34 . . . die akte
»Savio.«
Ein Keuchen. Eine Frage? Die Bestätigung, mit der ich gegen meine Bewusstlosigkeit ankämpfte, weil ich sie zum weiteren Atmen brauche. Ich muss ihn ihm Guten wissen.
»Savio?«
Kaum merkbar, dennoch vorhanden, verbreitet sich eine Wärme auf meinem Oberschenkel. Eine Wärme, dessen Ursprung mir unmittelbar klar ist, denn bei niemand anderem reagiert meine Körper mit so viel Hingabe.
»Ruh dich aus.« Seine raue, beinah gereizte Stimme legitimiert keine Widerrede.
»Savio.« Schaudernd rutsche ich tiefer in den Sitz, zu viel kostet mich das Erringen seiner Aufmerksamkeit an Kraft. Trotzdem kommt nicht mehr bei raus als ein verstärkter Griff seiner Hand auf meinem Schenkel.
»Du wirst das schaffen, Prima-Donna. Hast du mich verstanden?« Wir biegen ab, wodurch mir die vielen Farben vor den Augen verschwimmen. Wie geht es dir? Ist die unausgesprochene Frage, zu der ich mich zusammenraffen. Gerade möchte ich meinem Herz einen Stoß geben, da kommt er mir zuvor, indem er aufs Lenkrad haut. »Diese Wichser wussten, wie sie mich verletzlich machen. Wegen ihnen habe ich dich in Gefahr gebracht. Ich habe dich riskiert und-«
»Savio ...«
Zwar gelingt es mir nicht, zu ihm hochzuschauen, allerdings weiß ich, dass er zu mir blickt. Ich spüre es.
»Du«, versuche ich es erneut. »Deine Gesundheit?«
»Was?«
Männer. Direkt verschlucke ich mich an den Spott und röchle vor mich hin. »Bist du in ...« Heiseres Husten. »Ordnung?«
»Ja.«
»Lüg... « Er lügt.
»Mir gehts gut, nichts, was ich noch nie gemacht habe. Wir werden gleich zu Hause ankommen und ich werde dich sofort-«
»Was ...« Musstest du machen?, klingt die Frage stumm mit.
Wir werden langsamer. Er schaltet; nimmt dafür nicht die Hand, die stets auf meinem Oberschenkel liegt.
»Ein paar Bestellungen abliefern«, beschwichtigt er seine Tat. Würde mein Kopf nicht dröhnen und jeder Zeit explodieren, würden mir tausend Vorstellungen vors Auge erscheinen, wie diese Lieferung wohl ausgesehen hat.
Langsam fahre ich mit meiner Hand seinen Arm hinauf. Einmal, um weiteren Halt zu finden und des Weiteren, um ... Meine Finger werden feucht. Er zuckt heftig unter meiner Berührung beim Druck aufs heiße Fleisch zusammen.
»Lüge.« Er lügt.
»Es ist nichts, nur ein Kratzer.«
»Lüge«, wiederhole ich mich.
»Verdammt nochmal, Karoline!« Er greift nach meiner Hand und presst sie verankert in seiner, auf meinem Oberschenkel nieder. »Ein Scheiß auf das, was ich habe. Das Einzige, was mich kaputt macht, ist zu wissen, dass du nicht okay bist. Du musst durchhalten, nicht ich. Du kannst, das weiß ich, denn du gibst nie auf, vergessen?«
»Ich kann nicht meh... «
»Doch du kannst!«, wird er lauter. »Du bleibst bei mir, Prima-Donna!«
Der Gedanke, dass er verletzt ist, hält mich wach. »Du-«
»Mein Leben ist bedeutungslos, wenn du kein Teil davon bist«, knurrt er. »Du musst dafür bei mir bleiben, du musst ...«
Immer mehr verlässt mich die Kraft. Mir klappt der Brustkorb zusammen und meine Rippen drücken in meine Organe. Nicht mal das schmerzhafte Aufheulen ist laut genug, um wahrgenommen zu werden. Er ist nicht okay, versuche ich mich bei Bewusstsein zu halte.
»Bleib bei mir!« Heftig drückt Savio das auf meinen Oberschenkel nieder, was laut durch den Wagen schallt. Meine Augen verdrehen sich und das Letzte, was ich mitbekomme, ist Savios hilfesuchender Schrei meines Namens.
. . .
Vor meinen Augen dämmert der Anblick. Irgendwie ist alles verschwommen, unglaublich hell und nichtsdestotrotz bekannt. Die Kacheln der Wand werden schärfer und die darin gespiegelte Lichtflut entzündet ein heftiges Brennen in meinen Sehorganen.
Das fühlt sich gut an. Geschlossene Augen und ...
Eine wohlige Wärme verteilt sich auf meinen Armen. Sie ist feucht und fließt durch meine nackte Haut in meinen Poren. Wasser? Ja, es muss Wasser sein, in das ich sitze. Mein unterer Körper muss darin baden. Das ist es, genau, denn die Wärmeströmungen schwippen bis unter den Hebungen meiner Brüste. Darunter tauchen sich in schon bekannte Behaglichkeit ein.
Etwas Weiches streift ein weiteres Mal über meinen Unterarm. Meine Hand wird von jemanden angehoben. Nicht irgendjemanden, sondern von Savio. Zwar erhasche ich einen Blick, der innerhalb einer Binnensekunde verstreicht, doch was ich gesehen habe, reicht aus. Das Bild eines Armes, dessen schwarze Tintenverläufe unter einen weißen Verband verschwinden, heizen meinen Körper auf. Kocht das Wasser oder glühe ich nur so?
Er meinte, es sei nichts Großartiges, nichts, worum ich mich sorgen muss. Mir war bewusst, dass er lügt. In der ganzen Dunkelheit meiner Ohnmacht herrschte nichts anderes außer seine Verletzung in meinem Kopf. Zwischen all den dunklen Wolken und der Schwere aus Schmerz war es meine Sorge um ihn, die mich auch jetzt wieder wach werden lässt. Wenn auch schlaff und gebrechlich.
»Ich habe es vermasselt, Prima-Donna.« Mein ganzer Körper bebt bei diesen Worten, so qualvoll gesteht er sich die Wahrheit. Seine Wahrheit, die mit meiner nicht übereinstimmt.
Kraftlos muss ich an ihn angelehnt sein. Die verschwitze Haut in diesem von siedeheißer Luft gefüllten Bad, klebt an meiner. Das spüre ich nicht, weil ich mich aufrichte – Gott, in diesem Moment versuche ich alles, um an diese Kraft zu erlangen –, sondern nur, weil seiner schwerer Atmen sein Brustkorb zum Vibrieren bringt.
»Ich habe mir geschworen, für deinen Schutz zu sorgen«, erzählt er weiter.
Wie gerne ich etwas erwidern würde. Meine Lippen trennen sich voneinander, doch meine Stimmbänder denken nicht daran, meinen Gedanken einen Klang zu verleihen.
»Und ich habe versagt.« Er haucht mir einen Kuss auf den Scheitel. »Vergib mir, bitte.«
Tief hole ich Luft. Dann bleibt meine Antwort in meiner Kehle stecken.
»Bitte vergib mir, Karoline«, fleht er mich in einem wimmernden Ton an. »Bitte vergib mir, was ich mir nie verzeihen kann.«
Ich habe kein Grund dir zu vergeben, möchte ich ihm sagen. Wir haben uns gemeinsam dazu entschieden. Gemeinsam. Das möchte ich ihm mitteilen, indem ich seine Hand drücke, als er mit dem Schwamm durch meine Handfläche fährt. Vergebens. Meine Reaktion hadert und verpasst ihn.
»Bitte, bitte, bitte«, bettelt er weiter. Vorsichtig nimmt er mich von hinten in den Arm, vergräbt seinen Kopf in meiner Halsbeuge. Es hört sich aus seinem Mund wie ein Gebet an, ohne dessen Erlösung seiner Sünden, die Welt für ihn untergeht.
»Verzeih mir das alles hier.« Das Plätschern des Wassers, welches nicht in den Schwamm eingezogen ist, prasselt in die Wanne zurück. Der Duft von Flieder und Vanille stellt den ranzigen Schweißgeruch in den Hintergrund.
»Man hätte jemanden nehmen sollen, der professioneller ist, jemand, der seine Gefühle im Griff hat. Jemanden, der nicht ich bin. Ich bin selbstsüchtig, weil es mir nicht mal in den Sinn kommt, die je wieder loszulassen.« Vorsichtig wischt er mir über meinen Bauch. »Ich kann nicht richtig handeln, wenn ich weiß, dass man dir etwas antut, ich ...«
Er krächzt sich und wird leiser, sodass ich ihn kaum verstehe, obwohl kaum eine Distanz seine Lippen von meinen Ohren entfernt: »Ich hätte beinah jeden in diesem Casino abgestochen, nachdem ich das Koks ausgeliefert habe. Jedem einzelnen hätte ich die Kehle aufgeschlitzt, weil man uns voneinander getrennt hat.«
Er wird noch leiser. »Und ich werde verrückt, weil die Rachsucht mich immer noch dazu drängt, jeden umzubringen, der da war und nichts unternommen hat. Sogar die Frauen.«
Und diese Vorstellung überlädt meinen Kopf. Es kommt zu einem Kurzschluss und die Fantasie dieser Beschreibung fegt mein Hirn vollkommen weg.
Was in dieser Nacht noch geschah, sind in Schwärze getränkt und nichts Weiteres außer vergessene Erinnerungen der letzten Stunden.
. . .
Die Tablette bringt das Wasser im Glas zum Sprudeln. Wahrscheinlich der schönste Laut, den man sich beim dröhnenden Kopf und kraftlosen Körper geben kann. Gott sei dank, leben wir im 21. Jahrhundert!
»Ich werde jetzt meine Runde drehen«, erklärt mir Savio zum gefühlt hundertsten Mal. Wieso checkt er nicht, dass ich ihn verstanden habe? Vielleicht ziehen sich all meine Glieder zusammen, sobald ich mich gerade aufstelle, mir wird schwindelig, bei dem aufdringlichen Sonnenschein und Migräne lässt mich das ein oder andere Mal Schleim kotzen. Das könnte auch ein Sonnenstich sein, von daher ...
»Du bleibst hier liegen und ruhst dich aus. Falls was ist, kannst du mich hierrüber anrufen.« Neben dem schäumenden Wasser stellt er das Notfalltelefon auf das Nachtschränkchen.
»Ich kann nicht schlafen«, nörgle ich. Das ist nicht gelogen. Wenn man bis vor fünf Stunden ganze zwei Tage durchgeschlafen hat, sind die Energiereserven erste einmal voll. Paradoxerweise ist mein Gewissen wach, mein Körper stets geschwächt.
»Keine Sorge, ich bin ja bald wieder da. Brauchst du denn noch was?« Der Badboy fungiert mit seinen Fingern am letzten Knopf seines Kragens, nur um ihn dann wieder zu öffnen. Wie von selbst zucken meine Mundwinkel. Ich wollte schon einen Spruch ziehen.
»Könntest du mir den Laptop reichen?«
»Nein.«
»Wieso?« Ich lasse meine Hände auf das Laken fallen, was bei uns als Bettdecke gilt. »Ich werde nur meine Arbeit mit der Akte vergleichen.«
»Sobald du wieder fit bist«, begründet er und verteilt die Sonnencreme in sein Gesicht.
»Das ist unfair!«
Hörbar laut zieht er die Luft ein. »Wieso habe ich dich nicht einfach unaufgeklärt gelassen?« Eine Frage, die er an sich selbst richtet.
»Weil ich dir keine Ruhe gelassen hätte.«
Die Lippen mit etwas weißer Sonnenmilch an den Mundwinkel, gewinnen an Größe. »Wie sehr ich diese Stille jetzt schon vermisse.«
Ein kleines Kissen werfe ich in seine Richtung, was nicht weit fliegt. Bei halber Strecke zum Ausholen des Wurfes, zuckt ein Muskel in meinem Oberarm zusammen, was ziemlich fies ist. »Lügner«, betitle ich den Bad Boy neu.
»Weiß gar nicht wovon du sprichst«, redet er sich raus.
»Ich habe dich gehört«, beschuldige ich ihn seiner dreisten Lüge. Eine perfekt gezupfte Braue neigt sich zu Savios Nasenspitze. Ertappt! »Wenn es nicht du warst, der neben mir lag und Selbstgespräche geführt hat, wie sehr es ihm leidtun mich alleingelassen zu haben, wer war's dann?«
»Ich weiß nicht, was du meinst«, streitet er ab.
»Dann hast du mir heute nicht die ganze Zeit verzweifelte Küsse auf die Stirn gehaucht? Karoline, wach endlich auf, ich-«
»Ach, sei leise«, lacht Savio und wirft das Kissen zurück. Nur, dass es dieses Mal nicht sein Ziel verfehlt und mich volle Kanne trifft. Die Salven seines Lachens wandeln sich in ein Grunzen.
»Arschloch«, beschimpfe ich und stimme den erheiterten Lauten bei.
Mit dem Zeigefinger deutet er auf mich, und eventuell auch auf das Bett, unter dessen Decke meine Beine geradezu vom Schweiß beschichtet ist. »Liegen bleiben, sonst werde ich dir noch den Hintern versohlen.«
»Eine Drohung?«
Dieses Glitzern in seinen Augen dringt bei seiner Musterung bis in mein Mark. Es ist erfrischend und fühlt sich an anders an – es gibt mir das Gefühl anders als der Rest zu sein, die er mit diesen Obsidian-Edelsteinen betrachtet. Einzigartiger, besonders ... ich.
»Ein Versprechen.«
. . .
Die Tür fällt hörbar ins Schloss und ich schwinge meine Beine über den Bettkasten. Ein dummer Fehler, wegen dem ich vor Schmerz zusammenzucke. »Fick die Hähne!«
In meinem Becken setzt sich eine Last ab, dessen Gewicht mich immer mehr in die Matratze drücke. Ich kann nicht einfach hier im Bett liegen und nichts machen. Nicht, wenn Savio sein verdammtes Leben in dieser Nacht aufs Spiel für mich gesetzt hat – erneut. Das ist nun mal sein Job, flüstern mir die düsteren Schatten im Kopf zu. Sie haben ja nicht unrecht, aber das zwischen uns ... es ist mehr als nur sein ›Job‹.
Meine Knöchel treten weiß hervor, beim abstützten auf die Matratze. Abermals auf die Matratze zu sinken, wäre keine kugle Entscheidung. Auch, wenn ich mich dazu zwinge, mich nicht an Savios liebevolle und fürsorgliche Art zu gewöhnen, liebe ich es. Das besonders einladende Bett, macht mir die Entscheidung nicht einfach. Einerseits werde ich wahrscheinlich sowieso nicht weitkommen. Er meinte, es wäre lediglich eine Akte, bestehend aus wirren Zahlen und Buchstaben, denen man niemanden Menschliches zuordnen kann.
Wahrscheinlich. Vielleicht würde ich nicht weiterkommen als Savio, vielleicht ... vielleicht sollte ich es trotzdem versuchen. Die abertausenden Male, bei denen ich die Codes durch die verschiedensten Programme geschickt habe, waren nicht umsonst. Immer wieder habe ich ein Stück vom Ganzen erhalten. Das Cluster mag zwar groß sein, doch genauso sind die Möglichkeiten – unbegrenzt.
»Diese beschissene Hüfte«, murmle ich. Kaum trete ich auf die kalten Dielen, knicke ich ein. Heilige! Gerade noch rechtzeitig stütze ich mich auf den Sessel, den Savio neben das Bett gestoßen hat. Rechtzeitig und trotzdem nicht vorsichtig genug.
»Ah!« Dieses Brennen zuckt durch meinen Körper, frisst sich in jeden verspannten Muskel. Kaum falle ich auf das Kissen, intensiviert sich der Krampf. Er macht sich erst nur in bestimmten Gliedern bemerkbar, doch zu schnell breitet er sich aus, als dass ich den Auslöser bestimmen könnte.
Bist du so ein Weichei geworden?, säuselt mir die Dunkelheit in die Ohren. Unbemerkt nehmen die Schatten immer größere Bereiche meiner Rationalität ein. Schnapp dir die Akte und den Laptop, hallen die verzerrten Stimmen weiter durch meinen Kopf. Um sie loszuwerden, massiere ich mir die Schläfen – zwecklos. Savio hat davon gesprochen, dass es die Tabletten in sich haben, jedoch ist das Glas immer noch voll; die Tablette mittlerweile brausend aufgelöst.
»Konzentrier dich, Line«, versuche ich mich mit Selbstgesprächen auf das Wichtige zu zentralisieren. Laptop!, rufen die Dämonen, während mein tiefes Unterbewusstsein das Gegenteil ruft: Bett.
Vor meinen Augen dreht sich alles. Das Bett und die Akte, die irgendwie in meine Hand gelangt ist und vielleicht auch meine Gedanken. Obwohl, nein, ich kann meine Gedanken nicht sehen, oder?
Krampfhaft presse ich die Lider aufeinander und schüttle den Kopf. Verdammt nochmal, Savio hat bei öffentlichem Verkehr einen Drogenkurier gespielt. Es war kein dämliches Rennen, sondern Drogen. Diesen Kampf gewann er für mich, für uns. Demnach sollte es für mich doch nicht so schwer sein, mehr Informationen aus dieser Akte zu ziehen. Ich bin Karoline Murphy! Das hier ist mein Ding, meine ...
Kurz wird mir schwarz vor Augen und ein bitterer Geschmack setzt sich auf meiner Zunge ab. Normalerweise kündigt sich ein Temperaturwechsel bei mir an, sobald sich mein Magen der Rebellion anschließt, allerdings bleibt dies aus – genauso wie der Widerstand selbst.
Konzentration!, drille ich mich weiter. Ein unangenehmes Ziehen schaudert durch meine Seiten, als ich mich zum Hocker Runterbeuge, der unweit von mir steht. Okay, er steht direkt neben mir. Meine Körperspannung verrät mich, wodurch ich den Laptop gerade noch zwischen die Finger kriege, ehe ich erneut zusammensacke.
Den Kopf haue ich gegen die Lehne. Mag sein, dass der Schweiß kribbelt, während er meine Stirn hinunter kullert, doch es funktioniert nicht. Ich muss meine Kraft für die Suche sparen. Ein Glück, dass ich meine Augen zur Ruhe geschlossen habe, denn die saure Flüssigkeit sammelt sich in meinen Wimpern. Dieses Mal muss ich sie mir wegwischen und beim nächsten, schweißfreien Wimpernschlag lädt mich ein heller Laptopbildschirm ein, benutzt zu werden.
Nebenbei breite ich die Akte auf der Handlehne des Sessels aus. Die Balance dieses grauen Papierdings ist besser als meine eigene. Wie lustig. Doch Savio hat recht, es ergibt keinen Sinn. Diese Aneinanderreihung von Zahlen und Buchstaben ... es würde Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern, bis ich das entschlüsselt habe.
Mit dem Metall zwischen meinen Fingern, was von meiner Kette stammt, spiele ich weiter herum. »Moment ...«
Ein stählender Geschmack benetzt meine trockenen Lippen. Dieser Name ... C&D Airlines – Cinque Diamanti. Der Name der Fluggesellschaft steht schwarz auf weiß unten auf dem rauen Papier, was total mitgenommen ist. Bash und Jess, die Don Diamantes. Scheiße, sie haben ihm, was auch immer die Don Diamantes alles betreiben, verraten?
Nein, wieso sollten sie das machen? Das kann nicht sein, das kann nicht ... Meine Daten, fällt es mir auf, als ich ein weiteres Mal am USB-Stick nage, der um mein Hals hängt.
Der Verschluss wird beim davon Zerren meiner Kette aufgerissen. Wenn das wirklich noch was mit dem Fremden zutun hat, dann ... Bitte – was auch immer jetzt da oben über uns wacht, bitte lass die Version auf mein Stick sein. Bitte, bitte, bitte!
Ein Fenster öffnet sich. Der USB-Stick wurde anerkannt. Zwei Klicke auf dem Touchpad der Bildschirm wird schwarz. Giftig grüne Zahlen und Buchstaben bewegen sich über den Bildschirm des Laptops.
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Wie von selbst schiebt sich die Akte in meine Richtung. Die erste Zeile zeigt keine Ähnlichkeit mit dieser Zahlen- und Buchstabenkombination, bei der zweiten und dritten suche ich ebenfalls erfolglos. Nichts, nichts und wieder nichts. Keiner dieser Muster weißt Ähnlichkeiten mit den auf meinem Bildschirm auf.
Ich dachte tatsächlich, dass ich endlich das Ziel erreicht hätte. Irgendwie habe ich es an meinen Fingerkuppen kitzeln gespürt. Jetzt stellt sich heraus, dass es wahrscheinlich nur von dne Medikamenten kommt. Pure Einbildung.
Unruhig fahre ich mir mit den Händen durchs Gesicht. Ich hasse es! »Diese verfickte Scheiße soll sich selber lösen!«, motze ich und schlage auf die Tastatur.
Ein Editor öffnet sich, dessen Textfeld leer ist.
|SOURCE LINES OF CODE: ...|
Was? Meine Finger drücken nicht gerade viele Tasten. SHIFT, WIN, O, Ö und die Leertaste. Ein Befehl mir unbekannter Befehl. Ein Code, rufe ich mir ins Gedächtnis, immer noch überrumpelt von der aufleuchtenden Nachricht.
Ganz langsam lasse ich die Tasten kommen, spüre den Druck dahinter. Der Editor bleibt offen und das Textfeld blinkt. Dieser Wirrwarr erwartet etwas von mir. Irgendwas.
Die Akte.
Aus dem Augenwinkel linse ich auf das Papier. Es wäre ein Versuch wert. Nur würde ich mich die Treppe runterschmeißen, wenn es schon wieder nicht funktioniert. Und was, wenn doch? Durch die Fülle an Luft, bläht sich meine Lunge spürbar auf. Noch nie hat mich etwas aufgehalten. Nicht einmal Savio, wenn es hart auf hart ankam. Wieso stehe ich mir also selbst im Weg, wo mir dieser Versuch praktisch auf den Füßen liegt?
Ich muss es machen. Ich bin verpflichtet, es wenigstens zu versuchen. Ja, ich schaffe das und es wird ... der Bildschirm stockt, sobald ich auf ENTER drücke. Ich habe die ersten Zahlen und Buchstaben eingegeben, die sich erkenntlich von dem zweiten Block in der ersten Spalte getrennt haben. Nichts geschieht. Nicht einmal der Cursor bewegt sich wie es meine Finger vorgeben.
Dann geht der Laptop aus. Fährt hoch, geht wieder aus.
Einige Male hole ich tief Luft. Nicht, weil die Spannung des Wartens mein Handeln beeinflusst – ich versuche, mich hier zu beruhigen, um nicht vor Wut die Wände hinaufzulaufen! Wieso? Wieso habe ich nur auf diesen dummen, natürlich idiotischen Zufall ...
Blutrot. Die Farbe der Buchstaben und Zahlen haben sich gefärbt.
Es existiert kein SYNTAX ERROR mehr. Vielmehr tanzen die Buchstaben und Zahlen in eine Reihe und ergeben ...
Mir stockt der Atem und mein Herz bleibt stehen. »Oh.Mein.Gott.«
Der Bildschirm zeigt jetzt nur noch einen Log-in-Zugang an. Durch einen Befehl lasse ich meinen vorherigen Schritt anzeigen. Das Fenster hatte ich vor mehr als einen Monat schon einmal offen, nein, früher schon, wie die Daten meine Nutzung anzeigen.
Nur ist es dieses Mal entschlüsselt:
|[Anzr]GscelzactSyhtahzzreCervf|
|[Name]GeschlechtFlugnummerPreis|
Wofür braucht man solche Daten? Wofür muss man einen Namen, ein Geschlecht und ein Preis wissen? Wofür ... Scharf ziehe ich die Luft ein, was über meine dürren Lippen kribbelt. Die Nässe meiner Handinnenflächen wische ich an meinen nackten Oberschenkeln ab.
Hart schlucke ich.
Nein. Ich habe zwar davon gehört, gerade hier in Amerika, weil einige Gesetzte dahingehend leicht zu umgehen sind, aber ... nein. Das darf nicht wahr sein.
Nochmals scrolle ich zu den SYNTAX ERROR hoch. Diese Nummern und Buchstaben ergeben überhaupt keinen weiteren Code. Es sind die Abkürzungen für Flugzeugnummern und Orte? Innerhalb einer Sekunde öffne ich den Internetbrowser und gebe folgende Nummern und Kürzel ein, nur um in Neapel mit einer Maschine von C&D zu landen.
Ich glaube, ich kotze gleich.
Menschenhandel. Es handelt sich hier um Menschenhandel. Der Preis und das Geschäft. Wenn man eins und eins zusammen zählt, dann ergibt das alles einen Sinn. Menschenhandel.
Eine Tür fällt ins Schloss. Ohne zu zögern, drehe ich mir zur Tür, doch Savio ist noch nicht die Treppen hinauf. Fuck, ich meine, Gott, ja! Endlich habe ich raus, was hier abgehet, endlich ist dieser kleine Schritt bewältigt.
»Savio!«, schreie ich ihm freudig entgegen. »Ich hab's! Der Code! Er ist decodiert! Wir ... wir müssen unbedingt den Chief anrufen, um ihn davon zu erzählen! Ich muss ihn sofort anrufen, damit er davon erfährt!«
Unverzüglich greife ich nach den Notfalltelefon und drücke auf das Telefonbuch, damit ich bei ›C‹ Chief Perez – NYPD finde und sofort wählen kann. Genau in diesem Moment kommt Savio die Treppen hinauf.
»Komm her, lass uns-«
»Nein, ich will erstmal duschen«, winkt er ab.
Was? Unbewusst nehme ich den Hörer vom Ohr und drücke auf den roten Hörer. Er will duschen? Normalerweise duscht er sich doch im Vorgarten ab, weil es ihn so stört, dass der ganze Sand an seiner verschwitzten Haut klebt. Wieso ... wieso sieht er nicht zuerst nach mir, wie sonst auch immer?
»Hey, Savio?«, horche ich nach.
Keine Antwort, stattdessen ein Krachen. Wahrscheinlich ist er mal wieder mit dem Kopf gegen den Türrahmen, wie schon oft. Eher beunruhigt mich die Stille. Möchte er mir denn nicht die Leviten lesen, dass ich nicht auf ihn gehört habe? Nicht mal den Klugscheißer oder den Casanova spielen, um mir mitzuteilen, dass er über meine Aktion Bescheid wusste?
Nichts von all dem.
Eigentlich löse ich mich viel zu schnell von meinem Glücksereignis, doch manchmal gibt es wichtigeres als den Erfolg. Manchmal gibt das Herz den Weg an, und nicht der Kopf. Bei jedem Schlag meines Herzens habe ich das Gefühl, es hämmert mir stärker gegen die Brust. Jeder Schritt fällt mir schwerer zu gehen. Ich weiß nicht, was es ist, denn manchmal kann man es einfach nicht beschreiben, nur hoffe ich, dass sich meine Befürchtungen nicht bestätigen.
Vorsichtig drücke ich die Badezimmertür auf, kann durch den Spiegel das Geschehen im Inneren erkennen. Nein ... Mit zittrigen Händen umfasse ich die Klinke mehr, brauche den Halt, den mir meine weichen Knie verweigern wollen. Doch sie können es nicht. Dafür bin ich zu gefesselt von diesem Anblick, Enttäuschung oder was sich auch immer vor meinen Augen abspielt.
Eine kleine Menge von weißen Partikeln breitet Savio auf seinen Handtaschenspiegel auf. Er richtet es zu einer Geraden, beleckt sich erfreulich die Lippen. Mein Herz hört auf zu schlagen. Während er sich mit den einen Fingern das eine Nasenloch zudrückt, zieht er mit dem anderen den Stoff hoch.
Kein lüsternes Stöhnen, nicht mal genussvolles Augenverdrehen. Nichts. Keine einzige Reaktion spiegelt sich in seiner Miene. Kein Funken Leben in den schwarzen Augen, als seine Wimpern nicht mehr die hohen Wangenknochen berühren.
Er hat's getan. Wieder. Keine Spur von irgendeiner Befriedigung ist zu erkennen.
Das kleine Tütchen von der Fensterbank, dreht er zusammen und versteckt es in den Schrank zwischen den Handtüchern. Erst dann lehnt er sich ans Waschbecken und gibt sich der Wirkung der Droge in vollen Zügen hin.
Wieder kehrt die Schlange um meinen Magen zurück, nimmt Besitz von diesem ein und schnürt ihn zu. Mir fehlt die Luft zum Atmen, die mir Savio sonst immer gegeben hat. Mir fehlt die Hoffnung und das Vertrauen, als ich dabei zusehe, wie er den Kopf in den Nacken wirft, nur um eine gewisse Flüssigkeit in seine Augen tropfen zu lassen.
Das Piepen in meinen Ohren erlischt, denn ein Klirren bringt meine Knochen zum Zittern. Mein Herz ist soeben auf den Boden zersplittert, liegt in tausend Teile auf den Boden. Und als würde Savio auf einer der Scherben getreten sein, blickt er zu mir hinauf.
Geweitete Pupillen durch die Augentropfen und gleichgültige Züge in seinem Gesicht, dessen Reaktion noch immer nicht vorhanden ist.
Vor mir steht jemand, der mir fremd ist.
. . .
Ein langes Kapitel ... oh yeah :D
Die nächsten Kapitel werden ungefähr genauso lang, wenn nicht nur ein kleines bisschen kürzer. Irgendwie wurde es vom Plot her doch mehr zum Schreiben als ich dachte. Gerade die ersten Version hat in mir Unbehagen geweckt, weil ich dachte, ich müsse es ein bisschen realistischer wirken lassen. Einfach nur zu schreiben, dass man sie ohnmächtig geschlagen hat ist schon und gut, aber ich mag es, wenn man es nicht nur liest, sondern als Leser: in auch spürt. Hoffentlich konnte ich genau das in euch wecken - dieses authentische Gefühl :)
Und danke für die Glückwünsche, das Italien gewonnen hat bei der EM. Ich finde es lustig, echt. Voll viele kamen zu mir an und haben mir Glückwünsche ausgesprochen, sogar in der Schule. Like, okay, aber richtet es doch lieber an die Mannschaft von Mancini aus, der aus einer 0er Mannschaft den Europameister gezaubert hat. hach, ich bin so stolz :,)
Ich dachte mir, ich widme dieses Kapitel mal wieder all den Leuten, die fleißig am Lesen waren und sich bereits auf das nächste Kapitel freuen :D
xx
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