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Mein Vater konnte sich die besten Anwälte leisten. Aber es nützte ihm nicht viel. Im Gerichtsprozess - Mom und ich waren anwesend - wurde er zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Lebenslänglich. Bei guter Führung mindestens fünfzehn Jahre.

Mom weinte, als der Prozess vorbei war. Kaum waren wir draußen, brach sie in Tränen aus, und hörte nicht mehr auf, bis wir zu Hause waren.

Ich wollte gerade in der virtuellen Realität verschwinden, um meinen verworrenen Gedanken zu entfliehen, als sie mich am Arm festhielt. Mit der anderen Hand wischte sie sich die Tränen vom Gesicht.

"Wir müssen Lilium Publishing weiterführen, Aramis", sagte sie mit eindringlicher Stimme. "Du kannst das jetzt nicht einfach aufgeben."

"Mom, mein ganzes Leben lang wollte ich nichts anderes als dieses Unternehmen aufzugeben", erwiderte ich. Ich versuchte nicht, mich loszureißen. Sie würde dieses Gespräch irgendwann führen wollen, wenn nicht jetzt, dann ein anderes Mal.

"Die ganze Stadt wird darunter leiden. Der ganze Kontinent."

"Und was ist mit mir?" Ich wurde lauter. "Ich habe mein ganzes Leben lang unter der Existenz von Lilium Publishing gelitten. Warum kann ich nicht ein Mal einfach das Leben leben, das ich gerne hätte?"

"Ist das denn das Leben, das du gerne hättest? In einer Stadt, die nichts als Probleme hat, nur wegen deinem egoistischen Handeln?" Mom verengte die Augen. "Du wirst Lilium Publishing weiterführen."

Zum ersten Mal versuchte ich, wirklich über die Folgen dieser Entscheidung nachzudenken. Wenn ich Lilium Publishing übernahm, würde ich die Kontrolle über alle Informationen dieses Kontinenten haben. Über alle Nachrichten, über alle Publikationen.

Über Bücher wie das von Lily.

Ich konnte Lily helfen.

Wenn sie noch am Leben war.

Andererseits bedeutete es auch, das Leben zu führen, das ich nie gewollt hatte. Den Job meines Vaters zu übernehmen und mit der Last der Verantwortung zu leben, die dieser mit sich brachte. Tag und Nacht zu arbeiten. Menschen zu haben, die mich hassten.

Aber wenn es Lily half ... wenn ich ihr Buch endlich veröffentlichen konnte ... nach allem, was ich ihr angetan hatte ...

"Mom, wo ist Lily?"

"Wahrscheinlich in ihrer Wohnung. Jedenfalls nicht mehr hier. Das habe ich dir gesagt. Aber versuch nicht, das Thema zu wechseln."

Nun riss ich mich doch los. "Sonst was? Sonst wirst du vom Dach springen?"

Diese Worte bereute ich in der Sekunde, in der ich sie aussprach. Mom wich verletzt einige Schritte von mir zurück.

"Tut mir leid", murmelte ich.

Ihr Gesichtsausdruck war hart. "Vielleicht hätte ich schon viel früher springen sollen."

Nun war ich es, der sie am Arm festhielt. "Es tut mir leid", sagte ich noch einmal, dieses Mal lauter. "Ich habe das nicht so gemeint."

Sie versuchte, sich loszureißen, aber ich hielt sie fest. "Du hast es ganz genau so gemeint", fauchte sie.

"Habe ich nicht. Ich übernehme Lilium Publishing, okay? Und ich führe es weiter. Unter der Bedingung, dass du am Leben bleibst", redete ich auf sie ein.

Sie seufzte. "Gut."

Vorsichtig ließ ich sie los. Sie sah mich einen Moment lang an, bevor sie sich umdrehte und in ihrem Schlafzimmer verschwand. Ich hätte die Tür gern hinter ihr abgeschlossen, sichergestellt, dass sie sich auch wirklich nichts antat. Aber wahscheinlich war das einzige, was ich für ihr Überleben tun konnte, mein Versprechen zu halten. Lilium Publishing weiterzuführen, das Medienunternehmen, das ich fast mein ganzes Leben lang gehasst hatte.

Ich betrat eine der VR-Kabinen und schloss die Tür hinter mir. Auf mich warteten einige Dinge, die ich zu tun hatte. Lily suchen. Die Meldung veröffentlichen, dass Javier Terrell verhaftet worden war - und dass das Unternehmen nun mir gehörte. Mich an meine neue Aufgabe gewöhnen. Den Schlaf nachholen, den ich in der letzten Nacht nicht gehabt hatte.

Aber vielleicht konnte ich diese Dinge noch eine Weile aufschieben, dachte ich, während ich in der virtuellen Realität verschwand.

Jedoch nicht zu lange, das war mir klar. Ich durfte Mom nicht denken lassen, ich würde Lilium Publishing doch nicht übernehmen. Ihr keinen Anlass geben ... den Gedanken wollte ich gar nicht zu Ende denken. Vielleicht hätte ich sie doch in ihrem Schlafzimmer einschließen sollen.

Ich verließ die VR-Kabine bald wieder und fühlte mich jetzt schon ermüdet von den Pflichten, die mich erwarteten.

Ich ging eine Treppe hinunter auf die Büroebene meines Vaters. Er hatte mir den Zugang dazu schon vor längerer Zeit gegeben, falls ihm etwas zustoßen sollte, wie er es genannt hatte. Im Gefängnis zu landen hatte er damit wohl nicht gemeint.

Ich gab das Passwort ein und ließ mir für den genetischen Zugangscode Blut abnehmen. Es dauerte einige Sekunden, bis sich die Tür öffnete. Ich atmete tief durch und betrat die Räume, von denen aus Lilium Publishing geführt wurde.

Nur mein Vater arbeitete hier. Die anderen Angestellten waren in den Ebenen darunter.

Langsam durchquerte ich das große Büro, den privaten Fitnessraum, das geräumige Bad und die eigene VR-Kabine, die etwas größer war als die drei, die in der Ebene darüber standen. Mit dem Verkauf einiger Dinge hier hätte man arme Familien - so wie die von Lily - ernähren können. Aber daran hatte mein Vater wahrscheinlich keine Sekunde gedacht.

Ich setzte mich an einen Schreibtisch und schaltete den Hauptcomputer an. Mehrere Nachrichten überfluteten den Bildschirm, aber ich klickte sie erst einmal zur Seite. Das Wichtigste war jetzt die Information darüber, dass mein Vater im Gefängnis saß. Ich schickte diese Nachricht an alle Angestellten, zusammen mit der Nachricht, dass ich den Artikel darüber verfassen würde.

Dann setzte ich mich an die eingetroffenen Nachrichten, beantwortete eine nach der anderen, jedoch nicht lange, denn die ersten Antworten auf meine Mitteilungen trafen bald ein. Die meisten Leute waren schockiert, entrüstet.

Als ich alle Nachrichten beantwortet hatte, setzte ich mich an den Artikel. Ich versuchte mein Bestes, um meinen Vater nicht zu negativ darzustellen, aber dennoch sachlich alles zu schildern, was vorgefallen war. Dass ich selbst involviert gewesen war, ließ ich weg. Niemand musste wissen, dass der neue Geschäftsführer von Lilium Publishing gegen ebendieses Unternehmen rebelliert hatte. 



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