twelve
Wenn sie ehrlich sein musste, war es zu mühsam, zu erzählen, was passiert war. Ihre Eltern waren nicht geschieden, sie lebten im gleichen Haus, doch sie waren auseinander. Eigentlich kam ihr Stiefvater seit langem nicht früher als 1 oder 2 Uhr heim. Deshalb sahen sie sich nie. Sie schrieben sich auch nie. Das hatten sie von Anfang an nie getan. Nur in der Mitte, irgendwann, da er sich beschwert hatte, dass sie ihm nie schrieb. Weil es hieß, dass er ihr egal war.
Wenn sie ehrlich sein musste, wusste sie nicht, ob es wahr war oder nicht. Doch sie wusste, dass sie zu dritt mit der Mutter lebten, und sie nicht wollte, dass sie sich stritten. Deshalb schrieb sie ihm ein paar Mal. Meistens war es das Gleiche. Es war ungewohnt.
Sie hatte nicht erwartet, dass er bereits zuhause war, als sie aus dem Badezimmer lief. Er rief ihren Namen, den sie so sehr hasste. Er fragte, wo ihre Mutter sei. Sie antwortete, sie wollte es nicht sagen, wenn, dann müsse er sie fragen.
So war es immer. Diese nette Art, wenn er etwas von ihr wissen wollte. Die aggressive Art, wenn sie nicht sprach, oder nicht sofort tat.
Eigentlich hätte sie ihm die Wahrheit gesagt. Doch sie wusste, dass es ihre Mutter nicht gut finden würde. So fing der Streit an.
Sie bereute es nicht, es ihm nicht gesagt zu haben. Auch obwohl er sie als charakterlos, und verräterisch beschimpfte. Es war ihr egal, Worte wie diese, brachten sie schon lange nicht mehr zum Weinen. Wenn sie sich kalt genug stellte, prallten diese einfach ab. Das kam davon, wenn man von Anfang an damit aufwuchs. Naja, an das, an was sie sich erinnern konnte. Das meiste ihrer Kindheit hatte sie vergessen.
Irgendwann konnte sie endlich in ihr Zimmer. Sie hatte oft hier ihre Zeit verbracht. Besonders, wenn ihre Eltern auf sie wütend waren. Meistens saß sie auf dem Boden, weil es gemütlich war. Sie mochte es, sich unter dem Tisch zu verstecken, von klein auf. Deshalb fühlte sie sich da sicher, beruhigt. Das Verlangen, ihre Haut aufzukratzen, bis diese brannte und blutete, verging. Es hatte einen kühlenden Effekt.
Wenn sie wütend war, und sich nirgendwo hinsetzen konnte, kratzte sie die Haut an ihren Rippen so stark auf, das Blutergüsse blieben. Sie bluteten jedoch nie. Sie waren nur blau und lila, und vergingen nach drei Tagen auch wieder. Sie wurden kleiner, genau wie sie immer kleiner wurde, wenn sie sich mit ihren Eltern stritt. Kleiner und kleiner, bis sie komplett verschwand. Oder ein Teil von ihr. Jedes Mal ein weiteres Teil, bis sie sich komplett auflöste.
Vielleicht war sie bereits komplett aufgelöst. Nur noch eine leere Hülle.
Sie schluckte.
Sie stritt sich ein weiteres Mal mit ihm. Weil sie ihre Mutter anrief, und sie fragte, ob sie kommen könnte. Er hatte seine Hand um ihr Kinn und ihren Hals gelegt, doch das tat nicht weh. Es war blöd, dass er nie blaue Flecken hinterließ. Andere würden es nie verstehen. Doch damit sah sie nie, dass es Spuren hinterließ. Das er eigentlich wirklich was getan hatte. Es war immer so, als wäre es nie stark genug gewesen. Nie genug um zu zeigen, dass es was war.
Als ihre Mutter heimkam, schrien sich die Mutter und der Vater an.
Doch sie, sie bekam kein Wort raus. Über das Handgreifliche. Sie konnte es ja nicht mal Schläge nennen. Es waren keine gewesen. Es war nicht schlimm genug, um es als das zu bezeichnen.
Am Ende des Tages, lag sie im Bett. Ihre Kopfhaut schmerzte, da er sie an den Haaren gezogen hatte. Ihr Kopf tat weh und ihre Sicht war verschwommen von den ganzen Tränen. Um ihre Augen und Nase brannte die trockene, rote Haut. Ihre Nase lief. Ihr Kopf tat so unfassbar weh. Hinten, wo er an den Haaren gezogen hatte.
Er hatte sich am Ende entschuldigt. Als er sie umarmt hatte, roch er nach Zigaretten. Sie konnte nichts sagen, stieß nur ein "mhm" heraus, da sie nicht wieder losweinen wollte.
Er entschuldigte sich meistens nie. Er hatte sie nicht entschuldigt, als er ihr so stark ins Gesicht geschlagen hatte, dass ihr komplettes Gesicht zuerst taub war, und wann anfing schmerzhaft zu prickeln. Er hatte sich nie entschuldigt für die ganzen Haare, die sie rauskämmen musste, da er sie beim ziehen herausgerissen hatte. Er hatte sich nie entschuldigt, für das was er sagte oder wir er sie nannte. Für dieses oder Jenes.
Als ihre Mutter sie umarmte, saß sie auf dem Boden, in der Hocke. Sie hatte alles mitgehört. Ihre Mutter gab ihr zwei Pillen zur Beruhigung, dann schloss sie die Tür.
Sie war alleine.
Sie schleppte ihre müden Knochen zu ihrem Bett, und legte sich so hin, dass ihre Kopfhaut nicht allzu schmerzte. Müde schloss sie die Augen.
Sie hab ihrer Mutter nie erzählt, was eigentlich passiert war.
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