28 (wolken am abend)
Eigentlich dachte ich ja, dieses Buch wäre jetzt zu Ende. (Diesmal wirklich)
Aber naja, im Beenden haben wir uns ja schon immer ein bisschen komisch angestellt.
Ich hatte gestern ein Date, ein eigetnlich ziemlich Gutes sogar. In diesem verrauchten Club. Bisschen Freestyle. Zwei Astra Kiezmische. Einmal lehnten er und ich etwas nach unten gesunken und tief hinein und angelehnt in dieser dunklen Ledercouch und als er sich einmal ruckartig zu mir umdrehte, stieß er mit dem Kopf gegen das Schild von meinem Käppi und musste kurz so süß lachen. Und noch ein paar andere Momente. Aber irgendwie war es das nicht, oder noch nicht, oder was auch immer. Ich ärgerte mich, dass ich diesen tollen Menschen nicht einfach toll finden konnte. Und dann ging ich nach Hause, ohne Telefonat, ohne Musik, ohne intensive Betrachtung meines Umfeldes. Es gibt so eine Art, wie ich laufe, die ist ganz meditativ und auch gleichgültig und emotionslos - aber irgendwie sehr friedlich. Ich glaube, so sind die Menschen früher oft gelaufen, als es keine Handys, aller 5 Minuten eine Tram, und ein Übermaß an Luxus und Unbeschwertheit gab. Und nun lief ich so nach Hause, es war ziemlich spät. Er musste ziemlich früh raus, das war toll von ihm gewesen, dass er sich trotzdem Zeit genommen hatte. Wir schrieben Abends noch ein bisschen.
Dann installierte ich mir wieder ne Scheißdatingapp und scrollte drin herum bis früh halb 2. Dann schriebst du mir plötzlich. Und ich ging endlich mal von dieser App weg. Du antwortetest auf meine Bilder, die ich vor Tagen geschickt hatte. Und dann fragtest du, ob wir Videotelefonieren können. Ich rief dich an.
Ziemlich viel Scheiß, du kannst nicht schlafen. Nichts ganz so Schmerzhaftes, doch eine Stetigkeit, die dich mittlerweile einfach nur fertig machte. Und mich mit der Zeit nun irgendwie auch. Ich bin sogar nun an den Punkt gekommen, an dem ich meine Aufmunterungsversuche unterließ und auch nicht viel nachhakte. Stattdessen blinzelte ich müde in die Kamera und wischte mir auf einmal eine dicke weiße Stelle Creme aus dem Gesicht, die ich vor dem ins Bett gehen aufgetragen und bisher nicht bemerkt hatte. Dann schaute ich wieder selbstironisch irritiert in die Kamera und du musstest lachen. Ich stand auf und machte das gedimmtere Licht an. Plötzlich meintest du "Schöne Haare.". Ich hielt inne. "Äh, ja. Danke." Genauso wie ich inne hielt, als du dieses niedliche grummelnde Seufzen machtest, welches ich immer so an dir gemocht hatte. Ich verengte die Augen zu Schlitzen. Du verstandest nicht, was ich meinte. Also brummte ich das grummelnde Seufzen zurück, und du musstest lachen.
Irgendwann, als du fertig mit erzählen warst, fragtest du, was ich gerade so mache. Eine Frage, die du mir bisher kaum gestellt hast. Entweder, weil ich immer viel zu viel geredet, oder du viel zu viel im Kopf gehabt hattest. Und jetzt fragtest du diese ganz normale Frage und sie überraschte mich komischerweise. "Naja, ich laufe durch die Straßen und Suche Max-Ersatz.", sagte ich auf ne blöde Art und lachte. Du schautest ernst und warst wieder ein bisschen mehr bei dir. Dann erzählte ich, dass mein Papa gerade im Krankenhaus liegt, weil er sich überarbeitet hat. "Und weißt du-?", setzte ich an. Dann musste ich extrem loslachen, so wie oft. Immer nervte es dich ein bisschen, und ein bisschen mochtest du es. Irgendwann konnte ich das Lachen überwinden und da sagte ich: "Weißt du, im Körper liegt der Entzündungswert normalerweise bei 5, und bei meinem Papa grad..-" Noch ein allerletzter Lachausbruch. Dann: "Ja, und bei meinem Papa liegt der grad bei 187.". Und dann ein abebbendes Lachen. Du lachtest überhaupt nicht. Es ist etwas, was dir genauso passiert ist und wieder passieren kann: Überarbeiten. Aber ich glaube mehr tat dir leid, dass ich wieder über alles so müde-überdreht-drüberlachte.
Dann redeten wir wieder über etwas anderes, und irgendwann sagtest du: "Mann, ich habe es doch einfach mal verdient, einfach auch mal richtig schlafen zu können.". Da wurde ich in meiner müden Verlorenheit - und irgendwie: Echtheit, dir gegenüber - wieder ernst. "Ja.", sagte ich und es machte mich traurig, denn ich wusste echt nicht, was ich noch weiter sagen sollte. Dann fragtest du: "Kannst du mir vielleicht doch was vorlesen?". Ich hatte es dir am Anfang des Telefonates und auch generell schon oft angeboten und nie gedacht, dass du es annehmen würdest. "Ja klar", sagte ich, wach, überrascht, und irgendwie: aufgelebt.
Ich las dir das Buch vor, welches ich dir eh mal ausleihen wollte, weil es, glaube ich, sehr hilft, herunterzukommen. "Der perfekte Kreis." von Benjamin Myers. Zwei verlorene und doch gesammelte Charaktere, die Kornkreise malten um mit dem Leben klar zu kommen. Die es aber immer geheim halten mussten. Und damit: Erstmal klar kommen mussten. Doch dieses Klarkommen auf das Klarkommen schaffte dann wirkliche Klarheit. Ach was rede ich hier denn, ich habe ja nur bis Seite 24 gelesen. Dann musste ich zum ersten mal fast husten und brach lieber vorher abrupt ab, um dich nicht, falls du schon - "Max, schläfst du schon?", flüsterte ich leise in den Hörer. Und hörte nichts. Zuerst. Dann: ein leises Schnaufen. Und ich wusste sofort, dass du wirklich schliefst. Und dann legte ich ohne nachzudenken, aber sehr nachdenklich, den Hörer neben mich auf das Kopfkissen.
Und ich dachte: Schon krass wie gut man einen Menschen kann, dass man ihn an seinem schlafenden Schnaufen sofort wiedererkennt. Ich erkannte es so klar wie deine Stimme oder deine Gangart. Mir war noch nie so direkt bewusst gewesen, wie eindeutig es nach dir klang.
Ein bisschen zu lange hörte ich deinem Schnaufen zu. Und gerade als ich dann doch auflegen wollte, legte das Handy, ich weiß nicht warum, ob durch die Länge oder die Stille - von selbst auf. Kurz starrte ich in unseren Chat und den beendeten Anruf. Es war mittlerweile schon nach drei und morgen müsste ich früh aufstehen, doch das war mir egal.
Ich träumte von meinem Date, und anderen Typen und von dir, und das war fast schon genauso unordentlich wie meine Handy Galerie es gerade war. Voller Screenshots von diesen drei genannten Dingen und absolut unvorzeigbar und irgendwo auch stalking-erbärmlich-resepktlos. Ich musste mal wieder im echten Leben was Schönes fotografieren und was Schönes erleben.
Am nächsten Tag sang ich "Und du bist schön wie die Wolken am Abend.", und als ich dann Nachmittags von der Uni mit einer Freundin zu unserem politischen Plenum fuhr, waren die Wolken wirklich richtig schön über den Straßenbahnstromleitungen. Und ich fotografierte sie.
Noch später Abends schrieb ich meinem Date. Dann ging ich zu meinem besten-Freund-besten-Nachbar und chillte mit ihm in seinem Küchenkeller. Und dann swipte ich vor ihm und redete sinnlos darüber vor mich her. Plötzlich hatte ich ein Match und zeigte es ihm aufgedreht. "Ach das ist ja Jules!", rief mein bester Freund. Ich setzte mich auf, und fragte ihn wild aus. "Naja, er ist ein ziemlicher Baukasten.", meinte mein Nachbar da und schaute mich ernst an "Und ich glaube, er ist sehr am Suchen, aber leider sucht er in einer Beziehung dann auch seinen ganzen Halt und... naja.".
"Perfekt.", rief ich. Und verabredete mich direkt mit ihm. Mein allerbester und immer authentisch-fröhlicher Freund, der diesen Sommer einen Motorrad Unfall nur knapp überlebt hatte, lachte laut auf. Er war der einzige, der mich für so etwas nicht ausschimpfte. Und trotzdem ehrlich zu mir war.
Nur wenige Minuten später schriebst du mir, ob ich dir heute wieder etwas vorlesen könnte. Mit glücklichen Smileys. "Ja." schrieb ich zurück. Mit den selben glücklichen Smileys. Und grüßte dich von meinem besten Freund. Dann brachte ich diesen zur Straßenbahnhaltestelle und die Straßenbahn ihn wieder ins Krankenhaus, bevor die Notaufnahme 22 Uhr schließt. Dann ging ich nach Haus und nicht mal eine Stunde später las ich dir wieder vor.
"Möchtest du mir noch was erzählen oder soll ich dir einfach vorlesen?", fragte ich. "Einfach vorlesen.", murmeltest du. "Okay.", sagte ich. Und dann las ich dir wieder vor, diesmal nur eine halbe Stunde, und musste einige Huster meinen kratzigen Hals herunter schlucken. Morgen dann Lesung mit Wasserglas oder Teetasse.
Wieso machte mich das alles so glücklich, fragte ich mich.
Und dann schrieb ich das hier alles auf.
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