13 ♬ Rookies & Seniors


【 T A Y L O R 】


Mein neuer Bodyguard war ein Berg.

Clint warf einen Schatten, wenn er hinter mir her ging und obwohl ich auf dem ersten Blick dachte, er habe Ähnlichkeit mit einem kuscheligen XXL-Teddy, so hatte ich mich geirrt. 

Der dunkelhäutige Riese war wortkarg, antwortete nur einsilbig und seine Miene wirkte, wie in Stein gemeißelt. Ein Gespräch mit ihm zu führen war sehr eintönig.

So fragte ich, während er mein Gepäck in den Mietwagen hob: „Wo kommst du her, Clint?"

„North Carolina."

„Ist es okay, wenn ich dich mit Vornamen anspreche?"

„Ja."

„Ist das dein erster Job auf Tour?"

„Nein."

„Hast du Familie?"

„Ja."

Na wunderbar. Er ließ sich Informationen über sich selbst nur schwer aus der Nase ziehen. Ich hätte auch fragen können, ob er jemals daran gedacht hätte, sich nüchtern die Pobacken zusammenpiercen zu lassen.

Also beschloss ich kein krampfhaftes Gespräch mehr anzufangen. Er konnte den Flug nach Miami in Ruhe genießen und organisierte dort am Flughafen Gepäck und Mietwagen.

Mir war das Ganze recht, denn so drückte ich mich im Hintergrund herum und ging im Kopf 100-mal meine Liste durch.

Es war schwer übersichtlich zu packen. Denn das war Louis' Tour und er teilte sich den Bus mit seiner Band. Sprich, der Platz war begrenzt. 

Warum auch immer, bestand Louis nicht darauf einen extra Bus zu haben und ich wusste, was dies bedeutete. Mehr als einen Koffer, ein Handgepäck und einen Rucksack sollte ich nicht dabeihaben.

Deshalb fiel es mir nicht schwer meine Gitarre nicht mitzunehmen. Ich hatte sowieso seit Monaten nicht mehr gespielt. Zwei Wochen blieben wir auf Tour und ich hoffte, dass ich die Zeit halbwegs herumbekam. Denn ich hatte nicht vor Louis zu jedem Termin zu begleiten. Immerhin waren das seine Pressetermine und Interviews und nicht meine.

Wir fuhren zum bekannten Radiosender HITS 97.3 und auf dem Parkplatz erkannte ich den riesigen Tourbus. Aktuell war es ruhig, denn zwei Reinigungskräfte verließen die Kutsche. Sie wuchteten blaue Säcke nach draußen, aber auch einen Sauger und andere Putzutensilien. 

In der Nähe im Schatten saßen mehrere junge Männer auf Klappstühlen, rauchten, tranken ein Bier und tippten auf ihren Handys herum. Zu ihren Füßen lagen Pizzakartons.

Das musste die Band sein.

Clint machte sich daran mein Gepäck in den Bus zu bringen und ich schob mir die Sonnenbrille ins Haar. Zum Glück erkannte ich Oli bei der unbekannten Truppe und ging auf ihn zu. Sofort sprang er aus seinem Klappstuhl und stolperte überfordert über seine eigenen Füße.

„T-Taylor, hallo!", grüßte der Rotfuchs mich und ich erwiderte sein breites Lächeln: „Wie geht's?"

„Ganz gut", nickte Oli eifrig und ich sah, dass er einen heftiger Sonnenbrand auf seiner Zwölf hatte. Allgemein wirkte er verschwitzt und abgekämpft. Sein rotes Haar biss sich böse mit seinem orangefarbenen T-Shirt.

„Komm, ich stell dir die anderen vor", sprach er heiter und aufgeregt zog er mich zu dem kleinen Grüppchen. „Das ist die Band, die mit uns im Bus unterwegs ist. Der Rest der Crew hat eine separate Karre. Sonst würde es etwas arg eng werden."

Die Männer der Band waren alle in etwa in Louis' Alter und passten zu ihm. 

Michael  war der Lead-Gitarrist, klein stabil und mit plattem dunklen Haar.  Er grinste unsicher als Oli ihn vorstellte. Sein Kumpel Matt, der Bassist, lümmelte in einem Klappstuhl und prostete mir mit seinem Bier zu. Er schielte leicht und hatte ein merkwürdiges Grinsen auf den Lippen.

Links daneben stand Isaac, ein weiterer Gitarrist. Sein Haar fiel ihm umständlich in die Augen und er blickte mich mit einen Welpenblick an, der zu hoffen schien, dass ich ihn bloß nicht direkt ansprach.

Zak, der Keyboarder, hielt mir überschwänglich die Faust hin und ich kam mir etwas merkwürdig vor einem erwachsenen Mann den Faustcheck zu geben. „Yo", sprach er. „Willkommen bei Hempels unterm Sofa."

„Oder anders gesagt, dem wandelnden Dreckloch", mischte sich der letzte Typ ein. Steve, den Drummer der Band, kannte ich bereits vom Sehen. Er war ein abgeklärter Senior, der sich von neuen Rookies im Showbizz nicht mehr engagieren ließ.

Ob ich mir all die Namen merken konnte, stand in den Sternen. Vielleicht würde ich sie auch einfach mit 'Hey du' ansprechen. Über diesen Gedanken erschrak ich mich fast selbst. Denn er war an Oberflächlichkeit nicht zu toppen. 

„Auch ein Bier?", bot Steve, der Senior, an und strich sich durch das schulterlange blonde Haar. Um nicht dumm dar zustehen, nickte ich und nahm eine geöffnete Flasche an. Ich trank nicht gerne Bier, aber weit und breit war bei den Jungs nichts anderes auszumachen. Der Gruppenzwang hatte mich bereits in die Falle gezerrt.

„Gibt es Regeln, die ich beachten sollte?", fragte ich in die Runde und lächelte freundlich. Verunsichert tauschten sie alle einen kurzen Blick miteinander aus. So, als müssten sie noch klären, wer jetzt der Arsch war, der meine Barbie-Welt zertreten würde.

„Kommt schon, ich weiß wie das läuft und bevor ihr euch über mich in den zwei Wochen ärgert, rückt die Gebote einfach raus", schob ich hinterher.

Steve machte schließlich den Anfang: „Liegt etwas auf den Stufen zum Bus, ganz am Anfang, dann ist das nichts anderes als ein Bitte-nicht-stören-Schild."

Also wurde im Bus gebumst.

Na toll. Nicht.

„Kommt dann wahrscheinlich oft vor", entwich es mir trocken und prompt lachte die Gruppe dreckig auf. Sie schienen das witzig zu finden und Zak fuhr fort: „Wer das letzte Bier aus dem Kühlschrank nimmt, der kauft Neues."

Ich also schon einmal nicht.

„Geschissen wird nur außerhalb des Busses, sonst riecht es, als hätten wir ein totes Tier dabei", erklärte Michael und alle sahen zu Zak, der tat, als würde er die anklagenden Blicke nicht sehen.

„Vor zwölf Uhr wird nicht geweckt, außer es stehen Termine an, für die man bezahlt wird", erweiterte Matt die Regeln. „Oder der Bus brennt. Sprich, falls es einen Notfall gibt."

„Hunger auf Pizza ist kein Notfall", wies Michael drauf hin und trat gegen den Klappstuhl von Zak. Doch der sah das anders: „Natürlich war es einer!" Allgemeines Augenrollen und Fluchen machte die Runde und ich fragte mich, wie viele Details zu dieser Story mir fehlten.

Ich nippte an meinem Bier: „Okay, sollte ich hinkriegen."

„Diskussionen über Politik sind verboten", klärte mich Matt weiter auf. „Das findet kein Ende. Und wir fangen gar nicht erst an über Veganer und Fleischfresser zu philosophieren. Jeder soll selbst entscheiden, wie er die Welt retten will."

Alles machbare Ansagen.

Zu meiner Überraschung wollte Steve wissen: „Gibt es Regeln von dir?"

„Ja, es wird alle zwei Tage geduscht", entwich es mir knapp. Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann johlten die Jungs auf und versprachen, dass sie jeden Tag unter die Dusche sprangen, wenn sie ein Konzert spielten. Sie duschten sowieso nie im Bus, weil die Kabine so eng war, dass sie sich bei jeder Bewegung einen Knochen stießen.

„Super", fand Oli. „Dann sollten zwei entspannte Wochen vor uns liegen." 

An mir sollte es nicht scheitern und ich fragte in die Runde, ob jemand mit mir Handynummern austauschen würde, für den Fall der Fälle. Die Band war schließlich immer am besten informiert, wenn die Pläne sich änderten. 

Sofort sprangen vier Leute auf, während Isaac, das Küken der Band, über seine eigenen Füße stolperte und direkt in die Kühltasche mit dem Bier stürzte.

Herrje, ein Wunder, dass der sich auf der Bühne noch nicht den Hals gebrochen hatte.

„Übrigens", sprach ich, „wenn im Bus gebumst wird, ihr macht das doch hinterher sauber, oder?" Zuerst blinzelten die Jungs nur und ich schob hinterher: „Ich will morgens nicht am Tisch Müsli essen und mit dem Ellenbogen im Saft der Liebe sitzen."

Zak lachte so heftig auf, dass ihm das Bier aus der Nase schoss, während Michael keine Luft mehr zum Atmen bekam. Das ließ Böses erahnen und es wunderte mich nicht, dass Steve sprach: „Wir bemühen uns drum. Aber wir können nichts versprechen."

„Gibt es Serien oder so, die du regelmäßig auf mehr Zoll gucken möchtest?", wollte Matt wissen und ich tat, als müsste ich nachdenken: „Ja, Zeit der Sehnsucht." Ernst sah ich sie der Reihe nach an und niemand verzog eine Miene. Dann schob ich nach ein paar Sekunden hinterher: „Das war ein Scherz." 

Kollektives Aufatmen allerseits.

Ich merkte, dass sich ein Teil der Band entspannte. Isaac blieb leider nervös und bei Zak hatte ich das Gefühl, dass er mich ständig mit coolen Sprüchen beeinflussen wollte. Nach einiger Zeit trieb Oli die Jungs dazu an, die Sachen zusammen zu räumen und ich betrat zum ersten Mal den Tourbus für die nächsten 14 Tage. 

Der Bus sah aus, wie jeder x-beliebige Tourbus. Unten befand sich ein winziges Bad, eine ebenso winzige Küche, Tische zum Essen oder Arbeiten und hinten eine Couchlounge mit Fernseher.

Eine sehr steile Treppe führte nach oben zu den schmalen Schlafkojen. Für etwas Privatsphäre konnte man die dunklen Vorhänge zuziehen. Oli schob mit den Fuß einige Schuhe beiseite und sprach: „Wir werden zusehen, dass du nachts nicht über irgendeinen Klüngel fällst, wenn du zum Klo musst." Mit dem Kinn nickte er in den hinteren Bereich und ich verstand, dass ich dort schlafen würde.

Ich stolperte über Bücher, einer Kulturtasche und machte einen großen Schritt über einen Wäscheberg. Erst dann erreichte ich den extra Bereich samt Tür. Die Kammer war sehr klein, es gab nur vier Fächer, die als Schrank herhielten und davon waren zwei schon belegt. Mein Gepäck stand dort, wo auch Louis' Reisetasche verstaut war und ich sah mich um. Außer einem Sessel, der beladen war mit Klamotten und Kram, gab es nur noch das Bett.

Es war etwas breiter, als die Kojen draußen und stand direkt am Fenster. Zuerst war ich erleichtert, bis mir klar wurde, dass ich hier nicht alleine schlafen würde.

Ich drehte mich viel in der Nacht und brauchte eine ganze Weile, bis ich die perfekte Schlafposition gefunden hatte. Bei einem Bett, das keine 1 Meter 40 breit war, konnte das sehr problematisch sein. Seufzend ließ ich mich auf die Matratze sinken. Zumindest die Bezüge waren frisch und es roch hier drin nicht nach käsigen Füßen.

Von unten hörte ich Gejohle und dann dröhnte ein unbekannter Mann: „Die Türen schließen sich jetzt, auf geht's zur FTX Arena!"

Ah ja, da wurde heute also noch ein Konzert vor 20.000 Leute gespielt. Zum Glück musste ich das nicht tun, denn ich wüsste nicht, wie ich mich motivieren sollte so einen anstrengenden Abend zu wuppen.

„Wie ich sehe lebst du dich schon ein", hörte ich eine Stimme und hob den Kopf. Louis stand in der Tür und zog sich die Snapback vom Kopf. Natürlich war er wieder ganz der Werbeträger von Adidas. Dahin war die Jeans, Hallo sagte die Jogginhose. „Welche Bettseite nimmst du?"

„Die Hintere", sprach ich automatisch und versuchte so gleichgültig, wie nur möglich zu wirken. Irgendwie hatte ich verdrängt, dass es komisch wirken würde, wenn ich vorne in eine der Kojen schlief. „Muss ich dich heute anfeuern?" Ich spielte auf das Konzert an.

Er zuckte mit den Schultern: „Dann hast du es hinter dir und kannst morgen Abend aussetzten."

Klang nach einem Plan. Ich könnte mich in den Bus zurückziehen und lesen, denn mein E-Book-Reader war gut gefüllt. Und wenn ich Lust hatte, dann arbeitete ich Gretas Liste ab. Sie glaubte scheinbar, dass sie mich wieder in den Sattel trieb, wenn sie mir nur genug Anregungen für neue Musik schickte.

Allerdings war ich ein Meister darin solche Hinweise zu ignorieren.

„Was habe ich gehört, wir müssen jetzt alle zwei Tage duschen?", Louis' Mundwinkel zuckten und ich musste grinsen: „Meine Angst wurde im Keim erstickt, deine Jungs mögen es sauber zu sein."

„Sie mögen es auch Zwiebeln, Müsli und so Zeug zu fressen, um dann zu furzen als würden sie den dritten Weltkrieg auslösen wollen", behauptete er. Prompt musste ich grinsen und verkniff mir den Einwurf, dass wir die Gruppe dann einfach am nächsten Rastplatz aussetzten.

Bis zur FTX Arena war es nicht weit und ich wusste, was sich dann abspielte. Es gab den ersten Soundcheck und Clint tauchte neben mir auf. Da er mir auf Schritt und Tritt folgte, sagte ich ihm schließlich, dass er den Rest des Abends ruhig Pause machen dürfe und er zögerte. So lange, bis einer von Louis' Personenschützer meinte, dass sie den Rest übernahmen.

„Ich bin Shelly", stellte sich der Muskelmann mit den platten blonden Haaren und der ungesunden roten Haut vor, er lächelte breit. Automatisch erwiderte ich es und eh ich mich versah, stellte er mir den Rest der Crew vor. 

Die Nerds, alias die Tontechniker und die Maske, wo ich auf eine alte Bekannte traf. Claudia Newman war ein Profi in unserem Milieu. Die ältere Dame brauchte für weitere Strecken zwar eine Gehhilfe, aber sie zauberte wie ein junges Ding in der Blüte ihrer Jugend. Überrascht stellte ich fest, dass sie auch Louis' Klamotten bestimmte.

Munter schwatzte Claudia vor sich in: „Wenn du einen neuen Haarschnitt brauchst, dann überlass das mir." Ohne zu zögern nahm sie das Du auf. „Ich zaubere dir den neuen The Rachel."

Ich lachte, denn The Rachel war die berühmte Frisur von Jennifer Aniston aus Friends. „Danke für das Angebot. Aber ich hätte eine andere Bitte."

Verschwörerisch beugte Claudia sich vor, sie roch nach Maiglöckchen und johlte Minuten später amüsiert auf. Ihre knochigen Finger drohten mir, aber ich hatte dafür gesorgt, dass sämtliche Jogginhosen aus Louis' Garderobe für die Tour verschwanden.

„Hoffen wir mal, dass die Liebe des Jungen zu dir größer ist als zu diesen Sporthosen", und machte sich daran meine Bitte umzusetzen. Ich bezweifelte es sehr, aber vielleicht würde Louis es in diesen zwei Wochen auch einfach nicht merken.

Thin Dandy war eine schottische Band und der Opening Act von Louis. Den Namen hörte ich zum ersten Mal und neugierig informierte ich mich, was das für eine Band war. Sie spielten Pop-Musik mit einer leicht rockigen Note, allerdings war die Stimme des Frontmanns lediglich akzeptabler Durchschnitt. Vielleicht sah Louis dort ein Potenzial, das mir nicht auffiel.

„Ähm...", eine verunsicherte Stimme ließ mich aufblicken. Der Soundcheck war vorbei und sowohl Band, als auch Opening Act hatten sich hinter die Bühne zurückgezogen. Die einen gingen nach draußen zum Rauchen, die anderen waren in der Maske oder am Buffet zum Essen.

Ich hatte mich auf eine der zahlreichen Couchen geworfen und vertrieb mir die Zeit. Hier und da hielt ich einen Schwatz mit Claudia oder Shelly, doch beide mussten schließlich arbeiten. 

Jetzt sah ich auf und bemerkte eine junge Frau mit langen dunklen Haaren. Sie war klein und zierlich. Obwohl sie unauffällig in Jeans und schwarzen Shirt gekleidet war, erkannte ich sie sofort. Sie gehörte zur Band Thin Dandy und war einer der Bassisten.

„Ich... ähm... bin Tilda", stellte sie sich verunsichert vor und ich betrachtete ihr dramatisches Augen-Make-Up. Claudia hatte bei den Smoke-Eyes alle Register gezogen.

„Hallo", antwortete ich freundlich und bemerkte, dass sie ihr Handy in den Händen drehte: „I-Ich weiß, d-du hast sicher keine Lust und so, aber... dürfte ich vielleicht ein Foto... ähm..."

„Klar!", sprach ich. „Aber nur, wenn ich auch eins bekomme, dass ich posten darf." Später irgendwann oder für wann auch immer. 

Tilda lief knallrot an, aber sie war niedlich und harmlos. Nachdem wir in die Handykamera gegrinst hatten, da taute sie auf. Sie erzählte vom Endspurt der Tour, wie schade sie es fand und dass sie wünschte, sie würde ewig unterwegs sein.

Erst als man Thin Dandy zum Vorcast pfiff, da sprang sie fast im Dreieck vor Begeisterung. Diese Freude auf ein Konzert, ich kannte sie zu gut, aber ich vermisste es nicht.

„Na, konntest du dich von deinem Fan loseisen?", Louis ließ sich auf Tildas freien Platz fallen und öffnete sich ein Bier. Zufrieden sah ich auf die Jeans, die er trug und dass Claudia mit seinen Haaren bereits fertig war. Wenn er sich ein wenig Mühe gab, oder es zuließ, dann konnte er sich durchaus sehen lassen.

„Hör auf mit dem Quatsch", hielt ich ihm vor. „Deine Crew ist einfach nur nett."

„Natürlich sind sie das", verteidigte er sie prompt. „Für zu viel Ego-Gedöns fehlt mir die Geduld mit den Leuten."

Ich wusste sofort was er meinte. Wenn man so lange im Showbizz war, dann hielt man sich nicht mehr mit Theater dieser Art auf, zumindest nicht wenn man es verhindern konnte.

„Wie lange geht dein Konzert?", fragte ich und Louis schien drüber nachzudenken: „Keine Ahnung. Mal länger, mal... ein paar Minuten kürzer."

Wow, wie aussagekräftig.

„Wieso, musst du noch wo hin?", wollte er wissen und ich rollte mit den Augen: „Ja, zum Notausgang."

Seine Mundwinkel zuckten, doch statt zu antworten,  nahm er noch einmal einen großen Schluck Bier.

Ich würde gleich so tun müssen, als würde ich ihn vom Weiten anschmachten und gar nicht wissen, wo mir der Kopf stand. Hoffentlich übertrieb ich es nicht damit wie ein Einzeller auszusehen.

„Übrigens, morgen Abend nach dem Konzert in Tampa, wollen wir noch um die Häuser ziehen. Steve kennt da einen Club, den wir uns unbedingt ansehen müssen. Wäre gut, wenn du mitkommst, sonst gibt es übermorgen auf Twitter wieder richtig gute Spekulationen." Seine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus.

„Wer ist wir?"

„Die Jungs aus der Band und die Gruppe vom Vorcast", klärte mich Louis auf. Ich seufzte: „Von mir aus." 

Eine Nacht im Club würde ich auch herumbekommen. Hauptsache, ich musste nicht auf Twitter neuen Mist lesen und meiner Familie zum 100sten Mal erklären, dass mit mir alles in Ordnung war. Außerdem würde Kendall nicht ewig als meinen Puffer herhalten.

Nach knapp einer Stunde ging das eigentliche Konzert los und Louis fand sich bei seiner Akustikband ein. Ich ließ mir von Shelly zeigen, von wo aus ich den Auftritt sicher beobachten konnte und spürte, wie müde meine Beine waren, denn ich würde die gesamte Zeit stehen müssen.

Routiniert betrat ich die Halle, allerdings von der Seite aus und fand mich im abgesperrten Bereich ein. Dort standen ein paar fremde Gesichter und ich lehnte mich gegen die Wand und wartete ab. Der Lärm der Fans war zu hören, ich spürte, dass mehrere Handys in meine Richtung gingen und die Nervosität durch die Decke ging.

Es war wie immer.

Die Herzen der Fans schlugen so schnell, dass ich den Beat förmlich hören konnte. Die Ränge der Arena waren voll, vereinzelt wurden Songs angestimmt und ich wechselte das Standbein.

„Hier", sprach jemand und ich zwang mich zu lächeln. Denn Oli reichte mir einen Becher Cola. Er wollte noch etwas sagen, doch als er den Mund öffnete, da wurde das Licht verändert und tauchte die Halle in völlige Dunkelheit. Das Gekreische der Fans klingelte in meinen Ohren, der Boden schien zu vibrieren und den Hauch einer Sekunde war es plötzlich Muchs Mäuschen still.

Ich kannte Louis' zweites Album nicht und somit auch keinen einzigen Song. Ohne Erwartungen würde ich das hier einfach durchziehen. Zweifacher Grammy-Anwärter hin oder her, es interessierte mich nicht.

Die Stille wurde durchbrochen, wie splitterndes Glas. Eine Gänsehaut jagte über meinen Rücken und automatisch hörte ich kurz auf zu atmen. Es passierten mehrere Dinge gleichzeitig. Tiefrotes Licht, ein Intro, das mein Herz unter Strom setzte und eine Erkenntnis, die mich wie eine Wucht erschlug.

Ich hatte Louis unterschätzt.

Und zwar gewaltig.



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