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Lauter Lärm weckte mich.
Verschlafen taumelte ich aus meinem Zimmer, um nachzusehen, was draußen los war. Der Lärm schien von unten zu kommen, also beugte ich mich über das Treppengeländer - und sah, wie mein Vater von zwei Polizisten abgeführt wurde.
Er wehrte sich und protestierte lautstark, aber es half ihm nichts. Innerhalb von Minuten war er verschwunden und ich stand immer noch da, völlig verwirrt.
"Aramis!" Meine Mutter kam auf mich zugestürmt und packte mich am Arm. Sie war noch im Schlafanzug, ihre Haare waren durcheinander. "Sie haben deinen Vater mitgenommen!"
"Ich weiß. Ich habe es gerade gesehen." Ich sah wieder hinunter.
"Was machen wir jetzt? Warum haben sie ihn überhaupt mitgenommen?" Meine Mutter schien den Tränen nahe zu sein. Es schien, als hätte sich die Beziehung meines Vaters und ihr tatsächlich gebessert. Zumindest hatte sie ihn nach dem, was ich mitbekommen hatte, irgendwie dazu gebracht, mich nicht länger einzusperren.
"Ich weiß nicht. Vielleicht weil er einen Haufen Menschen gefangen gehalten hat? Weil seine Wachmänner mehrere Rebellen kaltblütig erschossen haben? Weil ihm unterstellt wird, Informationen zensiert zu haben? Weil er Lily gedroht hat?"
Sie seufzte. "Er wollte nur sein Unternehmen schützen."
"Das habe ich auch gedacht. Aber das ging zu weit. Er hat es verdient, verhaftet zu werden." Ich ballte die Hände zu Fäusten. "Er sollte den Rest seines Lebens im Gefängnis sitzen."
"Ich diskutiere nicht mit dir über dieses Thema. Wir müssen herausfinden, was er getan hat." Sie verschwand in ihrem Schlafzimmer, wahrscheinlich um sich anzuziehen. Ich ging ebenfalls in mein Zimmer zurück, legte mich aufs Bett und dachte nach. Obwohl noch früh am Morgen war, konnte ich nicht mehr schlafen. Ich schwankte hin und her zwischen der Frage, ob die Verhaftung meines Vaters vielleicht gute Folgen haben würde, und der Frage, ob ich Lilium Publishing würde übernehmen müssen, wenn er im Gefängnis saß.
Ich wollte das Medienunternehmen nicht besitzen. Dass ich es erben würde, hatte mein Vater entschieden, nicht ich. Er hatte begonnen, mir alles zu zeigen, als ich ein Teenager gewesen war - und es hatte mir schon damals nicht gefallen. Als was ich arbeiten wollte, war mir nicht klar. Aber ich wollte weg von Lilium Publishing.
Meine Mutter klopfte hektisch an meine Zimmertür und ich sprang auf. Hastig tauschte ich meine Schlafsachen gegen Jeans und T-Shirt aus und öffnete. Allein gehen lassen konnte ich Mom schließlich auch nicht.
Zusammen machten wir uns auf dem Weg zur Polizeiwache. Wir beide schwiegen den ganzen Weg; es war ein unangenehmes Schweigen, aber keiner von uns traute sich, es zu brechen.
Auf der Polizeiwache begrüßten uns zwei Polizisten.
"Sie haben meinen Mann verhaftet", sagte meine Mutter. "Wir würden gerne wissen, warum."
"Wer ist ihr Mann?" Der eine Polizist blätterte in einigen Unterlagen.
"Javier Terrell."
Beide sahen uns an, die Augen geweitet.
"Nein, ich lüge nicht", setzte meine Mutter nach.
"Das haben wir ihnen gar nicht unterstellt", sagte einer der Polizisten schnell. "Es erstaunt uns nur."
Der andere nickte.
"Werden Sie trotzdem auf meine Frage antworten?", fragte meine Mutter.
"Natürlich. Javier Terrell, haben Sie gesagt ..." Der Polizist blätterte noch schneller in seinen Unterlagen. "Er wurde heute Morgen verhaftet wegen unrechtmäßiger Gefangennahme mehrerer Individuen."
"Individuen, die in sein Haus eingebrochen sind." Mom funkelte die Polizisten wütend an.
"Diese Geschichte untersuchen wir noch", meinte der andere Polizist. "Aber es ist klar, dass Javier Terrell nicht auf freiem Fuß gelassen werden kann."
"Und was macht Lilium Publishing ohne ihn? Was macht diese Stadt ohne ihn?" Meine Mutter war der Verzweiflung nahe.
"Lassen Sie sich etwas einfallen", sagte der Polizist mit den Unterlagen.
Wütend stürzte meine Mutter aus der Polizeiwache und zog mich hinter sich her. Auch wenn ich das vor ihr nie offen zugegeben hätte, war ich fast ein wenig froh über die Festnahme meines Vaters. Es war besser für die ganze Stadt, wenn er ihm Gefängnis saß.
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Zurück im Hauptgebäude von Lilium Publishing passierte erst einmal einige Tage lang gar nichts. Wir warteten auf die Gerichtsverhandlung. Mein Vater würde sich die besten Anwälte leisten können, aber ob das reichte?
Mom konnte Lilium Publishing nicht weiterführen. Ihr fehlte es am technischen Verständnis, eine Einführung in alle Dinge hatte mein Vater ihr nie gegeben. Und ich wollte nicht. Meinetwegen konnte das Unternehmen bankrott gehen.
Ich flüchtete mich in meine virtuellen Realitäten, wie immer. Ab und zu dachte ich darüber nach, Lily zu suchen. Mom hatte mir gesagt, dass sie nicht tot war. Aber ich ließ es sein. Es war besser, wenn wir getrennte Wege gingen. Das zwischen uns hatte nur zu schlechten Ereignissen geführt.
Dennoch war mir der Kuss noch so gut in Erinnerung. Ich hatte schon einige Mädchen geküsst, hauptsächlich solche, deren Vater irgendwelche Geschäfte mit meinem machte. So lernte man sich kennen in dieser Gesellschaftsschicht. Aber das mit Lily war irgendwie anders gewesen. Verzweifelt. Aber schön. Ernster.
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