Thirty | Alleine | XXX
"Hey, ich bin Fabrice, wer bist du?"
"Oh, der Talica Junge? Er wird grade operiert. Ich habe ihn aus versehen umgefahren"
"Jep, ich bin verantwortlich, aber es war keine Absicht"
...
drei Wochen später
PoV. Leo
"Was ist aus dir geworden, Ty?", wispere ich in den Hörer. Ty starrt nur abwesend ins Nichts. Ich klopfe leicht gegen die Glaswand, doch sie reagiert nicht. "Du warst meine beste Freundin, wieso bist du jetzt... so?", fahre ich fort. Ihre dunkelblauen Augen huschen leicht umher, bis sie sich auf mich richten. Ihre orange Uniform passt so gar nicht zu ihrem dunklen Aussehen. Ich sehe zu den Sicherheits-Alphas, welche hinter mir an der Wand stehen und die Besucherzelle bewachen. "Ich habe noch zehn Minuten. Rede doch bitte mit mir", bettle ich jetzt fast schon. Doch noch immer reagiert sie nicht. Seufzend will ich den Hörer zurück in die Halterung setzen, da regt sie sich plötzlich.
"Merkst du nichts? Sie sperren sogar Minderjährige ein", dringt ihre kratzige Stimme aus dem Hörer. Sofort schnappe ich mir das Ding wieder und drücke es an meine Wange. "Sie sind schlimm, Leo", fährt sie fort und sieht mich direkt an. Ich schlucke. "Du weißt es wahrscheinlich nicht, aber deine Mutter...". Ich gefriere zu Eis. "S-Silverstone?", hauche ich. Sie nickt nur. Die ganze Geschichte wollte ich vergessen, ignorieren. Irgendwie beiseite legen in der Hoffnung, es würde alles wieder werden wie früher.
"Silverstone ist nicht die Böse, hör' doch", hebt Ty auf einmal die Stimme. Überrascht durch ihre plötzliche Lautstärke weiche ich zurück. "Ich habe Dinge gesehen, Leo. Schon damals, in meiner Heimatstadt. Sie haben alles zerstört, Leo. Die Alphas. Alles hat gebrannt". Ich schlucke erneut und atme schwer. Ty macht mir verdammt Angst. Sie redet bestimmt über die Ryat-Kriege. Der letzte Ausläufer des großen Kontinental-Krieges. Ryat und Xi Tyang haben sich bekriegt als gäbe es kein Morgen. Alypolis hat irgendwann unter Jessie Harveys Befehl Ryats Truppen mit Alpha-Kriegern aufgestockt, welche Xi Tyang nicht mehr hatte. Omegas und Betas wurden blutig von den Alpha Truppen niedergemetzelt...
"Sie haben alles zerstört", wiederholt Ty. "Ich war zwar noch klein, aber die Bilder blitzen immer noch in meinem Kopf herum". Sie stockt und lehnt sich zurück. "Du glaubst, heute ist es anders?", fragt sie mich dann wissend. Ich verharre immer noch, ohne eine Regung zeigen zu können. "Finde die Wahrheit, Leo!", fügt sie jedoch nur hinzu. Ich blinzle ein paar Mal. "Du bist verrückt!", rufe ich schließlich aus. "Absolut verrückt und geblendet von S-S... von Silverstone!", rufe ich noch lauter. Doch sie schüttelt nur den Kopf. "Scott ist der Schlüssel, glaub' mir", flüstert sie noch, ehe einer der Sicherheits-Alphas sie von der Glasscheibe wegzieht.
Der Hörer tutet und lässt mich ratlos zurück. Sie hat nur wirres Zeug geredet. Der Tribe macht genauso viel kaputt wie die Alphas damals...
...
"Und, wie war's?"
Ich schweige auf Ricks Frage, als ich den Gemeinschaftsraum betrete. "Anscheinend sehr unterhaltsam", fügt Pia hinzu und schlürft an einem Drink. Scott sagt nichts sondern schaut nur auf sein Handy. Er sagt dauernd nichts. Er sieht mich nicht an, sagt nichts, macht nichts. Er ist nur da. Mit anderen redet er, mit mir nicht. Wenn dann kriege ich ein Kopfschütteln, Augenrollen oder Schulterzucken. Ich habe mich damit abgefunden, auch wenn es am Anfang wehgetan hat. Seit jener Nacht habe ich nichts mehr von ihm gehört, obwohl er genau vor mir sitzt.
"Immerhin kommt Jasy heute wieder!", ruft Rick aus um die Stimmung zu lockern. "Jaa, und er hat mich mit diesem komischen Typen ersetzt", schmollt Pia. "Hehe, Eifersüchtig?", neckt Rick sie. Pia schüttelt nur heftig den Kopf. Ich kenne Fabrice nur aus Erzählungen. Er soll sehr freundlich sein. Aber auch sehr trainiert und gutaussehend (laut Pia). Ich lasse mich auf einen der Sessel fallen, möglichst weit weg von Scott. Dieser Typ nervt mich. Er ist so anstrengend und undurchschaubar. Man denkt, man versteht ihn, und dann merkt man wieder, dass man nichts von ihm verstanden hat.
Außerdem geistert Ty noch in meinem Kopf herum. Ihre wirren Worte machen einfach keinen Sinn. Und Silverstone natürlich. Bis heute habe ich mich nicht getraut, meinen Zieheltern gegenüber zu treten. Sie kommen mir so entfernt vor. Dass sie mir nicht die Wahrheit gesagt haben, als unser Dorf angegriffen wurde, verletzt mich ungemein. Diese ganze Sache wächst mir über den Kopf. Ich will nichts mit Regierungsgruppen und Rebellen zutun haben, verdammt! Und erst recht nicht mit Scott... Mein Blick wandert rüber zu ihm. Seine Augen starren zwar auf den Display, doch bewegen sie sich nicht.
Irgendwann schließt er sie und lehnt sich gestresst zurück. Was geht nur in seinem Kopf vor? Auf einmal stellt Rae ein Glas vor mich hin und setzt sich neben mich mit einem eigenen Drink. Er ist der einzige hier, dem ich mich momentan am verbundensten fühle. Was hat es für eine Überzeugungsarbeit gebraucht um die anderen dazu zu kriegen, Rae für existent zu halten. Erst dachten sie, dass Cyan wieder irgendeinen Trick auspackt. Doch Rae ist ein lieber Mensch. "Alles okay bei dir?", höre ich seine Stimme. Ich sehe ihn an und lächle leicht. Er weiß genau, dass nichts okay ist. Und trotzdem tut seine Frage irgendwie gut.
Ich nicke nur. Rae sieht zu Scott und schüttelt den Kopf. "Er ist scheiße", presse ich hervor. Rae nickt heftig. "Jepp, das ist er!", bestätigt mich Rae. Irgendwie ist Rae eine Mischung aus Ty, Pia und Jason. Von allen das Beste, von keinem das Schlechteste. Ich grinse ihn an. "Ich finde es echt cool, so einen Omega-Freund wie dich zu haben", grinse ich und sehe ebenfalls zu Scott. Ich spüre, wie Rae wieder mich ansieht. "Jaaa", erwidert er dann, verschluckt sich jedoch dabei. Ich runzle die Stirn, beachte es aber nicht weiter.
"Hey Leute!", höre ich auf einmal Jasons Stimme. Ich drehe mich um und entdecke ihn, wie er humpelnd und auf zwei Krücken den Saal betritt. "Jasyyy!", ruft Rick aus und rennt auf den Jungen zu, gefolgt von Pia. Mein Blick wandert zu Scott, welcher erneut nicht einmal aufsieht. Kopfschüttelnd erhebe ich mich und wende mich von Scott ab. Rae folgt mir langsam, schließlich weiß Jason nichts von ihm, nur von Cyan. "Haha, alles gut Leute, mir geht's super, wirklich", höre ich Jason lachen. Grade will ich ebenfalls etwas sagen, da fällt mein Blick auf die Person hinter Jason.
Ein Junge, ich schätze ihn auf ungefähr zwanzig Jahre. Seine nussbraunen Augen passen wunderbar zu seinen braunen Haaren. Doch das beeindruckendste ist sein Körper. Er ist perfekt gebräunt, und surch sein enges Shirt erkennt man ganz klar seine Muskeln. Grobe, massive Muskeln. Kurz ist mein Kopf wie leergefegt, während ich den Typen von oben bis unten mustere. Ich spüre Raes Arm auf meiner Schulter, als er sich lässig darauf abstützt. "Und das dürfte dann Fabrice sein", giggelt Rae. Der Typ grinst breit und tritt auf uns zu. Erst jetzt erkenne ich seinen eingegipsten Arm. "Die Omegas", säuselt er und verbeugt sich leicht.
Ich muss leicht lachen, worin er mit einsteigt. Dann werden seine Augen etwas größer. "Hey, du bist Leo, richtig? Jason hat mir von dir erzählt", beginnt er aufgeregt. "Aber nur gutes!", zwinkert mir Jason zu, der bestimmt einen Kopf kleiner ist als Fabrice. Etwas überfordert, aber immer noch belustigt sehe ich zwischen den beiden hin und her. "Und ich bin Rae-", beginnt Rae sich vorzustellen, doch Jason unterbricht ihn. "Verpiss dich, Cyan", fährt er ihn an. Fabrice zieht eine Augenbraue hoch. "Also... bist du der Typ, der Jasons Freund so vollkommen zerstört und ausgebrannt hat?", richtet er das Wort an Rae, aber klingt dabei nur so, als wolle er etwas ungewisses verifizieren.
Rae sieht zu Boden. "Nope, ist er nicht", erwidere ich für ihn. Jason sieht mich etwas irritiert an. "Das ist Rae. Cyan hat damals so ein Trauma davongetragen, dass Rae geboren wurde und, naja, seine Persönlichkeit übernom-", versuche ich beflissen zu erklären, doch Rae unterbricht mich. "Es ist eine Form der dissoziativen Persönlichkeitsstörung. Ich, Rae, bin eine neue Persönlichkeit und halte Cyan davon ab, weitere dumme Scheiße zu machen", erklärt er dann sachlich, aber immer noch freundlich. Jason starrt Rae an. Fabrice grinst nur. "Boar krass! Freut mich, Rae... und Cyan? Oder nur Rae?", erwidert er dann und kratzt sich etwas verlegen am Hinterkopf.
"Nur Rae", erwidert Rae ebenfalls grinsend. Shit, dieser Typ ist verdammt charmant. Aber nicht wie Scott, eher so... naiv charmant. "Ich bin Fabrice, Alpha, single... komme aus Lyen...", beginnt er dann aufzuzählen. "Du bist nicht auf einer Dating-App, man!", unterbricht Jason ihn, während er immer noch Rae im Auge behält. "Ah stimmt, alte Gewohnheit", erwidert Fabrice und zwinkert mir grinsend zu. Sofort muss ich wieder leicht lachen. Der Typ ist witzig. Ich habe jetzt schon mehr Spaß gehabt als in den letzten drei Wochen zusammen. "Lass uns bitte hinsetzen", stöhnt Jason irgendwann. Ich nicke und führe die Gruppe zu unseren Sesseln.
"Ich mag deine Haare", giggelt Fabrice dabei und streicht leicht über meinen Kopf. Es ist kein aufdringliches Streicheln, mehr so ein ausprobierendes. Ich kichere ebenfalls und merke etwas die Hitze an meinen Wangen. Dann fällt mein Blick auf Scott. Er sieht mich an. Direkt in meine Augen. Auch wenn er noch einige Meter weg ist, ist das eine der schlimmsten Erfahrungen, die ich jemals machen musste. Sein Blick ist das pure Böse. Der pure Hass. Eis würde augenblicklich zersplittern unter diesem Blick. Ein kalter Schauer läuft meinen Rücken herab, während das giftige Grün mich durchbohrt. Sein Mund ist leicht geöffnet. Seine Haltung wachsam.
Er steht auf und kommt auf uns zu. Erstarrt bleibe ich stehen und sehe ihn an. Doch er löst den Blick von mir und rauscht nur an uns vorbei. "Hey, alles okay?", höre ich Fabrice und sehe zu ihm hoch. Dann grinse ich etwas gezwungen und nicke nur. "Der Typ, Scott richtig? Ist er dein Boyfriend?", fragt er dann nach, während sich die anderen schon Sessel schnappen. Seine Frage ist nicht fordernd oder prüfend. Eher mitfühlend. Ich schüttle den Kopf und sehe auf den Boden. "Oh my...", höre ich ihn sagen, da umarmt er mich. Meine Augen werden groß, als ich die Umarmung erwidere. Fuck, wie kann er mit so viel Muskeln laufen?
Ich habe diese Umarmung gebraucht, verdammt das habe ich! Fabrice ist so lustig und angenehm. Er wirkt so unkompliziert, verdammt. Vielleicht habe ich jetzt endlich eine Chance...
...
PoV. Scott
Der Aufzug pingt, und ich stürme auf den Korridor hinaus. Dieser kleine Hurensohn, wie kann er es wagen? Wie kann er mich so hintergehen? Hastig schließe ich mein Apartment auf. Dieser ganze Schmerz ist wieder da. Ein Schmerz aus den Tiefen der Hölle. Ein grausamer Schmerz. Verbunden mit meinem Vater, mit Cyan... und jetzt mit Leo. Dieser scheiß Typ muss nur ein paar mal zwinkern und Leo lässt sich sofort von dem ficken oder was? Ich knalle die Tür zu und werfe mich auf das Sofa. Meine Hände beginnen zu zittern. Ich will den scheiß nicht mehr. Ich will nicht, dass mich dauernd alle betrügen und verlassen.
Sie tun es ständig. Immer und jederzeit. Sie spielen mit dem Gedanken, mich zu verlassen. Ich wette, Jason und Rick sind auch nur wegen meiner Reichweite hier. Meine Fans sehen in mir jemanden, der ich nicht bin. Und Leo... er liebt mich auch nicht, wie er es meinte. Ich bin gut, um seine Heat zu beruhigen. Aber sobald so ein Fabrice auftaucht...
Ich schlage gegen die Lehne des Sofas. Ich hasse es! Ich hasse alles! Wieso habe ich mich auf ihn eingelassen? Wieso habe ich es zugelassen? Er wird mich verlassen und mit dem Arsch nicht mehr anschauen! Alles war umsonst! Nimm das, Jason Talica! Ich hasse dich auch!
Ich springe auf und beginne, auf das Sofa einzuschlagen. Diese Welt verarscht mich, wo sie nur kann. Auf einmal vibriert mein Handy, doch ich schleudere es nur achtlos gegen die Wand, wo es zersplittert und seine Einzelteile durch das Apartment verteilt. In meiner Wut werfe ich direkt eine nebenstehende Tasse hinterher. Das klirren ist irgendwie eine angenehme Besänftigung dieses scheiß Gefühls.
Ich atme schwer und sehe auf meine Hände. Meine Sicht verschwimmt, mein Körper zittert. "Was bist du für ein Sohn? Du hast nichts für uns vollbracht!", höre ich eine Stimme hinter mir. "Vater...", wispere ich leise, "ich habe dich enttäuscht. Ich habe alle enttäuscht...". Eine Träne rollt mir die Wange herab. "Ich habe dir gesagt, tu so, als sei alles in Ordnung. Lass dir nichts anmerken. Aber was machst du? Schwach bist du!". Ich schniefe. "Ich habe alles probiert, wirklich...", flüstere ich zurück und sinke auf meine Knie. "Haha, du bist zu dumm für Beziehungen", höre ich Cyan.
"Du warst nicht zufrieden mit mir...", hauche ich und schlucke. "Wer ist das schon, du Idiot! Du hast vielleicht einen geilen Körper, der Rest ist aber... mhhh", schallt seine Stimme weiter durch meinen Kopf. "Es tut mir leid... bitte geh' nicht", schluchze ich, da höre ich eine weitere Stimme. "Die Zeit mit dir war ganz gut, aber ehrlich gesagt... du bist es nicht Wert, Scott". Nein! Nicht Leo! Bitte, Leo! "Ich... bitte, gib' mir noch eine Chance. Ich liebe dich! ICH LIEBE DICH!", beginne ich zu schreien. Die drei schweigen. "BITTE! VERGEBT MIR! GEHT NICHT!", schreie ich weiter und spüre, wie ich langsam heiser werde.
Leo geht zu Fabrice, Cyan verschwindet im Schnee. Mein Vater holt aus, ehe er in seinem Büro verschwindet. "Du bist nicht mein Sohn"...
Ich stoße einen Schrei aus, der lauter ist als alle vorherigen. Ich springe auf und schlage auf das Sofa ein. Ich wirble herum und prügle auf alle ein, was ich zu fassen bekomme. Klirrend und Krachend zerlege ich das Zimmer, blind vor Wut. Glas splittert, Porzellan zerschellt. Meine Hände werden blutig. Mein Puls rauscht.
Ich kann mich nicht halten. Dieser Schmerz muss beruhigt werden. Ich trete den Fernseher von der Wand, reiße die Gardinen ab, breche die Türen aus den Angeln. Ich will zerstören, Schaden anrichten. Ich will wieder Macht über mein Leben. Ich will sie alle behalten. Sie sollen hierbleiben. Bitte, glaubt mir doch!
Geht nicht!
Bitte!
Ich schreie, ich weine und schluchze. Meine Füße und Fäuste schmerzen. Ich blute an mehreren Stellen, und doch ist es mir egal. Ich wirble durch die Gegend, als würde ich tanzen. Ich schlage es alles weg von mir, bis es schweigt. Bis es leise ist und mich in Ruhe lässt!
Irgendwann finde ich mich auf dem Boden liegend wieder. Ich schluchze, Tränen laufen mir die Wange herab. Um mich herum ist alles in Trümmern. Mein Kopf schweigt endlich. Und doch fühle ich mich so einsam. So unglaublich einsam. Als wäre ich alleine auf der Welt. In einem Glaskäfig.
"Mein armes Baby..."
Ich stocke. Ist das... "Mutter?", wispere ich.
"Es wird alles gut, mein Schatz. Wir werden uns bald wiedersehen"
Ich schniefe. "Ich werde verrückt, oder?", erwidere ich zitternd.
"Oh... gut möglich. Ich verrate dir was. Das macht die besten aus"
Dann schweigt sie. Ich bin alleine.
So alleine.
(2427 Words)
...
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