39 . . .
Neben dem sterilen Geruch, der mich nur noch aus dem Mund atmen lässt, wurde ich vom fortwährenden Piepen des Monitors neben mir geweckt, an den ich gebunden bin. Jahrelang habe ich es geschafft, mich von Orten wie diesen fernzuhalten. Da sieht man, was geschieht, wenn man einmal einen Fehler macht: Man wird aus dem ganzen Spiel geschmissen, was man für sein Leben aufgebaut hat.
Irgendwie kann ich es immer noch nicht realisieren. Wie konnte mir das widerfahren? Gefühle für jemanden, den ich ... Es war ein Fehler, mir zu vertrauen. Ja, das war es. Ein Missgeschick. Eine Peinlichkeit, der ich mir bei jedem Herzschlag bewusst bin. Manchmal glaubt man an die Liebe, wiewohl man eigentlich nur verletzt ist. Verletzt von dieser Einsamkeit, weswegen dieses bescheuerte Organ hinter meinen Rippen von selbst handelt.
Ein fatales Handeln, was mir beinah das Leben kostete. Was ein beschämendes Ende, der moralischen Ära von Karoline Murphy.
Nun ja, nicht ganz ...
Gewiss gibt die Person kein Laut von sich, dennoch hindert es mich nicht daran, seine Präsenz zu spüren. Sie ist nicht aufdringlich und unangenehm, nur nicht das, was ich im Moment willkommen heiße.
»Was wollen Sie hier?«, möchte ich wissen. Zum ersten Mal seit langem, höre ich den gewissen Nachdruck in meiner Stimme, der letztens in Vergessenheit geraten ist.
»Sie besuchen, Ms Murphy.«
Ich schmunzle. »Was für eine Ehre, Chief Perez.«
Die harte Sauerstoffnasenbrille möchte nicht wie ich, als ich mich zur Seite drehe. Mit dem Coffee-to-go zwischen den Händen, sitzt der Chief vom New York Police Department neben meinem Krankenbett. Nicht die einzige Person, die hier des Öfteren ein bisschen Zeit für mir erübrigt hat.
»Ich muss gestehen, dass ich Sie schon öfters besucht habe.«
»Ach ja?«, versuche ich möglichst überrascht zu klingen. Es waren vier Besuche, um genau zu sein. Vier Mal hat er mich besucht, saß neben mir, während ich mich Schlafen gestellt habe. Jedes einzelne Detail habe ich mir gemerkt, als er mir einige Ermittlungswege erläutert hat, weil er dachte, ich wäre nicht bei Bewusstsein. Genau deswegen ist er wieder hier, neben mir am Krankenbett.
»Das ist mein fünftes Mal«, bekennt er. Gelassen schwingt er das eine Bein über das andere; macht es sich regelrecht neben mir gemütlich. Na toll. »Doch ich bin mir sicher, dass Sie das bereits wissen.«
Hm? Unschuldig schlage ich mit meinen Wimpern auf meine Wangenknochen. Ich weiß nicht, was er meint ...
»Ihre Lippen haben gezuckt, als ich über die Ermittlung gesprochen habe. Ja, ich bin fest davon überzeugt, dass Sie sich sogar über mich und lustig gemacht haben, Karoline.« Er erzählt es mit solch einer Leichtigkeit, dass ich ihn den kleinen Hauch von Verletzlichkeit abkaufe.
Genauso wie er es beschrieben hat, kräuseln sich meine Mundwinkel von Neuem. »Tut mir leid, Sir, das müssen Sie sich eingebildet haben.«
»Nur Leute mit einem gesunden Verstand, können wie die Meister lügen.«
»Ich bitte Sie, Sir, bei einem Meister erahnt man nicht einmal den Ansatz einer Lüge.«
»Dann lag ich falsch in meiner Vermutung.« Er korrigiert sich: »Sie sind noch nicht gesund.«
»Was ein Jammer!« Ich lege meine Hand aufs Herz. »Dabei wollte ich so gerne eine Hilfe für Sie sein.«
»So sieht's wohl aus«, stimmt mir der Chief zu. Er ist gerade dabei sich zu erheben, als er innehält und sich mir nochmal widmet. »Zu gerne hätte ich Ihnen davon erzählt, in wessen zufälligen Bezug Mailen Phoung mit Gianni Ballinis Geschäft steht.«
»Was?« Ich richte mich auf, halte mich auf meinen Fäusten, die immer tiefer in die Matratze versinken. »Was hat der Gnom mit Gianni Ballini zutun?«
»Tut mir leid, Ms Murphy, Ihnen steht diese Information nicht zu. Sie sind kein Teil des Teams vom NYPD.« Der Chief grinst über beide Wangen. Dieser Teufel ... Mir war klar, dass er gut in dem ist, was er tut – nur habe ich sein Können unterschätzt. Wer hätte auch gedacht, dass er es in den Jahren noch so drauf hat? Dabei wollte er schon längst in Pension gehen.
Nein, es interessiert mich nicht, was der kleine Gnom mit dem Mafiaboss zutun hat, rede ich mir ein. Diese bunten Glitzergelstifte und all die Prinzessinenkleider, die sie voller Würde getragen habe – es sind Merkmale, die ich mir unfreiwillig gemerkt habe. Es ist so was Unterbewusstes, was ... Was zum? Wieso dominieren sämtliche Erinnerungen, ein Haufen Flashbacks in meinem Kopf, obwohl mir der kleine Gnom egal ist?
Von der weißen Decke mit den blauen Punkten blicke ich auf. Dieser ... Das mit Mailen hat er gebracht, damit ich weich werde! Da war sein Fehler. Ich bin kein Softie wie ... Für kein Kind der Welt würde ich freiwillig auf Krankenhausessen verzichten. Das bedeutet schon was, denn das Essen hier sieht aus wie Erbrochenes und manchmal habe ich das Gefühl, dass es auch genauso schmeckt.
»Wir können das noch eine ganze Weile weiterspielen«, beteuert der Chief unbeschwert denn je. Es ist, als würden ihm nicht die Augen brennen und die Dämonen ins Ohr flüstern, einfach so aufzugeben. Er hält den Blick stand, mit dem ich ihn aufforderte. »Ich habe es öfter gespielt, als Sie glauben.«
»Ist dem so?« Nicht reden! Das macht mir das Nicht-Blinzeln nur noch schwerer. Einmal einen Muskel im Gesicht geregt, kann ich nicht anders als ...
»Ja.«
Eine Weile halte ich es noch durch. Langsam ziehen sich die Sekunden, kommen mir unendlich vor, dass ich nicht anders kann. Scheiße, brennen die! Ich halte mir die Hände vor die Augen, bloß um die Tränen zu verbergen.
»Habe ich es Ihnen nicht gesagt?«
»Mir egal«, meine ich versuche das Piken loszuwerden.
»Na dann. Wenn Sie einfach so aufgeben wollen.«
Aufgeben? Ich ... ich gebe niemals auf! Selbst auf Nantucket Island habe ich es geschafft, diesen verfluchten Code zu entschlüsseln! Trotzdem warst du nur eine Figur im Spiel von Perez, der gerade dabei ist, zu gehen, erinnert mich mein Unterbewusstsein.
Verdammt nochmal! »Halt!«
Er bleibt stehen, hat aber nicht vor, sich zu mir zu drehen. Wenn er es unbedingt möchte ... »Machen Sie mir ein Angebot, das ich nicht abschlagen kann«, fordere ich. »Ich meine, wieso sollte ich Ihnen helfen?«
»Wenn es Ihnen noch nicht aufgefallen ist, Ms Murphy, kennen wir seit neustem Ihre Identität – ihre wahre Identität. Dadurch können wir jegliche Gebüren, die Sie durch fremde Kosten entstehen lassen haben, zurückverfolgen. Genauso können wir nun die Kosten für den Aufenthalt im Krankenhaus zu Ihren Konten leiten. Wie ich gesehen habe, besitzen Sie keine Krankenversicherung, weil Sie sich die sonst immer von jemand anderen geliehen haben.« Nun blickt er sich nicht mehr nur über die Schulter, sondern dreht sich ganz zu mir um. »Und zu Ihrer Frage, was für Sie dabei rausspringt: Die Akte von Karoline Murphy wird gelöscht. Sie wird nie existiert haben. Sie könnten das Leben weiterleben, nach dem Sie sich so sehnen. Alleine, ohne Freunde, mit einer täglichen Bestellung von der indonesischen Streetkitchen MIN-«
»Ich habe Sie nicht nach einer Beurteilung meiner Vergangenheit gefragt und um mich zu rechtfertigen, haben Sie das vielfältigste Menü, was es in meiner Gegend gibt.«
»Sie sind dabei?«
Meine Hände werfe ich theatralisch in die Höhe. »Das habe ich doch gar nicht gesagt!«
»Sorry, ich dachte, weil Sie über dieses Fast-Food geplappert haben-«
»Weil es verdammt nochmal lecker ist!«
Schwer atmet der Chief aus. »Okay, Karoline, ich verstehe, dass es eine Umstellung für Sie sein wird.« Die Andeutung dahinter, dass ich in einem Wohnwagen gehaust habe, hallt indirekt nach. »Aber Sie können das beenden, was Sie begonnen haben. Sie können die Wahrheit über Gianni Ballinis Mafiageschäften herausfinden. Ist das nicht heldenhaft genug für Sie?«
»Momentan ...«, ich halte inne. Nein, ich renne nicht weg. Er weiß über mich Bescheid, Himmel, er weiß alles über mich, aber ich laufe nicht weg. Nicht schon wieder.
»Ja?«
»Mir ist nicht danach, wieder schachmatt gesetzt zu werden, nur weil Sie Ihren Springer nicht klug gewählt haben.« Ich will nicht wieder auf Intrigen reinfallen.
»Die Entscheidung, inwiefern ich meinen Springer wähle, liegt bei mir Ms Murphy. Sie mögen vielleicht die Dame sein, doch ohne die anderen Figuren, ist eine Partie kaum so viel wert wie ein Funken Hoffnung.«
. . .
Dieser retardierender Moment möchte euch etwas Zeit zum Schnaufen verpassen.
Es ist einiges an Zeit vergangen ...
Wen meinte Karoline wohl, als sie davon sprach, dass sie von anderen ebenfall besuch erstattet bekommen hat?
Danke für eure Begeisterung zur Lesenacht und die Kommentare ... Himmel! Vor allem Raffas und Fannys Auftritt hat euuch genausoviel Freude bereitet wie mir beim Schreiben, was mich auf Wolke 7 schweben ließ hihihi!
Dieses Kapitel widme ich dir, saloo16 xo
Du konntest das Warten nicht ertragen? Hoffentlich hat es dich nicht ganz so wahnsinnig gemacht wie du behauptet hast! Das nächste Kapitel wird um einiges länger sein und vielleicht erleichtert dieser eine Spoiler dir das Warten: Aria Ballini wird auftreten - und nicht nur sie ...
xoxo
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