3-4 Abenteuer in Funchirasu

Eine Sache stört mich beispielsweise bei Micky X extrem: Egal, was ihm in der Anderswelt angeboten wird, er schluckt erstmal angeekelt, schiebt nach dem ersten Bissen das Essen weg oder probiert es gar nicht erst. Ich mag dieses Verhalten ehrlich gesagt nicht; es zeugt doch von sehr geringer Toleranz und erinnert mich zusehr an die Touristen, die in Italien solange Eisbein mit Sauerkraut forderten, bis jede Trattoria das anbot. Wenn wir hier schon Dimensionsreisende haben, dann sollten diese sich auch den Gepflogenheiten vor Ort anpassen. Wer alles so haben will wie zu Hause, der darf gerne zuhause bleiben.

Mischwesen wie Werwölfe oder Nixen haben ja von beiden Seiten etwas. Und in einem Kitsunen steckt eben auch ein Fuchs. Füchse gehören seit jeher zu meinen Lieblingstieren und ich weiß einiges über sie. Auch über ihre Essgewohnheiten. Während Goofwolf als Andersweltler auch schon mal Mickys Fensterlack trinkt oder sich in der Anderswelt ein Schimmelzwiebellauchbrötchen gönnt, lasse ich meine Kitsunen lieber den Geschmack von Menschen und Füchsen vereinen. Und Füchse essen so allerlei, was Menschen nicht so unbedingt mögen. Auch sonst benehmen sich die Kitsunen bei mir eben mal wie Menschen, mal wie Füchse - und manchmal wie keiner von beiden.

"Kein Ätsch, Eira, ich meinte dich", sagte Inari kühl.

"Aber Fenny hat mich körperlich angegriffen!" rief Eira entsetzt.

"Ja, und damit deinen Angriff ohne Schaden für jemand anders abgewehrt und dich außer Gefecht gesetzt", bemerkte Inari gelassen. "Weil er nämlich im Gegensatz zu dir einsah, dass eine magische Abwehr unangemessen und zudem gefährlich gewesen wäre. Hier war die Regel, keinen Schaden anzurichten, wichtiger als die, eine Frau nicht mit den Waffen eines Mannes anzugreifen."

"Pah, er hätte sich doch gar nicht magisch wehren können!"

"Meinst du? Die Feuerbälle, mit denen ich ihn letzte Woche im feuerfesten Dojo traktierte, hat er alle abgewehrt", sagte eine der Fuchsfeen in Inaris Begleitung gelassen. Inari fuhr herum. "Für dieses Training ist er noch nicht weit genug, Tendris!"

"Den Eindruck hatte ich nicht", erwiderte Tendris unbeeindruckt.

Die dritte Kitsune war in einen leisen, aber heftigen Wortwechsel mit Tennao vertieft, drehte sich nun aber um. "Tendris, du solltest dich schämen, deinen kleinen Bruder so in Gefahr zu bringen", tadelte sie. "Er hätte sich schwer verletzen können. Deine Mutter hat recht, du mußt achtsamer mit Fenny sein, er ist doch nur ein Junge."

"Siehst du, Fenravi sagt es auch, er ist nur ein verhätscheltes Baby!" plärrte Eira dazwischen. "Die Mädchen brauchen einen Kitsunen, der stark ist und seine Magie gebrauchen kann!"

"Deshalb hast du Feno angegriffen!" Emm begriff plötzlich. "Du bist eifersüchtig und willst seine Mission haben!" Sie bemerkte, dass Feno nach wie vor sehr blaß war und eingeschüchtert wirkte. Und er hatte sich von ihr und Arniri entfernt. Emm begriff, dass er tatsächlich damit rechnete, wie ein Kleinkind ins sichere Haus geschickt zu werden.

Arniri hatte offenbar den gleichen Gedanken. "Die Runen sprachen vom Auge, von Magie und von Stärke - nicht Macht", erklärte sie. "Mit Stärke ist nicht nur körperliche oder magische Kraft gemeint, sondern auch seelische und geistige Energie. Ich kenne Feno erst seit einigen Stunden und habe dennoch schon mehrmals erfahren, dass seine Ruhe und Tatkraft mir den verlorenen Mut wiedergab. Du, Eira, wirkst nicht so auf mich, als seist du dazu in der Lage."

Feno sah Arniri verdutzt an, doch Inari lächelte. "Ja, so kenne ich meinen Sohn auch und darum ist er ein idealer Gefährte für euch. Beruhige dich, Fenyro, ich werde dich ganz sicher nicht auswechseln."

"Nein, du schickst ihm nur Tennao mit, damit er dein Baby aus allen Gefahren raushält", fauchte Eira und Tendris lachte auf. "Man merkt, dass du noch keine Prüfung des Grauens gehabt hast", bemerkte sie etwas von oben herab. "Dabei wird nämlich immer jemand mitgeschickt, der die Heimsuchungen selbst nicht durchmachen muss."

Eira wurde rot vor Zorn, als ihr bewußt wurde, dass ihr kleiner Bruder eine Prüfung bestehen durfte, zu der sie noch nicht zugelassen worden war. Bevor sie jedoch noch etwas sagen konnte, befahl ihr Inari mit einer gebieterischen Handbewegung Schweigen und wandte sich an die drei Gefährten. "Geht euren Weg nur weiter, wir werden hier aufräumen und sehen, wieweit wir den Schaden beheben können. Es war nicht eure Schuld und muß euch nicht aufhalten."

"Danke", sagte Feno heiser. Emm sah, dass er allmählich wieder Farbe bekam und lächelte. Feno hatte eben eine wirklich grauenhafte Prüfung überstanden, die sie wahrlich niemandem wünschte.

"Was machst du denn da mit meiner Liste?" fragte Emm, als sie durch den Wald gingen. Feno hatte sich Emms Liste genommen und strich im Gehen einige Punkte durch.

"Ich streiche ab, was wir nicht brauchen, weil es entweder auf meiner oder Arniris Liste auch ist oder einfach unnötig."

Emm nahm ihm die Liste aus der Hand und prüfte nach. "Du hältst Streichhölzer und Taschenlampen für unwichtig?"

"Nein", Feno lachte. "Aber für Licht und Feuer kann ich jederzeit sorgen. Was Eira dir zeigte, kann ich auch. Vor allem kann ich es auch dosieren."

"Und wenn dir etwas passiert?"

"Praktische Emm", Arniri kicherte. "Nimm eins von jedem mit, für den Notfall. Feuer kann ich euch nicht geben, aber Licht habt ihr mit mir auch immer. Nur hat Emm recht, wenn uns etwas zustößt, braucht sie die Dinge aus ihrer Welt."

"Was ist denn ein Bunsenbrenner?" fragte Feno, der die Liste wieder an sich genommen hatte. Nach Emms Erklärung schüttelte er lächelnd den Kopf. "Das brauchen wir nicht, Brennmaterial gibt es überall und wie ich dir sagte, kann ich es jederzeit entzünden. So ein Brenner hingegen muss nachgefüllt werden."

"Und du nicht", folgerte Emm. Feno und Arniri lachten. "Nein, so schnell verbraucht sich die Magie nicht und Kleinigkeit wie Funkensprühen gelingen auch einem erschöpften Kitsune." Er schnippte mit den Fingern und für einen Moment sprühten seine Fingerspitzen wie Wunderkerzen. "Siehst du?"

"Und was hast du gegen festes Schuhwerk?" Emm war schon beim nächsten Punkt.

"Nichts, nur werden wir uns die bei den Leprechauns besorgen."

"Bei wem?" quietschte Emm entsetzt. "Die werden uns keine Schuhe geben, sondern uns töten und zerstückeln!"

Die verdutzten Gesichter ihrer Gefährten sprachen Bände. "Wo hast du denn sowas über Leprechauns gehört?" fragte Arniri. "Sie sind sicher nicht die umgänglichsten Wesen, aber blutgierig sind sie nicht."

Emm dachte nach und errötete, als ihr bewußt wurde, woher ihr Wissen stammte. "Äh - es gibt bei uns eine Filmreihe über einen Leprechaun - Horrorfilme, wißt ihr."

Nein, wußten sie nicht. Weder die Kitsunen noch die Gentry sahen aus, als ob sie nun verstünden und Emm begriff auch rasch, wieso. "Filme sind wie Theaterstücke, wenn ihr sowas kennt", Arniris Nicken und Fenos Lächeln bestätigten ihr das. "Wir können diese Theaterstücke sozusagen konservieren und immer wieder laufen lassen - das nennen wir Film. Und viele Menschen sehen gerne Gruselfilme mit viel Toten und Blut."

Jetzt sah Arniri angeekelt aus. "Ihr Menschen seid doch sonst nicht so, warum seht ihr euch das an?"

"Eben darum, denke ich", mutmaßte Feno. "Sie jagen seit langem nicht mehr und kennen nicht den Geschmack des Blutes frisch erlegten Wildes auf der Zunge, also brauchen sie einen Ausgleich. Bevor es diese Filme gab, erzählten sie sich Gruselgeschichten, in denen es auch oft um möglichst grausige Todesarten ging."

"Und es ging um genau das Gleiche", fiel Tennao ein. "Um die Greueltaten, welche von nichtmenschlichen Geschöpfen begangen werden. Vielleicht brauchen die Menschen ja auch solche Geschichten, um sich zu bestätigen, dass sie die Guten sind."

"Nunja, wenn ich an die Einhörner denke, halte ich Menschen nicht für die Guten", murmelte Arniri finster und auf Emms erstaunten Blick erklärte sie: "Deine Rasse hat sie beinahe ausgerottet, weißt du. Die letzten flohen in eine unbekannte Dimension und wurden seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen. Sie trauen niemandem mehr."

"Und heute schreiben sie Bücher und drehen Filme über Einhörner", Emm seufzte. "Ich glaube, meine Rasse ist ganz schön verrückt."

"Ja, und beschreiben Leprechauns als blutgierige Monster", Feno schüttelte den Kopf. "Du mußt dich nicht vor ihnen fürchten, Emm. Sie könnten dir zwar einiges antun, aber sie werden es nicht ohne Grund tun."

Emm war sich da nicht so sicher, zumal sie nicht wußte, was für einen Leprechaun ein Grund war, sie anzugreifen. Zögernd folgte sie den anderen bis zu einem moos- und strauchbewachsenen Erdhügel. Feno schob einen Busch zur Seite und klopfte gegen die Holztür, die dahinter zum Vorschein kam. Das erinnerte Emm eher an die Wichtelbücher, die sie im Kindergarten so geliebt hatte.

"HAH!" Die Tür wurde nicht geöffnet, sondern aufgerissen und der Bewohner des Erdhügels sprang mit einem Satz heraus. "Was gibts denn?" fauchte er grimmig.

Emm erschrak, stolperte zurück und gegen Arniri, die darauf nicht gefaßt war, ebenfalls aus dem Gleichgewicht kam und zusammen mit Emm auf Tennao fiel, der sie hastig auffing. Feno dagegen schien völlig unbeeindruckt von der unwirschen Begrüßung und sagte fröhlich: "Hau, Rhys, wir haben einen Auftrag für dich!"

"Wer wir?" fragte Rhys zurück und Feno drehte sich zu seinen Gefährten um. "Wenn ihr mit der Gruppenknuddelei fertig seid, kann ich euch dann Rhys Crombit vorstellen?"

Etwas verlegen lösten sich die Mädchen von Tennao und kamen näher. Emm hatte immer noch etwas Scheu, mußte aber zugeben, dass der etwa einen halben Meter große, rotlockige Leprechaun eher Warwick Davis ohne Maske glich als mit, trotz der grimmigen Miene.

Arniri legte bereits die Hände zusammen. "Tirili?"

"Tirila, Tirilo und Juchheissassa!" gab Rhys unwirsch zurück. "Hältst du mich für einen Wichtel oder was?"

Feno biß sich auf die Lippen. "Nein, Rhys, das ist der Gruß ihres Volkes. Sie wollte dich nicht veralbern. Sie ist eine Gentry."

Rhys verengte die Augen und musterte die Mädchen. "Ja, und die andere ist eine Menschin. Was hast du mit denen zu schaffen?"

"Wir werden eine Suche durchstehen müssen, durch mehrere Dimensionen", sagte Feno nur und das schien Rhys zu genügen. "Zieht eure Schuhe aus!" Er verschwand durch die Tür und kam fast sofort wieder, mit einem Pergament, einem Kohlestück und einen Band, in das in regelmäßigen Abständen kleine Knoten geknüpft waren. Unglaublich flink vermaß er die Füße der drei Gefährten und schrieb das Ergebnis mit der Kohle auf das Pergament. Dann sah er Feno lauernd an. "Was bezahlst du?"

Feno griff in seinen Rucksack und holte zu Emms Überraschung mehrere Steine heraus. Rhys musterte sie genau, befühlte und beklopfte sie, nickte schließlich und suchte sich zwei heraus.

"Ich dachte immer, Leprechauns sammelten Schätze", meinte auch Arniri und Rhys lächelte zum ersten Mal. "Das sind auch welche", erklärte er. "Geoden. Ich werde sie öffnen und die enthaltenen Edelsteine lösen."

"Ach, die Dinger, die man in Vulkanen findet", fiel es Emm ein. "Auf der Mineralienschau hätte ich mir fast so eins gekauft, ich hatte nur Angst, dass da doch nichts drin ist."

"Hier ist etwas drin, ich spüre das", erläuterte Rhys. "Und ich befreie die gefangenen Steine lieber selbst. Ihr Großen habt zu ungeschickte Finger."

Unwillkürlich verglich Emm die zarten Finger des Leprechauns mit ihren eigenen Händen. Dabei fiel ihr Blick auf ihre Uhr. "Au, ich muss schleunigst nach Hause!"

Rhys sah sie verächtlich an. "Wer sagt, dass du mußt?"

"Meine Mutter!"

"Ach, ihr lebt auch in Rudeln?"

"Das tun die meisten Geschöpfe", warf Feno rasch ein und blickte kurz zum Himmel. "Stimmt, es wird knapp - Emm, hast du auch Angst vorm Fliegen? Und Arniri, bist du böse, wenn dich Tennao allein zurückbringt?"

Beide Mädchen schüttelten den Kopf, woraufhin Feno Emms Hand ergriff und sich mit ihr in die Luft erhob.

Emm wußte nicht genau, was sie erwartet hatte, aber nicht das. Fliegen mit Feno war eher wie schweben. Sie schienen auf etwas Unsichtbarem zu stehen, das sie mit beträchtlicher Geschwindigkeit vorwärtsbewegte. Emms Haar flatterte, sie spürte den "Fahrtwind" und die Aussicht von so hoch oben war atemberaubend. Aber worauf standen sie?

"Kannst du Kraftfelder erzeugen?"

"Hä?" Das Prinzip von Kraftfeldern mußte sie Feno erstmal erklären, Dann aber schüttelte er den Kopf. "Nein, ich verdichte und bewege einfach nur die Luft."

"Wir stehen also auf Luft, die uns trägt?"

"Ja. Wir Kitsunen beherrschen die Elemente, weißt du."

"Alle?"

"Meinst du alle Kitsunen oder alle Elemente?"

"Äh - beides."

"Es hängt von der Person ab. Luft und Feuer allerdings sind für alle Kitsunen kein Problem. Erde sowie Erdverwandte und Wasser kann nicht jeder - und wieweit, das hängt von der persönlichen Elementarkraft ab."

Emm öffnete den Mund, beschloß dann aber, nicht weiterzufragen. Nachdem sie erlebt hatte, wie seine Schwester ihn behandelte, wollte sie dem jungen Fuchsgeist nicht zuzumuten, ihr mögliche Schwächen mit den anderen Elementen eingestehen zu müssen.

Feno setzte sie beide auf einer Terrasse ab, deren Tür sie auf einen Flur führte. Sie gingen nach rechts und schon die dritte Tür erkannte Emm wieder: Das war die massive Pforte des Spiegelraums. "Ganz schön praktisch", meinte sie. "So mußt du keine Treppen laufen."

Feno grinste. "Ja, Fliegen spart oft Zeit und Mühsal." Sie betraten den Raum.

Am Schreibtisch saß jetzt eine ältere Kitsune mit drei Zöpfen - Emm gewöhnte es sich allmählich an, gleich die Zöpfe zu zählen. Die Frau sah von ihrer Stickerei auf und lächelte. "Bringst du sie nach Hause? Freut mich, dich auch einmal zu sehen, Emm!"

"Woher wissen Sie, wer ich bin?" Emm holte einen kleinen Kamm aus der Tasche, um sich die Blätter und Zweige aus dem Haar zu striegeln.

"Ach, das spricht sich herum und so viele Blondinen gibt es hier ja nicht." Die Kitsune grinste.

Emms Lachen wurde zu einem Schrei, als sich eine große Spinne von ihrem Pony abseilte. Feno griff hastig zu. "Du magst keine Spinnen?"

"Jedenfalls nicht im Gesicht", sagte Emm dankbar. "Sonst machen sie mir eigentlich nichts ...iih!" Feno hatte die Spinne kurzerhand in den Mund gesteckt und biß genüßlich den Panzer entzwei. Emm würgte. "Du ißt Spinnen?"

"Ja, sie knacken so schön zwischen den Zähnen."

Emm stellte sich das lieber nicht genauer vor. "Weißt du was, Feno", sagte sie schwach. "Du hattest recht. Einen Kitsunen zu verstehen ist verdammt schwer!"


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top