Frei, verdammt, endlich Frei!
Ich raste über die Landstraße und suchte nach Ausschilderungen. „Meinst du nicht, dass wir uns nicht lieber schnappen lassen sollten? Ich meine, du hast ihnen geholfen, sie können dich nicht lange einsperren" fragte mein Bruder, während er sich verzweifelt am Türgriff festklammerte. Verbissen starrte ich geradeaus. „Joos, ich habe einen Polizisten zusammengeschlagen, Leute entführt, eine Waffe und ein Auto geklaut, Einbrüche gemacht und streng genommen gegen meine Bewährungsauflagen verstoßen" „Aber ich doch auch, außerdem war das mit den Auflagen doch nur Fake." Das Ortschild mit der Geschwindigkeitsbegrenzung ignorierte ich und raste durch den kleinen Ort durch „Die werden irgendetwas suchen und finden. Du verstehst das nicht. Wenn die mich lassen, würde ich doch weitermachen wie bisher und das wollen die verhindern." Ich zögerte und überlegte, bevor ich fortfuhr. „Bei dir besteht die Gefahr nicht." „Warum willst du unbedingt, um jeden Preis, weiter Dinge klauen?" fragte er traurig. „So machst du doch alles nur noch schlimmer!" Grimmig nahm ich eine enge Kurve „Ich weiß, Joos, ich bin kein Kleptomane, aber das ist mein Leben, seit ich es kenne. Manchmal ist es eben schwieriger einfach so loszulassen und etwas Neues zu machen. Du Joos, hast es nie wirklich gemocht, aber ich, ich habe es geliebt so zu leben und will es nicht aufgeben!" Er nickte lahm und ich fuhr fort „Außerdem bin ich Strafmündig und habe seit dem einige Verbrechen begangen. Ich könnte ja sagen, dass wir gezwungen wurde, dass stimmt zwar auch, aber trotzdem bin ich Strafmündig und ich habe es freiwillig getan und das haben die inzwischen auch gemerkt. Jeder ist für sein Handeln selber verantwortlich. So läuft das eben." Ich merkte genau, wie schwer es meinem Bruder fiel, sich zusammenzureißen, doch das Leben ist nun mal geprägt durch die Entscheidungen, die man traf. Diese Entscheidungen formten und prägten einen – jeden. Ich hatte mich zu einem Leben in dem Teil der Gesellschaft, den diese „Verboten" nannte entschieden. Und für mich war es die richtige Entscheidung, das wusste ich irgendwie.
Joos riss mich aus meinen Gedanken. „Ich glaub, ich verstehe. Wenn man etwas gerne macht und dann damit aufhören muss, ist man traurig" Ich erblickte ein Schild, auf dem „Flugplatz" stand und bremste den Wagen ein bisschen, um abzubiegen. „So in etwa ja. Ich hatte im Gegensatz zu dir nie Gewissensbisse, deswegen war ich auch so gut. Du bist 12, dir können sie nichts tun. Weißt du, für meine Verbrechen würde ich sicher an die 5 Jahre bekommen, durch die ganzen Umstände könnten es etwa zwei oder eins, oder noch weniger sein, aber das ist mir zu viel. Ich möchte selbst bestimmen können, was ich tue"
Mit Sicherheit hatten wir über Jahre eine Gehirnwäsche durch die Diebe bekommen, aber mich störte es nicht. Mir war immer klar gewesen, zu was die uns machten.
Mein Leben war nicht normal gewesen, war es nie. Seit meiner ersten Erinnerung wusste ich, dass das was ich tat von der Gesellschaft als falsch verachtet und geahndet wurde, doch es hatte mich nie gestört – sogar gereizt, es weiter zu machen.
Ich lachte leicht und ignorierte Joos verängstigten Blick. Mein erster Auftrag...Wie ich den Mann in die Seitenstraße geführt hatte und sogar ein paar Tränen verdrückt hatte...ich fühlte keine Schuld.
Mir unheimlicher Ruhe raste ich durch den nächsten Ort. Der Tacho zeigte 160 Km/h an, doch ich wurde nicht langsamer. Wir verließen den Ort und ich beschleunigte auf 200 km/h.
Auf einmal lief mir eine Gänsehaut den Rücken runter. Ich hörte Polizeisirenen! Unwillkürlich gab ich noch weiter Gas. Sie durften uns auf gar keinen Fall einholen! Flugplatz „5 Km" lag Joos vor, er war blass „Du willst nicht mit oder?" ich schaute kurz zu ihm, bevor ich wieder auf die Straße blickte „Ich würde dich nie allein lassen Luke" antwortete er tonlos. Aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen. „Nein, Ich nehme dich nicht mit, das ist nicht deins." Sagte ich gefühlvoll. Tränen liefen über sein Gesicht „Hey" sagte ich liebevoll „Wir sehen uns bestimmt wieder" „Aber wann?" er schluchzte leise „Das ist nicht dein Leben, Joos." Ich wechselte das Thema „Sei gut in der Schule, ich komme dich schon besuchen. Guck, dass du nicht in eine Pflegefamilie kommst, denn in einem Heim finde ich dich besser" „Okay" er gab mir zitternd die Waffe wieder.
Ich hielt den Wagen vor dem Gebäude und sprang raus. Sofort rannte ich Richtung Flugplatz. Auf einmal blieb ich stehen und drehte mich um. Ja ich wollte das hier alles, keine Frage, aber ohne meinen Bruder? Als ich die Sirenen wieder hörte, schluckte ich und winkte Joos noch einmal zu. Er war ausgestiegen und blickte mich bittend an, doch ich drehte mich um und rannte auf das Flugfeld. Ich wurde bald 16 und wollte diesen Geburtstag nicht im Gefängnis feiern.
Auf dem privaten Flugplatz stand eine kleine Maschine – ein Sportflieger. Ein Mann checkte gerade die Landeklappen. So einen Flieger kannte ich, dass er da stand verschaffte mir Zeit. Schnell spurtete ich zu ihm hin und stellte mich neben den Mann. Er starrte mich erschrocken an, als ich ihm die Pistole vor sein Gesicht hielt. „Wo sind die Schlüssel?" fragte ich barsch „Du kannst doch gar nicht fliegen Junge" fragte er mit erschrockener Stimme „Falsche Antwort" Ich schlug ihm den Lauf gegen die Schläfe. Er taumelte etwas zurück. „Neuer Versuch" „Hier" Er zog den Schlüssel zittrig aus der Hosentasche und gab ihn mir. Ich wollte gerade einsteigen als mir eine Idee kam. "Ist da ein Fallschirm drin?" Er nickte und ging einige Schritte rückwärts. Ich zögerte nicht und sprang ins Cockpit. Der Schlüssel passte und ich startete den Motor. Als der Flieger auf die Startbahn rollte, bemerkte ich, dass Polizeiautos auf das Flugzeug zufuhren, doch sie hatten keine Change, der Motor beschleunigte und als ich die richtige Geschwindigkeit hatte zog ich die Nase hoch. Jetzt musste das kleine Flugzeug außer Sichtweite kommen, bevor die einen Hubschrauber anforderten. Ich beschleunigte noch etwas und schaute mich nach dem Fallschirm um, der in diesem Flugzeug war.
Die Aquila A 210 war ein Einmotoriges Flugzeug mit 60 Litern Tank und 100 PS. Ich hatte gute Chancen. Und Glück, denn dieses Modell war ich schon einmal geflogen.
Der Flieger flog noch etwas höher und ich stellte den Steuerknüppel fest. Es war ganz leicht wolkig. Das würde mir sicher helfen. Ich schnallte den Fallschirm fest und überlegte noch mal, wann ich den Schirm öffnen musste. Egal, ich würde es einfach kurz nach dem Sprung machen. Ich stellte den Kurs so ein, dass das Flugzeug zum Meer fliegen würde, dort würde es auch abstürzen, wenn das Kerosin verbraucht war. Es würde also keinen verletzen.
Ich drückte die durchsichtige Klappe über mir mühsam auf und zwängte mich durch den Spalt. Der Gegenwind drückte sie direkt wieder zu und ich hielt mich am Flugzeug fest. Der Wind zog an mir, doch ich hielt noch einen Moment inne, bevor ich sprang.
Ich ließ mir die letzten Tage, Wochen, das letzte Jahr durch den Kopf gehen.
Es war so viel passiert, aber ich hatte die richtigen Entscheidungen getroffen.
Vielleicht würden sie mich irgendwann kriegen, aber diesmal war ich nochmal entkommen
Ich war endlich wieder frei. Vogelfrei, aber frei!
Ich sprang in den Wind und zog den Fallschirm auf.
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