35 . . . enttäuschung
Er reagiert normal, versuche ich mich selber von der Lüge zu überzeugen. Halte dafür die Luft an, ignoriere die Tatsache, wie lange das Ungesagte zwischen uns herrscht. Kommunikation ist nicht unbedingt unsere Stärke, das ist mir bewusst. Zugegeben ist das gerade mehr als mangelnde Kommunikation.
Um überhaupt zu realisieren, was vor wenigen Momenten geschehen ist, reißt Savio die Augen auf. Vollkommen in den Gedanken versunken, blinzelt er verträumt vor sich hin. Kann diese geringe Menge ihn derartig umhauen? Oder ist da noch mehr im Spiel? Was hat er denn die ganze Zeit gemacht, wenn er nicht laufen war?
Meine Nasenflügel beben und das bekannte Ziehen kehrt zurück, bis hinauf zu meinen Tränensäcken. Normal, spreche ich meinem Gewissen zu. Leider kann es nicht normal sein, wenn ich vor angestauter Luft in der Lunge, durch dunkle Punkte im Sichtfeld, kaum sehen kann.
»Ein Team«, atme ich aus. Frei von der Wahrheit, die eingesaugt habe, macht sich weiterhin ein Stechen in meinem Brustkorb bemerkbar.
Tief versunken im Nirgendwo, wecke ich ihn aus der Trance.
»Karoline«, nimmt er mich wahr.
Lächle! Jedoch ermöglichen mir meine bebenden Lippen nicht mal, etwas zu erwidern. Wie kann er ... Wieso ist er innerhalb eines Atemzuges nicht mehr Savio? Mein Savio?
»Du bist nicht dumm.« Nonchalant hebt er eine Schulter. »Daher muss ich nicht erklären, was eben geschehen ist?«
Diese eiserne Miene ... Keinerlei Emotion ist darin zu erkennen, geschweige denn eine Andeutung. Es ist ihm gleichgültig, kümmert ihn einen feuchten Dreck. Er ... wir haben uns geschworen, dass wir ein Team sind. Ein Versprechen, was ihn wahrscheinlich kaum was bedeutet.
Ungeduldig verlagert er sein Gewicht aufs andere Bein. »Oder willst du auch was?«
Es ist wie ein Tritt in den Magen, von dessen Wucht ich zusammenzucke. In meiner Brust ist nichts außer Kälte, bittere Enttäuschung und gebrochenes Vertrauen. Das, was ich mir bei ihm nicht erhofft habe, weil er mir ein Grund gegeben hat, mich zu verändern. Wieso habe nur ich mich verändert?
Ungeniert deutet er mit den Daumen hinter sich, taumelt dadurch einen Schritt zurück. »Jetzt sag schon was, ich kann keine Gedanken lesen.«
»Wieso hast du es genommen?«
Er furcht die Stirn.
»Du hast gesagt, dass wir ein Team sind«, erinnere ich ihn. Langsam wage ich einen Schritt auf ihn zu. Zierlich wie meine Finger sind, streichen sie seine harten Gesichtskonturen, die bedeutungsloser nicht auf unseren Körperkontakt reagieren könnten. »Hast du das vergessen?«
Leere. Nichts außer gefühllose Leere ist in diesen dunklen Augen zu erkennen. Leere und ich, denn meine Spiegelung leuchtet darin auf. Die Erinnerung hingegen nicht. Ein kalter Schauder jagt mir die Wirbelsäule hinunter, flüchtet in das Loch meines Brustkorbes und lässt mich wimmern.
Dieser Wichser! Genau das, was ich versucht habe zurückzuhalten, holt mich in diesen Moment ein. Eine unglaubliche Anzahl von Gefühlen überflutet mich. Während meine Mundwinkel über meine eigene Dummheit zu zucken beginnen, sammeln sich die salzige Flüssigkeit in meine Augen an.
»Karoline, hey, es ist doch alles gut«, meint er monoton. Die großen Hände sind rau und auch sein Parfüm zieht mich in eine bekannte Duftwolke, die garantiert nichts mit Sport, Sand und Schweiß zutun hat.
»Savio«, flehe ich ihn um Vernunft. Bitte!
»Ich kann mich daran erinnern.« Ja? Hellhörig hebe ich den Kopf, blicke hoffnungslos in das goldgebrannte Gesicht. Umsonst. Das dreckige Grinsen in seinem Gesicht verzieht nicht nur seine Lippen, es befördert meine Hoffnung in ein Katapult – feuert es dorthin, wo er auf mein zerbrochenes Herz trampelt. »Unsere Teamarbeit im Bett ist göttlich.«
Nach Hilfe suchend schaue ich ihn tief in die Augen. Irgendwo muss da doch der Savio sein, den ich liebe? Der mir erst vor kurzem gesagt hat, dass ich ihm etwas bedeute, dass ich ihm wichtig bin. Wo ist er hin? Und wieso, verdammt nochmal, finde ich ihn nicht?
Ich zwinge mich gegen das Aufstehen meiner Härchen bei den schmierigen Berührungen von Savio. »Lust auf etwas Teamarbeit?«
Leicht schüttle ich den Kopf und lache wimmernd vor Verzweiflung auf. »Nein. Ich ... nein!«
Vorsichtig drücke ich ihn von mir, versuche, den Blickkontakt zu meiden. Durch Berührungen drücke ich mich aus, da meine Gedanken zu oft ein Chaos ergeben. Man könnte mir einen Preis dafür gegeben, so talentiert bin ich, nicht die richtigen Worte im passenden Moment zu finden. Deswegen drücke ich mich meine Liebe mit Körperkontakten aus, betone mein Empfinden, indem ich eine fühlbare Verbindung herstelle.
Normalerweise habe ich keine Schwierigkeiten damit, besonders nicht bei Savio Ballini. Er ist meine Energiequelle, jagt elektrisierende Blitze in durch meinen Körper – zumindest bis vor kurzen noch.
Meine Variante von Kommunikation kann genauso sehr schmerzen, wie sie guttut. Gerade bin ich kurz davor, einzubrechen. Die Berührungen von einer Person, die man liebt, in einem Moment mehr als unwohl zu empfinden, ist der schlimmste Schmerz überhaupt.
»Was machst du?«
»Bitte, lass mich los.« Er verstärkt den Griff, dass es mir wehtut. Eine Träne zieht heiße Spuren über meine Wange. »Savio ...«
»Nein.«
»Bitte! Savio, bitte!«
»Ich kann dich nicht loslassen!«, wird auch er lauter. Erschrocken weiche ich erneut aus, spüre den Bilderrahmen im Rücken. Knurrend drückt er mein Handgelenk fester. »Karoline, du gehörst zu mir. Du kannst nicht ...«
Das Pulsieren meines Herzens echot in meinen Ohren. Überfordert von seiner Hand, die nur noch die Leere hält, blinzelt er. Mehr drücke ich mich gegen die Wand, versuche, einen Abstand zu schaffen.
Luft, rüttelt mein Unterbewusstsein an mir, ich brauche Luft!
Von meinem Steiß aus jagt mir ein höllischer Schmerz durch den ganzen Körper. Jeder Schritt, den ich gehe, quält mich und jeder weiterer Meter Abstand zu Savio, erleichtert mir das Aufatmen.
»Du kannst nicht gehen!«, wirft er mir meinen jämmerlichen Rückzug vor. Wild fährt er sich durchs Haar, ist vollkommen neben der Spur. Wie erbärmlich ich bin, diese Gelegenheit auszunutzen, um nach dem Treppenhandlauf zu tasten.
Das Knarzen der ersten Treppenstufen lässt ihn wieder zu mir aufschauen.
»Karoline, ich brauch dich!«, dringt der verzweifelte Ruf nach Hilfe aus seiner trockenen Kehle.
Auf den Treppenabsatz halte ich inne. Und ich brauche dich, klebt die Antwort auf meiner Zunge. Meine Lippen trennen sich voneinander und ich möchte es ihm genauso sagen, nur mit wem würde ich sprechen? Savio oder das, was er gerade ist?
Am liebsten würde ich auf ihn zulaufen, in die Arme nehmen und sagen, dass wir es gemeinsam durchstehen. Allerdings weiß ich nicht, ob es dieses ›gemeinsam‹ noch gibt. Kein Team, kein ›gemeinsam‹, rufe ich mir ins Gedächtnis.
Erneut werde ich von meinen Emotionen geleitet. Daraus kann ich ganz klar die bittere Enttäuschung herauskristallisieren. Und Wut. Gott, diese Leere in meiner Brust fällt ein, wird mit Asche zugeschüttet – was die Dämonen in mir ausnutzten. Funken des Jähzorns werden in die Dürre geworfen, dass ich in Flammen stehe.
Mir dreht es sich und ich halte vor der Haustür an; stütze mich kraftlos an der Wand, nur um durchzuatmen.
»Verdammt, Karoline!« Genauso wie sein finsteres Knurren lauter wird, nimmt auch mein Wimmern zu. Um nicht ins Schluchzen auszubrechen, beiße ich mir auf die Lippen, während mir Tränen weiterhin in die Augen steigen.
Die schweren Schritte, mit denen er die Treppe hinunter stürmt, bringt sogar den Boden unter mir zu beben. »Karoline, komm-«
Das Notfalltelefon klingelt und unterbricht Savio. Ihn, nicht mich. Ich setzte weiter einen Fuß vor den anderen.
In einem schnellen Tempo gehe ich den Flur hinunter, reiße die Tür auf und laufe. Immer habe ich den Teufel die Zunge rausgestreckt, hätte ihm glatt meine Seele verkauft, für was auch immer. Mit ihm hätte ich es aufgenommen und jede begangene Sünde hingenommen. Es wäre mir egal gewesen, nur ist er in diesem Augenblick nicht die Person, der mein Herz gehörte. Er ist nicht Savio Ballini.
»Scheiße!« Mein ganzer Körper brennt, möchte in sich einbrechen. Nein. Ich kann nicht. Nicht jetzt, nicht, wenn ich keine Luft bekomme, nicht ... Jeder kommende Atemzug geschieht nur noch stockend. Etwas lähmt meine Luge, lässt sie nicht mehr mit Luft füllen. Dazu kommt noch das Stechen in meinen Seiten, wegen dem ich röchle.
Nein, halte ich mich innerlich auf. Ich kann ihn nicht im Stich lassen. Er ... er hat mich im Stich gelassen aber ... Hör auf, so naiv zu sein, zwingt mich mein Unterbewusstsein, weiter wegzulaufen. Nein, ich kann nicht. Was ist das? Was lässt mich so idiotisch sein und umdrehen? Wieso drehe ich überhaupt um, wenn er eigentlich keinen Grund hat, meine Hilfe zu bekommen?
Weil ich ihn liebe. Eine Antwort, die meine Fragen immer noch ins Leere stellt, denn Liebe lässt sich nicht erklären. Das, was ich fühle, hat keine Definition, einzig und allein weiß ich, dass ich mich selbst verletzten werde.
Doch das ist mir egal. Er braucht mich. So idiotisch ich auch bin.
Schritte.
Meine eigenen Schritte hören sich an, als würden alle Stimmen, die sich in meinen Kopf erheben und jeweils andere Anweisungen geben, mit mir voranschreiten. Humpelnd versuche ich so weit wie möglich zu kommen. Vielleicht fliehe ich auch vor den Schatten meiner selbst, der mich versucht einzuholen. Der heiße Asphalt unter meinen Füßen, ist der einzige Grund, warum ich nicht einfach stehen bleiben. Er ist so heiß, dass meine Sohlen mittlerweile verbrannt sein müssen.
Die Schritte werden lauter.
Der Schatten über mir größer.
Moment ...
Unverzüglich bleibe ich stehen. Es ist nicht nur ein Schatten, es sind ... Erschrocken drehe ich mich um. Die tiefstehende Sonne lässt mich lediglich mehrere Umrisse erkennen, die von verschiedenen Gestalten vor mir stammen.
Meine Lippen trennen sich voneinander, doch der Hilfeschrei bleibt mir im Halse stecken.
Ein Umriss holt aus.
Ein dumpfer Knall ertönt.
Ein heftiger Schmerz, der von meinem Schädel ausgeht.
Nichts weiter als Dunkelheit.
. . .
Endlich beginnt die Spannung hihihi!
Tut mir leid für die Cliffhanger, aber irgendwie muss ich ja meine dunkle Seite rauslassen. Meghan March hat mich unteranderem inspiriert, solche Cliffhanger zu schreiben ... gibt ihr die Schuld hahaha!
Dieses Kapitel widme ich meiner liebsten GerlindeElisabeth ❤️
Danke, dass du das letzte Kapitel sooo viel kommentiert hast. Du bist einer meiner "Stamm-Leser: innen" und ich liebe es immer wieder aufs Neue, von deinen Kommentaren unterhalten zu werden. Ich danke dir, für dein Interesse und hoffe, dass dir dieses Kapitel genauso gefällt, wie mir deine Kommis! Ganzzz viel liebe von mir.
xx
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