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Ardy

"Ardyyy!", rief Lille und sprang in meine Arme.
"Hey, Kleine. Lange nicht gesehen. Alles gut bei dir?"
"Ähm... Nein..."
"Ich weiß. Hab davon gehört, dass Mama und Papa sich gestritten haben. Aber ich hab das geklärt und sie werden sich nie wieder streiten. Versprochen."
Lille schaute an mir vorbei zu ihrer Mutter und Isabel.
"Wo ist Papa?"
"Schatz, ich glaube er wird nicht wiederkommen.", sagte Karin und kam auf sie zu.
Sie strich ihr beruhigend über die Wange.
"Papa war nicht lieb zu Mama. Und böse Leute brauchen wir nicht in unserem Leben. Du auch nicht. Aber jetzt wird alles besser, okay?"
Lille schaute in meine Augen und nickte.
Scheiße...
Es war als würde ich in den Spiegel gucken. Sie hatte meine Augen, meinen Blick.
"Lille, hast du hier Freunde gefunden?", fragte Karin.
"Ja! Ganz viele. Und Rosa ist meine beste Freundin. Ich hab sie heute im Fußball-"
Sie unterbrach sich selbst und senkte ihren Blick auf meine Brust.
"Du hast sie im Fußball besiegt?", fragte Karin.
Lille nickte schüchtern.
"Sehr gut! Wenn du willst, kannst du ganz oft hierherkommen und weißt du was? Als Trost, weil Papa jetzt weg ist darfst du dir gleich ein Spielzeug aussuchen. Ich hab gesehen, dass der Spielzeugladen eine Parkgarage hat."
Lilles Augen wurden riesig. "Darf ich... die haben?"
"Aber klar. Jetzt geh dich mal von deinen Freunden verabschieden."
Ich ließ Lille wieder runter und sie verschwand zu den Anderen.
"Ich hab mehrere Autos bei ihr unterm Bett gefunden. Hat sie die von dir?"
"Unteranderem."
"Danke, dass du all die Zeit so gut auf Lille aufgepasst hast. Ich hab mich total geirrt und dachte immer sie muss die perfekte Tochter sein. Aber sie ist nur ein Kind."
Wenigstens sieht sie das nun endlich ein und lässt Lille hoffentlich wirklich mit den Sachen spielen, mit denen sie will.
"Ardy kommst du mit nachhause?", fragte Lille.
"Ne, ich bleibe hier. Aber ich komme euch bald besuchen."
Ich kniete mich zu ihr hin und umarmte sie.
"Du bist der beste Bruder der Welt.", flüsterte sie mir ins Ohr.
"Und du bist die beste Schwester der Welt."
Ich gab ihr einen kleinen Kuss auf die Stirn, bevor sie alle verschwanden.
"Hat sich alles geklärt?", fragte Ilja, der nun auf mich zugekommen war.
"Ja. Robert ist jetzt endlich weg. Zumindest hoffe ich das."
"Sehr gut. Scheint so als kehrt langsam Ruhe ein. Willst du noch zu uns kommen? Luna und Niko sind auch gerade gekommen."
"Niko?"
"Ob du es mir glaubst oder nicht. Aber Killian und er verstehen sich echt gut."
"Alter, das ich sowas noch erlebe. Am Anfang hat er sich immer mit Niko geprügelt."
"Ja man. Ich hätte auch gedacht, dass die für immer Feinde sein werden."
"Wie auch immer. Ich werde kurz zu Erik gehen und dann zurück zu Taddl. Aber vielleicht sehen wir uns ja noch später."
"Alles klar. Bis dann, du verknallter Idiot."
Ilja klopfte mir auch die Schulter und verschwand in die entgegengesetzte Richtung von mir.
Erik stand draußen und zog an seiner Zigarette.
"Du veränderst mehr als du denkst, Kleiner."
"Was willst du?", fragte ich verwirrt.
"Du hast deinen Leuten gezeigt, wie die reichen Kids wirklich sind. Und andersherum genauso. Und Lilles Mom hast du davon überzeugt, dass es okay ist, dass Kinder sich dreckig machen. Ich glaube, du hast einen schweren Hebel in Bewegung gesetzt."
Ich zuckte nur mit den Schultern.
"Mag sein."
"Achja und Taddl hat dich verändert."
"Wie meinst du das?"
"Du bist nicht mehr so aggressiv wie früher, löst deine Probleme nicht mehr mit Gewalt oder Alkohol. Du bist ruhiger geworden. Aber das ist gut so. Jetzt lebe ich nicht mehr mit der ständigen Angst dich aus dem Knast holen zu müssen. Ich bin froh, dass du ihn gefunden hast."
Komisch, genau das gleiche hatte Peter auch zu mir gesagt. Nur auf Taddl bezogen.
Es scheint so als würden wir uns gegenseitig helfen unsere Probleme zu lösen.

(...)

Die nächste Woche verlief still, aber gut. Erst jetzt viel mir auf wie gut sich meine Leute mit den anderen verstanden. Eriks Worte blieben mir die ganze Woche noch im Kopf. Und nun fiel es mir auch auf.
Taddl hatte seine Hände um meine Hüften geschlungen, wir lehnten gemeinsam an den Spinden und unterhielten uns.
Lachend kamen Killian und Niko auf Taddl und mich zu.
"Niko wird ein richtiger Badboy. Hat er gerade erstmal Kakao über Maddox gekippt und ist einfach weitergelaufen als wäre nichts gewesen. Ich hab mir fast in die Hose gepisst."
"Maddox ist auch so ein Pimmelotter.", sagte ich. "Seid Colin nicht mehr da ist, denkt er echt, dass er hier das Sagen hat."
"Dabei hast das immer noch du.", meinte Killian.
Maddox war einer von Colins einzigen und besten Freunden. Ich hasse ihn ungefähr genauso sehr wie Colin. Wir sind zwar in dem Sinne nie aneinandergeraten, aber ich hasse einfach seine Art, weil er denkt, dass er was besseres ist.
"Was ist hier denn so lustig?", fragte Luna.
Nachdem sie sich ein paar Tage zurückgezogen hatte, strahlte sie mit voller Blüte wieder auf. Sie hatte sich nun Hilfe von einer Psychologin gesucht um das Erlebte zu verarbeiten. Und ich fand, sie machte sich echt gut.
"Niko hat Maddox mit Kakao überschüttet."
"Lu, hast du eigentlich mal wieder Bock mit Nina und mir joggen zu gehen?"
"Lu?", fragten Taddl und Niko gleichzeitig.
"Das war mein Spitzname von Ardy für mich.", erklärte Luna.
"Wir haben sie alle so genannt.", sagte Killian.
"Aber das mit dem Joggen überlege ich mir nochmal. Ich melde mich bei dir. Wir sehen uns später."
Luna verschwand wieder, Niko mit ihr. Und auch Killian ging nun raus um eine Rauchen zu gehen. 
Es dauerte nicht lange bis Maddox auftauchte. Ich musste mich echt zusammenreißen nicht laut loszulachen bei dem Anblick von seinem Kakaoüberströmten T-Shirt.
"Ey, du Wichser, denk nicht, dass du jetzt hier der Boss bist nur, weil Colin weg ist. Ich wusste von Anfang an, dass das eine dumme Falle ist von euch. Aber Colin hat mir das nicht geglaubt."
"Wow, du bist ja gar nicht so dumm wie du aussiehst."
"Du kleine Schwuchtel, ich mach dir dein Leben zu Hölle."
"Jaja, versuch das ruhig."
Wütend verschwand er.
Taddl legte seinen Kopf auf meiner Schulter ab.
"Früher hättest du ihm eine reingehauen.", flüsterte er mir in mein Ohr.
"Früher hatte ich ja auch nichts zu verlieren.", flüsterte ich zurück, drehte mich in seinen Armen und gab ihm einen sanften Kuss auf die Lippen.

(...)

"Ist es okay, wenn wir in die Stadt gehen?", fragte ich Taddl, als wir in seinem Auto saßen.
"Ja, warum?"
"Ich will dir war zeigen."
Nervös legte ich meine Hände in meinen Schoss und zupfte an meinen Fingern.
Ich hab mich die ganze Zeit davor gedrückt, aber ich musste und wollte es jetzt einfach tun.
Scheiße, war ich aufgeregt.
"Alles okay?", fragte Taddl.
"Ja."
Nein, eigentlich überhaupt nicht. Ich hatte echt Angst. Mein Herz drohte gleich aus meiner Brust zu springen. Ich hab keine Ahnung wie er reagieren wird oder was er sagen wird.
"Park am besten am Stadtrand bei dem Kiosk.", sagte ich. 
Er tat was ich sagte, war aber immer noch sehr verwirrt.
"Was hast du vor?", fragte er als er den Motor ausgestellt hatte.
"Ich... Ich will dir jemanden vorstellen."
"Okay..."
Wir stiegen gemeinsam aus und liefen ein Stück die Straße runter. Als ich das Tor öffnete schlug mein Herz noch höher, wenn das überhaupt ging. Meine Knie wurden weich. Taddl lief stillschweigend neben mir her. Das machte mich noch verrückter, aber ich wusste auch nicht was ich sagen sollte.
"Hier.", sagte ich irgendwann und blieb stehen. "Das ist meine Mom."
Taddl sagte nichts, er schaute sich schweigend das Grab an.
"Ich war noch nie mit jemandem hier."
Taddl lächelte mich warm an und nahm meine Hände in seine.
"Danke.", sagte er leise. "Ich bin froh, dass du sie mir vorgestellt hast. Aber beim nächsten Mal bringe ich besser Blumen mit. Ich finde das gehört sich so, wenn man sich der Mutter vorstellt."
Bei seiner Bemerkung musste ich lächeln und dann bemerkte ich etwas, was mir davor nie aufgefallen war.
Taddl war perfekt.
"Ich liebe dich.", gestand ich ihm.
Das war eine Sache die ich seit dem Tod meiner Mutter niemandem mehr gesagt habe.
"Ich liebe dich auch."
Er nahm mich in den Arm. Ich lehnte meinen Kopf an seine Brust und sog seinen Duft ein.
Ich genoss diesen Moment einfach und war das erste Mal in meinem Leben wirklich glücklich.
Ich hatte eine Familie, Geschwister, eine Stiefmutter und einen Freund der immer zu mir hielt und mich auf den richtigen Weg gebracht hat.

Ja, mein Leben war perfekt und er war es auch.

                                                              Ende

Ich hoffe euch hat diese Geschichte gefallen.
Hinterlasst gerne eure Meinung und auch konstruktive Kritik in den Kommentaren.
Tatsächlich hätte ich sogar noch eine Idee für einen zweiten Teil.
Aber ich denke bis der rauskommt wird es noch eine Weile dauern, weil ich kurz vor der Prüfung meiner Ausbildung stehe und mich nun erstmal darauf konzentrieren muss :D
Aber ich gebe mein bestes einen zweiten Teil rauszubringen! Falls da überhaupt jemand drauf Bock hat 😂

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