Kapitel zwei
Am nächsten Tag klingelte mein mechanischer Wecker um fünf Uhr. Ich zündete eine Kerze an und schrieb bis um halb acht, dann machte ich mich auf den Weg zu China's Café. Ich würde den ganzen Tag dort verbringen, hatte ich mir vorgenommen, mir blieb keine Wahl. Ich musste in den nächsten Tagen fertig werden, sonst konnte ich gleich ausziehen.
China sah ein wenig überrascht aus, als ich pünktlich um acht vor der Tür stand. "Ich dachte immer, du seist Langschläferin", bemerkte sie.
"Bin ich eigentlich auch", erwiderte ich matt. "Bring mir bitte einen Cappuccino. Ich bezahle ihn auch."
Sie schüttelte nur den Kopf. "Kommt nicht in Frage. Aber wenn du mal eine Pause einlegst, dann erzählst du mir, warum du so früh hier bist, in Ordnung?"
"Ich kann heute keine Pause einlegen, China", stöhnte ich, während ich mich an ihr vorbei ins Café drängte. "Ich muss durcharbeiten, bis du schließt."
"Dann viel Spaß mit deiner Schreibblockade", erwiderte sie trocken. "Kein guter Schriftsteller kann einen ganzen Tag lang vor seiner Schreibmaschine sitzen."
Sie musste es ja wissen. Vor dem großen Stromausfall war sie eine bekannte EBook-Autorin gewesen; ihre Bücher hatten sich wahnsinnig gut verkauft. Nun war alles weg und sie betrieb dieses kleine Café hier, aber das Wissen über das Schreiben hatte sie noch.
Dennoch konnte ich heute ausnahmsweise einfach nicht auf sie hören.
"Du verstehst das nicht." Ich setzte mich an meinen Lieblingstisch. "Ich muss das Buch fertig kriegen."
"Nein, das verstehe ich wirklich nicht. Aber es ist deine Sache. Ich bringe dir jetzt erst einmal deinen Kaffee, du siehst aus, als würdest du ihn brauchen." Sie verschwand in der Küche.
Wenig später kam sie zurück und stellte eine dampfende Tasse neben mich. "Wenn du bis in drei Stunden keine Pause eingelegt hast, dann kriegst du keinen mehr. Auch nicht bezahlt. Und wenn du bis in fünf Stunden keine Pause eingelegt hast, dann werfe ich dich eigenhändig raus", sagte sie wie beiläufig.
"Das würdest du mir nicht antun!", protestierte ich.
"Vielleicht schon."
Sie verschwand.
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder wütend werden sollte, aber schließlich entschied ich mich für keines von beiden und schrieb einfach weiter. Wenn ich trotz Pausen produktiv sein wollte, dann konnte ich mir keine Ablenkung erlauben.
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Ich wurde nicht fertig - was keine Überraschung war. Was mich jedoch wirklich nervte, war, dass ich nicht einmal wirklich gut vorankam. China hatte recht - Deadline-orientiertes Schreiben führte schlussendlich nur zu einer Schreibblockade. Und die kam natürlich prompt, ein hämisches Lächeln im Gesicht. Gegen vier Uhr.
Obwohl ich sogar drei Pausen eingelegt hatte.
Aber ich ignorierte sie einfach, so gut man eine Schreibblockade ignorieren kann. Ob das, was dabei rauskam, gut war, interessierte mich längst nicht mehr. Die Leseprobe für Lilium Publishing beinhaltete die ersten zehn Seiten, und obwohl sie einen ausdrücklich baten, das Manuskript vor der Einsendung der Leseprobe fertig zu haben, war die Qualität des Rests jetzt erst einmal völlig egal.
Ich musste es einfach nur fertig kriegen, für den Fall, dass sie plötzlich das ganze Manuskript verlangten. Oder eine Stichprobe, um zu beweisen, dass ich es fertig hatte. Ich hatte mal gehört, dass sie das gelegentlich taten. Und überarbeitet, auch mit Schreibblockade, war das Manuskript trotz allem immer noch besser als unüberarbeitet.
Außerdem schrieb ich zum Teil auch weiter, um etwas zu tun zu haben, während ich über meine erste Seite nachdachte - die ich noch immer nicht hatte.
China brachte mir einen Kaffee nach dem anderen, munterte mich auf, unterhielt sich in meinen Pausen mit mir. Ich wusste nicht, was ich ohne sie gemacht hätte. Wahrscheinlich meine Schreibmaschine an die Wand geworfen und aufgegeben. Denn danach fühlte ich mich jede Sekunde des heutigen Tages.
Zum ersten Mal in meinem Leben, zumindest fühlte es sich so an, wollte ich nicht mehr schreiben. Keine einzige Zeile mehr, zumindest für heute nicht. Ich hatte so was von genug, genug von meinem Buch, genug von Cappuccino mit süßer Sahnehaube (irgendwann bat ich China, mir stattdessen einen Tee zu bringen), genug von den Tasten der Schreibmaschine unter meinen Fingern. Ich wollte nur noch schlafen, denn China hatte recht, ich war Langschläferin.
Um halb zehn, als das Café eigentlich schon seit eineinhalb Stunden geschlossen hatte, verabschiedete ich mich, um mich auf den Rückweg zu machen. China warf mir einen mitleidigen Blick zu.
"Überanstreng dich nicht", riet sie mir. "Ich nehme an, du kommst morgen wieder?"
Schon nur beim Gedanken an morgen kriegte ich Kopfschmerzen, aber ich nickte. "Ja. Tut mir leid, wenn ich dich störe."
Sie lächelte. "Du störst mich doch nicht."
Ich bedankte mich mehrmals und ging dann schnell, um nicht die Ausgangssperre zu verpassen.
Ich kam kurz vor zehn zu Hause an, meine Mutter saß wie gewohnt auf dem Sofa und schaute mich streng an. Ich ignorierte sie und verschwand in meinem Zimmer. Ich schaffte es gerade noch, den Wecker auf vier Uhr zu stellen, bevor ich erschöpft und mit Tränen in den Augen einschlief.
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