Kapitel zwei
China war immer noch da, als Mom nach Hause kam.
"Oh, guten Tag, Mrs. Young." Meine Mutter sah überrascht aus. "Wollen Sie zum Essen dableiben?"
Sie kannte China nur flüchtig.
"Nein, nein, machen Sie sich keine Umstände. Ich wollte sowieso gerade gehen. Übrigens können Sie mich gern China nennen."
Moms Lächeln war unsicher. "Schon in Ordnung. Ich bin nicht mit vielen Leuten per Du."
"Also, China, ich komme dann morgen wieder, wenn es okay ist", sagte ich schnell, um die peinliche Situation aufzulösen.
China nickte lachend. "Natürlich ist es okay. Dann Tschüss, Lily. Und guten Tag, Mrs. Marshall."
Meine Mutter nickte zum Abschied.
"Also, Lily", sagte sie zu mir, als China gegangen war. "Was ist los? Du scheinst dieser Frau ja mehr zu erzählen als mir."
Sie nickte in Richtung des Küchentisches, auf dem die bereits geschriebenen Seiten meines Manuskriptes lagen. Der Titel "Wie Javier Terrell mich Schlampe nannte", stand in dicken Buchstaben auf dem Titelblatt.
"Diese Art der Rache führt zu nichts", sagte sie ein wenig ruhiger. "Aber ich nehme an, diese China hat dich darin noch bestärkt, oder?"
Ich nickte, dann schüttelte ich den Kopf. "Kann sein. Aber darum geht es hier nicht. Ich will mich nicht für den Verlagsvertrag rächen, den ich bekommen habe. Das Buch ist keine Geschichte, mit der ich Javier Terrell schlechtmachen will. Es basiert auf wahren Begebnissen."
Meine Mutter setzte sich und betrachtete das Manuskript. "Dann willst du mir wirklich erzählen, der Geschäftsführer von Lilium Publishing hätte dich Schlampe genannt? Warum sollte er so etwas tun?"
Seufzend zog ich den Brief aus der Tasche. Er war inzwischen völlig zerknittert.
Mom nahm ihn entgegen und las ihn. Ich konnte sehen, wie ihr Gesichtsausdruck während des Lesens von verwirrt zu empört wechselte. "Das hat niemals Javier Terrell geschrieben!", rief sie. "Das ist irgendeine blöde Fälschung, um deine Geschichte glaubhaft wirken zu lassen. Du gehst zu weit, Lily. Ich will ja auch, dass du ein Buch rausbringst und es Leute kaufen, aber nicht so."
"Es ist keine Fälschung. Wirklich nicht", versicherte ich ihr, und dann erzählte ich ihr von Aramis. Sie schien sich nicht sicher sein, ob sie mir glauben sollte, also versuchte ich es noch einmal:
"Warum sollte ich so etwas tun, wenn doch niemand drauf reinfällt? Du hast ja auch gleich gedacht, dass es eine Fälschung ist."
Sie seufzte langsam. Faltete den Brief wieder zusammen und gab ihn mir zurück. Ich stopfte ihn unsanft wieder in die Tasche meiner löchrigen Jeans.
"Dann willst du dieses Buch jetzt schreiben, um dich dafür zu rächen, dass Javier Terrell deine potenzielle Beziehung zerstört hat?" Sie sah besorgt aus. Wenigstens schien sie mir nun endlich zu glauben. "Du solltest dich nicht mit ihm anlegen, Lily - selbst wenn du einen Weg findest, es zu veröffentlichen. Er ist der mächtigste Mann des Konkurrenten. Er kann dich mit einem Befehl ins Gefängnis bringen. Oder Schlimmeres!"
"Er hat mir Konsequenzen angedroht, wenn ich mich nicht von Aramis fernhalte", sagte ich. "Davon, ein Buch über ihn zu schreiben, hat er nichts gesagt."
"Das wird ihn nicht davon abhalten, dein Leben zu zerstören. Das von mir und deinem Vater womöglich auch. Vielleicht sogar das von diesem Aramis."
Ich biss mir auf die Unterlippe. Die Vorstellung gefiel mir gar nicht. Aber dieses Risiko musste ich wohl eingehen. Mich nicht zu rächen war nämlich für mich auch keine Möglichkeit.
"Es ist meine Entscheidung, Mom. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest ... ich würde gerne weiterschreiben. Ich habe heute wegen Chinas Besuch noch nicht viel aufs Papier gebracht und muss morgen Hunde ausführen gehen, um Geld für den Druck zu verdienen. Ich sollte jetzt wirklich noch ein paar Seiten schreiben, sonst wird das Buch nie fertig." Ich warf nervöse Blicke in Richtung meiner Schreibmaschine, die auf dem Tisch stand. Vielleicht übertrieb ich dabei ein wenig. Aber ich wollte dieses Gespräch hier nicht mehr weiterführen.
Mom stand wieder auf. "Für diese Rache ist es dir also wert, Hunde ausführen zu gehen. Aber daran, mir auf diese Weise bei der Miete zu helfen, hast du nie auch nur einen einzigen Gedanken verschwendet."
"Mom ..." Ich konnte sie nicht länger ansehen. Sie hatte recht. Sie hatte völlig recht. Ich hatte nur immer gedacht, dass ich die Schule nicht abgebrochen hatte, um Hunde ausführen zu gehen, und dass ich in erster Linie als Schriftstellerin arbeiten und auf diese Weise irgendwann die Miete bezahlen würde. Nun, da ich wusste, dass ich all meine Bücher bisher umsonst geschrieben hatte, erschien mir diese Entscheidung geradezu lächerlich.
"Du bist noch nicht volljährig, Lily, und ich bin deine Erziehungsberechtigte - egal, wie wenig ich zu Hause bin und wie erbärmlich ich auf dich wirken mag." Die Stimme meiner Mutter hatte einen scharfen Klang angenommen, den ich so zuvor nur selten gehört hatte. "Und als solche verbiete ich dir, weiter an diesem Buch zu schreiben. Die Schreibmaschine ist konfisziert. Das Manuskript auch. Und du wirst nicht mehr in dieses Café gehen. Mein Leben ist schon zerstört genug. Es braucht nicht auch noch eine jugendliche Möchtegernrebellin, die den mächtigsten Mann des Kontinenten gegen unsere Familie aufhetzt."
Mit diesen Worten nahm sie die Schreibmaschine vom Tisch.
"Mom, bitte. Niemand wird erfahren, dass wir verwandt sind. Ich lasse euch völlig aus dem Spiel!"
Sie schüttelte den Kopf. "Wenn das Buch Javier Terrells Ruf wirklich so sehr schädigt, wird es nicht bei dir bleiben. Du hast doch gelesen, was er in diesem Brief an dich geschrieben hat: Wenn du Aramis je wiedersiehst, wird das Konsequenzen haben, die du dir nicht in deinen schlimmsten Albträumen vorstellen kannst. Und ich glaube nicht, dass ein Roman über diese Ereignisse für Terrell weniger schlimm wäre als ein paar Treffen mit Aramis."
Es hatte wohl keinen Sinn, zu widersprechen. Resigniert verzog ich mich in mein Zimmer, wo ich nach irgendetwas suchte, mit dem ich schreiben konnte - vergebens. Bis zu meinem siebzehnten Geburtstag würde ich das wohl wirklich aufschieben müssen.
Der Gedanke gefiel mir gar nicht.
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