Kapitel drei

Am Morgen meines siebzehnten Geburtstags wachte ich früh auf. Als erstes fiel mein Blick auf den fertig gepackten Koffer neben meinem Bett. Mein ganzer Besitz hatte in diesem alten Koffer, den meine Mutter an einem Flohmarkt erstanden hatte, Platz gefunden. Nur meine Schreibmaschine würde ich in einer separaten Tasche bei mir tragen, wenn meine Mutter sie mir heute zurückgab. 

Ich würde auf der Straße wohnen. Ich hatte keine Wohnung gefunden - was wenig verwunderlich war, weil ich mir rein gar nichts leisten konnte - und China zu Last fallen wollte ich bestimmt nicht. Aber vielleicht war es besser so. So musste ich mir wenigstens keine Gedanken darum machen, die Miete bezahlen zu können. 

Die Vorstellung, auf der Straße zu leben, war immer noch abstrakt für mich. Geradezu lächerlich. Aber heute würde ich ausziehen müssen. Heute würde diese abstrakte Vorstellung zur Realität werden. 

Mir traten Tränen in die Augen, als ich aufstand, meine Bettdecke glattstrich, mich anzog und auf meinen Koffer hinuntersah. Ich wollte nicht ausziehen. Ich wollte hier bleiben, in meinem Bett, wo ich den Großteil des letzten Monats verbracht hatte. Ich wollte weiterhin die Wand anstarren oder in Gedanken mein Buch planen, wie ich es den Großteil des letzten Monats gemacht hatte. Einen Moment lang erwischte ich mich sogar bei dem Gedanken, dass ich lieber auf meine Rache an Javier Terrell verzichten würde als hier auszuziehen. 

Langsam begann ich, mich anzuziehen, und meine Schlafkleidung zu den anderen Sachen in den Koffer zu packen. 

Ich war gerade fertig, als die Tür aufging. "Lily?", fragte meine Mutter leise. Sie trug bereits ihre Arbeitskleidung. 

Ich umarmte sie; meine Tränen durchnässten ihr grünes Hemd. "Ich will nicht gehen", schluchzte ich. 

Mom strich mir über den Kopf. "Es tut mir leid", murmelte sie und ich hörte, wie auch sie zu weinen begann. "Ich will auch nicht, dass du gehst."

Wir hielten uns gefühlte Stunden lang so fest, Stunden, die viel zu schnell vergingen. Keine von uns wollte loslassen, denn loslassen bedeutete, sich zu verabschieden. 

Doch dann löste Mom sich langsam von mir. Ihre Augen waren ganz rot vom Weinen. "Warte kurz", sagte sie. "Ich muss dir noch etwas zurückgeben."

Sie verließ das Zimmer und kam mit meiner Schreibmaschine und einem Stapel Papier zurück - mein Manuskript. Damit, dass sie das aufbewahrte, hatte ich nicht gerechnet; ich hätte gedacht, dass sie es auf der Stelle entsorgte und ich noch einmal von vorne anfangen musste. 

"Danke", flüsterte ich mit fast tonloser Stimme und nahm die beiden Dinge vorsichtig entgegen. Ich zwang mich, meine Mutter nicht noch einmal zu umarmen, aus Angst, ich könnte sie dann nie wieder loslassen, und so standen wir einfach nur so da und sahen uns an. 

"Tust du mir einen Gefallen?", fragte sie nach einer Weile des Schweigens. 

"Welchen?"

"Darf ich diesen Brief zerreißen?"

Ich wusste genau, welchen Brief sie meinte. Langsam zog ich das zerknitterte Stück Papier aus der Tasche meiner Jeans und reichte es ihr. Sie las die Nachricht noch einmal und schüttelte den Kopf darüber.

"Lass es uns gemeinsam machen", sagte sie leise. 

Wir öffneten das Fenster und ließen Papierfetzen auf die Stadt hinunterrieseln, ein stummer Protest gegen alles, was Javier Terrell uns angetan hatte. 



Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top

Tags: