Dieses Jahr nur ein Wunsch

„Acht, neun, zehn, elf,...", ertönt es leise aus der Ecke des Raumes. Brezl dreht amüsiert den Kopf in Klaus Richtung und lacht leise. „Bist du immer noch nicht fertig?"
„Nein.", gibt er schmunzelnd zurück. Brezl grinst daraufhin breit und streicht weiter ein kleines Holzauto mit grüner Farbe an.
So leise summend und vor sich hin murmelnd erinnern sie manchmal an zwei kleine Kinder, die mit ihren Kuscheltieren spielen und die gesamte Außenwelt um sich herum vergessen. Wie sie vollkommen in ihre Fantasiewelt eintauchen und erst wieder herauskommen, wenn sie unterbrochen werden. In diesem Moment verpufft alles und die Realität taucht vor ihren Augen auf.
Genau so passiert es auch jetzt, als sich die schwere Holztür langsam mit einem Knarren öffnet und ein groß gewachsener Mann die weihnachtlich geschmückte Werkstatt betritt. Alle Geräusche verstummen und Klaus und Brezl sehen zu dem Neuankömmling. Er trägt einen roten Mantel, welcher an den Rändern weißes Fell hat, und eine dazu passende Mütze.
„Hey, Santa!", begrüßen schließlich die beiden anwesenden Elfen den Mann und grinsen über beide Ohren.
„Wie ich sehe, seid ihr noch an der Arbeit.", lächelt dieser sie warm an, woraufhin Karl und Brezl zustimmend nicken und einen Blick auf ihre aktuellen Basteleien werfen, um schließlich ihre Mal- und Häkelutensilien wegzulegen und ihre gesamte Aufmerksamkeit auf den Weihnachtsmann zu richten.
„Ist noch viel zu tun?", will er wissen und lässt sich auf einem ledernen Sessel in einer Ecke des Raumes nieder.
„Fast alle Wünsche werden schon von den anderen bearbeitet, aber wir haben hier noch ein paar, die ich sowieso mit dir besprechen wollte.", erklärt Klaus, zieht fünf zusammengefaltete Briefe aus einer Schublade des Tisches, an dem er sitzt, hervor und wirft Brezl zwei davon zu. Unwissend, was darin steht, öffnet sie willkürlich einen der beiden und beginnt vorzulesen: „Lieber Weihnachtsmann, bitte lass meine Eltern nicht mehr so traurig sein, weil ich nicht mehr so lang bei ihnen sein kann. Deine Johanna."
Betroffen blicken sich die beiden Elfen an und wenden sich dann an Santa. Obwohl er die Antwort bereits kennt, fragt Klaus dennoch: „Was tun wir?" Es ist nicht das erste Mal, dass ein Kind an einer unheilbaren Krankheit leidet und ihm nicht mehr viel Zeit mit seiner Familie bleibt. Und jedes Mal verspürt man dieses selbe Gefühl: Die Unfähigkeit etwas zu tun, die Trauer, um eine Person, die man nicht kennt.
„Nichts. Wir können ihr Leben nicht verlängern oder die Emotionen der Eltern verändern.", entgegnet der Weihnachtsmann niedergeschlagen, nimmt den Brief von Brezl entgegen und lässt ihn in eine der beiden Taschen seines Mantels gleiten.
„Was haben wir noch?", fährt er fort und verdrängt das kranke Mädchen aus seinen Gedanken.
Klaus räuspert sich leise und liest schließlich einen seiner Briefe vor: „Allerliebster Santa, kannst du bitte machen, dass sich die Leute nicht mehr bekämpfen? Liebe Grüße, dein Ben." Schweigend starrt er anschließend auf die krakelige Schrift, bevor er den Kopf schüttelt und zu seinem Boss sieht.
Natürlich ist wieder allen klar, dass sie nichts gegen die Kriege auf der ganzen Welt ausrichten, sondern nur zusehen und hoffen können. Hoffen, dass den Menschen irgendwann bewusst wird, dass es nichts bringt, sich gegenseitig zu bekämpfen und dass sie sich dadurch nur selbst schaden.
Ohne einen Kommentar zu geben, steckt der Weihnachtsmann den beschriebenen Zettel in seine Manteltasche zu dem anderen dazu.
Still hängen sie alle ihren Gedanken nach, darauf wartend, noch mehr Briefe dieser Art vorgelesen zu bekommen und zu merken, dass sie unfähig sind, etwas an der Situation zu ändern.
„Hallo, Santa. Kann meine Familie bitte für immer so bleiben, wie sie jetzt ist?"
„Süß.", lächelt Brezl und gibt den Brief an den Weihnachtsmann weiter, welcher ihn ebenfalls leise noch einmal durchliest.
„So schön der Wunsch auch ist, wir können ihn nicht erfüllen." Mit einem traurigen Lächeln faltet er ihn wieder zusammen und lässt ihn in seine zweite Manteltasche fallen.
„Lieber Weihnachtsmann, bitte lass die Menschen aufhören, den Planeten zu zerstören." Noch während Klaus vorliest, verdunkelt sich seine Miene. Bedrückt hält er den Zettel Santa entgegen, welcher ihn schließlich nimmt und in seiner Tasche verschwinden lässt.
Es ist jedes Jahr dasselbe, auch wenn es selten ist und nur ein paar Kinder weiter denken als an die neuste Playstation oder ein teureres Handy. Aber wenigstens ist es schön zu wissen, dass nicht alle nur an sich denken. Und trotzdem verblasst dieses Bewusstsein mit der Zeit immer mehr. Die Meisten blicken einfach nicht über den Tellerrand hinaus.
Betrübt entfaltet Klaus den letzten Brief und hält ihn Brezl entgegen, damit sie ihn vorlesen kann. „Hallo, lieber Weihnachtsmann, bitte sorge dafür, dass Menschen sich akzeptieren, egal wie sie aussehen. Dein Tom."
„Können wir wirklich nichts tun?", will der Elf enttäuscht wissen und blickt zu seinem Chef, welcher nur leicht den Kopf schüttelt, ihm den Zettel aus der Hand nimmt und in seiner Manteltasche verstaut.
Mit einem leisen Seufzen steht er auf und verlässt mit einem ‚Macht einfach weiter.' die Werkstatt. Traurig sehen sich Klaus und Brezl an, bevor sie wieder nach ihren Bastelutensilien greifen, um sich wieder an die Arbeit zu machen.
Kein fröhliches, monotones Murmeln von Zahlen oder Summen ist mehr zu hören. Eine bedrückende Stille legt sich über den Raum, jeder ist mit den Gedanken bei einem der Kinder, deren Wünsche sie nicht erfüllen können, so gerne sie es auch würden. Sie können nur hoffen, dass die Menschen selbst die Initiative ergreifen und verstehen, was sie sich selbst und dem Planeten antun. Aber bald beginnt ein neues Jahr und vielleicht wird dann alles anders.

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