Kapitel 2

Als Isabella am nächsten Morgen verschlafen die Augen öffnete, wusste sie genau, was heute für ein Tag war.
Es war Montag, und dies bedeutete, dass die Schule wieder begann.
Seufzend ließ Isabella ihre Bettdecke zur Seite fallen, und stand widerwillig aus ihrem gemütlichen Bett auf.
Es war nicht so, dass Isabella die Schule nicht leiden mochte, ganz im Gegenteil, sie liebte es neue Dinge zu lernen, Geschichten über ferne Orte und Kulturen, obwohl sie das meiste schon wusste.
Dank eines Vaters, der für das System arbeitete, wusste Isabella vieles über die Politik und Geschichte ihres Landes und da der Unterricht ihn ihrer Schule hauptsächlich aus Erklärungen und Fakten über das System bestand, schrieb sie steht's mehr als nur gute Noten.
Doch obgleich Isabella anscheinend so viel zu wissen schien, fühlte sie sich auch manchmal so, als würde sie rein gar nichts über das System wissen.
Natürlich hatte sie reinstes Vertrauen in die Politik, in ihren Vater, sie wusste wie gut das System war, wie tapfer es für das Wohlergehen der richtigen Leute kämpfte, doch mit welchen Mitteln und wie sie all das schafften, darüber hatte Isabella keine Ahnung.
Doch gleichzeitig ohrfeigte sich Isabella innerlich für ihre schrecklich neugierigen Gedanken.
Sie war ein Mädchen, dass nichts mit der Politik des Systems zu tun hatte, also hatte sie sich auch dort rauszuhalten.
Nach dem sich Isabella im Bad fertig gemacht hatte, schlüpfte sie in ihre dunkle Uniform, die selbstverständlich mit dem berühmten Wappen des Systems, nämlich einem Greifvogel versehen war.
Natürlich würde Isabella lieber ihre eigenen Sachen tragen, doch alles in einem gefiel ihr ihre Schuluniform recht gut.
Sie bestand aus einen schlichten Schwarzen Rock, einem dunkelblauen Rollkragen Pullover und einem dazu passenden Blazer.
Isabella war der Meinung, dass es auch durchaus schlimmere Uniformen geben könnte.
Nach einem ausgewogenen Frühstück mit frisch gebackenen Croissants, leckeren Obst und frisch gepressten Orangensaft, machte sich Isabella auf den Weg.
Da ihre Schule nur wenige Straßen von ihrem Haus entfernt war, lehnte sie es ab gefahren zu werden, sondern bevorzugte es zu gehen.
Einige Mitschüler lächelten Isabella freundlich an, als sie ihre Tasche auf ihren Holzpult fallen ließ.
Isabella nickte ihren Mitschülern kurz schüchtern zu, dann wandte sie ihren Blick zu Tafel.
Ein Blick auf die Uhr verriet Isabella, dass sie noch Zeit bis zum Unterrichtsbeginn hatte.
Aus diesen Gründen entschied sie sich dazu, noch ein wenig in ihrem Lieblingsroman herumzublättern.
Natürlich hätte Isabella auch zu der großen Mädchengruppe gehen können, die lachend auf ihren Pulten saßen und sich ausgelassen über ihr Wochenende unterhielten, doch dazu hatte Isabella nicht sonderlich große Lust.
Also steckte sie ihre Nase lieber tief in ihr Buch und blendete alles um sie herum aus.
Ein Räuspern und leises Gekicher, riss Isabella aus den Fantasien ihres Buches.
Verwirrt blickte sie auf und realisierte, dass die Lehrerin schon den Raum betreten hatte.
Alle Schüler waren aufgestanden, nur Isabella saß noch auf ihrem Platz.
Natürlich lief sie knallrot an, erhob sich und murmelte ein kleines „Entschuldigung"
Die Lehrerin nickte lediglich und wendete ihre Aufmerksamkeit wieder der Klasse zu.
„Guten Morgen Frau Lehrerin"
Ertönten daraufhin alle Schüler wie aus einem Chor, dann legten alle wie gewohnt die Hand auf die Brust und sprachen die Hymne.

Wir danken dem System.
Wir danken dem System, für den Schutz und die Sicherheit die wir kriegen.
Wir Danken dem System für das Leben, das wir ermöglicht kriegen.
Dafür schwören wir feierlich....
Unserem System Blinde zu vertrauen,
Die engsten Vertreter des Systems bis zu ihrem Tode zu verehren,
Allen Forderungen und Bitten zum Wohle des Volkes bedingungslos zu folgen,
Und es zu ehren und zu lieben.
Darauf schwören wir.

Schon lange konnte Isabella diese Worte auswendig.
Es war wie eine Art Gebet für sie geworden, dass sie stillschweigend, wann immer es nötig war, vor sich hin murmelte.
Nach den Worten aller Schüler, lies sich Isabella wieder auf ihren Platz fallen und folgte den Worten ihrer Lehrerin.
Sie hörte um sich herum, ein lautes Gejubel der Schüler die sich freuten, nach dem die Lehrerin verkündete, dass am Nachmittag ein Ausflug stattfinden sollte.
Isabella seufzte jedoch nur lediglich.
Sie hatte nicht sonderlich große Lust Auswärts zu gehen, viel lieber saß sie hier auf ihren Platz und hörte den Worten des Lehrers zu.
Alles in einem musste sie jedoch feststellen, dass es ein recht guter Schultag wurde.
Sie laßen endlich das Stück weiter , dass sie vor einigen Tagen begonnen hatten zu lesen.

Da jede Art von Buch Isabella wie magisch anzog, hatte sie natürlich das Stück schon durchgelesen.
Trotzdem genoss sie die Aufgabe, die nächsten Seiten zu lesen und anschließend eine Textzusammenfassung zu schreiben.
Eine angenehme Ruhe legte sich über den Klassenraum.
Hier und da tuschelten ein paar Mädchen vor sich hin, doch ansonsten war jeder Schüler auf die eigenen Wörter seines Buches konzentriert.
Sofort entspannte sich Isabella und versank tief in den Worten des Autors.
Dabei blendete sie automatisch, so wie sie es fast immer bei einem Buch tat, ihre ganze Umgebung um sich herum aus.
Viel zu schnell las sie sich die vorgegebenen Worte durch und schrieb anschließend ihren Aufsatz.
Das laute Gerede der Mitschüler um sie herum und das schrille Klingeln der Schulglocke, riss Isabella aus ihren tiefen Gedanken.
Die Lehrerin hatte bereits den Raum verlassen und die Schüler saßen um ihre Tische herum und begannen ausgelassen von ihrem Leben zu erzählen.
Isabella seufzte resigniert.
Normalerweise hätte sie sich nun am liebsten mit einem Buch aufs Schulgelände verdrückt.
Irgendwo alleine wo sie ungestört war.
Doch sie wusste, dass das ihr Vater überhaupt nicht guthieß.
Nach dem nämlich ihre Lehrerin Isabellas Familie darauf angesprochen hatte, wie häufig sie Isabella alleine für sich auf dem Schulhof sah, hatte ihr Vater ein klärendes Gespräch mit ihr verlangt.
„Das kannst du doch nicht tun Kind!", hatte er tadelnd gesagt und gleich darauf hatte ihre Mutter zum Hörer des Telefons gegriffen und eine der vielen Mädchen aus ihrer Klasse gerufen.
Natürlich eine der beliebtesten.
Diese platze natürlich vor stolz, als sie das erste Mal in das Berühmt berüchtigte Haus von Isabellas Familie eintreten durfte und weite sie dafür in jedes Mädchentreffen ein.
Danach musste Isabella ihren Eltern heilig versprechen, dass sie jede Pause mit diesem Mädchen verbringen würde.
Widerwillig rappelte sich Isabella also auf und ging zu den Tischen der anderen rüber.
Zugegeben sahen alle Mädchen dieser Klasse, vielleicht auch dieser Schule, gleich aus.
Alle hatten blondes, langes Haar, obgleich keines so hell wie dies von Isabella war.
Manche waren dunkelblond, manche gingen auch in stärkere und weniger stärkere Rottöne über, doch im Endeffekt waren alle blond und jedes Mädchen sah sich zum Verwechseln ähnlich.
Oft fragte sich Isabella, ob sie wie die anderen, auch jeden Mädchen ähnlich sah.
Sie wusste nicht wieso, doch aus irgendeinen unbefindlichen Grund, trieb ihr dieser Gedanke einen Schauer über den Rücken.
„Hallo", murmelte Isabella schüchtern und ließ sich auf einen Platz neben Blondi Nummer Eins nieder.
In Isabellas Gedanken hießen alle Blondi, obgleich sie selber Blond war, doch sie hatte schon lange aufgegeben die Namen genau zu kennen.
Um sie unterscheiden zu können nummerierte sie einfach alle von 1-10 durch, je nach dem, wer nach ihr die hellsten Haare hatte.
Zunächst kam sich Isabella nach dieser Idee ziemlich dämlich vor, doch schon bald merkte sie, dass dies ziemlich gut klappte und blieb dabei.
„Und wie war dein Wochenende?"
Fragte Blondi eins neugierig.
Isabella zuckte mit den Schultern.
„So wie immer", erwiderte sie lediglich.
Blondi 1 schien über die Antwort ein wenig enttäuscht zu sein.
Sie hatte sich wohl eine spannendere Story erhofft, doch da musste Isabella sie jedoch leider enttäuschen.
„Also mein Wochenende wahr einfach spitze!" , sagte sie stattdessen und begann in einen fort sich über ihr Wochenende auszulassen.
Nach eine Weile bemühte sich Isabella gar nicht mehr zuzuhören, sondern nickte lediglich und lies ab und zu ein „Ach wie Interessant" von sich hören, um nicht unhöflich zu wirken.
Dies war wieder einer der vielen Momente, in denen sich Isabella einsam fühlte.
Klar, sie hatte viele Freunde und sie schienen auch alle sehr freundlich zu ihr zu sein, deswegen sollte sie sich auch nicht beschweren, dennoch fühlte sich Isabella ihnen einfach nicht zugehörig.
Auch wenn sie die gleiche Haarfarbe hatte, aus der gleichen Gegend kam, und auch sonstige Merkmale der anderen Mädchen aufwies, fühlte sie sich ihnen nun mal einfach nicht wie sie.
Als die Lehrerin wieder pünktlich zum Unterrichtsbeginn in die Klasse trat, konnte Isabella nicht anderes als zu lächeln.
Sie wollte endlich wieder ihren Text zu Ende verfassen.
Nachdem sie jedoch noch weitere Fünfzehn Minuten an ihren Aufgaben beschäftigt gewesen war, rief die Lehrerin die Schüler dazu auf, sich für den Schulausflug bereitzumachen.
Seufzend erhob sich Isabella und folgte den Schülerinnen und Schülern aus der Klasse hinaus.
Obwohl ihr eingetrichtert wurde, sie solle sich nicht von anderen abschotten, blieb sie diesmal dennoch im Hintergrund und blätterte ein wenig Gedankenverloren in ihrem Buch herum.
Nach einer Weile hatte Isabella schon so eine Ahnung, wohin der Ausflug gehen sollte.
Zum Hauptsitz des Systems.
Der Ort an dem ihr Vater arbeitete, der Ort, an dem sie schon viele male, gewesen war.
Also wusste Isabella, dass sie und ihre Schulklasse noch einen langen Marsch vor sich hatten.
Ihre Schule befand sich zwar relativ im Zentrum der Stadt, jedoch war das Hautgebäude des Systems ganz im Sünden am Stadtrand.
„Wir müssen ja auch sicherstellen, dass wir auf jeden achten können, damit ja kein Unrecht entsteht.", hatte ihr Vater gesagt, als Isabella ihn gefragt hatte, warum ein solch wichtiges Gebäude nicht näher an der Stadt lag.
Dies bedeutete, dass die Klasse noch durch das komplette Südviertel laufen musste.
Isabella pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Zugegeben wurde sie immer ein wenig nervös, auch nur in die Nähe dieses Viertels zu gehen.
Schon von klein auf war Isabella zugeredet worden, sich vom Südviertel fernzuhalten.
Es sollte nur so von Dieben, Betrügern und sogar Mördern wimmern.
Außerdem sollten sie alle außerordentlich schmutzig und ungepflegt sein.
Alle diese Menschen, lebten in diesem Viertel, abgeschottet von der Zivilisation um ja nichts Falsches anrichten zu können.
Schon von fern konnte sie das Südviertel erkennen, die kleinen Zelte und vereinzelte Häuser, doch Isabella wahr fast noch nie dort gewesen.
Ihr Vater hatte netterweise jedes Mal, wenn er sie mit zur Arbeit nahm, dass Südviertel bedacht umfahren und dafür war sie ihm auch sehr Dankbar gewesen.
Je näher sie kamen, desto deutlicher erkannte Isabella das Schild mit der Aufschrift des Stadtviertels.
Doch davon schienen ihre Schüler nur weniger beeindruckt zu sein.
Alle hatten sich nur wenige Meter vor dem Schild um irgendetwas versammelt, da Isabella jedoch ganz hinten war, konnte sie nicht erkennen, wer oder was die Aufmerksamkeit von ihren Mitschülern auf sich lenkte.
Nun ging sie um einiges schneller und steckte ihren Roman weg, neugierig darauf, was dort hinten zu sehen war.
Als sie bei der Schülerversammlung angekommen war, spähte sie vorsichtig durch die Arme eines Mitschülers hindurch.
Sie erkannte einen Jungen, vielleicht ein wenig älter als sie.
Durch seine dunkelbraunen Augen, stach er so richtig aus der Menge hervor.
Man sah nicht sonderlich oft dunkle Haarfarben, obgleich es Isabella eigentlich recht schön fand.
Doch die Haarfarbe des Jungen schien nicht der Grund zu sein, weswegen ihn alle erstaunt betrachteten.
Viel eher waren es die Zeichnungen, die er mit einer dunklen Kreide auf den Boden zeichnete.
Als es Isabella endlich schaffte, sich von dem Gesicht des Jungen loszureißen, blickte sie auf den Boden und erstarrte.
Die Bilder, die der Junge malte, sahen traurig aus, finster und bedrohlich, doch trotzdem zog die Schönheit dieser Bilder einen magisch an.
Sie waren auf solch eine Art und Weise gezeichnet, dass Isabella das Gefühl hatte, meterweit in diese Bilder hineinschauen zu können, dass Sie mit nur einem großen Schritt, in der Welt dieses Bildes verschwinden könnte.
Besonders die Mädchen schienen alle Angetan zu sein, obwohl es wohl eher an dem Aussehen des Jungen lag.
„Und das hast wirklich du gemalt?", fragte Blondi Nummer drei beeindruckt und rückte näher an den Jungen.
„Das ist wirklich wunderschön!", sagte die andere.
„Willst nicht auch mal mich malen?", fragte Blondi eins und kräuselte mit ihren klimpernden Augen an ihren Harren herum.
Isabella konnte sich ein Augenverdrehen nicht verkneifen.
Den Jungen schien die Aufmerksamkeit anscheinend auch völlig kaltzulassen.
Er lächelte nur knapp und wandte seine Konzentration wieder den Bildern zu.
Nun hatte auch die Lehrerin bemerkt, dass die Klasse nicht mehr in Anwesenheit war und trottet gehetzt zu der Schüler Menge.
„Macht sofort das ihr hier wegkommt!", schimpfte sie.
Ihr Blick schien im Gegensatz zu den anderen völlig angewidert zu sein.
Verwundert blickte Isabella zu der Lehrerin und fragte sich instinktiv, wie man so etwas Wunderschönes nur mit so einer Abscheu entgegentreten konnte.
Doch dann fiel ihr Blick auf das Handgelenk des Jungen.
Es wurde gekennzeichnet durch ein Brantgemarktes Kreuz.
Isabella wusste für was dieses Kennzeichen stand.
Er war Bewohner des Südviertels.
Isabella war überrascht.
Sie hatte zugegeben nicht oft jemanden aus dem Südviertel getroffen und war darüber in der Vergangenheit auch immer mehr als froh gewesen.
Doch dieser junge Mann schien das völlige Gegenteil von ihnen zu sein.
Er trug zwar alte, zerfetzte Sachen, wirkte jedoch noch lange nicht schmuddelig und unrein.
Isabella kannte diesen Jungen zwar nicht, doch sobald sie in das Gesicht des Jungen sah, wusste sie, dass er einfach nicht Böse sein konnte.
Auch die anderen Schüler konnten den Blick der Lehrerin richtig deuten.
Der soeben noch ganz verliebte Blick der anderen Mädchen, verwandelte sich urplötzlich in einen Blick voller wieder und der Kreis um den Jungen herum begann sich allmählich wieder aufzulösen.
Nur Isabella blieb wie angewurzelt stehen und starrte wie gebannt auf die Bilder des Jungen.
Sie hatte plötzlich das Bedürfnis, eins der Bilder zu berühren, um sich zu vergewissern, dass es wirklich nur Bilder waren und nicht die Türen zu anderen Welten.
„Gefällt es dir?"
Fragte plötzlich eine tiefe Stimme und riss Isabella aus ihrem Bann.
Erschrocken blickte sie zu dem Jungen, der sie mit einem schiefen Lächeln betrachtete.
Dann blickte sie wieder zu den Bildern.
„Es ist wie Magie." ,flüsterte sie schließlich.
Instinktiv beugte sie sich nach unten und streckte die Hand aus, um die magischen Zeichnungen berühren zu können, doch dann hielt sie unsicher inne und richtete sich wieder auf.
Zu sehr hatte sie Angst davor, irgendetwas zerstören zu können.
„Du kannst es ruhig anfassen", sagte der Junge, als er Isabellas unsicheren Blick bemerkt hatte und lächelte belustigt.
Isabella nickte und streckte erneut ihre Hand aus, vorsichtig fuhr sie mit der Hand in Richtung Boden, bis sie schließlich mit ihrem Zeigefinger den kalten, steinigen Boden fühlte.
„Unglaublich", flüsterte sie und lächelte.
„Isabella wirst du sofort hierherkommen!", unterbrach sie die schrille, wütende Stimme der Lehrerin.
Sie blickte zur Absperrung des Südviertels.
Alle Schüler hatten bereits die Absperrung passiert und standen nun hinter dem großen Drahtzaun und warteten.
Nur die Lehrerin hatte es noch nicht betreten und blickte Isabella aus einer Mischung aus Ungeduld und ekel an.
Schnell richtete sie sich auf und folgte der Lehrerin durch die Absperrung.
Doch sie konnte es nicht lassen, wenigstens noch einmal zurückzublicken.
Doch als sie den Blick des Jungen erkannte, erschrak sie.
Noch nie hatte sie jemand mit solch einer Abscheu angeschaut.
„Ausweis bitte", ertönte auf einmal die genervte Stimme des Wachmanns und lies Isabella zusammenzucken.
Schnell kramte sie in ihrer Tasche herum, bis sie den Ausweis gefunden hatte und reichte ihm das Papier.
Der Mann warf einen kurzen Blick darauf, trat zur Seite und ließ sie passieren.
Sofort merkte Isabella die Unterschiede zu ihrem Viertel.
Hier waren die Straßen dreckiger, es gab so gut wie keine Häuser, wenn nur kleine Hütten oder Zelte und Bäume und Grass schienen trocken und grau zu sein.
Es fühlte sich so an, als würde eine riesige große Gewitterwolke einzig und allein über diesem Viertel schweben und dieser Gegend all den Glanz und die Farbe nehmen und drohen alles zu erdrücken.
Die Bewohner der Südbereiches standen vor ihren Hütten und Zelten oder waren gerade mit ihrer Arbeit beschäftigt gewesen, doch alle schauten auf und starrten regelrecht die Klassentruppe an.
Sie selber hatten graue, kaputte Kleidung an, ihr Gesicht war verdreckt, doch alle hatten sie denselben Gesichtsausdruck.
Angst, Angst und Abscheu war in jedem einzelnen Blick dieser Menschen zu erkennen.
Schnell wendete Isabella den Blick wieder ab.
Sie wusste nicht wieso, doch weiter in die Augen dieser Menschen zu gucken bereitete ihr Angst.
Als sie nun endlich das Südviertel passiert hatten, konnte Isabella seit einer gefühlten Ewigkeit wieder ausatmen.
Die eben noch so bedrückende Stimmung verschwand, doch das Gefühl, das sich seit des Betretens dieses Viertels ausgebreitet hatte nicht.
Es war eine Mischung aus Scham und Mitleid.
Scham, weil Isabella mit ihren teuren Kleidern und ihren Designerschuhen durch dieses Viertel lief, während die meisten nicht einmal Schuhe trugen, geschweige denn genügend Kleidung für die derzeitigen Wetterverhältnisse an sich hatten.
Doch schnell schüttelte Isabella diese Gedanken wieder weg.
All die Leute hatten einen Grund warum sie in diesem Viertel gelandet waren, sie hatten es verdient.
Das hatte ihr Vater ihr immer hoch und heilig gepriesen.
Wenn sich einer schämen sollte, dann wohl sie und nicht Isabella.
Doch eine kleine Stimme in Isabellas Kopf fragte sich instinktiv, welche grausamen Taten diese Leute wohl begangen haben mussten, um solch eine Strafe verdient zu haben.
Der Hauptsitz des Systems kam immer näher und näher und das große graue Gebäude wurde größer und größer.
Schon immer hatte Isabella solch eine Größe beeindruckend gefunden.
Vor den Türen befanden sich zwei Wachleute.
Als sie die Schulklasse erkannten, ließen sie sie mit einem nicken passieren.
Isabella folgte der Schülergruppe in die große Empfangshalle, in der sie schon so oft gewesen war.
Derselbe große Empfangstresen, der selbe lange rote Teppich und derselbe goldene Kronleuchter.
Die Führung begann gleich dort.
Ein gelangweilter, mürrischer Mitarbeiter den Isabella ebenfalls einige male gesehen hatte, begann zu erzählen.
Schon bald verlor sie den Faden und konnte den Worten des Mannes nicht mehr folgen, doch als sie nach ihrer rosafarbenen Tasche griff um sich mit ihrem Roman ein wenig die Zeit zu vertreiben, realisierte sie erst, dass ihre Tasche weg war.
Erschrocken drehte sie sich um, doch ihre Tasche konnte sie nirgendwo finden.
Fieberhaft überlegte sie, wo sie diese Tasche wohl verloren haben könnte.
Dann fiel ihr das Südviertel ein.
Sie hatte sich in Richtung des Bodens gebeugt um die unglaublichen Zeichnungen berühren zu können, dabei hat sie wohl ihre Tasche unachtsam zu Boden fallen lassen.
Enttäuscht schnaubte Isabella auf.
Es ging ihr nicht mal um die teure Tasche, die ihr ihre Mutter vor einigen Monaten zum Geburtstag geschenkt hatte, nein es ging ihr viel mehr um dem Roman, den sie unbedingt wieder haben wollte.
Ihre Eltern hatten die Auswahl ihrer Bücher noch nie sonderlich geschätzt, genauer gesagt verabscheuten sie jede Art von Büchern, die nicht die Geschichte oder Tätigkeiten des Systems wiedergaben.
Sie hatten Isabella sogar schon einige weggenommen, mit der Begründung, dass diese sie nur vertrotteln würden und sie wusste das ihre Eltern nur das beste für sie wollten, doch trotzdem versteckte sie einige ihrer Bücher so weit in den tiefen Regalen der großen Bibliothek ihres Hauses, dass sie ihre Eltern nie fanden.
Nun konnte sich Isabella erst recht nicht mehr auf die Führung konzentrieren.
Nervös tippelte sie von einem auf den anderen Fuß und wartete geduldig, bis der Mann schließlich seine Führung beendete.
Als sich die Schüler Aufbruchsbereit machten, während die Lehrerin noch in einem Gespräch mit dem Führer war, ging Isabella schließlich zu ihr und räusperte sich.
„Wäre es in Ordnung, wenn ich mit meinem Vater heute Heim gehen könnte?"
Fragte sie zögerlich, da sie wusste, das ihre Lehrerin viel wert darauf legte, alle Schüler versammelt wieder ins Stadtviertel zu bringen.
Doch die Lehrerin nickte nur wissend und genehmigte es Isabella mit einem lediglichen „ In Ordnung!"
Dann machte sich Isabella auf den Weg zum Büro ihres Vaters.
Als sie die Tür zum Büro öffnete, stieg ihr wieder der gewohnte Zigarrengeruch ihres Vaters in die Nase.
Dieser saß an seinem Schreibtisch, vertieft in seine Unterlagen.
Als Isabella neben ihn trat, hob er seinen Blick und lächelte kurz.
„Und hat dir der Schulausflug gefallen?", fragte er, wieder seinen Unterlagen zugewandt.
„Nichts was ich nicht schon kenne", gab Isabella leicht schmunzelnd zurück.
„Allerdings...", kurz zögerte sie, doch dann fasste sie ihren Mut zusammen.
„Allerdings, habe ich wohl meine Tasche verloren, könnten wir sie auf dem Heimweg nochmal suchen gehen?"
Isabellas Vater seufzte resigniert.
„Wo hast du sie denn verloren?"
Isabella schluckte kurz.
„Im Südviertel", antwortete sie dann.
Sofort merkte Isabella, wie sich ihr Vater anspannte.
„Widerliche Verbrecher", zischte er.
„Nein, ich war dumm Vater, ich habe meine Tasche wohl aus dem Auge verloren"
„Sei nicht so naiv Kind, all diese Menschen sind zu schrecklichen Dingen fähig!"
Er sprang auf und packte nach seiner Jacke.
„Komm Isabella, wir holen deine Tasche!"
Isabella seufzte resigniert.
Hätte sie sich doch nur selber darum gekümmert.

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