Kapitel 28
Während der Fahrt, wo auch immer es auch hinging, schlotterte Isabella fürchterlich.
Zwar fuhren sie mit einem Auto, durch das sie um einiges schneller als zu Fuß vorankamen, jedoch musste Isabella auf der Ladefläche des Wagens sitzen, was ihr noch tausendmal kälter vorkam.
Wenn der Wagen nicht gerade im Schnee stecken blieb, was durchaus sehr oft an diesem Tag geschah, raste er mit solch einer schnellen und unkontrollierten Geschwindigkeit durch die Wälder und Straßen, dass sich Isabella so weit es ihre kalten Hände zuließen, mit all ihrer Kraft festhielt, um nicht in den Tod zu stürzten.
Der Wind peitschte mit solch einer Stärke in ihr Gesicht, dass sie ihre Augen schließen musste, um den Wind einigermaßen zu ertragen.
Die restlichen Truppen mit den Pferden hatten sich in eine andere Richtung aufgemacht.
Die Zeit, die Isabella auf dem Wagen verbracht hatte, fühlten sich für sie wie eine Ewigkeit an.
Eine Weile lang, war Isabella voller Panik gewesen, hatte die Kälte nicht mehr ausgehalten und unter Todesangst vor der schnellen Geschwindigkeit, laut Panisch um Hilfe geschrien.
Irgendwann hatte sie es aufgegeben, die Augen zusammengekniffen und sich zusammengekauert auf die Ladefläche gelegt.
Ihre Hände fühlten sich nach einigen Stunden so schwach an, dass sie es aufgab sich noch weiter festzuklammern.
Was sollte im schlimmsten Fall passieren, sie fühlte sich eh schon völlig kaputt gefroren, wie viel schlimmer könnte es also sein, wenn sie einfach vom Auto hinunterfiel?
Nach einer gewissen Weile sank Isabella in eine Art unkontrollierten Schlaf.
Sie schlief nicht gut, wurde immer wieder durch das Ruckeln der Autos aufgeschreckt, konnte jedoch ihrer Erschöpfung nicht weiter standhalten.
Selbst als Isabella noch grob wahrnahm, wie das Auto zum S.tehen blieb und mit einem lauten Scheppern Türen zugeschlagen wurden, fand sie nicht die Kraft sich zu erheben.
„Junge, steh auf!", hörte sie einen Mann rufen, doch er klang so weit entfernt, dass sich Isabella nicht die Mühe machen mochte, aufzublicken.
Sie spürte wie ein Stock ihr immer wieder zwischen die Rippen pikste, doch selbst das spürte sie kaum.
Doch Isabella wusste, dass sie sich zusammenreißen musste, sie musste die Zähne zusammenbeißen und tapfer sein.
Mit zitternden Händen stützte sie sich auf und versuchte sich zu erheben.
Dabei hatte sie so wenig Kraft, dass sie einige Male wieder zu Boden fiel, ehe es ihr gelang sich abzustützen und von der Ladefläche zu krabbeln.
Als sie mit den Füßen auf den Boden kam realisierte sie erst, dass sie alle anstarrten.
„Was zur...", begann einer der Männer und stockte.
Die anderen starrten sie einfach an.
Zunächst vermutete sie, dass sie einfach mitgenommen und verunstaltet von der Reise aussah, doch als sie sich wie automatisch an den Kopf fasste, realisierte sie, dass sich ihre Mütze nicht mehr auf ihrem Kopf befand.
Nun konnte wirklich jeder ihr schulterlanges, hellblondes Haar sehen.
Nun war es vermutlich unverweigerlich zu erkennen, dass es sich bei ihr um ein Mädchen und keinen Jungen handelte.
„Ist es etwa ein Mädchen?", flüsterte ein Mann dem anderen zu.
Der Mann antwortete ihm nicht, stattdessen blickte er wieder streng zum Mädchen.
„Komm mit!", forderte er sie auf und ging gerade aus voraus.
Isabella wunderte sich ein wenig.
Sie wusste nicht, ob es daran lag, dass er herausgefunden hatte, dass Isabella kein Junge war, oder viel eher an ihren auffälligen blonden Haaren, doch auf einmal griff er sie nicht mehr so grob und hart wie er es vor der Fahrt getan hatte.
Mit Mühe stapfte sie dem Mann hinterher, der immer schneller zu werden schien.
Isabella konnte einfach nicht mehr, zu sehr schmerzten ihre Glieder vor Kälte.
Als sie nach oben blickte in der Hoffnung, bald anzukommen, sah sie erst das riesige Gebäude, auf das sie gerade zu gingen.
Isabella stockte und blieb stehen.
Ihre Beine begannen zu zittern und drohten umzuknicken, sie nicht mehr zu halten!
Genau in diesem Moment war sie im Begriff in das Gebäude, zu den Menschen zu gehen, wovon sie die ganze Zeit geflohen war.
Das System.
Isabella wusste nicht, warum es sie so sehr überraschte, immerhin war dieses Gebäude der Hauptsitz!
Doch sie hatte erwartet, dass sie in einem Gefängnis oder dergleichen landen würde, nicht hier!
Je näher Isabella dem Gebäude kam, desto unsicherer fühlte sie sich und desto schwächer wurde sie.
Die kurze Zeit die sich für sie wie ewige Stunden anfühlten, spielte sie ständig mit dem Gedanken einfach aufzugeben und sich auf den Boden zu schmeißen.
Doch sie biss die Zähne zusammen und ging weiter.
Obwohl sie dieses Gebäude mehr als verabscheute, atmete sie erleichtert aus, als sie durch die großen Flügeltüren des Gebäudes ging und die warme Luft sie ummantelte.
Noch einmal wurde Isabella bewusst, wie unglaublich kalt es draußen gewesen war.
Sie gingen die langen Treppenstufen hinauf und sobald sie den Flur entlang gegangen waren, wusste Isabella genau, wo sie hingingen.
Der Mann klopfte einmal kurz gegen die riesige, Isabella nur allzu bekannte, große Flügeltür.
„Sir, wir sind angekommen, sie sollten das sehen?"
„Gehen sie nach unten, zu den Kammern, ich werde gleich nachkommen!"
Ohne sich ein einziges Mal zu Isabella umzudrehen, ging der Mann eilig weiter und Isabella blieb nichts anderes übrig, als ihm eilig zu folgen.
Sie spielte tatsächlich kurz mit dem Gedanken einfach wegzurennen.
Sie kannte diesen Ort haargenau, lief schon seit sie ein kleines Kind war durch die bekannten Flure und Gänge.
Sie wusste, wo sie hinlaufen musste, um ein gutes Versteck zu finden.
Doch erstens war Isabella viel zu langsam und zu schwach für den großen, starken Mann und zweitens standen vermutlich noch tausende weitere Männer vor dem Gebäude des Systems, die sie sofort wieder einfangen würden.
Also folgte sie ihm widerwillig, bis beide in einem Raum angekommen waren, in dem Isabella tatsächlich noch nicht gewesen war.
Es war ein ziemlich leerer Raum, ohne Möbel, dass einzige was auffallend war, war die riesige auffallende Zelle, die den Raum in zwei Hälften grenzte.
Ohne groß darüber nachzudenken, ging Isabella durch die offene Tür der Zelle.
Auch der Mann schien überrascht von ihrer Handlung zu sein, sagte aber nichts weiter dazu.
Erleichtert ließ sich Isabella auf die schmale Metallbank sinken.
Sie fühlte sich so an, als wäre sie das seit langem bequemste, auf dem sie gesessen oder gelegen hatte.
Obwohl sich Isabella eigentlich dem Ernst der Lage bewusst sein musste, konnte sie nicht anders als die Augen zu schließen.
Wie automatisch fielen sie zu und Isabella sank beinah wie automatisch in den Schlaf.
Der schien aber nicht lange anzuhalten, denn kurz darauf hörte sie, wie die Tür laut ins Schloss fiel.
Obwohl Isabella erschrocken zusammengezuckt war, bemühte sie sich die Augen dennoch geschlossen zu halten.
Wer auch immer so eben in den Raum gekommen war, schien vermutlich ziemlich wütend zu sein.
Das zeigte sich an den lauten, hartnäckigen Schritten die Isabella hören könnt.
„Ist Ihnen eigentlich bewusst, wen sie da in eine Zelle eingesperrt haben?"
Der Mann der zuvor noch so selbstsicher und stark aufgetreten war, wirkte nun unsicher und kleinlaut.
„Ich weiß es nicht genau Sir, wir haben sie gefunden, als wir auf der Suche nach den Menschen im Südviertel waren. Ich dachte zuerst sie wäre ein Junge, aber sie scheint wohl doch ein Mädchen zu sein"
„Sie wollen mich wohl für dumm verkaufen!", erneut zuckte Isabella zusammen.
Auch wenn sie von vielen bereits gehört hatte, dass der Führer des Systems ein bedrohlicher und Angsteinflößender Mann war, hatte sie ihm von klein auf als einen freundlichen und offenen Menschen wahrgenommen.
Dies lag vermutlich daran, dass er der beste Freund ihres Vaters war und sie ihn seit ihrer Geburt kannte.
Doch jetzt, kam er ihr wie ein fremder vor.
„Sie haben gerade die Tochter meines besten Freundes in eine Zelle gesperrt!"
Nun konnte Isabella nicht anders, als ihre Augen einen winzigen Spalt zu öffnen.
Der Mann riss überrascht die Augen auf.
„Isabella? Aber- Aber sie hatte doch ganz langes Haar und wirkte so kultiviert und..."
„Ist Ihnen nicht bewusst, dass ihr das die Horde Barbaren aus dem Südviertel angetan haben?"
Der Freund ihres Vaters atmete einige Male ein und aus um sich zu fassen.
„Wie soll ich meinem besten Freund bitte beibringen, dass wir seine Tochter hier eingesperrt haben?"
„Sie sollten sich keine Sorgen machen Sir", versuchte der Mann ihn zu beruhigen.
„Immerhin ist seine Tochter diejenige gewesen, die ganz offensichtlich die Regeln des Systems gebrochen hat und versuchen wollte mit den restlichen Menschen zu fliehen!"
Dies schien ihn ein wenig zu beruhigen.
„Das stimmt, wenn sie uns nicht verrät, wo die ganzen Menschen hin verschwunden sind, könnten wir sie als Druckmittel benutzen!"
Isabella schluckte.
Und er nannte sich den besten Freund ihres Vaters?
Wie auf einen Schlag änderte sich das komplette Bild das Isabella zuvor von ihm gehabt hatte.
Die Menschen aus dem System verabscheuten nicht nur Menschen, die in ihrer Hinsicht anders waren, sie dachten dabei auch nur alleine an ihre Bedürfnisse.
Der Führer des Systems begann unruhig im Zimmer umher zu gehen.
„Ich fürchte ich muss erst herausfinden, wie sehr der Mann tatsächlich an seiner Tochter hängt, er ist ein sehr beliebter Mann in dieser Stadt, ich kann nicht riskieren das sich noch mehr Menschen gegen das System stellen!"
„Wie gehen wir also vor Boss?"
Er blieb stehen.
„Wir lassen Sie über Nacht hier, versuchen herauszufinden, ob sie uns verrät, wo die Menschen hingegangen sind und bringen sie dann morgen zu ihrer Familie!"
„Soll ich sie aufwecken Sir?"
Isabella spürte, wie der Mann in ihre Richtung blickte.
Schnell schloss sie wieder komplett die Augen.
„Nein, wir lassen sie erstmal schlafen, sie sieht viel zu schwach aus um irgendetwas sagen zu können! Morgen befragen wir sie und bringen Sie anschließend zu ihren Vater um zu entscheiden wie wir weiter vorgehen!"
„Passen sie auf sie auf!"
Ohne noch etwas zu sagen, Verlies er den Raum.
Erneut fiel die Tür mit einem lauten krachen zu.
Für ein paar Minuten beobachtete Isabella noch ihren Aufpasser.
Sie schaute in unauffällig so lange an wie er unruhig im Raum herumging, bis er sich schließlich selber auf einen Stuhl sinken ließ und seufzend die Arme vor der Brust verschränkte.
Als er schließlich seine Augen schloss, konnte Isabella nicht anders als es sich selber bequem zu machen.
Vorsichtig legte sie sich auf die Bank und zog die Beine zusammen.
Während sie kurz davor war einzuschlafen, überlegte sie noch kurz was sie morgen erwarten würde.
Was sollte sie sagen?
Was würden die Mitglieder des Systems wohl tun, wenn sie ihnen nicht verraten würde, wo sich die anderen befanden?
Würden sie es dennoch herausfinden?
Was würde mit ihr passieren?
All das schwirrte Isabella im Kopf herum, ehe sie nicht anders konnte, als in einem tiefen Schlaf zu fallen.
Als sie das nächste Mal aufwachte, war es dunkel.
Hätte es nicht eine Laterne gegeben, die durch das Fenster strahlte, hätte Isabella vor lauter Dunkelheit nichts gesehen.
Doch so konnte sie erkennen das ihr Aufpasser noch tief und fest schlief.
Leise erhob sich Isabella.
Ihre Glieder fühlten sich so steif vom ganzen liegen an, dass sie das dringende Bedürfnis verspürte aufzustehen und sich zu bewegen.
Dennoch wollte sie auf keinen Fall das der Mann aufwachte.
Vorsichtig ging sie durch den kleinen Raum, bis sie an der Gittertür angekommen war.
Als sie sich unsicher nach vorne beugte um sicherzugehen, wie tief er schlief, realisierte Isabella, dass die Tür viel zu locker war, als das sie wirklich fest verschlossen sein konnte.
Wieso sollte sie auch verschlossen sein, der große Mann saß so unmittelbar vor ihr, dass es kaum möglich war der Zelle zu entkommen.
Trotzdem war die Verführung groß.
Sie musste die Zelle nur einen winzigen Spalt öffnen, einen winzigen Spalt bis zur süßen Freiheit.
Isabella war bewusst, dass der Mann jeden Moment aufwachsen könnte, sie entdecken könnte und dadurch alles nur noch schlimmer werden würde.
Doch wenn sie es schaffen würde an dem Mann vorbeizukommen, unauffällig durch die Gänge des Systems zu schleichen und nach draußen zu gelangen, hätte sie eventuell die Chance, auch wenn sie nur wenige Minuten hatte, ins Südviertel zu gehen.
Natürlich konnte es sein, dass sie bereits auf dem Weg zum Viertel entdeckt wurde, vielleicht sogar schon im Gebäude selber, doch diese Gefahr würde sie eingehen.
Sie wusste nicht, was sie im Südviertel erwarten würde, alleine der Gedanke daran das Collin oder jemand anders etwas zugestoßen sein könnte, drehte ihr den Magen um.
Doch dann hatte sie auch wieder diesen winzigkleinen Gedanken in ihrem Kopf.
Was war, wenn sie nie wieder die Chance dazu haben würde, Collin zu sehen, was war, wenn sie Collin tatsächlich treffen würde.
Dieser Gedanke reichte Isabella, um den nächsten Schritt zu wagen.
Ohne weiter darüber nachzudenken, drückte sie leicht an der Zellentür und wie aus Zauberhand sprang sie quietschend auf.
Mucksmäuschenstill und stocksteif blieb sie stehen.
Ihr Herz klopfte so laut, dass sie Angst hatte, ihr Aufpasser könnte alleine dadurch aufwachen.
Doch das Glück schien wenigstens diesmal auf ihrer Seite zu sein.
Ihr Aufpasser schlief weiter.
Vorsichtig quetschte sich Isabella durch den schmalen Spalt.
Adrenalin stieg durch ihre Adern, als sie auf den stockdusteren Flur trat.
Ihre Füße wurden schneller und schneller, bis sie anfing zu laufen.
Sie wusste genau wo sie hinmusste.
Die Großen Flügeltüren waren rund um die Uhr bewacht, Isabella wusste jedoch das es in den Untergeschossen auch einen geheimen Notausgang gab, der nicht kontrolliert wurde.
Als Isabella die Klinke des Notausgangs hinunterdrückte und ihr die kalte Luft entgegenkam, atmete sie aus.
Den ersten Teil hatte sie geschafft, jetzt kam der Zweite Teil.
Und weil sie bis jetzt so weit gekommen war, obwohl es doch zuvor so unmöglich schien, war sie umso entschlossener ihr Ziel zu erreichen.
Sie rannte und rannte, während ihr die kalte Luft ins Gesicht peitschte.
Obwohl sie schreckliche Angst hatte, konnte sie es nicht lassen ab und zu einen verstohlenen Blick hinter sich zu werfen.
Sie erwartete, dass jede Sekunde jemand hinter ihr erscheinen könnte und ihre Flucht damit scheiterte.
Doch es kam keiner als sie das Gebäude hinter sich lies, es kam keiner als sie es schon längst nicht mehr sehen konnte, und es kam auch keiner als sie völlig außer Atem vor den Toren des Südviertels stehen blieb.
Suchend ging sie in Richtung des großen Eingangs.
Das Südviertel wirkte anders als sonst, natürlich hatte es schon immer in irgendeiner Weise schäbig auf einen gewirkt, doch nun wirkte es einfach nur Tod und Leblos.
Das machte Isabella so viel Angst, dass sie sich im ersten Moment überlegte einfach wieder umzudrehen.
Doch sie wusste, dass sie der Wahrheit nicht weiter entgehen konnte.
Suchend wanderte ihr Blick über den leer gefegten Marktplatz.
Und dann sah sie ihn plötzlich.
Er saß auf einen Stuhl an eine Mauer gelehnt.
Sein Gesicht war völlig verdreckt und eine große Wunde zierte seine Stirn.
Mit seiner Hand umklammerte er fest eine Waffe.
Er sah so gebrochen und fertig aus, dass es Isabella das Herz brach.
Am liebsten wäre Isabella zu ihm gegangen, doch sie wusste, dass sie hinter den Zaun bleiben musste, zum Schutz all derer die noch in diesem Viertel waren.
„Collin?", flüsterte sie.
„Collin?", verschlafen öffnete er die Augen.
Verwundert blickte er durch die Gegend, bis sein Blick an ihr hängen blieb.
Erschrocken riss er die Augen auf.
Er sprang auf und ging mit schnellen Schritten in Richtung des Zaunes.
„Was zu Hölle machst du hier?", seine Stimme klang überrascht, überrascht und verärgert.
Doch Isabella war einfach nur erleichtert ihn zu sehen.
Sie konnte nicht anders als zu Lächeln.
„Es ist so schön dich zu sehen!"
„Ich dachte du wärst bei den anderen in Sicherheit", wütend schüttelte er den Kopf.
„Komm her damit ich dich verstecken kann", er machte Anstalten das Tor zu öffnen, doch Isabella schüttelte eilig mit dem Kopf.
„Ich kann nicht!"
Collin runzelte die Stirn.
„Was meinst du mit ich kann nicht?"
Isabella seufzte, dann streckte sie ihre Hand durch das kleine Loch im Zaun.
„Würdest du einfach noch ein bisschen hier mit mir stehen bleiben?"
In diesem Moment blickte Collin ihr in die Augen und auf einmal schien er den ernst der Lage zu begreifen.
Zögerlich streckte er seine Hand aus und griff nach Isabellas, dann trat er näher an den Zaun.
„Du sollst wissen, dass ich nicht viel Zeit habe", flüsterte Isabella.
Sie blickte auf ihre verschränkten Hände.
„Gleich werden die Menschen aus dem System kommen und mich abführen"
Collin biss lautstark die Zähne zusammen.
„Und ich wollte dich beschützen", murmelte er mit einem sarkastischen Unterton.
„Das hast du, das hast du wirklich, ich weiß nicht was jetzt mit mir wäre, wenn du mich nicht beschützt hättest!"
Kurz warf Isabella einen verstohlenen Blick hinter sich.
„Deiner Familie, dem ganzen Viertel geht es gut, ich habe die Männer des Systems auf eine falsche Fährte geführt, wenn wir Glück haben, sind sie rechtzeitig bei euren Verwandten angekommen!"
Collin nickte.
„Ja, das sind sie, ich habe eine Nachricht erhalten, sie sind gut angekommen!"
Isabellas Herz begann wie wild zu klopfen, als sie von dieser Nachricht hörte.
„Du hast von Ihnen gehört?"
Collin nickte.
„Ihnen geht es gut!"
Noch nie hatte Isabella so viel Erleichterung gespürt.
Sie konnte nicht anders als zu lächeln.
Doch dann fiel ihr wieder ein, dass das Nordviertel wohl nicht aufhören würde nach Ihnen zu suchen.
„Und was ist, wenn sie sie finden?", flüsterte sie.
Collin schüttelte den Kopf.
Diesmal haben wir den Spieß in der Hand.
Isabella verzog das Gesicht.
Das konnte sie sich kaum vorstellen.
„Wir reden von dem Nordviertel!"
„Ich weiß, doch jetzt werden sie endlich für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen!"
Vorsichtig blickte er sich um, dann beugte er sich näher zum Zaun hinüber.
„Meine Mutter, meine Familie, die ganzen Menschen haben den Menschen, die sie trafen von den Grolltaten berichtet, die hier vor sich gehen! Mit etwas Glück wird bald jemand kommen und uns helfen!"
Erstaunt riss Isabella die Augen auf.
„Du glaubst das sie gegen das Nordviertel ankommen können?"
Collin nickte.
„Es sind viel mehr Menschen an dem Ort, an dem die anderen sind, sie sind so fortschrittlich und leben unter so guten Verhältnissen...", dann stockte er.
„Du scheinst nicht so begeistert zu sein."
Eilig schüttelte Isabella mit dem Kopf.
„Doch doch, ich bin mehr als erleichtert doch...", Isabella schluckte.
„Was passiert mit den Menschen aus dem Nordviertel?"
Collin schwieg eine Weile.
„Ich weiß es nicht", gab er schließlich zu.
Eine Weile starrte er verbissen auf das kleine Loch im Zaun, dann blickte er wieder zu Isabella.
„Aber was ich weiß ist, dass es gute Menschen sind, sie sind natürlich nicht alle perfekt, wer ist das schon, doch sie tun ihr bestes, um jeden Menschen zu integrieren, der es zulässt, solange das Nordviertel kooperiert, werden die anderen auch gütig sein!"
Isabella versuchte sich zu einem Lächeln zu zwingen.
Er hatte gesagt, wenn sie kooperieren.
Isabella kannte das Nordviertel gut genug.
Wenn sie etwas taten, dann war es nicht zu kooperieren.
Isabella verdrehte sich der Magen, wenn sie daran dachte, was wohl mit denen passieren würde die sich versuchten zu währen.
Entweder die eine Gruppe würde Siegen oder die andere, egal wie es ausgehen würde, es könnte in einem großen Gemetzel enden.
Collin bemerkte ihre Sorge.
Er drückte ihre Hand noch stärker.
„Komm rein, wir werden dich beschützen, solange bis die anderen gekommen sind und danach werden wir weggehen, ganz weit weg wo uns niemand wieder so etwas antun wird wie jetzt!"
Isabella lächelte leicht.
Das klang so schön.
„Ich kann nicht!"
Entgeistert starrte Collin sie an.
„Warum nicht?"
Nervös biss sich Isabella auf die Lippen und überlegte wie sie es am besten erklären konnte.
„Ich muss zu meinen Eltern, zumindest vorerst, ich muss sehen, ob es Ihnen gut geht!"
Erneut drehte sie sich zur Straße um, ehe sie sich wieder Collin zuwandte.
„Es kann sein, dass gleich jemand kommen wird, um mich abzuholen und du musst mir versprechen, das du nichts dagegen unternehmen wirst!"
Entgeistert starrte Collin sie an.
„Das werde ich sicher nicht, weißt du was sie dir antun werden!"
Isabella schüttelte entschieden den Kopf.
„Sie werden mir nichts tun!"
„Wie kannst du dir da so sicher sein?"
„Deinetwegen, du hast alle Menschen aus dem Südviertel in Sicherheit gebracht und schon bald werden Leute kommen und gegen sie antreten. Wenn sie das Begreifen werden sie einen Teufel tun mir etwas anzutun!"
Collin schnaubte.
„Oder auch nicht, wir reden hier vom Nordviertel, es scheut sich nie davor grausam zu sein!"
Lautstark biss Collin die Zähne zusammen.
„Sobald wir zurückkamen, kamen sie, sie zeigten nichts von Menschlichkeit, sie benahmen sich wie wilde Tiere, brachten wahllos Leute um, weil wir nicht verrieten, wo die anderen waren!"
Isabella schluckte.
„Es tut mir leid, was ihr erfahren musstet"
Collin packte nach ihrem Handgelenk.
„Verstehst du jetzt, warum du unbedingt wegmusst, warum du keine Sekunde länger mehr bei Ihnen sein darfst?"
„Du musst mir vertrauen Collin, ich muss meine Eltern noch einmal sehen!"
„Hast du irgendwelche Beweise dafür, dass jemand kommen wird?"
Collin nickte und kramte in seiner Tasche herum.
„Hier", er drückte ihr einen Brief und einen Zeitungsbericht in die Hand.
Geplante Befreiung, Migrantengruppe flieht aus Zwangsherrschaft , stand dort geschrieben.
„Das ist perfekt!", flüsterte Isabella.
„Darf ich mir das ausleihen?"
Collin runzelte die Stirn.
„Klar, aber was willst du damit anfangen!"
Isabella lächelte leicht, während sie mit den Fingern über das Zeitungspapier fuhr.
„Das ist unsere Karte in die Freiheit, wenn sie wissen, dass uns jemand zu Hilfe kommen wird, wird sich keiner trauen etwas zu tun!"
„Ich wäre mir da nicht so sicher", zweifelte Collin.
„Vertrau mir, ich kenne das Nordviertel, ich kenne die Menschen, sie werden nichts tun!"
Wieder begann Collin eine halbe Ewigkeit zu schweigen, dann seufzte er schließlich.
„Was ist dein Plan?"
„Ihr alle müsst euch verstecken, die Menschen vom System werden bald kommen und mich mitnehmen, dann werden sie mich zu meiner Familie bringen!"
„Warum sollen wir uns verstecken, wenn uns das System nichts tun wird?", fragte Collin argwöhnisch.
„Sie werden mir nichts tun!", korrigierte sie ihn.
Als Collin noch immer zu hadern schien, wurde Isabella nur noch nervöser.
Verstohlen blickte sie sich nach hinten um.
„Bitte Collin!", flehte sie ihn an.
„Vertrau mir bitte, nur dieses eine mal!"
Auf einmal hörte Isabella von weiter entfernt das Geräusch eines Autos, grelle Lichtstrahlen konnte man von weiter entfernt erkennen.
Sie kamen!
„Collin bitte bitte bitte, wir haben nicht viel Zeit!"
Schließlich nickte Collin.
„Wenn ich dich nicht wiedersehen werde, dann werde ich eigenhändig kommen und...", das wirst du, das wirst du versprochen, nur du musst dich jetzt schnell verstecken!", drängelt Isabella.
Noch einmal blickte Collin zu ihr, dann nahm er ihre noch immer ineinander verschlungenen Hände und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Hand, ehe er im dunklen verschwand.
Nun stand Isabella allein im Dunkeln und wartete, biss die Geräusche der Autos immer lauter wurden.
Ihr Herz pochierte wie wild.
Sie fühlte sich schrecklich, mehr als nur schrecklich, ihn so anzulügen, doch sie wusste auch, dass es nötig war, zu seiner und aller Sicherheit.
Isabella blieb stocksteif stehen und wartete, bis schließlich die Autos stehen blieben und die Menschen ausstiegen, um sie festzunehmen.
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