Kapitel 14

Als Isabella an diesem Morgen in die Klasse kam, blickten sie ihre Mitschülerinnen so abwertend
und missbilligend an, wie noch nie.
Isabella Schluckte, zog die Schultern höher und vergrub sich in ihrer Jacke, obgleich sie wusste, dass sie dennoch jeder sehen konnte.
Isabellas gesellschaftlicher Status hatte ihr immer dazu beholfen, dass alle sie tolerierten und sogar mochten, ohne dass sie sich großartig für ihre Beliebtheit anstrengen musste.
Doch schließlich hatte sie es durch ihr merkwürdiges Verhalten doch geschafft, dass die Leute sie ablehnten, trotz ihrem gesellschaftlichen Status.
An diesem Tag fühlte sich Isabella an ihrem Pult in der ersten Reihe, so beobachtet wie noch nie.
Die einzig winzig kleine, positive Sache die Isabellas furchtbaren Tag wenigstens ein wenig erleichterte war der Fakt, dass heute die Literaturstunde auf dem Stundenplan stand und Gottseidank kein Mathematik.
Doch als die Klassentür aufging, guckte Isabella mehr als verdutzt als nicht ihre ältere Lehrerin wie gewohnt zu Tür hereinkam, sondern jemand anderes.
Es war eine junge Frau, ziemlich groß mit langen Beinen.
Ihre blonden Haare waren nicht akkurat, wie es die meisten Frauen so taten, in einen Strengen Dutt geflochten, stattdessen waren sie zu einem leicht unordentlichen Pony geschnitten, eine Frisur die Isabella nicht sehr bekannt war.
Doch die junge Frau sah so aus, als wäre es bei ihr selber nicht lange her gewesen, seit dem sie das letzte Mal die Schule besucht hatte.
Ein wenig nervös trat sie nach vorne zum Pult und räusperte sich.
Zunächst schien keiner der anderen Schüler zu realisieren, dass es sich bei ihr tatsächlich um eine Lehrerin handelt.
Deswegen dauerte es auch um einiges länger, biss endlich alle Schüler zögernd aufstanden und ruhig wurden.
Die blondhaarige Frau lächelte zögerlich.
„Ich freue mich euch alle kennenzulernen, meine Name ist Allison Vogt!"
Nervös strich sie sich eine Strähne ihrer blonden Haare zurück.
„Sicherlich fragt ihr euch alle, wo eure alte Lehrerin geblieben ist, nun ja traurigerweise musste sie aus gesundheitlichen Gründen früher in den Ruhestand gehen, weswegen ich nun für sie eintreten werde und euch die letzten Monate bis zu eurem Schulabschluss begleite!"
Kurz blickte sie hinunter ins Klassenbuch.
„Mit euren Lerninhalten habe ich mich bereits vertraut gemacht und würde gerne in der nächsten Stunde mit euch weiter an der Literaturgeschichte einzelner Werke arbeiten, aber heute möchte ich euch erstmal besser kennenlernen.
Sie griff hinter sich und holte einen Stapel voll Papier hervor den sie in der Klasse verteilte.
„Ich möchte gerne, das ihr ein paar Informationen von euch auf euer Blatt schreibt.
Ihr könnt es gerne auch malen oder es anders darstellen, mir ist es nur wichtig, dass ich euch ein bisschen besser kennenlerne und ihr den Bezug aus unseren Unterricht nicht verliert."
Ein Junge aus der letzten Reihe lachte spöttisch.
„Wir sind doch keine Babys mehr!"
Isabella vermutete, dass Ms Vogt nun noch aufgeregter und unsicherer als an Anfang werden würde, doch im Gegenteil, sie blieb ruhig und lächelte lediglich entspannt.
„Das stimmt, das seit ihr tatsächlich nicht! Und das könnt ihr mir durch eure Selbstdarstellungen gerne beweisen!"
Sie blickte zum Jungen und ihr Lächeln wurde noch breiter.
„Aber wenn du lieber schon gleich in die Arbeit einsteigen möchtest, kannst du schon mal damit beginnen einen Aufsatz zu dem Roman zu schreiben den ihr im Unterricht lesen solltet, du hast ihn doch sicherlich schon gelesen, oder?"
Sie zwinkerte ihm zu.
Der Junge der noch zuvor selbstsicher und spöttisch gewirkt hatte, lief nun leicht rot an und blickte schnell wieder hinunter zu seinem Pult.
Die Lehrerin klatschte in die Hände.
„Nun gut, fangen wir an, ihr habt ungefähr eine halbe Stunde Zeit!"
Als Isabella auf ihr leeres Blatt blickte, war sie völlig unentschlossen was sie schreiben sollte.
Was gab es denn spannendes über sie zu erfahren.
Isabella war doch komplett langweilig!
In Gedanken versunken kaute sie auf ihrem Stift herum, bis sie sich schließlich dazu entschloss etwas zu schreiben.
Und dann gab sie sich wieder ihrem Schreibfluss hin.
Erst als es in der Klasse wieder lauter wurde und sich Ms Vogt erneut räusperte, realisierte Isabella das sie die ganze halbe Stunde durchgeschrieben hatte.
In der kurzen Zeit, die die Schüler gehabt hatten, hatte sich Isabella dazu entschlossen ein Gedicht zu schreiben.
„Also, ich bin gespannt was ihr vorbereitet habt, natürlich müsst ihr nicht alle eure Ergebnisse vor der Klasse vortragen, allerdings würde ich mich freuen, wenn wir ein paar Ergebnisse hören könnten! Der Rest der nicht vortragen möchte, legt mir bitte am Ende der Stunde das Blatt auf das Pult!"
Sie klatschte in die Hände.
„Also, wer möchte anfangen?"
Ein Freund des Jungen der so eben eine sarkastische Bemerkung gemacht hatte, meldete sich grinsend.
Doch als er seine Ergebnisse vortrug, verdrehte Isabella lediglich die Augen.
Sein Vortrag bestand ausschließlich daraus, über sein Leben zu prallen und die Dinge, die er sich alles leisten konnte.
Auch Ms Vogt verzog leicht das Gesicht.
„Nun ja das klingt sehr interessant, aber wir haben nur wenig über dich selber kennengelernt, kannst du uns noch etwas anderes erzählen, etwas über Hobbys oder deine Lieblingsfächer?"
Er zuckte lediglich mit den Schultern und lächelte spöttisch.
„Warum ein Lieblingsfach, Schule interessiert mich nicht wirklich, ich brauche sie ja nicht!"
Ms Vogt hob eine Augenbraue.
„So denkst du das also?"
Der Junge nickte.
Er schien sehr überzeugt von sich selber zu sein.
„Ja natürlich, schließlich habe ich ja schon alles, was ich jemals erreichen wollte, warum also noch sich in der Schule bemühen!"
„Hm, sag mal, wo arbeitet denn ihr Vater?", fragte die Lehrerin.
Die Art und Weise wie sie sich auf die Lippe biss, sah so aus, als müsste sie sich zusammenreißen um nicht loszulachen.
„Er arbeitet für das System Miss!"
„Und was genau ist seine Aufgabe dort!"
„Die Verwaltung, er sortiert Akten, notiert sich wichtige Daten, er schreibt sogar manchmal Berichte!"
Wieder lächelte sie und lehnte sich gegen ihren Pult.
„Und du möchtest seinem Beruf später nachgehen nehme ich an?"
„Natürlich, ich bin dafür wie gemacht!", Selbstzufrieden lehnte er sich im Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Aber denkst du nicht auch, dass dein Vater lesen können muss, um diese Akten zu sortieren, um Berichte zu schreiben, sogar rechnen, um die Daten zu sortieren, oder ist der Beruf doch nicht ganz so komplex wie beschrieben?"
Die Klasse begann zu lachen und der Junge biss wütend die Zähne zusammen.
„Das wäre alles ein wenig schwierig ohne Schule, nicht wahr?", sie zwinkerte wieder, dann drehte sie sich zum Pult zurück und fuhr mit der Ergebnissbesprechung weiter fort.
Als Isabella am Ende der Stunde ihre Ergebnisse auf das Pult legte, lächelte Ms Vogt wieder ein wenig nervös doch trotzdem aufrichtig.
„Ich hoffe, du hattest ein wenig Spaß heute!"
Isabella nickte und versuchte ein genauso aufrichtiges Lächeln über die Lippen zu bringen, anlässlich ihres schlechten Tages den sie heute hatte, fiel es ihr jedoch nicht ganz so leicht.
Es stellte sich jedoch heraus, dass die Stunden bei Ms Vogt noch die besten des ganzen Tages waren.
Der restliche Tag wurde von Stunde zu Stunde schlimmer.
Am Ende des Tages war Isabella so froh, dass die Schule vorbei war, dass sie sich sogar freute zu gehen, obwohl sie wusste das sie noch in die Kirche gehen musste und den kompletten Rest des Nachmittags dort verbringen würde.
Gedankenversunken ging sie durch die verregneten Straßen.
Ob die anderen Mädchen aus ihrer Klasse wohl eines Tages ihr merkwürdiges Verhalten am Wochenende vergessen konnten?
Oder würden sie sie weiterhin behandeln als wäre sie verrückt?
Doch wenn Isabella genau darüber nachdachte, nahm sie es ihnen nicht wirklich übel, dass sie so über sie dachten.
Sie hatte sich nun mal merkwürdig in der letzten Zeit verhalten, also musste sie mit dem Konsequenzen rechnen.
Während Isabella in der Kirche saß, hörte sie kaum  was der Pastor sagte, schon wieder war sie  völlig in Gedanken versunken.
Nur wenn er sie direkt ansprach, antwortete sie, musste jedoch mehrmals nachfragen, weil sie nicht immer genau wusste, was er noch gleich gefragt hatte.
Als sich der Tag endlich zum Ende neigte und Isabella die Haustür hinter sich schloss, wahr sie gerade im Begriff in ihr Zimmer zu gehen, als sie die Stimme ihres Vaters hörte.
„Isabella kommst du einmal bitte!", hörte sie die Stimme ihres Vaters.
Verwundert runzelte Isabella die Stirn.
Seit dem ihre Eltern das mit dem Südviertel herausgefunden hatten, hatte ihr Vater kein einziges Wort mehr mit ihr geredet.
Dies war das erste Mal seit langem, dass sie ihn ihrem Namen rufen hörte.
Deswegen war Isabella auch sehr misstrauisch als sie in den Esssalon ging.
Als sie hineinkam saßen ihre Eltern am Esstisch.
Drei Tassen Tee standen vor ihnen, gemeinsam mit frischem Gebäck.
Isabella schluckte, anscheinend schien es wirklich irgendetwas Ernstes zu sein.
„Was gibt es?", sie räusperte sich schnell, damit ihre Stimme nicht ganz so piepsig klang.
Ihre Mutter wies lediglich mit einer einfachen Geste auf den Stuhl gegenüber von Ihnen.
„Setzt dich doch bitte."
Wortlos nahm Isabella Platz.
„Wir wollten mit dir gerne über die Regelungen reden, die wir in den letzten Wochen für dich vereinbar haben!", begann ihr Vater.
Wohl eher Strafe dachte sich Isabella.
„Was ist damit?", fragte sie.
„Wir möchten darüber neu verhandeln!"
Überrascht weitete Isabella die Augen.
„Ich dachte, da gäbe es nichts mehr zu verhandeln."
Kurz machte ihr Herz einen Sprung und ein so wunderschönes flattern breitete sich in Isabellas Brust aus, dass sie seit langem nicht mehr so gespürt hatte.
Doch dann wurde ihr Gefühl von Freiheit innerhalb weniger Sekunden durch einen einfachen und simplen Gedanken wieder zur Nichte gemacht.
Was brachte Isabella diese Freiheit, wenn sie sie nicht auf diese Weise nutzen konnte, wie sie es gerne wollte?
Niemals, solange ihre Eltern leben würden, würden sie Isabella erlauben jemals wieder ins Südviertel zu gehen.
Und was brachte Isabella die Freiheit, wenn sie sie nicht mit den Personen, den Freunden die ihr am liebsten waren Zeit verbringen konnte?
„Nun ja, wie uns zu Ohren gekommen ist, hast du dich in den letzten Wochen um einiges gebessert!
Du konzentrierst dich wieder mehr auf die Schule, schreibst gute Noten, sogar der Pastor lobt deine Besserung!"
„Und das bedeutet?"
„Dein Vater und ich kamen zu dem Schluss, dass du noch jung bist und es daher wohl nicht gerecht ist, dich zu sehr in deinen eigenen Vierwänden einzumauern, deswegen möchten wir das du wieder deine Freunde triffst, du darfst wieder zum Ballettuntericht gehen und wirst wieder Klavierunterricht haben!"
„Wirklich?"
Isabella hatte nicht erwartet, dass sie, sobald wieder ihre Hobbys wahrnehmen konnte.
Beide nickten.
„Natürlich haben wir aber trotzdem ein paar Bedingungen!", warf ihr Vater ein.
„Wir werden dich immer zum Ballettuntericht bringen und dich wieder abholen um der Klavierunterricht wird nach wie vor von Zuhause aus stattfinden! „
„Und muss ich immer noch zum Pastor?", hakte Isabella vorsichtig nach.
Ihr Vater nickte.
„Sicherlich!"
Isabella seufzte resigniert.
Sie betrachtete ihre Eltern neugierig.
Woher kam plötzlich ihr Sinneswandel?
Sie kannte ihre Eltern ganz genau, wenn sie erstmal etwas entschieden hatten, änderten sie es auch nicht.
Woher kam also ihr Geisteswandel?
„ Es gibt doch noch was, habe ich recht?", fragte sie.
„Wir haben am Samstag ein gemeinsames Essen!", begann ihre Mutter.
„Die Familie ist sehr nett und noch dazu sind es wichtige Menschen des Systems, wir würden es daher sehr schätzen, wenn du ein wenig Zeit mit dem Sohn verbringen würdest!"
Isabella stockte.
Nur deswegen gaben sie Isabella all diese Freiheiten.
Es hatte nichts mit Isabella an sich zu tun.
Isabella drehte sich der Magen um.
Sie haste solche arrangierten Treffen!
Doch dem Blick ihrer Eltern zu urteilen, gab es keine Diskussionsmöglichkeiten.
„Na schön, ich werde da sein, immerhin habe ich sonst nicht viel zu tun!", ergab sie sich seufzend.
Dennoch werde ich es von der ersten bis zur letzten Minute hassen!
Fügte sie in Gedanken hinzu.
Dann erhob sie sich.
Als sie sich jedoch gerade umgedreht hatte, um in ihr Zimmer zu gehen, fiel ihr noch etwas ein.
„Bekomme ich dann auch meine Bücher wieder?", fragte sie hoffnungsvoll.
„Der Pastor, riet uns zunächst erstmal auf deine Bücher zu verzichten, um dich erstmal auf das wesentliche zu konzentrieren, und die Gefahr zu vermeiden, dass du dich durch irgendwelche Fantasiereichen Inhalte ablenken lässt!"
Enttäuschung breitete sich in Isabella aus.
Ein weiterer großer Teil ihrer eigentlichen Freiheit ging futsch.
Doch anstatt etwas zu sagen nickte sie lediglich.
Sie wollte nicht ihren Vater erneut verärgern.
Sie war froh genug das er überhaupt mit ihr geredet hatte, obgleich es nur aufgrund des Treffens wahr, nicht unbedingt, weil es ihm daran lag mit seiner Tochter zu reden. 
Als Isabella am nächsten Tag wieder in der Schule saß, war ihr Gemütszustand zwar ein wenig besser als am vorherigen Tag, dennoch war sie immer noch nicht sonderlich gut gelaunt.
Was nützte denn ihre gewonnene Freiheit, wenn sie nicht einmal zu einem Buch greifen konnte.
Als der Unterricht aus war, packte Isabella gedankenverloren ihre Tasche vom Pult und war gerade im Begriff zu gehen, als ihr jemand von hinten auf die Schulter tippte.
„Können wir kurz miteinander reden?", fragte Ms Vogt.
Ein wenig überrascht nickte Isabella und ließ sich auf einen der Plätze, in der Nähe des Pultes nieder.
Ms Vogt wartete bis auch die letzten Schüler die Klasse verlassen hatten.
Dann schloss sie die Tür hinter sich, ging in Richtung ihres Pultes und lehnte sich ebenfalls gegen den Tisch.
„Ich habe dein Gedicht gelesen!", begann sie.
„Und ich war sehr beeindruckt, du kannst wirklich gut schreiben, die Innigkeit und die Gefühle, die du beschreibst, ich denke, du bist in diesem Fach deinen Klassenkameraden um einiges voraus!"
„Danke", murmelte Isabella etwas zögerlich.
„Auch deine Aufgaben hast du tadellos bearbeitet, kennst du den Roman schon, den wir momentan durchnehmen?"
Isabella nickte.
„Ja, ich habe das Buch bereits gelesen."
„Hm dann frage ich mich, warum du dich kein einziges Mal im Unterricht beteiligt hast?"
Isabella wusste nicht so recht was sie darauf antworten sollte.
Obwohl Isabella wieder sehr gute Noten schrieb, wahr sie im Unterricht tatsächlich sehr schweigsam geworden.
Und gerade seit dem ihre Mitschüler nicht mehr die größten Fans von ihr waren, scheute sie sich davor sich im Unterricht zu melden.
Ms Vogt erhob sich wieder von ihrem Platz.
„Nun ja, ich würde mich jedenfalls freuen, wenn du dich von nun an mehr melden würdest, aber natürlich liegt das bei dir!"
Isabella erhob sich ebenfalls.
„Ich versuche mich von nun an zu bessern!", versprach sie und meinte es auch ehrlich.
Isabella hatte nur noch wenige Monate Schule, sie musste sich nun wirklich anstrengen.
„Auf Wiedersehen Ms Vogt!", verabschiedete sich.
„Noch eine Frage?"
Neugierig drehte sich Isabella zu Ms Vogt um.
„Liest du viel Isabella?"
„Ja, ich meine Nein, ich meine ich lese gerne, aber leider komme ich momentan nicht oft dazu", versuchte Isabella unverständlich zu erklären.
„Naja, wenn du vielleicht irgendwann mehr Zeit hast, hast du vielleicht Lust mal dies hier zu lesen!"
Sie legte Isabella ein Buch mit einem dunklen Umschlag in die Hand.
Mit kribbelnden Fingern griff Isabella danach.
Innerlich machte ihr Herz Saltos.
„Vielen Dank, das lese ich sehr gerne!"
Dann ging sie lächelnd Richtung Ausgang.

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