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Ardy (14 Jahre)
"Ardy, warte mal kurz!", rief Kilian mir hinterher.
Es war Schulschluss und ich war gerade auf dem Weg nach Hause.
"Wir wollten uns heute Abend mit ein paar Leuten treffen und kiffen. Hast du Bock auch zu kommen?"
"Ja, klar. Wie spät?"
"20 Uhr? Beim Sportplatz."
"Dann bis später."
Nun setzte ich also meinen Weg nachhause fort und hoffte, dass meine Mutter etwas zu Essen gemacht hatte. Normalerweise tat sie das auch immer, wenn ich von der Schule kam, doch seit ein paar Tagen war sie nicht so gut drauf. Das merkte ich daran, wenn sie zur Flasche griff. Sie war nicht abhängig und trank auch wirklich nur Alkohol, wenn sie wieder ihren Tiefpunkt erreicht hatte.
Meine Mom ist sehr stark und musste in ihrem Leben schon einiges mitmachen. Sie verdiente ihr Geld früher durch Prostitution und hat dadurch auch ab und an irgendwelche Substanzen konsumiert. Und so wurde sie auch schwanger mit mir. Durch irgendeinen Typen, welcher seine Frau betrog. Mom hatte es ihm erzählt und er sagte nur, dass sie mich abtreiben soll, weil er so eine Teufelsbrut nicht an der Backe haben will. Wenn sie mich nicht abtreibt und Unterhalt verlangt, würde er zur Polizei gehen und sie wegen Besitz von Drogen anzeigen.
Meine Mom kündigte auf der Stelle ihre Job und ließ bis heute die Finger von den ganzen Drogen. Sie wollte nicht, dass mir etwas zustößt.
Ich bin wirklich glücklich darüber, dass sie mir all das erzählt hat und auch so ehrlich mit mir ist. So kann ich ihre Gefühle, welche manchmal hoch kommen, besser nachvollziehen.
Ihre Eltern haben sie mit 16 rausgeschmissen, weil diese nicht mehr genug Geld hatten um sie großzuziehen. Erik ist mit 17 selbst von zuhause abgehauen, weil er es dort nicht mehr aushielt. Meine Mutter war damals 13.
Als sie schwanger war, hat sie nochmal versucht mit meinen Großeltern Kontakt aufzunehmen, sie hat ihnen erzählt, dass sie schwanger ist. Doch davon wollten sie nichts wissen. Sie wollten nicht für zwei Leute sorgen müssen.
Tja, was soll ich sagen. Meine Familie ist einfach scheiße. Außer meine Mom und mein Onkel. Ich liebe die beiden über alles.
"Hey, Mom! Bin wieder zuhause!", rief durch das Haus.
Das Essen stand weder auf dem Tisch, noch auf dem Herd.
Ich ging ins Schlafzimmer und fand meine Mutter schlafend auf der Matratze. Neben ihr zwei leere Weinflaschen.
Ich sollte sie einfach schlafen lassen, sie wird schon von alleine wieder aufstehen.
Auch Erik war nicht aufzufinden, keine Ahnung wo der sich wieder rumtrieb. Wahrscheinlich bei seinem Kumpel, ihm gehörte der Schrottplatz und er werkelte hobbymäßig gerne an kaputten Autos.
Während ich mir also selbst mein Mittagessen kochte und aß, wartete ich darauf, dass Mom aufwachte oder Erik nach Hause kam.
Doch auch nach eineinhalb Stunden saß ich noch alleine in der Küche.
Ich entschloss mich dazu meine Mom zu wecken. Vielleicht möchte sie ja etwas essen.
"Mom. Aufwachen.", sagte ich sanft und rüttelte an ihrer Schulter. "Komm schon, Mom. Du solltest was essen."
Wow, sie muss wirklich viel getrunken haben, wenn sie so schwer erweckbar ist.
"Mom, ich hab gekocht. Wach auf."
Ich rüttelte nun etwas stärker, doch sie gab keinen Ton von sich. Im gleichen Moment stieß ich aus Versehen eine leere Weinflasche um, welche zum Kopfende rollte.
Bevor sie gegen die Wand rollen konnte, ergriff ich die Flasche und sah etwas schreckliches.
Am Kopfende, neben der Matratze lagen mehrere leere Tablettenschachteln.
"MOM!", schrie ich und rüttelte nun ganz fest an ihr. "WACH AUF! MOM!"
Tränen stiegen mir in die Augen.
"Bitte tue mir das nicht an.", flüsterte ich ihr zu, mein Gesicht nass von den Tränen. Ich nahm ihr Handgelenk um einen Puls zu fühlen. Nichts.
War das meine Schuld? Wäre sie vielleicht noch am Leben, wenn ich sie eineinhalb Stunden eher geweckt hätte? Oder war sie da bereits tot?
Sanft legte sich eine Hand auf meine Schulter. "Komm, Kumpel. Lass die Sanitäter ihre Arbeit machen."
Erik zog mich hoch und erst jetzt sah ich, dass mehrere Sanitäter um Mom herumstanden.
Hatte Erik sie gerufen? Wie lange waren sie schon hier? Wie lange saß ich da?
Beim Aufstehen bemerkte ich, dass meine Knie ganz weich waren und ich überall zitterte. Erik führte mich raus auf die Straße wo wir uns auf den Bordstein setzten.
Ich kann nicht glauben, dass sie das getan hat. Warum hatte sie das getan?
"Tut uns leid, aber wir können leider nichts mehr für sie tun.", hörte ich einen der Sanitäter sagen.
"Danke, für ihre Bemühungen.", sagte Erik gefasst.
Aber Erik war schon immer ein guter Schauspieler. Ich wusste genau, dass er gerade am Liebsten alles zusammenschreien würde. Er war traurig. Und seine Trauer verwandelte sich schnell in Wut.
"Das hier haben wir noch gefunden. Ich denke sie wollte, dass Sie es kriegen."
Die ganze Zeit über schaute ich auf den Boden, denn ich wusste, dass die Sanitäter Mom gerade in den RTW schoben, das konnte ich mir nicht angucken. Nicht jetzt.
"Hier, der ist für dich.", sagte Erik und reichte mir einen kleinen Zettel.
Hey, Ardy mein Schatz.
Sei bitte nicht wütend oder traurig darüber. Aber ich musste es tun.
Du wirst meine Entscheidung wahrscheinlich nicht nachvollziehen können und das verlange ich auch gar nicht von dir.
Trotzdem möchte ich dir erklären, warum es soweit gekommen ist.
Seit Wochen habe ich mich total schlapp gefühlt. Ich hatte durchgehend Kopfschmerzen, musste mich die ganze Zeit übergeben, ich hatte Sehstörungen.
Ich bin ein paar Wochen später zum Arzt gegangen, es hat lange gedauert bis man herausfand was es war. Es ist ein Hirntumor, welcher seit einiger Zeit immer größer wird und gestreut hat. Dadurch, dass es solange gedauert hat ihn zu entdecken, gab es für mich nur noch eine kleine Hoffnung. Ich sollte eine Bestrahlung kriegen, mehrere Operationen, doch die Ärzte können mir nicht versprechen, dass ich dadurch geheilt werde.
Und das will ich nicht. Ich will weder für dich, noch für Erik ein Pflegefall sein. Ihr sollt ein halbwegs normales Leben führen können, ohne weitere Probleme.
Du hast all das nicht mitbekommen, weil ich dich damit nicht belasten wollte. Du solltest dir nicht auch noch Gedanken um mich machen.
Ich liebe dich Ardy, das werde ich immer tun. Und denk dran, dass weder du noch sonst irgendjemand Schuld an dieser Situation hat. Es kann jeden treffen und dieses mal hatte ich dieses Pech.
Tu mir den Gefallen und sei artig. Mach nicht zu viele Dummheiten und vor allem hör auf dich zu prügeln ;).
In Liebe,
Mom
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