grunzendes Geräusch bei der Vorstellung, wie er sich jedes Mal die Beine mit Rasierschaum eincremt, ehe er sie rasiert und dann mit einem Pflegeöl pflegt. Jeder hat seine Macken, doch das ...
Mit der Zunge schnalzend geht er an mir vorbei.
»Du bist sowas von ein Freak«, rufe ich ihm nach.
Ballini bleibt zwischen Tür und Angel stehen, blickt bloß über seine Schulter. Der Schatten verhüllt seine Gesichtszüge, sodass mir die Freude genommen wird, diesen mir schon bekannten, dunklen Schimmer in seinen Augen auszumachen. Mir ist unergründlich, was es ist, jedoch unterhält es mich, zu sehen, welches Feuer manchmal in seinen Augen entfacht. Und ich bin ehrlich: Dieses dunkle Aufflackern turnt mich um einiges an.
»Während ich die Gegend abchecke bleibst du im Haus. Der Fernseher ist für dich Tabu, und wenn ich wiederkomme will ich nicht sehen, wie das Haus abbrennt«, sagt er und richtet sich auf.
Was sollt das denn wieder heißen?
Savio geht die Treppen hinunter und ich folge ihn verspätet. »Traust du mir nicht zu eine Mikrowelle bedienen zu können?«
»Das habe ich nicht gesagt«, räumt er ein, und hebt die Hände meiner Anschuldigung wegen, in die Höhe.
»Aber gedacht.«
An der Haustür angekommen dreht er sich ein letztes Mal in meine Richtung. Auf seinen Lippen trägt er dieses schelmische Grinsen, was einen verlockt mit der geballten Faust drauf zu zielen, genauso wie es einen reizt, die eigenen Lippen darauf zu pressen.
»Grins nicht so«, gifte ich ihn an. Demonstrativ kreuze ich meine Arme vor meiner Brust.
»Dabei grinse ich so gerne.«
Ich kneife meine Augen zusammen und ziehe eine Grimasse, mit der Versuchung, ihm seine dämliche Visage zu repräsentieren.
»Was soll das werden?«, fragt er und lacht. »Der Sonnebrand in deinem Gesicht leistet deinen Haaren schon Konkurrenz, dafür musst du dich nicht so anstrengen.«
Ignoriere diesen Vollidioten, Karoline, säuselt mir mein Unterbewusstsein ins Ohr. Wenn er denkt, dass mir seine Meinung irgendwas bedeutet, dann hat er sich geschnitten – und zwar gewaltig! Der Sonnenbrand ist mir schon längst aufgefallen, da mein ganzes Gesicht brennt, so sehr kneife ich es zusammen. Darauf, dass ich es zugeben werde, kann er länger warten, als er leben wird.
Er zwinkert mir provokativ zu. »Mach dir nichts drauß. Der Freak hat oben einiges an Lotion, die kühlend wirkt und dich nicht wie ein Krebs-«
Mit einem lauten Knall schlage ich die Tür vor seiner Nase zu. Einundzwanzig, zweiundzwanzig ... Tief hole ich Luft, ehe ich das nächste Mal die Augen öffne. Doch anders als sonst, ist meine Wut nicht einfach weggepustet. Ich spüre, wie der Zorn durch meine Adern fließt, mein Blut zum Kochen bringt und dafür sorgt, dass ich mich mehr über seine dummen Worte ärgere, als ich eigentlich sollte.
Der Sonnenbrand in deinem Gesicht leistet deinen Haaren Konkurrenz, äffe ich ihn lautlos nach. Und seine Tattoos ähneln den Malvorlagen wie die aus einem Kindermalbuch.
Ein fünsches Stöhnen entkommt mir. Wieso ist mir dieser Spruch nicht früher eingefallen? Vielleicht, weil du dich besser auf die wichtigeren Sachen konzentrieren solltest? Das stimmt, die ganze Nacht habe ich damit verbracht, der Entschlüsselung des Codes näher zu kommen. Doch anstatt wirklich voranzukommen, bin ich einige Schritte nach hinten gegangen. Und diese wenigen Schritte, die ich rückwärts gegangen bin, muss ich wieder aufholen.
Beim hochlaufen der Treppen trete ich gegen die beige Kommode, die sich auf der Zwischenebene der zwei Etagen befindet. Er glaubt doch nicht wirklich, dass ich dieses Retroradio übersehen habe, was gestern noch nicht auf dieser Kommode stand, oder? Gerade möchte ich mich auf den nächsten Treppenabsatz wagen, da halte ich inne und drehe mich nochmal langsam zu der Kommode, bloß um das Radio mit nach oben zu nehmen.
Das senfgelbe Retroradio hat keinen Schaden erlitten. Ehrlich gesagt habe ich etwas anderes erwartet, schließlich sieht die Umsetzung nicht gerade vertrauenswürdig, sondern eher billig aus. Ich wiege es ein bisschen im Schein der Sonne, die das ganze Haus erhellt, und erkenne die kleine Kameralinse, die anders als das Retroradio, verdächtigt aufleuchtet.
Die glauben echt, ich würde sowas übersehen? Spöttisch lache ich auf und möchte gerade die versteckte Kamera verkehrt herum absetzten, da halte ich inne. Die könnte ich vielleicht noch gebrauchen, ich muss nur schnell ... Mit der Kamera in den Händen laufe ich die letzten Treppen hinauf in mein Zimmer.
Seitdem ich auf die High-School gegangen bin, habe ich mich intensiv mit Technik auseinandergesetzt. Eventuell hatte ich nicht dieselben Interessen wie die Jungs, ich meine damit die Nerds, doch die Erinnerung an die Zeit, lässt die Glühbirne über meinen Kopf leuchten. Wenn Savio Ballini wirklich glaubt, ich wäre so naiv, und ich würde seine versteckten Kameras übersehen, die er übrigens völlig lächerlich versteckt hat, dann hat er sich geschnitten – und zwar richtig.
Ich hebe meine Matratze an und hole den kleinen Koffer mit meinem Equipment aus dem Bettkasten hervor. Wie wird es ihm gefallen, wenn ich ein kleines Video für ihn drehe und auf die Kamera spiele? Natürlich muss er sich das erst verdienen, oder, ja, noch viel besser: es könnte mein Ass im Ärmel sein.
Ich lege den Koffer auf meinen Schminktisch ab, öffne ihn die Schlösser mit klackenden Geräuschen. Mein schwarzer Laptop ist in voller Hülle von den verschiedensten Anschlüssen und anderweitigen Datenträger verdeckt. Die Hälfte davon schmeiße ich neben den Koffer auf den Schreibtisch, den anderen Rest versuche ich in die Hand zu nehmen, in der sich auch die Kamera befindet.
»Hallo Meisterin«, ertönt mein Laptop, als ich ihn anschalte.
»Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du mich Veritas nennen sollst?«, meckere ich den Laptop an, den ich auf einer Hand balanciere, während ich die Treppen hinuntergehe.
»Sehr wohl. Hallo, Meisterin Veritas.«
Ich stöhne genervt auf. Egal wie oft ich dieses System eingegriffen habe, irgendeine Komponente spielt in dem Programm von meinem Rechner verrückt. Na ja, wenn ich ehrlich bin, habe ich Gefallen daran gefunden, dass ich als ›Meisterin‹ bezeichnet werde. Mal was anders, als in den Zeitungen anderweitig, meist abstoßend, tituliert zu werden.
»Was steht heute an, Meisterin Veritas?«, möchte der Laptop wissen, als ich ihn auf der Küchenzeile abstelle und einen passenden Anschluss mit dem des Retroradios verbinde.
Ohne überhaupt auf das Dateiverzeichnis des Datenträgers zu klicken, öffnet sich ein Programm, was vermutlicherweise von der Kamera selber geöffnet wurde. Interessant, dass die beim NYPD doch weiter denken, als ich annahm. Ich überspringe die Anleitung des Programms, wie ich es zu nutzen habe, und lande sofort im Hauptmenü, indem verschiedene Verzeichnisse angelegt wurden. Alles hat sein System, ebenso wie die Benennung unterschiedlichster Ordner.
Alles, bis auf ein Ordner.
»Meisterin?«, reißt mich Brock aus den Gedanken.
Kaum merklich schüttel ich den Kopf, was der Laptop natürlich noch nicht sieht. Vielleicht sollte ich diese Funktion demnächst inkludieren.
»Sorry! Was hast du mich nochmal gefragt, Brock?«, möchte ich wissen.
»Keine Ursache, Meisterin. Ich wollte Sie fragen, ob Sie mit dem weitermachen wollen, mit dem wir heute Nacht aufgehört haben«, spricht der Laptop weiter, während ich primer auf den Ordner mit meinen Namen achte.
»Bitte«, sage ich unbewusst. Es sind Aufnahmen in diesem Ordner, obwohl dieses Radio, erst seit heute Morgen auf der Kommode stand. Nein, das sind keine Aufnahmen von heute oder gestern, dass ... Kann das sein?
Ich klicke auf eines der Videos und es öffnet in einem kleineren Fenster. Darauf zu sehen bin ich mit dem Chief, wie ich mich auf den Stuhl niederlasse und meine Beine auf den Glastisch ablege.
»Starte jetzt das Cluster 202006-«, nennt Brock seinen Befehl.
»Stopp!«
In diesem Ordner sind noch mehr Videos von mir, mehr Aufnahmen, von denen ich nicht wusste, dass sie existieren.
»Brock?«, frage ich und schließe die Fenster der Aufzeichnungen, die ich geöffnet habe.
»Ja, Meisterin?«
»Übertrage die Daten der Kamera aus dem Ordner ›VERITAS‹ auf die Festplatte und einen externen Datenträgen«, befehle ich meinen Laptop.
»Schon längst erledigt, Meisterin.«
Obwohl ich versuche, es zu unterdrücken, schleicht sich ein Grinsen auf meinen Lippen. Dass ich Brock erschaffen habe, ist wahrscheinlich der schlauste Einfall, denn ich jemals hatte. Geschweige von jeder weiteren Idee, die mich soweit wie jetzt gebracht hat.
Ich löse das Retroradio von dem Anschluss und wiege es in meiner Hand ab. Brock zu erschaffen war genauso genial wie das, was ich jetzt vorhabe.
»Brock?«, rufe ich ihn erneut, schon auf den halben Weg nach oben.
»Ja, Meisterin?«
»Versuch dich an die Codes mit den Notizen, die ich in der Nacht gemacht habe. Bediene dich daran, aber verändere nichts an meinen Zwischenbemerkungen«, dirigiere ich ihn, schon auf den halben Weg nach oben.
»Sehr wohl, Meisterin.«
Und du, denke ich mir, als ich das Radio in meinen Händen halte. Wir werden gleich etwas aufbauen, um deinen Besitzer ein schönes Video zu gestalten. Er wird noch sehen, dass zu mehr fähig bin, als einfach das Haus abbrennen zu lassen. Vielmehr.
. . .
Dieses beschissene Programm! Meine Hände balle ich zur Faust und lasse sie gegen die Küchenzeile knallen. Ich schüttle sie aus, ignoriere den stechenden Schmerz in meinem Handgelenk durch den Schlag, so geladen bin ich.
»Sie haben nicht die Berechtigung, auf diesen Code zuzugreifen«, erinnert mich mein Laptop erneut, und setzt mich dadurch einen Weitern Schritt nach hinten.
Scheißendreck! »Stopp, Vorgang abbrechen!«, schreie ich.
»Sie haben nicht die Berechtigung, auf diesen Code zuzugreifen.«
Wenn Brock nicht langsam die Klappe hält und nicht von meinen Befehlen abweichen würde, dann würde es hier um einiges entspannter zugehen. Jetzt muss ich mich am Riemen reißen, um meinen Bot nicht zu löschen.
»Brock?«
»Ja, Meisterin?«
»Wenn du nicht willst, dass ich deine Programmierung lösche und somit den benötigten Speicherplatz für diesen Code bekomme, dann empfehle ich dir, die Klappe zu halten«, drohe ich den schwarz aufleuchtenden Kasten vor mir.
»Wie Sie wünschen, Meisterin«, sagt mein Laptop. »Aktiervierung erfolgt erst nach der Nennung des Befehls. System von Brock wird runtergefahren.«
Fast schon erleichtert atme ich aus, als die monotone Stimme des Laptops verstummt. Doch ich stöhne in der nächsten Sekunde wieder genervt auf, als mich erneut eine Fehlermeldung erreicht. Eine, die mich nicht nur ein paar Schritte nach hinten befördert – sie lässt mich zum Anfang springen.
/error (3RROR: option:
1) erase computer
Ich starre den Bildschirm an und spüre ein Gewicht auf meinen Schultern, dass mich in die Knie zwingt. Beim Anblick dieser Nachricht spüre ich, wie meine Knie auf den Asphalt treffen, meine Haut aufreißt und sich kleine Steinchen in meine Wunden drücken. Der Erfolg von den letzten Tagen verschwindet vor dem Loch im Boden vor mir. Über meine Schulter gucken bringt nichts, denn ich weiß, dass das mein einziger Pfad war – und er führte mich zum Versagen.
»Fuck, nein!«, schreie ich. Ich fahre mir aufgebracht durch die Haare. Nein, nein, nein!
Ich drücke die Tastenkombination, um auf den die letzte Datensicherung zu kehren, die ich sicherheitshalsbar nach jeder zehnten Aktion mache, jedoch wird mir dies von meinem Laptop verweigert. Das Debugging des Codes scheitert. Der ganze Bildschirm färbt sich schwarz. Es ist für einige Sekunden das Einzige, was sich auf dem Bildschirm abspielt: völlige leere.
Erneut drücke ich die bestimmten Tasten und erneut geschieht nichts. Dann, nach einigen Sekunden, die sich wie Jahre anfühlen, erscheinen giftgrüne Buchstaben, die mit Zahlen und weiteren Zeichen vermischt wurden. Es wird ein ganz neuer Code generiert, auf einer komplett anderen Sprache geschrieben, wie der davor.
»Bin wieder da«, ertönt eine Stimme, nach einem Knall hinter mir. Doch ich ignoriere es, beobachte stattdessen, wie alles, was ich mir die Tage aufgebaut habe, ineinander einbricht.
Es ist weg – alles. Nichts mehr ist übrig, keine einzige Sicherung, keine einzige Notiz. Aide-mémoire.
»Ey, ist das dein Laptop?«, möchte die Person neben mir wissen.
Marshal Ballini. Das rabenschwarze Haar klebt an seiner Stirn und ist im Gegensatz zu vorhin ein komplettes Chaos. Ein Fettfilm überzieht seine goldschimmernde Haut, während einzelne Schweißtropfen seine Stirn hinunterkullern, die sich in seiner gefurchten Stirn sammeln. Mit einem entsetzten, beinah ungläubigen Ausdruck in seinen Augen, schaut er mich an. Gerade trennen sich seine Lippen voneinander, um einen weiteren Kommentar abzulassen, da komme ich ihn zuvor.
»Hast du nichts besseres zu tun, so dumm zu gucken?«, frage ich ihn.
Seine Augen formen sich zu Schlitzen. »Was?«
»Willst du nicht putzen oder so?« Meinen Blick habe ich wieder auf den Bildschirm meines Laptops gerichtet, auf den sich die einzelnen Cluster beinah tanzend fortbewegen.
Kein einziger Mucks ertönt, weswegen ich aus dem Augenwinkel zu Ballini linse. Noch vorm Joggen hatte er das weiße Tank-Top an, jetzt steckt es in seiner Shorts wie ein Handtuch, was ich ihm dringend empfehlen würde.
Eben noch hatte Savio seine Hände auf seiner Hüfte gestützt, jetzt verschränkt er sie vor seiner Brust. Mit einer bemüht ruhigen Auffassung beobachtet er mich einige Sekunden lang. »Ich soll was?«
»Putzen! Bestimmt kribbelt es dir schon in deinen Fingern, dass ich noch nicht über die Kücheninsel gewischt habe, obwohl ich-«
Plötzlich greift er nach meinen Laptop und zieht ihn vom Netzteil; reißt die ganzen dazugehörigen Kabeln mit sich.
»Hey!«, klage ich und stehe auf, um ihn in die Küche zu folgen. Er reißt den Wasserhahn auf, schmeißt meinen Laptop in das weiße Granitwaschbecken und drückt Spülmittel auf ein Schwamm.
»Hallo?«, rüttle ich an ihn, doch Savio lässt sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Das Wasser aus dem Hahn hämmert weiter auf meinen Laptop ein. »Spinnst du, was machst du da?«
»Was ich mache?«, fragt er rhetorisch nach und lacht trügerisch auf. Beim nächsten Wimpernschlag wird er bitterernst. »Ich putze.«
Würde ich nicht haargenau sehen, wie Savio meinen Laptop mit dem Schwamm einseift, dann würde ich wetten, dass meine Augen herausgefallen sind. Zumindest habe ich das Gefühl, dass ich mir das hier nur einbilde und ich in Wirklichkeit immer noch auf meinen schwarzen Bildschirm schaue. Doch das hier ist keinen Einblick, es ist die Realität in vollen Zügen.
»Ich glaube das reicht.« Mit meinen Händen versuche ich Savios Intention aufzuhalten, allerdings scheint er ziemlichen Spaß daran zu haben, meinen Laptop verdammt nochmal abzuspülen, als wäre es ein benutztes Glas!
»Wirklich?« Er hält inne und hebt den schwarzen Kasten in die Höhe. An den verschiedensten Winkeln klebt noch Schaum vom Spülmittel. Japp, der ganze Laptop ist hin, könnte jetzt direkt in den Müll und trotzdem tut Savio so, als hätte wäre das Ding vor Wasser geschützt.
»Ja«, bringe ich mit aufeinandergebissenen Zähnen hervor. In mir fängt die Glut von vorhin wieder zu glühen und ich weiß nicht, was mich gerade aufhält, vollkommen in meinem Zorn zu entflammen. Vielleicht, weil ich die Daten immer noch auf einem zweiten Datenspeicher gesichert habe?
»Hm«, macht Savio und setzt den Laptop neben dem Waschbecken ab. Er drückt den schwarzen Bildschirm ein, sodass einiges an Wasser durch die Fassaden spritzt, direkt in mein Gesicht.
Tief ein- und ausatmen, versuche ich meinen rasenden Puls zu beruhigen, ein- und ausatmen. Meine Daten sind auf der zweiten Festplatte gespeichert, die noch oben liegt. Sogar die Daten mit den Aufzeichnungen der Videos habe ich schon auf der zweiten Festplatte geladen. Somit ist nichts verloren ... außer die Fassade meines geliebten Laptops.
»Also ich finde wir müssen ihn noch trocken. Wie siehts aus, draußen auf die Wäscheleihne hängen?«, schlägt Savio vor.
Abrupt reiße ich meine Augen auf und erkenne, wie Savio schon längst vor der Terrassentür steht, diese eigenhändig öffnet, während er mit der anderen Hand den Laptop balanciert, der die ganze Zeit vor Nässe trieft.
»Wenn du-«,
»Ich bin genau deiner Meinung«, stimmt er mir euphorisch zu. Das ...
Dieses Mal lässt er mich nicht einfach so stehen und dieses Mal bin ich nicht so ruhig. In mir baut sich gerade eine so gewaltige Hitze an, die ich sogar schon in meinen Wangen kochen spüre. Wenn er es wirklich wagt, meinen Laptop weiterhin durchs ganze Gelände zu tragen, dann ...
Man könnte denken, er meint es ernst. Als würde er Wäsche aufhängen, klemmt er den Laptop über die Wäscheleine, sodass der Laptop in seinen zwei Hälften über das Seil hängt. Es ist lächerlich – was er hier abzieht, ist lächerlich. Und ich weiß, dass er mir damit einen auswischen will, mehr sogar, er möchte es mir heimzahlen.
Ganz so einfach lasse ich nicht aus der Rolle bringen, schon gar nicht von ihm.
»Und?«, möchte ich wissen. »Wie fühlt es sich an, seinem Putzfimmel gefolgt zu sein? Befriedigend?«
Mit zusammengezogenen Augenbrauen und einer Zornfalte auf der Stirn, lässt er von meinem Laptop ab und kommt auf mich zu. Tja, ich bin dir immer noch einen Schritt voraus, Badboy.
»Habe vorhin gegoogelt und manche sagen, dass es sich sogar besser als ein Orgasmus anfühlt, wenn man seinem Drang nachgegeben hat«, reime ich mir etwas zusammen, nur um zu sehen, wie sich Savios Miene verändert.
Er mahlt seinen Kiefer und ich wette, er beißt sich gerade auf die Zunge, um die Wahrheit runterzuschlucken. »Halt lieber die Klappe.«
»Oder was?«, stelle ich seine Drohung in Frage.
Uns trennen nur noch wenige Schritte, und erst jetzt fällt mir auf, wie sein Oberkörper glänzt. Wow. Eben wollte ich noch einen Spruch raushauen, da erleidet mein Kopf einen Kurzschluss und ich vergesse mein Vorhaben. Stattdessen lasse ich Savio unbewusst näher kommen, so fasziniert bin ich von seinen Oberkörper oder eher der Tintenkunst darauf.
Die vielen Tattoos schimmern genauso wie der Rest seiner Haut. Dieser Mann ist dafür geschaffen, Tattoos zu tragen. Egal welches Motiv es ist, auf seinen Körper – an den ausgewählten Stellen – sieht es einfach nur geil aus.
»Oder das nächste Mal wasche ich dein Mund aus.« Mit einem vielsagenden Grinsen auf den Lippen, wodurch Grübchen in unmittelbar unter seinen Wangenknochen entsteht, ertappt mich Savio beim Starren. Jesus, hoffentlich habe ich nicht gesabbert.
Ich spüre die Tür hinter mir, und wie sich der Knauf in meinen Rücken bohrt. Denn jeden Schritt, den Savio auf mich zugekommen ist, bin ich nach hinten ausgewichen.
»Wie wärs, wenn du dich wäscht?«, frage ich und deute mit vage mit meinem Kinn auf seinen schweißbeschichten Oberkörper. »Du miefst.«
Ein raues Lachen dringt tief aus seinem Brustkorb. »Ist das so?«
»Ja, wie die Kanalisation.«
Er stützt seinen Arm über mich ab, nutzt seine Größe aus. Jedoch vermute ich, dass er die Absicht teilt, seinen männlichen Ausdunst freien Raum zu lassen, indem seine Achsel meiner Nase ziemlich nah kommt.
Theatralisch huste ich und halte mir die Hand ans Herz. »Du vergifest mich noch!«
Seine Zunge schellt heraus und er beleckt sich den linken Mundwinkel. »Das letzte wonach ich rieche ist Schweiß«, erklärt er. »Denn ich war mich im Vorgarten abduschen, aber danke für die Erinnerung.«
»Frea-eak.«
»Komm schon, Prima-Donna«, insistiert er. »Du liebst mich so wie ich bin.«
»Natürlich«, sage zuckersüß ich und blinzle mit meinen Wimpern. »Am liebsten so leblos wie in meinen Träumen.«
Die Art, wie er mich anguckt, lässt mich die Lippen aufeinanderpressen. Ich hasse es, wenn er so tut, als würde er mir nicht zuhören oder als wäre ich Luft, nur weil er ein bisschen größer ist als ich.
»Wir werden gleich den Pier entlang gehen und gemeinsam die Gegend erkundigen. Ich werde nocheinmal duschen gehen und mich fertig machen. Am besten-«
Ich schnalze mit der Zunge. »War Ihnen das Wasser aus dem Vorgarten nicht sauber genug?«
»Du machst dich auch fertig«, beendet er den Satz, als hätte ich ihn nicht unterbrochen. Er schiebt mich zur Seite und geht wieder nach drinnen.
»Freak!«, rufe ich ihm hinterher, was er gekonnt ignoriert.
Ich möchte gerade reingehen, da bleibe ich stehen und drehe mich nochmal zu meinem Laptop um, der auf der Leine hängt.
»Kannst froh sein, dass ich meine Wut nicht an dir ausgelassen habe«, spreche ich mit dem kaputten Laptop. Auch wenn Brock nicht antworten kann, höre ich seine Stimme in meinem Kopf. »Ein Wasserschaden? Ich bin enttäuscht von dir.«
»Wir gehen in zehn Minuten!«, schallt die warnende Stimme von Savio nach draußen. Mimimimi!, denke ich mir und gehe nach drinnen. Wenn er denkt, ich höre auf ihn, wie er eigentlich auf mich zu hören hat, dann hat er sich geschnitten – ziemlich geschnitten, und zwar mit der Klinge die Pulsader aufwärts.
. . .
Ein frohes neues Jahr, meine Lieben!
Ich wünsche euch einen tollen Rutsch in das Jahr 2021 🥰
Zur "Feier" des Tages gibt es bei mir ein Kapitel, genauso wie bei SevenTimes- ❤️ Schaut dort gerne mal bei all ihren Geschichten vorbei 🥰
Dieses Kapitel widme ich dir storywriterde 🥰
(Danke für deine Liebe, die du beim Lesen und beim Kommentieren verspürst und mir zu gleich zeigst. Es bedeutet mir sehr viel!)
xx
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