Kapitel fünf

Ich wurde nicht fertig. Aber ich bereitete die Leseprobe trotzdem vor, obwohl Aramis mir von dem Gerücht über die Stichproben erzählte - das ich natürlich bereits kannte - und sagte, dass er sich sicher wäre, dass da was dran war. Woher er so viel über das Schreiben wusste, war eine weitere Frage, die ich ihm gerne gestellt hätte, aber ich wusste, dass ich wahrscheinlich auch darauf keine Antwort erhalten würde. Er war wahnsinnig verschlossen, wenn es um ihn selbst ging. 

Jedenfalls steckte ich gegen acht Uhr abends meine ersten zehn Seiten in einem Umschlag, gemeinsam mit der Inhaltsangabe des Buches, meiner Autorenbiografie und einem kurzen Anschreiben. Ich klebte zwei Briefmarken auf den Umschlag und schrieb die Adresse von Lilium Publishing drauf. Es war das zweite Mal, dass ich das machte, aber das erste Mal, dass ich mich wirklich vor einer Absage fürchtete. Das letzte Mal war ich enttäuscht gewesen, klar, aber es hatte mich nicht wirklich überrascht. 

Nun zitterten meine Beine, als ich mich von China verabschiedete - Aramis war bereits gegangen - und mich auf den Weg zum nächsten Briefkasten machte. Bevor ich noch weiter darüber nachdenken konnte, warf ich den Umschlag ein. 

Als ich die Klappe des Briefkastens schloss, wäre ich vor Angst und Erleichterung beinahe zusammengebrochen. Am liebsten hätte ich mich einfach auf den Boden gesetzt und geschlafen, aber ich zwang mich, mich auf den Weg zu machen. Eine Strafe, weil ich nach zehn Uhr abends noch draußen war, konnte ich jetzt bestimmt nicht brauchen. Und meine Mutter auch nicht. 

Um halb neun war ich zu Hause. Meine Mutter saß auf dem Sofa, eine fast niedergebrannte Kerze neben ihr, und las ein Buch. Sie sah alt aus, viel älter als sonst. 

Ich schlang ihr die Arme um die Schultern und sie sah mich überrascht an. Ich konnte nicht verhindern, dass eine Träne meine Wange hinunterrann. "Ich habe das Manuskript gerade abgeschickt", sagte ich. 

Sie legte das Buch zur Seite und erwiderte meine Umarmung. "Noch genau zwei Monate bis zu deinem Geburtstag", sagte sie. "Du warst schnell."

"Ich bin nicht ganz fertig", gestand ich. "Aber ich kann den Rest meines Manuskripts in den nächsten Tagen noch schreiben. So bald werden die das gar nicht lesen können bei der Menge von Büchern, die sie täglich zugeschickt kriegen."

Sie sah mich ein wenig unsicher an, nickte aber. "Okay."

Ich löste mich von ihr. "Ich sollte schlafen gehen. Ich bin müde. Bitte mach morgen vor zehn Uhr kein Geräusch, das mich wecken könnte. Ich bin die letzten beiden Tage früh aufgestanden."

"Schlaf gut", sagte sie. Ihr Lächeln sah gezwungen aus, aber ich erwiderte es trotzdem; mit einem nicht weniger gezwungenen Verziehen meiner Mundwinkel. 

"Schlaf gut." 

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.

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Am nächsten Morgen fühlte ich mich zumindest ansatzweise besser. Wie gewohnt machte ich mich auf den Weg zum Café, meine Schreibmaschine im Gepäck, denn mein Buch war noch immer nicht fertig überarbeitet. Obwohl ich wusste, dass es praktisch unmöglich war, überprüfte ich, als ich das Haus verließ, kurz unseren Briefkasten. 

Keine Nachricht von Lilium Publishing. 

Aber das war keine Überraschung. 

China schien heute bessere Laune zu haben, begrüßte mich mit einem Lächeln. Ich war ein wenig enttäuscht, dass Aramis nicht da war, aber ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen. Was mir schienbar nicht gelang. 

"Aramis arbeitete nur Mittwochs", sagte China mit einem vielsagenden Lächeln. 

"Schön für ihn", sagte ich knapp und setzte mich an meinen Tisch. Die Arbeit an meinem Buch fiel mir heute wieder leichter, und bald hatte ich Aramis beinahe vergessen. 

Die nächsten Tage zogen so vor sich hin, ich überprüfte zweimal täglich den Briefkasten und unternahm ein paar Dinge mit meiner Mutter. Ich hatte Angst, konstant. Angst davor, eine Absage von Lilium Publishing im Briefkasten zu finden, Angst davor, rausgeworfen zu werden. Aber ich versuchte, das zu ignorieren. 

Dann war wieder Mittwoch und nicht China begrüßte mich an der Tür, sondern Aramis. Mein Herz begann, außergewöhnlich schnell zu schlagen, als ich ihn sah, ein Symbol von Verliebtheit, über das ich in meinen Büchern schon oft geschrieben hatte, das ich aber noch nie selbst gespürt hatte. 

"Hey", sagte er. "Hast du das Buch fertig gekriegt?"

Ich schüttelte den Kopf. "Noch nicht ganz. Aber es kann gut sein, dass ich heute das Ende schreibe."

"Und du hast noch keine Antwort von Lilium Publishing, nehme ich an?", hakte er nach. 

"Nein. Aber das ist auch nicht außergewöhnlich, ich meine, ich habe das Buch vor einer Woche abgesendet."

"Stimmt." Er zuckte die Achseln. "Willst du einen Kaffee?"

"Heute nicht, danke. Aber ein Glas Wasser wäre nett. Ich kann es auch bezahlen, ich habe noch ein wenig ..."

"Vergiss es", kam es von China, die hinter ihn getreten war. "Du bezahlst hier gar nichts." 

Ich seufzte. "Und wenn ich will?"

"Trotzdem nicht. Und jetzt komm rein." Sie lächelte. Genau wie Aramis hatte sie ein auffallend schönes Lächeln mit geraden, weißen Zähnen, und ich schämte mich ein wenig dafür, dass meine Mutter das Geld für eine Zahnkorrektur bei mir nicht gehabt hatte. 

Um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen, setzte ich mich schnell an meinen Tisch und packte die Schreibmaschine aus. 

Ich war erst ein paar Seiten weit gekommen, als Aramis sich hinter mich stellte und mir über die Schulter schaute. "Wenn du ein offenes Ende schreibst, dann rede ich nie wieder ein Wort mit dir", drohte er. 

Ich hob beschwichtigend die Hände. "Mach ich nicht. Ich schreibe das Ende jetzt genau so wie du es vorgeschlagen hast."

"Gut. Darf ich dir noch irgendetwas bringen?" Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie er grinste. 

"Nein, danke. Aber du könntest mir später bei meinem letzten Satz helfen." 


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