1

In dem Moment, als Lily das Café betrat, hatte ich gewusst, dass ich ein ernsthaftes Problem hatte. 

Und in dem Moment, als sie zum ersten Mal begann, mit mir zu reden, hatte ich gewusst, dass es mir egal war. 

Oder zumindest hatte ich es gedacht. Bevor mir klar geworden war, dass es folgenschwere Konsequenzen hatte, mich in ein Mädchen zu verlieben. Na ja, nicht irgendein Mädchen, das wäre kein Problem gewesen, aber eine erfolglose Schriftstellerin aus der Unterschicht? Es hätte mir von Anfang an klar sein sollen, dass mein Vater das nicht gutheißen würde. 

Wenigstens hatte ich es geschafft, meine Arbeit im China's Café vor ihm geheim zu halten, hatte gelogen und gesagt, ich hätte Lily auf der Straße kennengelernt, wo ich mit ihr zusammengestoßen war und dabei versehentlich ihre Schreibmaschine zerstört hätte. Es fühlte sich nicht gut an, meine Eltern anzulügen, aber wenn ich auch noch meinen Job verloren hätte, dann hätte ich dieses Leben hier endgültig nicht mehr ausgehalten. Ich schaffte es ja so schon kaum.

Nun musste ich mich von Lily fernhalten. Was nicht einfach war, weil ich sie jeden Mittwoch sah. Ich würde mir einen anderen Job suchen müssen, in einem anderen Café, obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte - ich mochte China und ihr kleines Unternehmen. Aber mir blieb keine Wahl. Zu bleiben konnte ich weder Lily noch mir selbst antun. 

Ich seufzte beim Gedanken daran, was ich alles kaputt gemacht hatte. Und das nur, weil ich einen Verlagsvertrag für Lily hatte aushandeln wollen. Nur, weil ich dafür hatte sorgen wollen, dass sie nicht bei ihrer Mutter ausziehen musste. Ich hatte es vermasselt, auf ganzer Linie, hatte mehr kaputt gemacht als geholfen. Vielleicht würde sie sogar wegen mir abgelehnt werden. 

Und das heute im Café ... Mir wurde schlecht bei der Erinnerung daran. Ich hätte sie nicht beleidigen dürfen. Ich war zu weit gegangen, hatte Dinge gesagt, die ich nun zutiefst bereute. Wie hatte ich so weit gehen können, sie wegen ihres fehlenden Geldes zu beschuldigen? Nun dachte sie, ich wäre ein arroganter reicher Junge - wie der Rest der Gesellschaft auch. 

DABEI HATTE ICH NIE DARUM GEBETEN, IN DIESE FAMILIE HINEINGEBOREN ZU WERDEN. 

Am liebsten wollte ich mir das in dicken Buchstaben auf die Stirn schreiben oder mir ein Schild um den Hals hängen, damit es jeder lesen konnte, der mich sah. Jeder, der mich aufgrund meiner Kleidung oder meines Verhaltens für jemanden hielt, für den sein Reichtum alles war. Jeder, der glaubte, er könnte mich auf irgendwelche beschissenen gesellschaftlichen Veranstaltungen einladen, bei denen es nur darum ging, mit Geld und Ansehen zu prahlen und sich bei meiner Familie Vorteile zu verschaffen. 

Dabei war mir Lilium Publishing scheißegal, wenn es nicht gerade darum ging, für ein hübsches armes Mädchen einen Verlagsvertrag auszuhandeln. Das Medienunternehmen war mir genau so egal wie mein Geld oder das, was die Gesellschaft von mir hielt. Natürlich waren warme Duschen und virtuelle Realität angenehm, aber ich hätte mein Leben sofort gegen das von jemandem wie Lily eingetauscht, wenn ich die Wahl gehabt hätte. 

Was auch der Grund war, warum ich einmal die Woche in einem Café jobbte - um zumindest so tun zu können, als hätte ich ein normales Leben. Ein Leben, das nicht von der Arbeit von Javier Terrell bestimmt war.

Ein Leben, in dem ich hübsche Mädchen kennenlernen konnte, ohne dass sie wussten, wer ich war. 

Hatte ich zumindest gedacht. Denn natürlich musste sich unser allseits geschätzter Mr Terrell auch da einmischen. Nur weil er das größte - gut, das einzige - Medienunternehmen des Kontinenten besaß, hieß das nicht, dass er überall das Sagen hatte. Manchmal hätte ich ihm das gerne ins Gesicht geschleudert. Das und die Tatsache, dass er einfach nur Glück gehabt hatte. Ohne den großen Stromausfall wäre Lilium Publishing genauso an der zunehmenden Digitalisierung zugrunde gegangen wie all die Verlage und Redaktionen, die er damals nicht aufgekauft oder sich mit ihnen zusammengeschlossen hatte. 

Er hatte einfach nur Glück gehabt und tat nun so, als wäre er ein erfolgreicher Geschäftsmann. Nichts weiter. 

Versteht mich nicht falsch, ich hasse meinen Vater nicht so sehr, wie das jetzt vielleicht den Anschein erwecken mag. Er hat immer für uns gesorgt, für Mom und mich, und ist nie in irgendeiner Weise schlecht mit uns umgegangen. In einem anderen Universum, einem Universum ohne Lilium Publishing, wäre er ein toller Vater gewesen. 

Was ich hasste, war nur das Medienunternehmen. 

Und mein Leben. 

Mein Leben als Aramis Terrell, Sohn des Geschäftsführers von Lilium Publishing. 


------

Nein, der Name Lily Marshall ist keine "How I Met Your Mother"-Reference. Mir ist das erst nach dem Schreiben aufgefallen. 😂😅


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top

Tags: