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Meine Tante machte sich nicht die Mühe, Kerzen anzuzünden. Sie führte uns ins dunkle Wohnzimmer, riss die Vorhänge auf, damit ein wenig Mondlicht hereinfiel, und ging dann wieder ins Bett. 

Vielleicht sollte ich hier mal einige Dinge klarstellen. (Wieder. Es gibt einiges klarzustellen in dieser Geschichte, aber ich bemühe mich, alles so kurz wie möglich zu halten.) Meine Tante und ich hatten früher ein sehr gutes Verhältnis. Na ja, ganz früher. Bevor sie und mein Vater sich zerstritten haben. Und ratet mal, was der Grund dafür war. Genau, Lilium Publishing! Was denn sonst. 

Genauer gesagt das, was Lilium Publishing aus der Ehe meiner Eltern gemacht hatte. Meine Mutter, die jüngere Schwester meiner Tante, bekam meinen Vater manchmal tagelang nicht zu sehen. Tagelang. Dabei waren sie verheiratet. Und vor einigen Jahren hatte sie sich darüber bei meiner Tante beklagt - deren Wut auf meinen Vater sich seither nicht wieder gelegt hatte. 

Und damit auch ihre Abneigung mir gegenüber. Denn aus welchem Grund auch immer dachte sie was mich betraf genau gleich wie die Gegner von Lilium Publishing. 

Nun saßen Lily und ich jedenfalls in diesem dunklen Wohnzimmer, schweigend. Sie war auf dem Sofa so weit von mir weg gerutscht wie irgendwie möglich und starrte geradeaus, als wäre ich gar nicht da. Sie war wütend auf mich. Natürlich war sie wütend auf mich. Ich war ja selber wütend auf mich. 

Überraschenderweise war es sie, die das Schweigen zwischen uns nach einer Weile brach. 

"Ich habe eine positive Antwort von Lilium Publishing", sagte sie. "Sie haben mich gebeten, das ganze Manuskript einzusenden. Aber denk nicht, dass ich dich deswegen in meiner Danksagung erwähne oder so was."

Sie wirkte unsicher, als wüsste sie nicht, wie ich reagieren würde. Wie ich reagierte? Ich fiel vor Überraschung fast vom Sofa. Ich hatte damit gerechnet, dass sie eine Absage erhielt, erst recht nach meiner Aktion neulich. War das so etwas wie ein Versöhnungsangebot meines Vaters? Sollte ich ihn danach fragen? Die Gedanken rasten in meinem Kopf durcheinander, so schnell wie ich zwischen virtuellen Welten wechseln konnte. So schnell, dass ich keine Ahnung hatte, was ich sagen sollte. Toll? Gut gemacht? Erhoff dir nicht zu viel, gut die Hälfte aller eingeforderten Manuskripte lehnen sie schlussendlich dann doch ab?

"Super", kam es schließlich etwas stockend aus meinem Mund. Und im selben Atemzug: "Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht beleidigen."

"Du hast es aber getan. Und du hattest recht. Irgendwie. Das zwischen uns war ... komisch. Sehr komisch sogar." Sie seufzte, fuhr sich mit den Fingern durch die blonden Haare, die sie ausnahmsweise offen trug. Ich hatte sie noch nie mit offenen Haaren gesehen, fiel mir jetzt auf. Ich sah es in der Dunkelheit nicht wirklich, aber ich hätte darauf gewettet, dass es toll aussah. 

"War es nicht", sagte ich. "Aber wir können trotzdem nicht ..."

"Schon klar. Du hältst dich für zu gut für mich." Sie spuckte mir die Worte regelrecht entgegen. 

"Nein. Das ist es nicht. Mein ... Meine Eltern halten mich für zu gut für dich", erklärte ich. Nun wäre ein guter Moment gewesen, um ihr alles zu erzählen. Ihr zu sagen, dass ich nicht nur reich war, sondern einer der reichsten Menschen in Nomine. Jetzt schon. 

Es hatte schon viele gute Momente gegeben, ihr das zu sagen. Hätte ich es ihr sagen wollen. Denn das wollte ich nicht. Ich wollte nicht, dass Lily darüber Bescheid wusste. Ich wollte diese Normalität aufrechterhalten, dieses unbeschwerte Verhältnis zwischen uns, und wenn das nicht zur Wahl stand, dann wollte ich sie am liebsten nie wieder sehen. 

Sie stöhnte. "Ihr reichen Leute immer mit euren Klischees. Bin ich wirklich so schlimm, weil der Saum meines Pullis ein paar Löcher hat? Bin ich deswegen wirklich nicht gut genug, um deine ... Freundin zu sein?"

Bei der Art, wie sie Freundin aussprach, hätte ich sie am liebsten auf der Stelle geküsst. Sie mochte mich. Sie mochte mich und ich mochte sie und vielleicht hätte ich den Hauptsitz von Lilium Publishing niederbrennen sollen, damit mein Vater und sein Unternehmen uns endlich nicht mehr im Weg standen. 

"Na ja, meine Tante findet schon. Darum hat sie dich überhaupt reingelassen. Wenn du so reich gewesen wärst wie ich, hätte sie zugesehen, dass du selbst zurechtkommst", versuchte ich, Lily aufzumuntern. 

Sie sah mich nur schweigend an. Vielleicht sah sie auch an mir vorbei; ich konnte es im Dunkeln nicht sehen. 

"Und wenn wir uns heimlich treffen?", fragte sie nach einer Weile so leise, dass ich Schwierigkeiten hatte, es zu verstehen. 

Am liebsten hätte ich laut gelacht. Wir haben uns die ganze Zeit heimlich getroffen, hätte ich am liebsten gesagt. Und ich habe mehr Geheimnisse vor dir als du zählen kannst.

"Das geht nicht. Mein Vater würde dahinterkommen", sagte ich stattdessen und sie seufzte erneut.

Das Schweigen, das sich daraufhin zwischen uns ausbreitete, war mehr als unangenehm.

"Danke, dass du mir geholfen hast", sagte sie irgendwann.

"Keine Ursache", erwiderte ich. "Bedank dich lieber bei meiner Tante."

Sie nickte.  "Werde ich."

Wieder Schweigen. Ich wollte nicht mehr schweigen. 






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