6-3 Emm vergeht das Lächeln

Wo Menschen zusammen sind, die sich noch nicht so recht kennen, kommt die Rede schnell auf Berufe. Damit kann man die anderen sozusagen "beschnuppern", denn die Berufswahl sagt doch einiges über den Menschen aus. Zudem kann man damit auch unauffällig ausloten, ob der andere überhaupt zur gleichen Gesellschaftsschicht gehört. Und diejenigen in Verlegenheit bringen, die keinen Beruf angeben können oder zugeben müssen, zur Zeit nicht zu arbeiten. Denn leider ist es noch immer gang und gäbe, bestimmte Berufe höher zu werten als andere und Familienmanager ist noch immer kein anerkannter Beruf, wiewohl dieser Job höhere Anforderungen an einen stellt als so mancher andere Job.

Problematisch kann es werden, wenn wie hier Wesen aus anderen Dimensionen mit am Tisch sitzen, deren Welt völlig anders ist als  unsere. Irgendwie müssen deren Berufe in Begriffe umgesetzt werden, die die Menschen verstehen können. Das gelingt hier einigen gut, anderen weniger.

Feno blieb die Sprache weg. Lis dagegen gar nicht. „Au ja, ich auch!" Sie drehte sich um, schlang ihre Ärmchen um Fenos Hals und schon hatte der junge Kitsune einen zweiten Kuss weg.

Paul lachte auf. „Hui, unsere Emm legt ja ein schönes Tempo vor!"

„Ich hab auch Tempo gelegt!" krähte Lis beleidigt, während Emm rot wurde. „Das war ein Freundschaftskuß", erklärte sie.

„Naja, wenn du's sagst", Paul wirkte nicht überzeugt.

Lara hatte zwar das Flüstern zwischen den beiden nicht verstehen können, sich aber schon gedacht, worum es gegangen war. „Papa, das war was anderes", schimpfte sie. „Das war nur wegen Mamas Theater wegen der Hygiene."

Feno wandte sich zu ihr, erstaunt, dass sie ihn verteidigte und prompt beugte sich Lara vor und verpaßte ihm ebenfalls einen Kuß auf die Lippen. „Siehst du, Mama? Ich lebe noch und habe auch keinen Ausschlag! Emm wollte nur beweisen, dass man Feno berühren kann, ohne krank zu werden!"

Jetzt hatte es zur Abwechslung ihren Eltern die Sprache verschlagen. Vor allem, als Feno jetzt gelassen feststellte: „Lass nur, Lara, das ist typisch für die albernen Erwachsenen. Hinter jeder zufälligen Berührung und jedem freundschaftlichen Kuss müssen sie gleich eine romantische Liebesgeschichte vermuten."

Sito lachte leise. „Üb Nachsicht mit uns, auch wenn wir dir ziemlich närrisch vorkommen."

Eine Weile herrschte das, was Emms Vater „gefräßige Stille" nannte, dann wandte sich Paul an Gerry. „Von dir weiß ich bisher nur, dass du Emms Onkel bist. Allerdings siehst du Konrad so ähnlich, dass du wohl von seiner Seite bist?"

Gerry bestätigte das. „Offiziell heiße ich Gerhard Brede, aber Konny und ich haben schon sehr früh beschlossen, dass wir unsere gräßlichen Namen privat nicht benutzen. Ich habe beruflich mit Leuten aus aller Herren Länder zu tun und egal, ob sie Vor- oder Nachnamen benutzen, es klingt grausam. Hast du schonmal einen Amerikaner oder einen Japaner „Gerhard" sagen hören?"

Ulrike lachte. „Ich habe Amerikaner über meinen Namen stolpern hören. Meistens kommt etwas wie allright raus!"

„Was machst du denn beruflich, bist du auch Geschäftsführer wie dein Bruder?" wollte Paul gleichzeitig wissen. Gerry schüttelte den Kopf. „Nein, Fremdsprachenkorrespondent und Dolmetscher."

„Deshalb kann Emm so gut Englisch!" platzte Lara heraus und Gerry nickte. „Wenn ich Zeit habe, lerne ich gerne mit ihr. Sie hat aber auch Talent für Sprachen, vielleicht macht sie später ja auch was in der Richtung."

„Oder was mit Kindern", lächelte Miriam. „Sie kann gut mit Kindern umgehen. Ich habe nie Bedenken, meine beiden bei ihr zu lassen, wenn ich zu Kunden fahren muss."

„Was machen Sie denn?"

„Oh, ich bin sozusagen eine Kollegin von Gerry – daher kennen wir uns auch. Ich arbeite freiberuflich als Übersetzerin."

„Das ist eigentlich ein schöner Beruf", meinte Inari nachdenklich. „Eine meiner Töchter macht etwas Ähnliches und ich beneide sie. Ich habe leider kein Talent für Sprachen und finde es wunderbar, wenn sich jemand mühelos mit Wesen aus anderen Kulturen verständigen kann."

„Auch eine Dolmetscherin?" fragte Miriam.

„Ja, auch. Sie hilft W- Flüchtlingen, sich in ihrer neuen Heimat und mit einer neuen Sprache zurechtzufinden und alles Behördliche zu erledigen."

Ulrike zog die Schultern hoch. „Also sogenannte Kulturbereicherer. Ich bin eigentlich nicht der Meinung, dass wir das so unbedingt brauchen." Sie betrachtete angeekelt das Kaninchenschnitzel, das ihr Mann gerade mit gutem Appetit aß, Cluyrandas Blättersalat auf Miriams Teller und die exotischen Früchte in dem Spieß, den sich Gerry schmecken ließ. „Eigentlich bin ich mit unserer Kultur zufrieden und sehe nicht ein, dass ich ständig mit fremden Dingen konfrontiert werde, die besser zu Hause geblieben wären."

„Du brauchst dir da keine Sorgen zu machen", beruhigte Feno sie. „Um eine Kultur zu bereichern, sollte diese wenigstens im Ansatz vorhanden sein."

„Genau das, was ich immer sage!" Ulrike hatte im Gegensatz zur restlichen Tischrunde nicht verstanden, was Feno sagen wollte.

Paul lenkte schleunigst ab und wandte sich an Sito. „Und was machst du so?"

„Schwer zu sagen, mein Job hat keine eigentliche Bezeichnung. Ich sorge dafür, dass Leute und Waren dahin kommen, wo sie gebraucht werden oder hingehören."

Paul runzelte die Stirn. „Das hört sich irgendwie dubios an."

„Ist es aber nicht", mischte sich Inari gelassen ein. „Ich bin nämlich im gleichen Betrieb für die Einhaltung der Gesetze zuständig und weiß daher, dass Sito seine Arbeit gut und vor allem legal erledigt!"

Paul begriff zumindest, wann er besser nicht weiter nachbohrte und wandte sich an Tendris. „Arbeitet dein Ehemann auch in der gleichen Firma?"

„Nicht direkt, nein, auch wenn sie ihn manchmal anfordern. Er ist Techniker. Und bevor du weiterfragst, ich bin Trainerin."

„Für Sport?" fragte Miriam fröhlich. „Du siehst ganz danach aus. An dir ist wenigstens was dran."

Inari lachte auf. „Du meinst wegen Tenyve? Die ist zu schnell gewachsen und hat dabei vergessen, auch in die Breite zu gehen."

„Ach, das gibt sich", tröstete Aleit. „Emm war letztes Jahr noch das reinste Strichmännchen, jetzt allmählich wird sie wieder menschlich. Und als ich Deik vor zwei Jahren sah, war er so groß wie jetzt, aber ein wandelndes Skelett. Die Kinder wachsen immer abwechselnd in die Höhe und in die Breite."

„Ich weiß", Inari nickte. „Ansonsten würde ich mir wegen Tenyve Sorgen machen."

Die Besprochene maulte. „Ich weiß, dass ich Untergewicht habe, aber ich kann doch nichts dafür."

„Du bist eben so zierlich wie deine Mutter, hast aber etwas von der Größe deines Vaters abbekommen", stellte Aleit fest. „Aber das regelt sich schon. Ist aber schon erstaunlich", sie musterte die Kitsunen der Reihe nach. „Ihr Mädchen seid alle unheimlich nach der Mutter geschlagen, nicht nur die Haarfarbe, sondern auch die zarte Figur. Feno hingegen ist ganz der Vater, groß, kräftig und dunkles Haar. Kommen eure anderen Töchter auch alle nach dir?" fragte sie Inari und die bestätigte das.

„Deine Mutter findet aber auch immer wieder Erklärungen, die sie zufriedenstellen", Feno grinste Emm an. „Es ist nicht Vererbung, sondern unser ausgeprägter Geschlechtsdimor-phismus, aber zum Glück fällt ihr das gar nicht erst auf."

„Euer was?" Arniri war das Wort unbekannt. Emm klärte sie auf. „Geschlechtsdimorphismus ist, wenn bestimmte körperliche Merkmale ausschließlich vom Geschlecht abhängig sind."

„Du meinst Brüste und Penis und so?"

„Nein, genau das eben nicht", Tenyve lächelte. „Sondern Merkmale, die nichts mit der Fortpflanzung zu tun haben. Zum Beispiel, dass ich die einzige von 28 Schwestern bin, die an Fenos Größe wenigstens herankommt, obwohl er noch nicht ausgewachsen ist, ich aber schon."

„Naja, Sito ist ja auch sehr groß", meinte Arniri.

„Eben. Und Inari nicht. Ihr Vater allerdings ist ein regelrechter Riese. Bei Menschen und Elben hätte das Inari die Möglichkeit gegeben, ebenfalls recht groß zu werden. Als Kitsune nicht, denn weibliche Kitsunen werden nun mal nicht sehr groß."

Emm nickte. „Das ist mir auch aufgefallen. Vor allem scheinen die männlichen Kitsunen alle sehr muskulös zu sein und die Frauen eher grazil. Sihale fand mein Training ja sehr schwer. Oder betreiben weibliche Kitsunen traditionell keinen Sport?"

„Jedenfalls keinen Kraftsport", gab Tenyve zu. „Wir haben gar nicht die Muskeln dazu, die wir entwickeln könnten." Sie kicherte. „Arniri, ich kann dir mit einer Geschichte verdeutlichen, wie groß die Unterschiede zwischen uns sind. Vor einigen Sommern saß ich mit Lusa und Sanree auf einer Bank und genoß die Sonne. Feno wollte mit uns Schwimmen gehen und wir hätten zwar eigentlich Lust gehabt, waren aber in dem Moment zu faul, uns zu rühren. Nachdem Feno uns nicht überreden konnte, packte er kurzerhand die Bank und warf sie mit uns dreien drauf drei Meter weit ins Schwimmbassin. Nicht mit Magie, sondern mit reiner Körperkraft."

„Wow, bist du stark", staunte Emm und Arniri sagte beeindruckt: „Das hätte nicht mal Oryson geschafft!"

„Mit denen schon", Feno zuckte die Achseln. „Was Tenyve sagen wollte, mit männlichen Kitsunen bestückt hätte ich die Bank nicht mal umschubsen können. Aber die drei Mädchen wiegen ja fast nichts."

„Trotzdem", meinte Emm. „Du hast unheimlich viel Kraft, viel mehr als ein Mensch deines Alters haben könnte."

Feno lachte auf. „Emm, ich bin eben kein Mensch. Durch Krafttrainung werden nicht nur die Muskeln, sondern auch die Knochen gestärkt, weißt du das? Reine Muskelkraft ohne hohe Knochendichte nützt sehr wenig."

„Ich weiß", das hatte Emm im Taekwondo-Unterricht auch gelernt.

„Und jetzt überleg mal, wie lange ich das schon mache", erinnerte Feno sie. Emm dachte nach. „Um die hundert Jahre?"

„Ja, das kommt hin."

„Ich glaube, das erklärt es."

Bei den Erwachsenen drehte sich das Gespräch weiterhin um Berufe. Ulrike erkundigte sich, ob Lusa und Tenyve schon Pläne hatten nach dem Schulabschluß.

„Meine Kinder werden ja studieren", verkündete sie stolz. „Luis macht gerade sein Abitur und hatte neulich schon ein Vorgespräch an der Universität, es sieht sehr gut aus mit einem Studienplatz. Nicht wahr, Luis, der Professor Mettenrich meinte doch, du wärest ziemlich weit oben auf der Liste?"

Aber nicht Luis, sondern Deik antwortete ihr. „Du meinst den Metternich? Wenn der das sagt, kannst es ihm glauben", sagte er fröhlich zu Luis. „Dann werden wir uns ja öfters begegnen, denke ich. Auch Medizin, oder?"

„Ja", Luis grinste. „Und jetzt weiß ich gleich, von wem ich dann abschreiben kann!"

Ulrike sah verwirrt aus. „Ich dachte, du bist Krankenpfleger?" fragte sie Deik und der schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, aber ich mache gerade das Krankenpflegepraktikum, bevor das Studium losgeht. Das wird Luis auch machen müssen."

„Luis hat bereits den TMS gemacht und mit 80% bestanden", erklärte Paul stolz. „Er braucht keine weiteren Vorprüfungen."

Deik schüttelte den Kopf. „Das Praktikum ist Pflicht, egal wie gut man im TMS war. Ich hatte 92% und das bewahrt mich auch nicht davor. Ein Eignungstest ist doch etwas ganz anderes als praktische Erfahrung."

Während seine Eltern etwas enttäuscht wirkten, nahm Luis die Anregung dankbar auf. „Gut, dass ich das jetzt weiß, dann suche ich mir besser gleich einen Praktikumsplatz. Ich hab zwar was von Praktika gelesen, dachte aber, das kommt dann zwischen den Semestern. Man sollte halt doch alles genau lesen. Danke fürs Bescheid sagen! Darf ich später auch bei dir antanzen, wenn ich was nicht verstehe?"

„Keine Sache, kannst jederzeit fragen", lud ihn Deik ein. „Da ich ja immer ein Semester voraus sein werde, kann ich auf die Art wiederholen, was im letzten Teil war."

Ulrike wandte sich nun direkt an Lusa. „Und was wirst du machen, wenn du die Schule fertig hast? Oder hast du schon deinen Abschluß?"

„Schon lange", Lusa hatte sich inzwischen bei Emm erkundigt und konnte daher ungezwungen antworten. „Ich arbeite in der Kommunikationstechnik, Tenyve in der Analystik." Die ihr bisher unbekannten Worte brachte sie so natürlich heraus, dass niemand Verdacht schöpfte. Ulrike ließ daher von den beiden Mädchen ab und wollte nun von Cluyranda wissen, was sie so machte.

„Ich bin eine Hexe", erwiderte die Elbin gelassen.

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