7-5 Gedächtnismanipulation


Verwirrt sah sie sich um. Ihre Gefährten waren ebenfalls angekommen, Arniri saß auf dem Bett, Feno stand mitten im Raum, umgeben von den drei Baku, die ihm jetzt bis zu den Hüften reichten. „Wieso sind die auf einmal so groß?"

„Sie waren in deiner Vorstellung kleiner, weil du meintest, sie müßten durch die Fenster passen", erklärte der Kitsune.

Emm betrachtete die Baku nachdenklich. Sie waren nicht so bunt wie auf dem Bild in Wikipedia, aber da war ja auch eine angemalte Statue zu sehen. Ansonsten stimmten sie recht gut mit dem Lexikon überein, sie hatten große Köpfe mit starken, kurzen Rüsseln, spitzen Ohren und eine dichte Mähne an Oberkopf und Hals. Aus dem Oberkiefer ragten zwei kurze, leicht nach oben gekrümmte Stoßzähne. Körper und Beine waren stämmig und mit graugeflecktem, kurzem Fell bedeckt, die Pfoten wiesen vier starke Krallen auf. Sie wirkten sehr wehrhaft, aber die großen, dunkelgelben Augen sahen freundlich drein.

„Warum habt ihr das gemacht?" fragte Emm die Baku, aber die blickten sie nur verständnislos an. Feno lächelte. „Sie sind nicht sehr intelligent und sie verstehen dich nicht, Emm." Er kniete sich zwischen die Baku und wandte sich mit einer Reihe von Knurr- und Quietschlauten an sie. Die Baku antworteten ihm schnüffelnd und grunzend. Emm kam das Ganze vor wie eine Unterhaltung zwischen einem Hund und Schweinen.

Nach einigen Minuten richtete Feno sich auf und schüttelte bedauernd den Kopf. „Sie können mir nicht sagen, wer sie auf dich angesetzt hat. Sie sind sicher, dass es ein „Hoher" war, denn die Stimme kam von über ihnen. Er roch ähnlich wie ich, war also wohl ein Kitsune, aber sie wissen nicht einmal, ob ein Mann oder eine Frau."

„Können sie ihn denn nicht beschreiben?"

„Nein. Sie sind blind für diese Welt. Sie können nur Träume und Erinnerungen sehen."

„Oh, die Armen!" Das kam von beiden Mädchen gleichzeitig.

„Sie sind das ja gewohnt. Sie orientieren sich durch Schnüffeln."

„Können sie dann nicht erschnüffeln, wer sie geschickt hat?"

„Leider nicht. Sie erschnüffeln sowohl den persönlichen Geruch als auch die Träume und die Stimmung. Wenn der Kitsune, der sie geschickt hat, jetzt in einer anderen Stimmung ist oder seine Gedanken auf andere Ziele gerichtet hat, erkennen sie ihn nicht eindeutig. Nur jene, mit denen sie oft zu tun haben, können sie einwandfrei identifizieren, weil sie tief mit derem Geist vertraut sind. Sie sagten mir, von ihren Wärtern sei es keiner gewesen, das hätten sie gemerkt. Tatsächlich dachten sie zunächst, ich hätte sie geschickt und wolle sie nun von ihrem Auftrag zurückziehen."

„Haben sie sich nicht gewundert über das, was sie tun sollten?"

„Nein, nicht wirklich. Ähnliche Aufträge bekommen sie manchmal, wenn jemand von den Dimensionstunneln erfahren hat, dessen Geist diese Erfahrung nicht verkraften kann. Sie wunderten sich allerdings, wie fest die Erinnerung bei dir saß und wie schwer zu lösen. Im Allgemeinen helfen die Geschöpfe, die sie aussaugen, unbewußt dabei, weil sie selbst die Erinnerung loswerden wollen. Du hingegen scheinst dich mit aller Macht gewehrt zu haben."

„Ich will das alles auch nicht vergessen", sagte Emm leise. „Und schon gar nicht eure Freundschaft. Ihr habt es ja in dem einen Raum gesehen, ich hab durchaus noch andere Freunde. Aber ihr beide – das ist irgendwie etwas Besonderes."

Arniri nickte. „Das empfinde ich auch so. Wir sind Schicksalsgefährten, das ist eine spezielle und sehr enge Verbindung."

„Und genau das hat hier jemand zu zerstören versucht", zürnte Feno. „Das ist eine furchtbare Tat! So etwas wird vom Gremium härter bestraft als Mord!"

„Wer könnte so etwas tun", fragte Emm leise. Aber die Frage war nur hypothetisch. Die Antwort kannten sie alle drei.

„Als erstes müssen wir sie zu ihrer Horde zurückbringen", Feno strebte energisch durch die Tunnel. Er hatte erneut den Fuchsschwanz ausgebildet, woraufhin sich einer der Baku mit dem Rüssel an ihn geklammert hatte. Die anderen beiden Baku hielten sich an den Löwenschwänzen der Artgenossen fest. Emm und Arniri konnten sich kaum das Lachen verbeißen, doch der Kitsune grinste nur gutmütig. „Sieht albern aus, ich weiß, aber in den Tunneln verlieren sie sonst zu leicht die Orientierung."

Als sie aus den Tunnel traten, mußte der dunkelhaarige Mann, der ihnen geöffnet hatte, ebenfalls lachen. „Spielst du die Goldene Gans, Fenyro?" Dann wurde er jedoch ernst. „Gut, dass du sie gefunden hast, hier sind schon alle auf der Suche nach ihnen."

„Werden nur drei vermißt?" fragte Feno rasch und der junge Mann nickte, während ihn die Baku eifrig abschnüffelten. „Kul und Marisondee sind schon in größter Sorge."

„Vondrau, wie schön, dich zu sehen", Arniri trat nun auch aus dem Spiegel. „Ich dachte, du wolltest die nächsten Wochen nur faulenzen und jetzt hast du doch wieder Schicht?"

Vondrau lachte wieder. „Wache halten ist ja keine große Arbeit." Er sah zu Emm hinüber. „Hau, Emm, ich gehe jedenfalls davon aus, dass du das bist. Schön, dass ich dich jetzt auch mal kennenlerne."

„Finde ich auch", Emm hatte den Namen inzwischen zugeordnet. „Du bist der Techmagiker und der Ehemann von Tendris, nicht wahr?" Sie legte den Kopf in den Nacken, um zu dem jungen Mann aufzusehen. Vondrau war noch größer als die Kitsunen, die sie schon kennengelernt hatte und wesentlich stämmiger und muskulöser gebaut. Er hatte keinen Zopf, sondern eine kurzgeschnittene, wilde Mähne aus braunen, schwarzen und grauen Strähnen. Seine bernsteinfarbenen Augen waren schmal und schräg und wie die der Kitsunen dicht und schwarz bewimpert. Das Gesicht wies angenehme, sehr markante Züge auf, mit gerader, ausgeprägter Nase, breiten Wangenknochen und gut entwickelten Eckzähnen hinter kräftigen Lippen. Er war auch anders gekleidet als die Kitsunen, die Emm bisher gesehen hatte; er trug kniehohe Wildlederstiefel mit langen Fransen, eine schwarze, enge Wildlederhose und eine Art Poncho aus hellbrauner Wolle.

„Du bist kein Kitsune", stellte Emm fest und Vondrau grinste, was seinen ohnehin breiten Mund so sehr verzog, dass fast alle Zähne zu sehen waren. Trotzdem wirkte er freundlich, nicht bedrohlich. „Und was bin ich dann?" neckte er sie.

Emm bemerkte jetzt die spitzen, an der Außenseite behaarten Ohren und die dichten Brauen, die sich tief zur Nase hinzogen. Tierhafte, canidenartige Züge, aber nicht so schmal und zart wie die eines Fuchses.

„Wolf?" Das schien ihr noch am ehesten zu passen.

„Werwolf, ja. Gut erkannt!" lobte er sie und Emm hatte das Gefühl, eine Prüfung bestanden zu haben.

Vondrau ging nun zum Tisch, hob einen Handspiegel auf und sprach direkt hinein. „Ich hoffe ihr seid erreichbar – Kul, gut, dass du so schnell reagierst. Komm in den Torraum, deine Baku sind gefunden." Dann verschob er einige der Ringe, die um den Griff angebracht waren und sprach erneut: „Lusa, informierst du bitte alle Sucher, dass die Baku gefunden wurden? Danke!"

„Ihr seid gut organisiert", meinte Emm bewundernd und sah sich nach den Baku um. Die drei kauerten sich an der einen Schreibtischecke um eines der großen Kissen. Emm bemerkte auf dem Kissen einen tiefschlafenden Fuchswelpen. „Oh, wie süß!"

„Wenn sie schläft, ja", Vondrau lachte leise. „Ansonsten kann sie einen ganz schön in Atem halten!"

Emm grinste. „Das kenn ich von meiner kleinen Schwester!"

„Ihr habt sie? Wo ..." Ein junger Kitsune kam hereingestürmt und blieb beim Erblicken der Baku so plötzlich stehen, dass er noch einige Zentimeter weiter schlitterte. „Oh, Mak, Lu, Jari!" Er kniete neben den Geschöpfen nieder und umarmte sie alle drei. Die Baku schnüffelten ihn begeistert ab und begannen dann, alle zugleich heftig zu grunzen und zu schnaufen. Der junge Mann hörte ihnen allen zu und strahlte dabei, als wären gerade Weihnachten und Ostern auf einen Tag gefallen.

„Kul ist einer ihrer Betreuer", erklärte Feno. „Sie sind wahrscheinlich heilfroh, wieder bei ihm zu sein und erzählen ihm jetzt alles. Er bekommt sicher mehr aus ihnen heraus als ich."

Kul sah kurz zu ihm auf und lächelte, offenbar hatte er auch das gehört. Emm dachte bei sich, dass der Kitsune die Fähigkeit haben mußte, mehreren Gesprächen gleichzeitig zu folgen.

In diesem Moment betraten einige weitere Kitsunen den Torraum. Emm erkannte Sito und Inari, die anderen drei waren ihr unbekannt. Trotzdem lächelte sie alle fünf an. Zwei der ihr Unbekannten lächelten zurück, die dritte, eine unglaublich schöne junge Frau, in deren rotes Haar sich etliche schwarze Anteile mischten, blickte sie jedoch nur verächtlich an.

„Jonivra", flüsterte Arniri ihr zu.

Emm erkannte den Namen. Das war also diejenige von Fenos Schwestern, die er am wenigsten mochte und der auch Dormin nicht vertraute. Schon in diesem Moment konnte sie sich den Grund dafür gut vorstellen.

„Das ist eine seltsame Geschichte", Sito runzelte die Stirn.

Sie saßen noch immer im Torraum. Das Fuchsmädchen war inzwischen aufgewacht, hatte sich an Vondraus Bein geschmiegt, das vom Schreibtisch herunterbaumelte und war dann auf Inaris Schoß gekrabbelt. Dort hockte es nun in Menschenform und verflocht, bzw. verfilzte das lange Haar der Lenkerin. Emm und Arniri saßen neben dem Werwolf auf dem Schreibtisch, den dazugehörigen Stuhl hatte sich Jonivra an dessen Seite geschoben, Kul kniete noch immer zwischen den Baku, Feno lehnte an der Wand, die übrigen Kitsunen hatten sich auf die Kissen und Hocker verteilt.

Emm und Arniri hatten den anderen berichtet, was geschehen war; Feno hatte dazu geschwiegen und nur genickt, wenn ihn ein fragender Blick streifte.

„Es ergeben sich mehrere Fragen", fuhr Sito fort. „Wer hat den Baku diesen Auftrag erteilt und warum? Ist dieser Anschlag speziell gegen Emm gerichtet oder sollte die Schicksalsgruppe zerstört werden?"

„Ich hätte da noch eine Idee", mischte sich Vondrau ein. „Vielleicht ist Emms Spiegel das Ziel und es wird versucht, die Wächterin auszuschalten. Immerhin war der Spiegel mindestens drei Jahre lang ohne Wächter und das eventuell nicht zufällig."

„Das ist auch eine Möglichkeit", räumte Inari ein und entzog den Händen ihrer Enkelin eine Haarsträhne. „Denn wir wissen immer noch nicht, wo dieser Spiegel überhaupt herkommt. In meinen Unterlagen findet sich nichts darüber, aber da er sich bei Emms Berührung mit den Tunneln verband, muss er einmal ein Spiegel des Eblis-Knotens gewesen sein."

„Knoten?", fragte Emm verdutzt und Vondrau erläuterte bereitwillig: „Es gibt zu viele Dimensionen, um sie alle über ein System zu verbinden. Darum gibt es sogenannte Knoten-Dimensionen, die jeweils Zutritt zu einer begrenzten Anzahl Welten haben. Diese Knoten sind ebenfalls miteinander verknüpft. Um also aus einer Dimension des Eblis-Knotens in eine außerhalb zu gelangen, muß man durch diesen Torraum und von hier den Knotenpunkt eines anderen Dimensionsbereichs betreten."

„Deshalb habt ihr so viele Spiegel hier!"

„Ganz genau! Wenn ich mal in meine Geburtsdimension will, wird das ziemlich umständlich – wenn ich den legalen Weg nehme."

„Und was wäre der illegale Weg?"

„Einfach hinspringen – aber das sieht meine Schwiegermutter nicht so gern." Vondrau grinste Inari an und die lachte nur. „Wenns nur um dich ginge, hätte ich kein Problem damit. Aber ich kann nicht dir erlauben, was ich anderen verbiete – mit gutem Grund verbiete."

Zufällig blickte Emm in dem Moment zur Seite, und sah, wie Jonivra genervt die Augen verdrehte. Die Kitsune schien ihren fröhlichen Schwager nicht sehr zu mögen.

„Zurück zum Thema", Sito war wirklich ein guter Diskussionsleiter, dachte Emm. „Kul, konntest du etwas herausfinden?"

Der Junge schüttelte den Kopf. „Nicht viel. Sie wurden in der Nacht auf dem Heimweg abgefangen und man befahl ihnen, die Erinnerungen an Eblis abzusaugen. Sie wunderten sich, weil nicht die übliche Prozedur stattfand, gehorchten aber. Als sie dann alleingelassen wurden und sie bemerkten, dass sie in einer anderen Dimension waren, blieb ihnen nichts anderes übrig, als dort zu bleiben. Sie hofften, sie würden bald abgeholt, hatten aber nicht damit gerechnet, dass man sie direkt aus dem Geist des Mädchens pflücken würde."

„Haben sie denn nicht gemerkt, dass sie durch die Tunnel geführt wurden?" fragte Jonivra. „Ich habe ja nie viel von der Intelligenz der Baku gehalten, aber so dämlich sind die doch nun auch wieder nicht."

„Sie kamen nicht durch die Tunnel", erklärte Kul und warf Jonivra einen wütenden Blick zu.

„Aber dann – dann hat entweder jemand eine Wechselscheibe benutzt oder ist gesprungen!" Sito sprang erregt auf. „Es fehlt keine Scheibe, ich habe sofort nachgezählt, als du mir vom Verschwinden der Baku berichtet hast. Aber wenn es ein Sprung war, dann ist die Frage, wer kann das?"

„Ich", sagte Vondrau trocken. „Aber ich war's nicht und auch keiner von meinen Leuten. Nicht, wenn die Baku schon vor dem Morgengrauen entführt wurden."

„Es dürfte eher eine Wechselscheibe gewesen sein", warf Jonivra ein. „Die wurde dann eben zurückgelegt, bevor du sie zähltest oder schon viel früher entwendet. Springer gibt es nur wenige und ich glaube nicht, dass jemand so ein Talent geheimhalten würde."

„Du sicher nicht", murmelte Feno spöttisch und Jonivra lachte auf. „Tu nicht so, als würdest du selbst nicht gewaltig damit angeben, wenn du sowas könntest. Gerade du nicht!"

„Streitet euch nicht", mahnte Inari und Emm mußte an ihre Mutter denken, die das auch so oft sagen mußte.

Kul sagte jetzt: „Es war ein Kitsune, dessen sind sie sich gewiß. Und sie halten es für möglich, dass der Kitsune hier in diesem Raum ist, aber das können sie nicht mit Sicherheit sagen."

„Also ist es auch unmöglich, dass sie denjenigen herausschnuppern können, wenn wir sie alle Kitsunen beriechen lassen", stellte eine der Emm unbekannten Kitsunen fest, eine alte Dame mit freundlichen Augen und hellroten Zöpfen.

„Ja, Großmutter, leider. Das habe ich sie auch schon gefragt", sagte Feno.

Jonivra hob die Brauen. „Und wie kommst du darauf, dass sie dir mehr sagen würden als Kul?"

„Das frage ich mich auch", meinte die letzte Kitsune, eine Frau mittleren Alters mit vier hellbraunen Zöpfen und hellblauen Augen, die ständig in die Ferne zu sehen schienen. „Ich werde mich nochmals mit ihnen befassen, aber ich glaube auch nicht, dass ich mehr herausfinde. Wer die Baku mißbraucht hat, hat sicher auch seine Identität vor ihnen soweit als möglich verschleiert." Sie sah zu Emm. „Aber dich möchte ich gerne als erstes untersuchen, Kind. Die Baku hatten keine genaue Anweisung und weder die kleine Elbenhexe noch Fenny sind ausgebildet darin, in den Geistern anderer zu arbeiten. Ich möchte sichergehen, dass dir kein Schaden zugefügt wurde." Sie warf Feno einen strafenden Blick zu. „Es war äußerst leichtsinnig von dir, einfach so in den Geist des Menschenmädchens zu treten. Ungeschult und mit nur geringer Kraft begabt hättest du ihr schweren Schaden zufügen können. Ich verstehe ja, dass du deiner Freundin schnell helfen wolltest, trotzdem hättest du das nicht tun dürfen!"

Feno verteidigte sich nicht gegen diese Vorwürfe, neigte nur ergeben den Kopf.

Inari seufzte. „Yandigo hat da völlig recht, mein Sohn. Auch wenn ich verstehe, dass es nicht einfach gewesen wäre, Emm durch die Spiegel herzubringen, solange sie unter dem Einfluß der Baku steht. Aber ihr wart zu zweit, Arniri hätte auf Emm achten können, während du Hilfe holen konntest."

Feno war sehr blaß, als er leise sagte: „Das sehe ich ein." Emm fiel auf, dass er nicht versprochen hatte, es nicht wieder zu tun.

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