Kapitel 9

Als Isabella am Abend mit ihren Eltern am Esstisch saß, wahr sie ungewohnt schweigsam.
Noch immer schwirrten ihr Collins Worte im Kopf herum.
Doch das Schweigen beruhte auf Gegenseitigkeit.
Seit der großen Geburtstagsfeier ihres Vaters sprach vor allem Isabellas Mutter kaum noch mit ihrer Tochter.
Sie war mehr als enttäuscht, dass Isabella nicht nur ihr großes Klavierspiel verpatzt hatte, sondern zu allem Übel dann noch für den Rest des Tages von der Feier verschwunden war.
Mit flauem Magen blickte Isabella auf ihr Essen hinunter.
Ihr war schon wieder so elend zumute, dass sie kaum etwas hinunterbekam.
Vorsichtig blickte Isabella zu ihren Eltern.
Wie zu oft hatte ihr Vater wieder einmal seinen Kopf in die Zeitung gesteckt.
Sie betrachtete ihn weiter.
Ihr Vater war mit seinem blonden Haaren, seinen markanten Gesichtszügen und seiner staatlichen Größe, ein sehr hübscher Mann.
Er konnte durchaus Angsteinflößend sein, einige Male hatte es Isabella erlebt das sich Leute vor ihm fürchteten.
Oftmals wies er Leute durch ein sehr strenges und bedrohliches Auftreten zurecht.
Isabella dachte an das Erlebnis im Südviertel zurück.
Außer vielleicht Collin, hatte sich kein Mensch getraut sich gegen ihren Vater zu währen.
Dennoch empfand Isabella ihren Vater insgeheim als die weitaus freundlichere Person ihrer beider Eltern.
Immer hatte sich Isabella gewünscht, eines Tages so wie ihr Vater zu werden.
Eine Person zu werden, die sich für die eigenen Rechte einsetzt, die im Namen des Systems kämpft.
Isabella freute sich über jede Minute, die sie mit ihrem Vater verbringen konnte.
Im Gegensatz zu ihrer Mutter, lobte er seine Tochter, sagte ihr das sie hübsch war, etwas gut gemacht hatte und war stolz auf sie.
Isabella betrachtete ihren Vater weiter.
Schon immer war ihr Vater ihr Vorbild gewesen, die Mutigste und gütigste Person, die sie kannte, konnte sich Isabella denn so an ihm täuschen?
War ihr Vater tatsächlich zu dem Fähig, was Collin Isabella erzählt hatte?
Wäre er dazu fähig unschuldige Menschen zu töten?
Alleine der Gedanke daran schnürte Isabella förmlich die Kehle zu.
Es konnte einfach nicht sein!
Isabellas Blick wanderte weiter zu ihrer Mutter, welche pikiert in ihrem Essen herumstocherte.
Isabellas Mutter war eine sehr schöne Frau, keine Frage, jedoch hatte Isabella schon immer das Gefühl gehabt, dass die recht stark ausgeprägten Wutfalten auf ihrer Stirn, sie noch bedrohlicher und älter wirken ließen, als sie eigentlich war.
Dazu trugen auch ihre blonden Haare bei, die stets zu einem festen Knoten zusammengebunden waren.
Zu ihrer Mutter hatte Isabella noch nie so eine starke Bindung gehabt wie zu ihrem Vater.
Dies lag nicht nur an ihren kritischen Aussagen gegenüber Isabellas Aussehen und ihrem Verhalten, sondern viel mehr wie sich ihre Mutter im Allgemeinen verhielt.
Ihr Leben bestand aus einkaufen und jeglichen Veranstaltungen zu denen sie gehen konnte.
Noch nie hatte sie vorgehabt etwas in ihrem Leben zu ändern, sich mehr mit ihrer Tochter zu beschäftigen.
  Isabell konnte es einfach nicht glauben, dass ihre Mutter mit ihrem Leben das sie führte, tatsächlich so zufrieden sein konnte.
Ihre Mutter spürte Isabellas Blick auf sich ruhen und schaute ebenfalls auf.
Ein scharfer Blick fiel auf sie.
Isabella schluckte und blickte schnell nach unten.
Es war mehr als deutlich, dass sie das unpassende Verhalten ihrer Tochter ihr noch immer übel nahm.
Fieberhaft überlegte Isabella, wie sie ihr Verhalten wieder gut machen konnte.
Gleichzeitig tobten in ihrem Kopf die Worte Collins.
Es war nervenaufreibend!
Woher wusste Isabella nun, wem sie glauben sollte.
„Miss?", fragte die Haushälterin.
„Darf ich Ihnen die Nachspeise servieren?"
Isabellas Mutter nickte lediglich.
Die Haushälterin nickte, verließ kurz den Raum und kam kurz darauf mit drei Tellern Tiramisu in den Raum.
Zur Feier hatten viele Freunde und Verwandte Isabella Tiramisu mitgebracht, weil alle wussten, dass es ihre absolute Lieblingsspeise war.
Nun aß die Familie nahezu jeden Abend Tiramisu, was Isabella natürlich gar nicht störte.
„Schon wieder dieser Fraß?", fragte Isabellas Mutter energisch.
Die Haushälterin zuckte zusammen.
Sie hatte furchtbaren Respekt vor Isabellas Mutter, was Isabella ihr nicht verübeln konnte.
„Verzeihen sie!", piepste sie als die Nachspeise vor Isabellas Mutter stellte.
Als die Haushälterin jedoch gerade im Begriff war, Isabella die dritte Nachspeise zu reichen hob Isabellas Mutter schroff die Hand.
„Sie bekommt keine Nachspeise, sie hat schon genug gegessen!" 
Isabella zuckte leicht zusammen, versuchte sich aber eilig wieder in den Griff zu bekommen, ehe ihre Mutter etwas von ihrem gekränkten Verhalten mitbekommen konnte.
Gefühle zeigen war eine Schwäche, das hatte ihre Mutter Isabella immer gesagt.
Doch nicht nur Isabella, auch die Haushälterin musste ihre Fasette bewahren.
Kurz blickte sie Isabella mitleidig an, dann zuckte sie ruckartig zusammen als wäre ihr soeben bewusst geworden, dass es für sie ebenfalls gefährlich sei, ihre Schwächen zu zeigen.  
Eilig wandte sie sich wieder von ihr ab, ehe sie den Teller nahm und zügig in der Küche verschwand.
„Wie wir nur zu solchem Personal gefunden haben!", murmelte ihre Mutter zischend vor sich hin, wobei ihre Worte so laut waren, dass sich Isabella durchaus vorstellen konnte, dass die Haushälterin ihre spitze Bemerkung mitbekommen hatte.
So tiefes Mitleid breitete sich in Isabella aus, dass sie es glatt vergaß, weiter über die verletzenden Worte ihrer Mutter, ihr gegenüber nachzudenken.
„Was hast du denn gegen sie?", fragte sie, nach ihrem eigenem Geschmack ein wenig zu schroff.
Isabella hasste es, nur in geringster Weise unfreundlich oder gar respektlos gegenüber ihren Eltern zu sein.
Doch sie konnte ihre Haushälterin gut leiden.
Es war eine liebe, ältere Frau, die sich stets bemühte,  um ihre Familie glücklich zu machen.
Für ihr hohes Alter schuftete sie viel zu viel, was ganz klar dafür sprach, dass sie das Geld dringend brauchte.
Isabella seufzte innerlich laut.
Es war nicht einfach im reichen Nordviertel zu überleben, vielleicht hatte sie tatsächlich große Angst, eines Tages im Südviertel zu landen.
„Ich toleriere nun mal keine eigentlich unterwürfigen Menschen, welche faul, unachtsam und schlampig sind und noch dazu sich in die Angelegenheiten ihrer Hausheeren einmischen.
Ein dicker Klos bildete sich in Isabellas Hals.
Eilig nahm sie einen Schluck Wasser, in der Hoffnung , dass unangenehme Gefühl loszuwerden, doch das Unbehagen blieb.
„Unterwürfig?", fragte sie fast so leise und piepsig nach, sodass sie zunächst befürchtete, ihre Mutter könnte sie nicht verstehen.
„Unterwürfig, dreckig und dumm, nicht so erhaben wie wir es sind!", ihre Mutter rümpfte pikiert die Nase, wirkte gleichzeitig aber auch stolz auf ihre Antwort.
Als sie sah, dass Isabella schwieg, nahm sie zufrieden eine Gabel ihres Tiramisus.
„Und woher willst du das wissen?", fragte Isabella schroff.
Nun war sie um einiges lauter als zuvor.
Vor Überraschung fiel Isabellas Mutter bei nah das Tiramisu, welches sie sich kurz zuvor in den Mund gesteckt hatte, wieder aus ihrem vor Schock breit geöffnetem Mund  heraus.
„Was hast du gerade gesagt?", zischte sie.
Isabella zuckte gespielt gelassen mit den Schultern, obgleich sie innerlich vor Wut schäumte.
„Ich frage doch nur, immerhin kennst du sie doch nicht wirklich, zumindest habe ich dich außer deinem zahlreichen Befehlen, niemals ein Wort mit ihr wechseln sehen, woher willst du dann wissen wie schlau sie ist, welche Bücher sie gelesen hat, oder welche Schulausbildung sie hatte?"
Nun kochte auch Isabellas Mutter vor Wut.
Noch nie zuvor hatte sie ihre Tochter so mit ihr reden hören.
„Alleine an ihrer späteren Berufswahl lässt sich das doch erkennen, sie kann von Glück reden, dass sie einen Platz in unserer erhabenen Familie gefunden hat, doch das armselige Leben einer Bediensteten bestätigt doch nur, dass sie während ihre Kindheit niemals zu einem ordentlichen Buch gegriffen hat!"
„So wie du es tust?", konterte Isabella provozieren zurück.
Nun wahr der Groschen gefallen.
Mit einem lauten Schlag haute Isabellas Vater die Zeitung auf den Tisch.
Er selber war nicht oft streng zu seiner Tochter, weil sie stets ein braves Mädchen gewesen war, dennoch wusste Isabella, dass ihr Vater ein bedrohlicher Mann sein konnte.
Und wenn ihr Vater was hasste, dann waren es Gespräche am Esstisch, die ihm vom lesen ablenken konnten.
„Wenn du so mit deiner Mutter redest, junges Fräulein, dann bist du nicht bei unserem Essen erwünscht!"
Isabella zuckte zusammen.
Wie so einfache Worte, nur so bedrohlich und hart klingen konnten.
Doch Isabella wusste, dass sie nun stark bleiben musste.
Hastig sprang sie auf und schob dabei ihren Stuhl extra laut quietschend zur Seite.
„Ein Glück das ich gar keinen Hunger mehr habe!", sie zwinkerte ihrer Mutter zu, machte auf dem Absatz kehrt und eilte die Treppen hinauf.
Wütend zog Isabella ihre Zimmertür hinter sich zu, die ein wenig zu laut ins Schloss fiel.
Dann nahm Sie den Türschlüssel aus einer ihrer Schreibtischschubladen hervor und schloss ab.
Ihre Eltern hassten es, wenn Isabella sowas tat und für gewöhnlich schloss Isabella auch nie die Tür ab, doch heute war sie so schrecklich aufbrausend, dass sie froh wahr, dass sie den Schlüssel noch hatte.
Sobald sie sich wieder von der Tür entfernt hatte, griff sie nach ihrer kleinen Umhängetasche und schob ihren Fensterrahmen hoch um vorsichtig und leise zugleich aus ihrem Fenster zu klettern.
Kurz horchte sie noch einmal, ob einer ihrer Elternteile wohl doch im Begriff war aufzustehen und zu ihrem Zimmer zu gehen, womöglich um sich zu entschuldigen.
Als Isabella jedoch nichts Auffälliges hörte, sprang sie leichtfüßig auf den Boden und packte den extra immer unter dem Fenster platzierten Stein zwischen die Fensterläden.
Ihre Eltern würden nicht kommen.
Hatten sie sich jemals bei ihr für irgendetwas entschuldigt?
Isabella schüttelte seufzend den Kopf.
Sie wollte nicht weiter darüber nachdenken.
Sie hasste es, sich mit ihren Eltern zu streiten und noch mehr hasste sie es, wenn sie so schlecht wie etwa in diesem Moment über sie dachte.
Also musste sich Isabella dringend ablenken.
Wie geplant, führten sie ihr Füße zum Garagentor.
So leise wie möglich hob Isabella das große, weiße, schwere Tor hoch und schnappte sich eilig ihr Fahrrad, ehe sie das Tor wieder hinter sich schloss.
Dann flitze sie so schnell sie konnte los, ehe sie ihre Eltern noch durch eins der großen Fenster ihres Hauses erkennen konnten.
Sie brauchte einfach Ablenkung, konnte es nicht länger unter ihren eigenen Vierwänden ertragen.
Erst als Isabella völlig außer Atem am Südviertel ankam, konnte sie endlich richtig ausatmen.
Eilig kroch sie unter dem Zaun hervor und rannte schon fast zum altem Hausdach.
Doch zu Isabellas Schrecken musste sie feststellen, dass Collin nicht an seinem gewohnten Platz saß.
Prüfend blickte Isabella auf ihre Armbanduhr.
Sie hätte es wissen müssen, so früh würde Collin sicherlich nicht schon auf dem Dach sitzen.
Kurz zögerte Isabella, dann machte sie sich entschlossen auf zu Collins Hütte.
Als sie die langen Wohnungsreihen entlang ging, sah sie bereits Collin, der auf seinem abgelegenen Grundstück gemeinsam mit seinem Bruder saß und ausgelassen lachte.
Als Isabella näher kam, erkannte sie, dass die beiden mit ein paar Tusche Utensilien malten.
Der kleine hatte sich die ganze Farbe ins Gesicht geschmiert, dies schien ihn jedoch kaum zu stören, stattdessen freute er sich viel mehr darüber, weiter sein Bild zu zeichnen.
Als Isabella immer näher kam, fing Collin ihren Blick auf und erstarrte.
Isabella erstarrte ebenfalls.
Sie hatte gar nicht groß darüber nachgedacht, wie es Collin wohl finden würde, wenn sie einfach bei ihm zu Hause aufkreuzte.
Zu ihrem großen Verdruss fand er es wohl gar nicht schön.
Für einen kurzen Moment überlegte Isabella, ob sie einfach wieder umdrehen sollte, entschied sich jedoch dagegen.
Das wäre nur noch merkwürdiger.
Also biss sie die Zähne zusammen und ging verlegen auf ihn zu.
Doch anscheinend konnte Collin ihre Gesichtszüge richtig deuten.
Isabellas Verlegenheit schien ihr ins Gesicht geschrieben zu sein.
Also entspannte sich sein Gesicht wieder ein wenig. 
Als Isabella unsicher zu ihm und seinem Bruder ging, wusste sie nicht recht, was sie sagen sollte.
„Entschuldige!", platzte es einfach aus ihr heraus.
Innerlich verdrehte sie die Augen.
Etwas Originelleres konnte ihr nicht einfallen?
„Ich weiß, es ist unhöflich hier einfach aufzukreuzen", fuhr sie fort.
„Aber ich musste dringend weg und ich wusste nicht, wo ich sonst hingehen soll!"
Collin seufzte.
„Schon okay", er nickte mit dem Kopf in die Richtung des alten, morschen Holztisches, auf dem er und sein kleiner Bruder malten.
„Du kannst uns Gesellschaft leisten."
„Ähm okay", piepste Isabella, nun ein wenig aufgeregt.
Vorsichtig ließ sie sich ins Gras, neben Collins kleinen Bruder sinken.
Isabella hatte noch nie wirklich mit kleineren Kindern Kontakt gehabt und wusste nicht so richtig, wie sie sich verhalten sollte.
Peter ging es anscheinend nicht anders als ihr.
Auch er starrte sie mit großen, ehrfürchtigen Augen an.
Isabella schluckte.
„Hallo, ich bin Isabella", murmelte sie schließlich ein wenig verlegen und streckte ihre Hand zögerlich nach ihm aus.
Doch Peter dachte gar nicht daran, ihren Händedruck zu erwidern, oder gar etwas zu sagen, stattdessen rückte er noch weiter von ihr weg und blickte seinen Bruder besorgt an.
„Er ist schüchtern!", gab Collin lediglich zurück, als er Isabella, die sich gerade fragte, was sie falsch gemacht hatte, erblickte.
Er reichte ihr ein leeres Blatt Papier und stellte die Farben in die Mitte des Tisches.
Unsicher blickte Isabella auf ihr Blatt Papier hinunter.
Wenn sie eine Sache gar nicht konnte, dann war es definitiv das zeichnen!
Um sich nicht allzu sehr zu blamieren, blickte sie unauffällig in Richtung der anderen Bilder.
Während Collin mit einem Pinsel arbeitete und feine Zeichnungen anfertigte, bevorzugte es sein Bruder lieber alle seine Finger zum Malen zu benutzen.
Isabella überlegte kurz, entschied sich aber dafür, ebenfalls nach einem Pinsel zu greifen, damit sie sich nicht mehr als nötig dreckig machen konnte.
Fieberhaft überlegte sie, was sie wohl zeichnen konnte, als sie plötzlich Collins Blick auf sich spürte.
Fragend schaute sie zu ihm hoch.
„Du siehst erschöpft aus!", stellte er fest.
„Na vielen Dank auch!", scherzte Isabella gespielt böse und zog eine Grimasse, als ihr auffiel, das ihr garnicht nach scherzen zu Mute war.
Collin erkannte ihren Stimmungswechsel sofort.
„Was ist passiert?"
Isabella bis die Zähne zusammen und schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nicht, ob ich darüber reden kann"
Collin nickte verständlich und wendete sich wieder seiner Zeichnung zu.
Abermals biss Isabella auf ihrer Unterlippe herum, unentschlossen, ob sie die nächsten Worte sagen sollte oder nicht.
Unauffällig blickte sie zu Collin, dieser malte aber Seelenruhig an seinem Bild weiter.
„Ich- Ich fühle mich nur so unglaublich schuldig!", murmelte sie schließlich.
„Warum?"
Isabella zuckte lediglich mit den Schultern.
Sie wusste gar nicht, wo sie anfangen sollte.
Zu viele verschiedene Dinge schwirrten ihr im Kopf herum.
Doch Collin schien sie zu verstehen.
„Male erstmal ein bisschen und versuch dich zu sammeln, dann können wir immer noch reden"
Unschlüssig blickte Isabella zu ihrem leeren Blatt Papier hinunter.
Sie wusste noch immer nicht so recht, was sie genau malen sollte.
Schließlich entschied sie sich dazu, das klassische Kinderbild zu malen.
Ein einfaches Haus mit Garten und Familie.
Dies versuchte sie zwar ein wenig seriöser, als ein einfaches Kinderbild zu gestalten, was ihr aber ganz und gar nicht gelang.
Nach fünf Minuten, war Isabella schon fertigt, während Collin und sein Bruder noch immer in ihre Zeichnungen vertieft waren.
Damit Isabella nicht sagen musste, dass sie so viel früher fertig war und es so riskierte, dass einer der beiden womöglich noch ihre Zeichnung sehen konnte, tat sie so als wäre sie noch beschäftigt.
Eigentlich malte sie aber nur noch weiter krakelige Blumen auf die schon längst überfüllte Rasenfläche.
Als die anderen aber immer noch nicht fertig waren und ihr Bild schon so voll war, dass sie nichts mehr ergänzen konnte, legte sie ihren Pinsel zur Seite und drehte ihr Blatt um.
Stattdessen begann sie Collin beim Zeichnen zuzusehen.
Faszinierend betrachtete sie wie er mit seinen feinen Pinselstrichen über das Blatt flog und eine dunkle Waldlandschaft erschuf.
Ihr Blick wanderte hoch zu seinem Gesicht.
So friedlich und entspannt, als wäre das Zeichnen die wohltuendste Tätigkeit, die es gäbe.
Wann war sie wohl das letzte Mal so entspannt gewesen?
Isabella seufzte.
Doch als sie realisierte, dass sie so eben laut geseufzt hatte und Collin aufblickte, lief sie knallrot an.
Schnell blickte sie wieder nach unten.
Collin grinste.
„Schon fertig mit deinem Bild?", fragte er.
Isabella nickte verlegen.
„Willst du es uns gar nicht zeigen?"
Isabella hatte das Gefühl, dass sie nun noch viel roter wurde als sie es zuvor schon war.
„Ich warte lieber bis ihr fertig seid!", murmelte sie und versuchte dabei möglichst uninteressiert zu klingen.
Dies gelang ihr jedoch nicht!
Sie hatte das Gefühl, dass ihr die Verlegenheit förmlich ins Gesicht geschrieben war.
Als Collin seine Aufmerksamkeit wieder seiner Zeichnung gewidmet hatte, versuchte Isabella ihr Blatt unauffällig in Richtung Peters zu schieben.
Vielleicht würde den anderen ihre Zeichnung nicht mehr auffallen, wenn sie nicht genau vor ihr lag.
„Hallo Jungs!", rief plötzlich eine gut gelaunte Stimme.
Verwundert drehte sich Isabella um, doch als sie Mila herbeikommen sah, drehte sich ihr der Magen um.
Warum musste sie kommen?
Ausgerechnet heute, an Isabellas absolut miesesten Tag.
Als Peter Mila entdeckte, sprang er begeistert auf und lief auf seinen wackeligen Beinen zu ihr um ihr in die Arme zu fallen.
Innerlich kochte Isabella beinah vor Wut.
Isabella wollte er nicht einmal die Hand geben!
Konnte Mila neben all ihren Besonderheiten auch noch gut mit Kindern umgehen? 
Lachend tätschelte das hübsche Mädchen dem kleinen Jungen den Kopf.
„Und was macht ihr gerade schönes?", fragte sie.
„Malen, Malen", japste der Kleine begeistert und klatschte in die Hände.
Unter Milas Gegenwart konnte er also sogar reden?
Er hatte zu Isabella kein einziges Wort gesagt!
Nun um einiges fröhlicher gestimmt als eben zuvor, zog Peter Mila hinter sich her.
„ Dann zeig mal deine schönen Kunstwerke!", sagte sie, als sie der Junge Richtung Tisch gezogen hatte.
Zu Isabellas Schrecken griff sie jedoch nach ihrer Zeichnung.
Isabella wollte gerade etwas sagen, als Mila schon das Bild hochgehoben hatte.
Kritisch betrachtete sie das Blatt und verzog das Gesicht.
„Was ist denn das Peter? Das ist aber nicht besonders gut geworden, das kannst du sonst um einiges besser!"
Peter runzelte verwirrt die Stirn und blickte ebenfalls auf das Blatt.
Dann verzog er selber das Gesicht, rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf.
Nun war Isabella aufgeflogen.
Mit einem Knallrot angelaufenen Gesicht riss sie Mila das Bild aus den Händen.
„Das ist mein Bild!", fuhr sie sie an.
Nun blickte auch Collin von seinem Bild auf.
Ein Grinsen bildete sich in seinem Gesicht.
„Zeig mal her!", sagte er und streckte fordernd seine Hand nach ihr aus.
Isabella schüttelte den Kopf und verschränkte ihre Arme grimmig vor der Brust.
Doch davon ließ sich Collin nicht abhalten.
Er beugte sich über den Tisch und schnappte Isabella das Blatt Papier aus der Hand, dann legte er es auf den Tisch.
Nun konnten alle Vier anwesenden Personen das Bild sehen.
Als Erstes begann Mila laut loszuprusten, gleich darauf stieg Collin laut lachend in ihr Gelächter mit ein.
Nun schäumte Isabella vor Wut.
Noch nie zuvor war sie so gedemütigt worden.
„Das ist ziemlich unfreundlich, findet ihr nicht?", fragte sie beleidigt.
Mila zog eine Augenbraue hoch und grinste spöttisch.
„Wieso? Darf man die feine Lady etwa nicht auslachen, weil sie aus dem Nordviertel kommt?"
Erneut fing sie laut zu lachen an.
Nun reichte es Isabella endgültig.
Wütend wandte sie den anderen den Rücken zu und stapfte davon.
„Isabella, warte doch!", hörte sie Collin hinter sich herrufen, doch sie dachte nicht einmal daran stehenzubleiben.
Als die anderen sie nicht mehr sehen konnten, begann sie zu laufen, bis sie am alten Hausdach angekommen war.
Erst als sie auf dem Hausdach saß, atmete sie aus.
Wie konnte dieser Tag nur schlimmer und schlimmer werden?
„Es war ja klar, dass du hier bist!"
Erschrocken hob Isabella den Kopf.
Leichtfüßig sprang Collin den Baum hinauf und ließ sich neben sie aufs Dach fallen.
Was willst du denn?", grummelte sie mürrisch.
Sie war so schlecht gelaunt, dass sie nun wirklich lieber alleine sein wollte.
„Wow schon vergessen, dass das eigentlich mein geheimer Rückzugsort ist!", scherzte er, doch Isabella verdrehte nur die Augen.
„Was wird das Collin?"
„Ich wollte dir nur sagen, dass du dir Milas Worte nicht so zu Herzen nehmen solltest, sie ist eben so direkt!"
Wütend drehte sich Isabella von Collin weg und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Schön für Mila!", fauchte sie.
„Mila scheint ja in allen perfekt zu sein!
Sie sieht gut aus, kann gut mit Kindern umgehen, bewertet gerne Zeichnungen, versteht sich unglaublich gut mit dir, was kann Mila denn nicht?"
Sie hörte Collin leise hinter sich Lachen.
„Was ist denn so lustig?", gereizt drehte sie sich wieder zu ihm um.
„Nichts, nur deine Eifersucht ist wirklich zum Totlachen!"
Isabella lief knallrot an.
„Ich bin doch nicht eifersüchtig!", murmelte sie verlegen und blickte zu Boden.
„Wenn es dich beruhigt, Peter ist sehr schüchtern, er redet mit kaum jemanden, unabhängig davon das er generell kaum redet, er kennt Mila schon sein ganzes Leben lang und vertraut ihr eben!
Was deine Malkunst angeht", Collin lachte.
„Tja, da ist Mila wohl ins Fettnäpfchen getreten!"
Nun blickte Isabella wieder zu ihm auf.
„Und bezüglich des dritten Punktes", murmelte er und beugte sich ein wenig weiter vor in Isabellas Richtung.
„Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen, da sind eher blonde, tollpatschige Mädchen die nicht malen können mein Typ."
Isabellas Herz begann wild zu pochen und sie hatte das Gefühl, dass ihr Gesicht mittlerweile so rot wie eine Tomate angelaufen war!
„Na dann ist ja gut!", piepste sie nach einer ganzen Weile, als sie endlich wieder zu Worten fand.  
Forschend betrachtete Collin Isabella.
„Aber das war nicht das einzige was dich gestört hat oder?
War es das, was sie bezüglich des Nordviertels gesagt hat?"
Isabella nickte.
„Es hat auch mit meinen Eltern zu tun, wir hatten heute Morgen einen furchtbaren Streit, ich habe sogar meinen Vater angeschrien, das habe ich noch nie getan, ich streite nie mit ihm!
Doch als ich an diesem Tag bei Ihnen saß, Ihnen zuhörte, was sie sagten, wie sie sich verhielten, da sah ich sie plötzlich aus ganz anderen Augen!"
Isabella wendete den Blick ab und blickte in die ersten Sterne, die am Himmel zu sehen waren.
„Ich konnte mich gar nicht mehr mit ihnen identifizieren, ich wusste gar nicht mehr was ich von Ihnen halten sollte, was ich Ihnen glauben sollte und dann plötzlich...", betreten wandte sie den Blick ab, unsicher, ob sie die nächsten Worte tatsächlich laut aussprechen wollte.
„Was?", fragte Collin.
„Plötzlich, habe ich mich gefragt, ob ich wirklich die ganze Zeit so naiv und dumm war, wie Mila und du es mir gesagt haben, ob mein ganzes Leben tatsächlich auf einer reinen Lüge basiert!"
„Ah das ist schrecklich!", schrie sie plötzlich wütend und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
„Ich liebe meine Eltern, ich liebe mein Leben, ich glaubte das System zu lieben, warum kann ich nicht wie meine anderen Mitschüler sein und all den Regeln, meinem perfekten Leben folgen, warum muss ich nur so anders denken? Was stimmt nicht mit mir?"
Auf einmal spürte sie eine kühle Hand auf ihrer Schulter.
„Glaub mir, mit dir stimmt alles!", hörte sie Collin sagen.
Isabella seufzte, und richtete sich wieder auf.
„Das war der Hauptgrund, weswegen ich so sauer auf Mila gewesen war, naja neben den Fakten das sie wunderschön ist und ich das erste Mal in meinem Leben eine wirkliche Konkurrenz in ihr sehe und das sie sich total gut mit dir und Peter zu verstehen scheint!
Durch ihre Worte, gab sie mir zu verstehen, dass ich einfach nicht in diese Welt passe, dass ich, egal was ich auch versuche, nie ein Teil von all dem hier sein werde!
Doch wenn ich nicht ins Südviertel passe und nicht ins Nordviertel passe, wo gehöre ich dann hin?"
Jetzt schaute sie wieder zu Collin.
„Was ist wenn ich nirgendwo dazugehöre?
Wenn ich einfach alleine bin?"
„Schließ die Augen!", befahl ihr Collin.
Verwirrt runzelte Isabella die Stirn.
„Warum?"
„Schließ einfach die Augen!"
Noch immer verwundert schloss sie die Augen.
„Jetzt nehm deine Hand und streck sie aus"
Isabella spürte, wie er nach ihrer Hand griff und sie langsam ausstreckte.
Gänsehaut breitete sich in ihr aus.
Vorsichtig fuhr er mit seinen Fingern über ihre Hand und streckte ihren Daumen aus.
„Und jetzt öffne die Augen!", befahl er ihr.
Isabella öffnete ihre Augen und betrachtete Stirnrunzelnd ihren Finger.
„Was siehst du?"
„Ich sehe meinen Daumen, der auf einen Stern zeigt!", antwortete sie.
„Ganz genau! Einen winzig kleinen Stern der kleiner als dein Daumen ist.
Und jetzt schau, wie viele Sterne es am Himmel gibt, wie weit verstreut sie am Himmel liegen!"
Nun streckte Collin ebenfalls seinen Daumen aus, und schloss sein eines Auge um den Stern genauer zu betrachten.
„Stell dir mal vor, du würdest nur einem einzigen Stern versuchen zu folgen, was für eine Reise du haben würdest!"
Isabella zog eine Grimasse.
„Aber du kannst doch keinen Stern folgen, du würdest nie ankommen!"
Collin nickte.
„Das ist eben das spannende, du hast eine unendliche Reise, siehst unendlich viele Orte, und wenn du das Gefühl hast, du hättest schon alles gesehen, dann folgst du eben einem anderen Stern!"
„Und woher weiß ich dann, ob ich den richtigen Ort, mein richtiges Zuhause gefunden habe?", fragte Isabella.
„Das wirst du merken!", antwortete Collin.
„Dein Zuhause ist der Ort, den du vermisst, wenn du fort musst!"
„Dann wird das wohl mein Zuhause sein!", platzte es aus Isabella heraus.
Verlegen lief sie knallrot an, als sie realisierte was sie gesagt hatte, und wahr mehr als froh, dass es mittlerweile schon so dunkel war, dass man nichts mehr sehen konnte.
„Äh Ich-Ich meine dieses Dach hier, ich kann mir keinen schöneren Platz vorstellen!"
Sie erkannte in der Dunkelheit, die Anspielung eines Lächelns auf seinem Gesicht.
„Gut, das ist ja schonmal ein Anfang!"

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