Kapitel vier

Das Baby schrie. Ich hatte ihm Milch gegeben und seine Windel umständlich gewechselt, aber es schrie immer noch. Und ich wollte auch schreien.

Es fühlte sich an als würde ich schon stundenlang warten. In meinen Gedanken spielten sich die schlimmsten Szenarien ab und ich konnte nichts dagegen tun. Ich konnte nur hier sitzen und darauf warten, dass es an der Tür klopfte. Die Tür dauernd aufreißen, für den Fall, dass ich das Klopfen überhört hatte. Versuchen, mir keine Sorgen zu machen.

"Lily?"

Ich sprang auf. Jemand hämmerte gegen die Tür. "Lily, lass mich rein!"

Ich riss die Tür auf und Aramis stürzte an mir vorbei ins Haus. Er war blass, hatte die Augen weit aufgerissen. "Es gibt nun ein paar Leute mehr, die wir retten müssen."

Er flüsterte so leise, dass das Geschrei des Babys ihn beinahe übertönte.

"Was hat er getan?" Ich wollte es gar nicht wissen. Ich wollte nicht wissen, wozu ich diese Leute gebracht hatte, die Leute, die bereit gewesen waren, mich zu unterstützen.

"Sie gefangen genommen. Alle. Und so wie ich ihn kenne, freut er sich nun, noch mehr gegen dich in der Hand zu haben." Aramis ließ sich auf den Boden sinken und lehnte sich gegen die geschlossene Tür.

"Ich werde mich stellen." Meine Stimme bebte.

Er hielt mich am Arm fest, als würde ich jeden Moment weglaufen - und vielleicht war das sogar berechtigt. "Du wirst dich nicht stellen", sagte er.

"Oh doch, das werde ich." Ich versuchte, mich loszureißen, aber er hielt meinen Arm umklammert.

"Das bringt keinem was. Wir holen diese Leute da raus. Aber was Javier Terrell mit dir macht, wenn er dich kriegt, ist schlimmer als alles, was er diesen Leuten je antun würde. Er ist vielleicht wütend auf dich, aber er ist kein Monster." 

"Du verteidigst ihn schon wieder!", rief ich fassungslos. 

"Ich schildere nur die Tatsachen", erwiderte er. "Und wir haben jetzt keine Zeit für diese Diskussion. Wir brauchen einen Plan."

"Noch einen?", fragte ich trocken. "Was möchtest du denn noch tun?"

"Du könntest eine Fortsetzung schreiben."

Ich dachte nach. Vielleicht würde das tatsächlich etwas bringen. Vielleicht würde mir der Besitzer der Druckerei noch einmal helfen. Aber ich brauchte Zeit. Ich konnte diese Fortsetzung nicht in fünf Minuten schreiben. 

"Wie ungeduldig ist dein Vater?"

Aramis seufzte. "Sehr ungeduldig. Ich gebe dir zwei Tage, dich zu stellen."

Zwei Tage. Es war zu wenig, viel zu wenig. In zwei Tagen konnte man kein Buch schreiben, höchstens eine Kurzgeschichte. Aber es war der einzige Plan, den wir hatten. "Kannst du zu meiner Wohnung gehen und mir meine Schreibmaschine holen?", fragte ich Aramis. 

Er nickte. "Aber kümmere dich bitte um dieses Baby", seufzte er. Das Geschrei war seit dem Beginn unseres Gesprächs nicht abgebrochen. 

"Ich habe es versucht", stöhnte ich. "Ich habe ihm Milch gegeben, ich habe seine Windel gewechselt, ich habe ihm sogar ein Lied vorgesungen."

"Darum schreit es." Er grinste. "Ich bin bald wieder da."

Irgendwann brach das Geschrei ab. Das Kind musste eingeschlafen sein. Aber Aramis brauchte viel zu lange, um meine Schreibmaschine zu holen. Ich machte mir Sorgen, zählte die Sekunden, musste mich zum Atmen zwingen. 

Aber er kam zurück. Ich bedankte mich bei ihm, nahm ihm die Schreibmaschine ab und verzog mich ins Esszimmer, um am Esstisch zu schreiben. Aramis setzte mich neben mich, sah mir zu, streute hin und wieder einen Kommentar ein, bemühte sich aber, mich nicht abzulenken. Er brachte mir ein Stück Kaltbrot mit Käse zum Abendessen und zündete irgendwann eine Kerze an, damit ich die Nacht hindurch arbeiten konnte. 

Ich schlief keine Minute. Wahrscheinlich hätte ich ohnehin nicht einschlafen können. Eine Seite nach der anderen tippte ich ins Papier, ohne groß nachzudenken. Ich verzichtete dabei auf eine große Erzählung der Vorgeschichte, schrieb nur die wichtigsten Punkte auf, und erklärte dann ausführlich, das der Geschäftsführer von Lilium Publishing getan hatte - und was er möglicherweise noch tun würde, wenn man ihn nicht aufhielt. Aramis, der mitlas, verzog mehrmals das Gesicht, sagte aber nichts. 

Gegen Mittag des nächsten Tages war ich fertig. Es war nur ein erster Entwurf, unüberarbeitet und bestimmt mit vielen Tippfehlern, aber mehr brachte ich in der kurzen Zeit nicht zustande. Nach kurzer Diskussion mit Aramis erhielt das Manuskript den Titel Wie Javier Terrell mir drohte.

Ich nannte Aramis die Adresse der Druckerei, weil er das Manuskript dort vorbeibringen sollte. Ob er sich auf der Straße blicken konnte, wussten wir beide nicht, aber es war sicher besser als wenn ich ging. Und es war die einzige Option, die uns blieb. 

"Wenn du das nicht alles bei der Druckerei ablieferst, rede ich nie wieder ein Wort mit dir", drohte ich ihm. Er nickte. Ich vertraute ihm nicht, kein bisschen, nicht nach seinen Lügen, aber wenn ich selbst ging, würde ich mein Leben riskieren. Deswegen drückte ich ihm das Manuskript in die Hand. 

"Ich bin bald wieder da", sagte er. 

Er war kaum weg, als das Baby wieder zu schreien begann. Das Baby! Wir beide hatten es völlig vergessen. Ich rannte ins Schlafzimmer, nahm das weinende Kind hoch und begann, unbeholfen und schief, zu singen, während ich es zum Wickeltisch trug. Bei dem Geruch, den die gebrauchte Windel verströmte, drehte sich mir beinahe der Magen um. Es war das zweite Mal, dass ich diese Windel wechselte, aber daran gewöhnt hatte ich mich noch lange nicht. 

Mit spitzen Fingern entsorgte ich die Windel und holte eine neue aus dem Schrank. Das Kind schrie immer noch. Ich schämte mich richtig dafür, es nicht mehr beachtet zu haben, zumal ich auch noch daran schuld war, dass seine Mutter jetzt irgendwo in einem verriegelten Zimmer bei Lilium Publishing saß. 

.

Aramis kam zurück, als ich gerade Milch in eine Flasche füllte. 

"Was hast du mit dem Kind gemacht?", fragte er. Das Schreien war immer noch zu hören, die Windel zu wechseln hatte wenig gebracht. 

Milch rann über meine Finger, als ich die Öffnung der Flasche nicht traf. "Du lenkst mich ab", warf ich Aramis vor. 

Er lachte in sich hinein. 

Wenigstens reichte die Flasche, zusammen mit ein paar weiteren Liedern, aus, um das Kind vorerst zu beruhigen. Müde kehrte ich ins Wohnzimmer zurück und ließ mich auf das Sofa sinken. "War der Besitzer der Druckerei einverstanden?", fragte ich Aramis. 

"Er schien richtig glücklich zu sein. Ich kann die Manuskripte heute Abend abholen", erwiderte er. 

"Und er macht es kostenlos?"

"Hat er gesagt."

Ich lehnte mich auf dem Sofa zurück. "Ich hätte Wie Javier Terrell mich Schlampe nannte nie schreiben dürfen. Ich habe all diese Menschen in Gefahr gebracht, nur wegen meinen Racheplänen."

"Wegen ihren Racheplänen", korrigierte er mich. "Du hast niemanden zu etwas gezwungen. Hör auf, dir Vorwürfe zu machen."

Überrascht sah ich zu ihm hoch. Ich hatte erwartet, dass er mir recht gab, schließlich war er von Anfang an gegen das Buch gewesen. 

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