Tag 1 Kapitel 3 ✔️
Freitag 16. Dezember
10:07
"Du lebst auf einer Farm?"
Lance lachte, als wäre Keith dumm. "Hast du mich gesehen wie ich versucht habe mit einer Schaufel zu graben? Gott, nein."
"Du lebst buchstäblich mitten im niergendwo." konterte Keith und beäugte die Felder, die an ihnen vorbeizogen. Sie fuhren auf einer Landstraße, eine wirkliche Landstraße von Unkraut und Brommbeersträuchern umgeben und sie waren sogar an einem dieser typischen rostigen Schilder vorbeigefahren. Keith wusste nichtmal das diese Sachen wirklich existierten.
"Die meisten meiner Nachbarn sind Farmer, aber wir nicht. Meine Eltern besitzen ein lokales Lebensmittelgeschäft in Mesa del Caballo. Wir haben allerdings Hühner und eine Ziege."
"Eine Ziege," murmelte Keith ungläubig und sah zu, wie Grün an dem Auto vorbeizog, das eine sehr lange, von Bäumen gesäumte Schotterauffahrt hinunterfuhr. "Warum zum Teufel habt ihr eine Ziege?"
"Wir melken sie." sagte Lance sachlich. "Das ist praktisch. Außerdem kann Cinderella außerordentlich gut mit den Kindern umgehen."
Keith kicherte. "Du hast eure Ziege nach einer Disneyprinzessin benannt?"
"Korrektur; Meine Schwester hat ihr den Namen gegeben. Cleo hatte da so eine Phase."
Endlich kam das Haus in Sicht. Es war ziemlich groß, offensichtlich älter als Keith und erinnerte ihn an das Haus von Anne aus Green Gables. Er schreckte schon jetzt zurück, die abgeplatzte gelbe Farbe mit weißem Rand, bereits nach häusslichkeit schreiend. Keith war an Apartments und Reihenhäuser gewöhnt, die seinen Adoptivfamilien gehört hatten, nicht an Familienhäuser mit vergessenen Fußbällen und unachtsam liegengelassenen Fahrrädern.
Sie fuhren den Kiesweg hoch und parkten auf einer freien Stelle vom Grundstück. Als der Motor des Autos verstummte kamen auch schon zwei kleine Kinder, gefolgt von einem großen Boxer, aus der Garage gesprintet.
"Ich dachte du hast nur eine Ziege und Hühner!" beschwerte sich Keith und betrachtete ungläubig den langen Faden von Sabber, der vom Mund des Hundes tropfte.
Lance hingegen strahlte, als wäre Weinachten heute schon, kaum in der Lage sich mit seinen zitternden Händen abzuschnallen. Er antwortete nichtmal auf Keiths Frage, sondern schleuderte die Tür auf und stolperte praktisch vom Vordersitz.
Die beiden Kinder, soweit Keith vom Autofenster aus sagen konnte, waren um neun und fünf Jahre. Ihr begeistertes Hüpfen spornte den Hund nur an sich regelrecht in die Luft zu stürzen.
"Lance!" rief die neunjährige fröhlich. Ihre strähnigen braunen Haare und gebräunte Haut ähnelte Lance's sehr und Keith rechnete automatisch eins und eins zusammen. Sie musste Lances jüngste Schwester Josephine sein. Er hatte Keith vorhin einen kurzen Überblick über seine Familie verschafft.
"Josie!" kreischte Lance und lehnte sich herunter um seine Schwester mit einer Umarmung zu begrüßen. Augenblicklich schlang sie ihre Arme um seinen Hals und quietschte wie ein kleiner Affe. Der Hund attackierte Lances Füße praktisch mit Sabber und versuchte sein besten an Aufmerksamkeit zu kommen.
Keith wusste nicht genau was es war, aber ein Teil von ihm fühlte sich komisch. Er war nur gute drei Minuten im Sanchez-Haushalt und er fühlte sich jetzt schon fehl am Platz.
"Es wird schon gutgehen," flüsterte Keith sich selbst zu und blickte nun auf was sich draußen abspielte als auf seine Hände. "Es wird schon gutgehen."
Wem machte er was vor?
Die Sanchez-Familie war gigantisch. Keith hatte noch nie mit mehr als zwei Personen zur gleichen Zeit zusammengelebt.
Seinen Stolz und den gesunden Menschenverstand den er übrig hatte herunterschluckend, verließ Keith den Beifahrersitz des Autos. Seine Schuhe trafen den Kies und die Sonne schien auf seine Stirn. Es war Dezember in Arizona, also fast schon 70 Grad Fahrenheit draußen. Keith war schon auf geschmackloses Wüsten-Leistungswasser und ausgetrocknete Lippen vorbereitet.
Sich zur anderen Seite des Autos zuwendend, beobachtete Keith wie Lance nun das andere Kind in seinen Armen hielt. Er war ein kleiner Junge mit Buzzcut und einem Star Wars Pflaster auf seiner Stirn klebend.
"-Und dann, als ich vom Roller gefallen bin, ist mein Kopf auf den Stein gekommen und jetzt habe ich eine Kampfnarbe!" Der fünfjährige zeigte mit seinem pummeligen Finger auf sein Pflaster. "Guck!"
Lance schmunzelte und setzte den Jungen zurück auf den Boden. "Das ist eine schlimme Kampfnarbe," stimmte er ihm zu, wärend er dem Hund endlich etwas Liebe zeigte indem er zuließ, dass er ihm das Gesicht abschlabberte.
"Wer ist das?" fragte der Junge und zeigte mit seinem Finger auf Keith.
Lance guckte zu Keith hinüber und augenblicklich begann der Hund wieder zu bellen. Der große Boxer rammte in Keiths Beine, was dazu führte, dass er beinahe umfiel. Keith tätschelte ihm wiederwillig den Kopf, in der Hoffnung die freundliche Aktion würde ihn dazu bringen ihn allein zu lassen.
"Das ist Keith," kündigte Lance stolz an und schnappte sich Keiths Hand um ihm vor der Hündin zu retten. "Mein Freund!"
Lance's schwitzige Handflächen lagen auf denen von Keith, und auch wenn es komisch war, Keith wollte Lance nur ungerne loslassen. Wenn Lance loslassen würde, wäre Keith alleine unter den starrenden Blicken zweier Kinder und nichts war furchterregender als Kinder.
Die Augen des fünfjährigen weiteten sich bei dem kleinen Zeugnis von Zuneigung und seine kaffeefarbenen Iris wuchsen in interessiertem Schock. "Jungen können Jungen mögen?"
"Duh," sagte Josie mit ihren Händen am Hosenbund ihrer pinken Shorts. "Meine Mama meint du kannst jeden mögen den du willst."
Der Junge war voller Ehrfurcht. Die neue Information schien wie eine Offenbarung für ihn.
"Ich möchte einen Freund," flüsterte der Junge, seine Stimme so leise, dass Keith überrascht war ihn überhaupt gehört zu haben. Dann, als ob ihm ein Licht aufgegangen wäre, forderte er, "Onkel Lance, kann ich deinen Freund haben?"
Nun lag es an Lance große Augen zu bekommen. "Uh, nein?"
"Teile deinen Freund mit mir!"
Keith fing wohl an sich Dinge einzubilden, aber er schwur einen leichten Rotton auf Lances Wangen zu sehen. Anstatt etwas zu sagen, verwuschelte Lance die Haare des kleinen. "Du bist so albern, Mateo. Ich weiß nicht was dein Vater dazu sagen würde, wenn du einen zwanzig-jahre-alten Freund hättest."
Mateo schmollte und schob seine Unterlippe verärgert hervor. "Aber warum nicht? Keith hat coole Haare! Er kann sie zu einem Pferdeschwanz machen und er sieht wie ein Samurai-Kampf-Typ aus."
Keith konnte nichts dagegen machen, er griff unbewusst nach dem Zopfgummi welches seine Haare zusammenhielt. Er hatte sie sich wärend der Autofahrt zusammengebunden, damit er nicht so schwitzte. Als er das Haargummi entfernte fielen seine Haare in sein Gesicht. Schnell richtete er sie, indem er mit seiner Hand durch sie hindurchfuhr.
"Oh, jetzt siehst du nur wie ein Mädchen aus."
Keith's Gesicht verfinsterte sich und er wollte sie schon gerade wieder zusammenfinden, als Josie kreischte und somit ihn und den Hund aufspringen ließ.
"Gott-" seufzte Keith und bewegte seine Hand von seinen Haaren weg. Die Hündin bellte wieder und Keith wünschte sich, dass sie doch nur kurz ruhig sein könnte.
"Lass es so!" weinte Josie und Erwartung erfüllte ihr Gesicht. "Du siehst aus wie ein Disney-Prinz mit deinen Haaren unten! Lance!" Sie quitschte nur und hüpfte auf und ab, was den Hund nur noch mehr irritierte. "Du datest einen Disney-Prinzen!"
Keith wusste nicht was er darauf antworten sollte. Sollte er beleidigt, oder geschmeichelt sein? Es kam von einer neunjährigen und Keith hatte noch nie mit Kindern interagieren müssen. Keith hatte keine Geschwister, also gab er Lance nur einen Todesblick, anstatt ihr zu danken.
"Lasst uns reingehen," kündigte Mateo an und schnappte nach Keiths und Lances verschränkten Händen. Keith hatte schon vergessen, dass er sie schon so lange hielt. Mateo beendete dies und führte die beiden älteren, jeweils an einer Hand, nach drinne. Josie rannte nur dem Hund hinterher, wahrscheinlich um etwas interessanteres zu finden.
Die Garage war genau wie Keith sie sich vorgestellt hatte. Überall standen Fahrräder und Regale mit Dosenfutter bestellt. Ein Kajak hing an der Rückwand, Farbeimer waren willkürlich auf dem Boden verteilt und jemand hatte eine alte Plane in die Ecke gepfeffert. Es war, schlussendlich gesagt, genau wonach es aussah. Eine Garage einer achtköpfigen Familie. Nur mit einer Menge mehr an Flecken, matschbeschmierten Schuhen und Säcken an Hundefutter.
"Dad!" schrie Mateo, nachdem sie von der Garage aus in die Küche gelangt waren. "Ich habe jetzt einen Freund!"
Von den zwei Leuten im Raum, hob nun einer den Kopf aus dem Kühlschrank und sah höchst besorgt aus. Vom Gesicht her, konnte Keith sagen, dass er Lances ältester Bruder war. Nur hatte er einen leicht stoppeligen Bart und war besser gebaut. Er war heiß in einer väterlichen Art und Weise.
"..Oh?" Er hohlte ein Packet Milch aus dem Kühlschrank und stellte es auf die Theke. "Das ist, äh, aufregend?" Er war offensichtlich höchst besorgt, wenn auch in einer Weise, die Keith nicht als Abscheu identifizieren konnte.
Mateo klammerte sich fester an Keiths Arm und zog ihn in Richtung seines Vaters. "Ja! Er ist auch Lances Freund. Wir teilen."
"Nur damit du es weißt," begann Lance und hob seine freie Hand abwehrend. "Ich habe dem nie zugestimmt."
Lances Bruder lachte kurz. "Ich bin nur froh, dass er überhaupt teilt, auch wenn es um einen Jungen geht."
Die andere Person in der Küche, eine ungefähr vierzehnjährige Teenagerin, war inzwischen zu Lance geeilt um ihre Arme um ihn zu werfen. Er ließ Mateos Hand los, um das Mädchen zurückzudrücken und Keith wunderte sich wie oft Lance wohl noch für sein Nachhausekommen umarmt werden würde. Er tat Keith leid. Er würde es hassen zehn mal am Tag umarmt zu werden.
Damit schien sich das Schicksal wohl herrausgefordert, da ein weiteres Mitglied der Sanchez-Familie hereingepoltert kam, und zwar wirklich gepoltert, er nahm zwei Treppenstufen auf einmal. Es war ein Teenager, komischerweise trug er nichts, außer ein Handtuch um seine Hüfte gewickelt. Als Keith ihn so musterte dachte er erst er sieht doppelt. Er sah exakt wie Lance aus. Vom gleichen Haarschnitt, bis zum dünnen Körper und der knochigen Struktur. Die einziegen Unterschiede waren, dass er wahnsinnig klein war, kaum Muskeln in seinen Armen hatte und man seine Rippen unter seiner Haut sehen konnte.
Lance stolperte über seine eigenen Füße um zu den Jungen zu gelangen. Keith hatte seinen Freund noch nie aufgeregter gesehen, nichtmal, als er Keith letztes Jahr am Fass geschlagen hatte.
Die beiden kreischten gegenseitig ihre Namen, es erinnerte Keith an Möwen. Der Name des Jungen war Benji. Das konnte Keith schlecht vergessen, denn Lance hatte seinen Namen bereits fünf Mal gekreischt. Die beiden umarmten sich für einen Moment, weiterhin johlend.
Erst als Benji sein Handtuch fast fallen ließ, erinnerte sich Keith, dass der Junge halbnackt war. Lance schien es nicht im geringsten zu stören, denn er beendete die Umarmung und begann seinem Bruder die Haare zu verwuscheln. Keith guckte automatisch weg und fokusierte seinen Blick auf die mit Familienfotos dekorierte Wand.
"Benjamin!" kreischte das Mädchen hinter der Kücheninsel. "Zieh dir Klamotten an!" Sie veschwendete nicht auch nur einen Gedanken daran ihre Augen mit ihren Händen zu bedecken, sondern bewarf die Brüder mit einem feuchten Handtuch vom Waschbecken. Die beiden bemerkten es aber nur kaum, stattdessen kreischten sie nur weiter, wie wilde Tiere.
Mateo giggelte neben Keith, seine kleinen Finger immernoch fest um Keith's Hand geschlossen. "Onkel Benji ist nackig," benachrichtigte er Keith, als könnte dieser das rutschende Handtuch nicht selbst sehen.
Keith schluckte und zwang sich selbst ein Lächeln auf. "Das sehe ich." Gott, der Junge musste sich eine Hose anziehen. Er dankte den Engeln, dass er wenigstens ein Handtuch trug.
Lance dabei zuzusehen, wie er mit seinem Bruder Rang, war eine unrealistische Erfahrung. Keith erwartete, dass Lance gewinnen würde, da er der ältere war, doch Benji war in der Lage Lances Griff mit Leichtigkeit zu entweichen und die Positionen zu wechseln. Benji war stärker, trotz der fehlenden Masse an Muskeln unter seiner Haut. Plötzlich lag Lance am Grund, sein Rücken gegen das harte Holz des Bodens drückend.
"Ich habe gewonnen!" rief Benji triumphierend, seine Fäuste in die Luft gehoben. Das Handtuch begann wieder zu rutschen und er quitschte als er es noch rechtzeitig festhielt.
Lance stöhnte von seinem Platz am Boden und Keith bemerkte das Lance sogar so lahm war, dass ihn sein eigener kleiner Bruder mit Leichtigkeit besiegen konnte. Das musste er Pidge erzählen wenn sie erstmal wieder zurück waren.
"Hey, wer ist das?" fragte Benji, seinen Blick auf Keith gerichtet, sich nicht die Mühe machend Lance aufzuhelfen.
"Ich bin-"
"Das ist Keith!" Irgendwie hatte Lance es geschafft sich vom Boden zu hiefen und Keiths Hand zu nehmen. Schon wieder. Die beiden verschränkten ihre Finger und Keith fragte sich ob Lance es genoss seine Hand zu halten.
"Er ist mein Freund," fügte Lance hinzu, das übermütige Grinsen weiterhin auf seinen Lippen. Er drückte Keiths Hand und sendete ihm einen kleinen Schauer über den Rücken. Was dachte Lance tat er da?
"Er ist auch mein Freund!" warf Mateo ein.
Benji grinste und begutachtete Keith von oben bis unten. "Wow, Lance hat es endlich geschafft einen Freund aufzutreiben. Und einen heißen noch dazu? Was für ein Wunder."
Lance ließ Keiths Hand los um seine Arme vor seiner Brust zu verschrenken. "Tatsächlich, ja." Er trug sein charakteristisches, verdammtes Grinsen, das, das er Keith nach einem schrecklichen Witz zeigte.
Benji schnalzte mit der Zunge. "Oh Mann Keith. Das tut mir leid für dich. Ich wette er ist schrecklich im Bett."
Keith konnte nicht anders und musste lachen, woraufhin her ein triumphales Lächeln von Benji und einen geschockten Blick von Lance zu sehen bekam. Lances älterer Bruder, den Keith als Daniel kannte, hatte beschlossen exakt in diesem Moment den Raum, mit einem protestierendem Mateo in den Armen, zu verlassen.
"Ich möchte euch wissen lassen," spottete Lance, nun rot im Gesicht. "Dass ich ein Biest im Bett bin. Keith sollte es wissen!" Lance spähte zu Keith hinüber, was dieser nur als Hilfeschrei identifizieren konnte. "Richtig Keith?"
Keiths Augen würden groß. "Uh-"
"Antworte besser nicht," unterbrach ihn Danny und hob seine Hände um ihn zu stoppen. "Ich möchte das wirklich nicht wissen und mein Sohn ist anwesend."
"Danke," kommentierte Lances Schwester Cleo, ihre Arme voller Seifenschaum in der Spühle. "Ich möchte auch nichts über Lances Sexleben wissen."
Niemand war auf die Frau gefasst die gerade in die Küche kam, einen Wäschekorb an ihrer Hüfte. Sie musste nur einmal den halbnackten Benji sehen und schon schlug sie ihn mit einem Handtuch aus ihrem Korb."¡Oye! ¿Qué demonios está sucediendo? ¿Benji, por qué estás desnudo? ¡Volver a la ducha!" (Hey! Was zum Teufel ist los? Benji, warum bist du nackt? Geh zurück in die Dusche!) Keith blickte zu Lance hinüber, mit der Hoffnung auf eine Erklärung, doch es kam nie eine.
Benji ging mit gesenktem Kopf, schmollend die Treppe wieder hinauf. "Sí, mamá." (Ja, Mama) Als er sich wegbewegte um seine Dusche vortzusetzten , konnte Keith noch sehen wie er, hinter dem Rücken seiner Mutter, Lance den Vogel zeigte. Dann sprintete er die Treppe hinauf, sein rutschendes Handtuch festhaltend.
Nachdem sie ihren Korb auf den Boden abgestellt hatte zog die Frau Lance in eine große Umarmung. Keith erkannte sie von einem der vielen Fotos in Lances Wohnung wieder. Sie war rund, hatte dicke Wangen, und lange schwarze Haare, zu einem festen Dutt auf ihrem Kopf zusammengebunden.
"Willkommen zu Hause, Mijo." (Liebling) Mrs. Sanchez stellte sich auf ihre Zehenspitzen um Lance einen Kuss auf die Stirn zu geben.
Keith spürte, wie sein Magen sich in seinem Inneren drehte. Es war das gleiche Gefühl wie vorhin. Ein Gefühl, dass er hier nicht hingehörte. Er sollte nicht hier sein, und nicht die Liebe dieser Familie beobachten. Das war die Familie von jemand anderem. Die Beziehungen von jemand anderem.
Keith guckte weg, seine Aufmerksam zurück auf die Fotowand gerichtet. Er zählte vier Fotografien, alles Familienportraits aus verschiedenen Jahren. Das letzte Bild war das älteste und Keith konnte den fünf Jahre alten Lance ohne zu zögern von all den Personen herausfiltern. Dem jungen Lance fehlten zwei Vorderzähne und Keith musste unbewusst lächeln.
"Hallo."
Keith sprang auf und konzentrierte sich wieder auf die Frau vor ihm. Mrs. Sanchez hielt ihm ihre Hand hin, offensichtlich sich selbst vorstellend. "Ich bin Lances Mutter, aber du kannst mich Rosa, oder Mrs. Sanchez nennen." Keith bemerkte einen Akzent, der ihre Wörter schmückte. Ein Akzent, so dachte sich Keith, der vor langer Zeit mal viel stärker war.
Er lächelte höflich und schüttelte ihre Hand, wobei er für einen kurzen Moment Augenkontakt hielt. "Ich bin Keith. Keith Gyeong."
Sie strahlte ihn an, mit einem Lächeln, dem Keith sich unwürdig fühlte. Warum hatte sie ihn so angelächelt? Es war süß, mütterlich, freundlich und er wusste nicht ganz wie er antworten sollte. Lächelte er zurück? Wie handelte man in so einer Situation?
"Es freut mich dich kennen zu lernen, Keith."
Er schluckte und spürte das Verlangen irgendetwas mit seinen Händen zu tun. Sie fühlten sich seltsam an und schwitzig, als er sie in seine Taschen packte. "Tausend Dank, dass ich über Weinachten hier sein darf. Wirklich. Es bedeutet mir sehr viel."
Rosa winkte es ab. "Ach, dafür doch nicht. Ich freue mich immer-" Sie stoppte um Lance ein schiefes Lächeln zu geben. "Immer, wenn Lance Gäste mitbringt."
"Mamá-"
"Und er hat noch nie jemanden mit nach Hause gebracht! Du bist der erste. Wie aufregend!" Keith konnte an Mrs. Sanchez' Stimmlage erkennen, dass sie ihn aufzog.
"Oh?" Keith hob eine Augenbraue. "Wow! Lance, das hast du mir ja noch garnicht gesagt!" Er grinste teuflisch, woraufhin ihm Lance nur einen fiesen Blick zuwarf.
"J-Ja." Lance schluckte. "Nun, die ganzen Formalitäten waren ja ganz nett, aber Keith und ich müssen jetzt unser Zeug holen." In einer schnellen Bewegung hatte Lance sich Keiths Arm geschnappt und zog ihn nun mit sich in Richtung Garage.
Lance flüchtete schnell aus der Küche, Keith knapp hinter ihm. In dem Moment, in dem Rosa und Cleo außer Sichtweite waren, ließ Lances Hand Keiths Arm los. "Gott," murmelte Lance zu sich selbst und fuhr seine Finger durch seine Haare. "Meine Mutter ist so-"
"Nett?" wunderte sich Keith laut.
Lance schnaubte, auch wenn er lächelte. "Sie ist ein Scherzbold, das ist sie."
Die beiden liefen ruhig zum Auto. Die einziegen Geräusche zu hören, waren das wiehern der Pferde und das knirschen des Kieses unter ihren Füßen.
"Also," begann Keith wärend er seine einzige Tasche aus dem Auto beförderte. "Du bist ein entsetzlicher Wrestler."
Lance hob seinen Kopf vom Fahrersitz. "Huh?"
"Dein kleiner Bruder hat diesen kleinen Kampf gewonnen, und ich weiß nicht ob du es mitgekriegt hast, aber er wiegt bestimmt 90 Pfund.
Keith hatte damit gerechnet, dass Lance sich darüber ärgern würde, vielleicht einen genervten Kommentar oder ein lahmes Comeback. Doch runzelte er nur die Stirn seine Stimme wurde kalt und ernst.
"Hab' auch nicht erwartet, dass du das verstehst."
"Was verstehst?"
Lance schnaubte und knallte die Tür etwas zu fest zu. Er hielt den Griff für einige Sekunden fest und starrte ohne zu blinzeln in das Fenster.
"Du bist unerträglich. Weißt Du das?"
"Es ist auch nicht so als würde ich deine Anwesenheit genießen. Glaubst du wirklich ich wäre gerne hier?"
Lance guckte weg und verstärkte seinen Griff um das Ladekabel. "Nein, höchstwahrscheinlich nicht." Er atmete einmal zittrig aus und blickte wieder zu Keith. "Wie auch immer, es ist nicht wichtig."
"Du bist so ein Baby," verspottete ihn Keith. "Erzähle es mir doch einfach. Was ist das große Problem?"
"Fick dich." Lance ging zum Kofferraum, um seine Taschen und Kissen auszuräumen, ohne Keith auch nur in irgendeiner Form anzusehen.
"Komm schon, Lance."
Lance brummte verärgert und starrte Keith schlussendlich in einer Art an, wie er es nicht von ihm kannte. "Ich habe ihn gewinnen lassen."
"Erzähle mir doch keine Lügen-"
"Ich habe ihn schon immer gewinnen lassen. Das ist etwas, was ich schon immer getan habe, sogar als wir Kinder waren." Lance packte den letzten Koffer aus und schloss anschließend die Klappe. "Jetzt lass es sein."
"Aber warum?"
"Ich sagte, lass es sein."
Die beiden waren still, als sie ihren Weg zurück zum Haus liefen und in Keith's Gehirn ratterte es. Lance war die wohl wettbewerbssuchende Person die er kannte. Die beiden konnten für Stunden gegeneinander antreten. Und Lance wollte immer beweisen, dass er besser war als Keith. Mit ihnen beiden war alles ein Wettkampf; ihre Noten, Sportarten, die Anzahl der Biere, die sie während einer Sitzung trinken konnten, oder die Anzahl von Pizzastücken sie essen konnten. Es passte einfach nicht zu Lance's Persönlichkeit jemanden gewinnen zu lassen. Nicht, außer er liebte diese Person mehr als alles andere auf der Welt.
Vielleicht war Benji diese Person.
Lance führte Keith die Treppen hinauf und einen Flur, der mit Hartholzboden ausgekleidet war, hinunter. Keith bemerkte das Bad am Ende des Flurs. Die Tür war offen und zeigte den restlichen Wasserdampf von Benjis Dusche.
Lance trat die Tür zu seinem Schlafzimmer mit Hilfe seines Fußes offen und offenbarte somit einen mittelgroßen Raum mit einem Zwillingsbett in der Ecke. Keith zuckte zusammen, bei den verblichen Anime-Postern, gefolgt von einigen der Star Wars Reihe und ein paar Naruto Ausdrücken.
"Was zum-" schrie Lance auf, ließ sein Zeug fallen um in das Zimmer Rasen zu können. "Wo ist das Etagenbett?"
Benji erschien zufällig im Türrahmen und lehnte sich mit einer Hüfte an. Er war nun frisch geduscht, trug ein Nike T-Shirt und eine Jogginghose. "Mama hat es Josie gegeben."
Lance sah aus als könnte er gleich losschreien, sein Mund stand offen. "Was!? Aber, warum? Das war unser Etagenbett. Ich dachte-"
Benji seufzte und schlüpfte in das Zimmer um sich auf der Madratze niederlassen zu können. "Unsere Füße hingen immer raus. Wir waren zu groß."
Lance sah verletzt aus. "Aber, aber es war das Etagenbett! Wir haben dort Piraten gespielt und ich bin vom oberen Bett gefallen und habe mir den Knöchel verstaucht als ich sieben war!" Er sah bereit aus jeden Moment in Tränen auszubrechen und Keith dämpft sein Lachen mit Hilfe seines Ärmels.
"Man, es ist regelrecht im Zimmer nebenan."
"Ja, aber jetzt habe ich kein cooles Etagenbett mehr!"
"Lance, du gehst auf's College. Du brauchst kein Etagenbett." Benji schüttelte seine welligen, nassen Haare um sie auszuwringen. "Außerdem kannst du jetzt ein Bett mit Keith teilen. Ihr könnt kuscheln und all das schwule Zeug, oder?"
Keiths lachen endete abrupt. Kuscheln? Teilen? So wie in, ein Bett mit Lance Sanchez teilen? Wie in, neben Lance schlafen? Keith fühlte wie er blass wurde und seine Hände um den Griff des Koffers schwitzig wurden.
Benji kicherte." Lass es sein, Lance. Ich weiß du bist aufgeregt, jetzt wo ihr in Ruhe Sex haben könnt ohne gestört zu werden."
"BENJI!" schrie Lance und schlug seinen Bruder mit einem seiner Kissen. "Was zum Teufel? Du kannst sowas nicht einfach beiläufig sagen! Du bist zwölf."
"Ich bin sechzehn!" konterte Benji.
"Geh. Raus." Lance schnappte sich Benjis Arm und zog ihn aus dem Zimmer raus. "Geh raus, jetzt. Lass uns alleine, geh-"
"Habt Spaß!" rief Benji, bevor die Tür vor seiner Nase zugeschlagen wurde. "Vergesst nicht euch zu verhüten!"
Es war still zwischen den beiden, nun, da Benji weg war. Lance stand mit seinem Ohr an die Tür gepresst, seine Stirn in Konzentration gerunzelt.
"Ist er schon weg-"
"SHH."
Keith rollte seine Augen und ging zum Bett, seinen Koffer hinter sich herziehend. "Er ist weg Lance. Beruhige dich."
Nach einem weiteren Moment trat Lance endlich von der Tür weg. "Du kannst dir nie sicher sein. Benji ist ein kleines Stück Scheiße.""Ja," stimmte Keith ihm zu, ließ sich auf das Bett fallen und streckte sich auf einem Kissen. "Aber du liebst ihn."
Keith wusste nicht genau, was ihn dazu getrieben hat dies zu sagen, doch ein Teil von ihm war froh es getan zu haben. Es lohnte sich nur um den zufriedenen, heiteren Blick von Lance zu sehen.
"Ja," stimmte Lance ihm zu, mit einem Blick ins nichts. "Das tue ich wirklich."
Keith war sich nicht sicher was es war, aber er fand sich selbst eine Frage stellend wieder. Eine Frage die Keith nicht wirklich ähnlich sah.
"Erzähle mir was über deine Geschwister."
Lance guckte auf und hob eine Augenbraue. "Ernsthaft?"
Keith zuckte mit den Schultern und streckte sich ein wenig mehr auf dem Bett, sodass sein rotes Shirt hochrutschte und man seine helle Haut sehen konnte. "Ja, ich meine, ich werde zwei Wochen Zeit mit ihnen verbringen. Ich möchte wissen in was ich hier reingeraten bin."
Lance setzte sich neben ihn auf's Bett und begann seine Schuhe zu öffnen. "Nun, du wirst alle kennenlernen, außer Sophia. Wir sehen uns nicht mehr."
"Wirklich? Ich dachte all deine Geschwister lieben dich?" zog Keith ihn auf.
"Oh Gott, nein. Daniel und ich haben uns früher immer gestritten. Er ist jetzt nur reifer, seitdem er verheiratet ist und ein Kind hat. Und Cleo? Gott, ich habe sie scheußlich behandelt als ich noch ein Kind war. Als sie gerade neugeboren war, habe ich ihr in den Fuß gebissen und sie zum Bluten gebracht, als Mama nicht aufgepasst hat."
Keith lachte. Das klang defenitiv nach etwas was Lance tun würde. "Sie sah nicht so aus als würde sie dich hassen."
"Nah," stimmte Lance ihm zu. "Die Rivalität ist schon lange Geschichte.
"Also," Keith spielte mit den Verstellbändern seiner grauen Jogginghose, die er wegen der langen Fahrt angezogen hatte. "Warum hasst Sophia dich?"
Lances Gesicht wurde bleich und er biss sich in die Lippe. "Ich weiß nicht wirklich, nur.. Ich weiß nicht. Warum reden wir darüber überhaupt?"
Keith zuckte mit den Schultern. "Äh, weil wir versuchen uns besser kennen zu lernen?"
Ein Schnauben kam von Lances Lippen. "Wie auch immer. Dieser Moment ist vorbei." Lance stand vom Bett auf und holte sich seinen Koffer und signalisierte somit, dass das Gespräch zu Ende war.
Keith hatte das Gefühl das Lance etwas vor ihm verbarg. Okay, streiche das. Keith wusste, dass Lance irgentwas nicht erzählte. Aber musste Lance ihm überhaupt etwas sagen? Sie spielten nur. Diese Beziehung war keine echte, und Keith war nichts mehr als ein Freund von Lance. Sie konnten ihre Geheimnisse behalten. Sie konnten tun was zum Teufel sie wollten.
Keith rollte sich auf seine Seite, sodass er die Wand ansah. "Ich werde ein wenig schlafen." erzählte er Lance halbherzig. Lance antwortete mit einem faulen gruntzen, um zu signalisieren, dass er ihn verstanden hatte.
Nach ein paar Minuten der Stille zwischen den Beiden, fühlte Keith wie seine Augenlider schwer wurden. Er schloss sie komplett und langsam driftete er in einen ruhigen Schlaf.
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