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Der nächste Morgen war seltsam.
Ich wachte früh aus meinem unruhigen Schlaf auf und entschloss mich, Frühstück vorzubereiten, aber ich fand nichts in den Schränken. Also wartete ich einfach, bis Lily aufwachte.
Gegen zehn kam sie aus dem Schlafzimmer, noch im Schlafanzug, als hätte sie vergessen, dass ich da war. Und prompt errötete sie, als sie mich sah, und drehte auf der Stelle um, um sich umzuziehen.
"Also, lass uns reden", meinte sie dann, als sie sich an den Küchentisch setzte, in einer Jeans und einem ausgeblichenen T-Shirt. Sie wirkte gepflegter als früher, als hätte sie mehr Geld. Es gefiel mir, ich fand, dass sie beinahe noch hübscher aussah als damals, als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte.
"Worüber möchtest du reden?" Ich setzte mich neben sie.
"Darüber, was dir passiert ist. Und darüber, was mir passiert ist. Und ..." Sie zögerte einen Moment. "Darüber, was das jetzt mit uns eigentlich genau ist."
"Das mit uns", wiederholte ich. Ich hatte erwartet, dass sie genau so wenig über den Kuss sprechen wollte wie ich, aber scheinbar hatte ich mich geirrt.
"Vielleicht sollten wir das am besten gleich am Anfang klären. Warum hast du mich geküsst?"
"Ich dachte, dass es meine letzte Chance ist." Ich wich ihrem Blick aus.
Sie seufzte leise. "Dann hast du Gefühle für mich?"
Es war seltsam, sie so sachlich über das reden zu hören. Ich meine, natürlich hatte ich Gefühle für sie. Und sie für mich, sonst hätte sie mich in dieser Nacht nicht zurückgeküsst.
"Ich schätze schon", sagte ich.
"Und ... wie soll das jetzt weitergehen?"
"Ich könnte dein Buch veröffentlichen. Vielleicht würde das irgendwie wiedergutmachen, dass ich dich angelogen habe."
"Das wäre ein Anfang."
Wir schwiegen.
"Dann dürfte ich dich erneut küssen?", fragte ich. Nun sah ich hoch und sah, dass ihre Lippen sich zu einem kleinen Lächeln geformt hatten.
"Okay", sagte sie. Ich beugte mich vor und küsste sie. Dieser Kuss war nicht mehr verzweifelt und dafür umso schöner.
Als wir uns wieder voneinander gelöst hatten, lächelte sie mich an. Ich lächelte zurück. Wir schwiegen wieder, aber dieses Mal war es ein gutes Schweigen.
"Also", sagte sie nach einer Weile. "Was ist bei dir alles so passiert, seit wir ... uns das letzte Mal gesehen haben?"
Ich wollte sie lieber wieder küssen, statt weiterzureden, ging aber auf das Gespräch ein. "Nicht viel. Mein Vater ist verhaftet worden und Lilium Publishing gehört seit gestern mir. Das wusstest du ja schon." Ich zuckte mit den Schultern, als wäre es nichts.
"Und bei dir?", fragte ich, als sie nichts mehr sagte.
"Ich habe einen Job gefunden", erzählte sie. "In einem Laden. Ich fülle Regale auf und verdiene so ein bisschen Geld. Nebenbei schreibe ich."
"Wenn ich dein Buch erst einmal veröffentlicht habe, wirst du vom Schreiben leben können", sagte ich, obwohl ich mir nicht ganz sicher war, ob es stimmte.
Sie lächelte. "Warten wir ab."
Wir bleiben am Küchentisch sitzen und redeten, bis Lily zur Arbeit musste und auch ich nicht mehr anders konnte als mir einzugestehen, dass eine Menge Aufgaben auf mich warteten. Ich musste den Artikel über Javier Terrell veröffentlichen. Und mich an das Erstellen einer neuen Zeitung setzen, an das Delegieren von Aufgaben und ... die Nachricht an den Erpresser.
Und ich musste mich um meine Mutter kümmern. Darum, dass sie nicht weiterhin vernachlässigt wurde. Und darum, dass sie am Leben blieb. Ich hatte Angst um sie. Ich hatte Angst, irgendwann ihre Leiche auf dem Boden vor dem Hauptgebäude von Lilium Publishing zu finden, weil ich versagt hatte. Schon allein die Vorstellung ließ mich auf dem Weg zurück schneller gehen.
Im Büro setzte ich mich an den Computer und schrieb eine Nachricht.
- Schalten Sie den Strom wieder ein. Mir ist es egal.
Die Antwort kam nach kurzer Zeit:
Wenn du ihr etwas antust, Terrell, dann werde ich es öffentlich machen.
- Ich werde ihr nichts tun! Ich weiß nicht mal, wer sie ist. Schalten Sie den blöden Strom wieder ein.
Nicht gleich ausfallend werden. Ich kontaktiere meinen Cousin. Ob er dir vertraut, ist seine Sache.
Ich zwang mich, tief durchzuatmen. Ich wusste immer noch nicht, was es wahr war, was in den Nachrichten stand, aber ich konnte das Risiko nicht eingehen.
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