Kapitel 39 - Eddies POV

Ich hocke auf dem Boden, den Rücken an einen Baum gelehnt. Ich bekomme kaum Luft. Ich weine haltlos.
Chrissy...
Immer wieder sehe ich sie vor mir. Ihre verrenkten Arme und Beine. Ihre Augen....
Oh Gott!
Ich schnappe unwillkürlich nach Luft.
Chrissy Anblick hat sich auf meine Netzhaut gebrannt.
Wieso habe ich ihr nicht geholfen? Wieso bin ich einfach abgehauen und habe sie da zurückgelassen?
Ich bin ein elender Feigling!
Ich weiß nicht, wie lange ich so da saß und mit leeren Augen in den Wald gestarrt habe. Doch plötzlich höre ich ein Geräusch. Es klingt wie herannahende Schritte. Und sie nähern sich schnell.
Ich springe auf und schaue mich panisch nach einem Versteck um.
Schnell lasse ich mich in ein Gebüsch fallen und ducke mich. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.
Wer zum Teufel ist das? Niemand kennt diesen Ort! Niemand außer mir und meinen Kunden.
"Eddie?"
Für einen Moment kann ich mich nicht rühren. Dann stolpere ich aus dem Gebüsch und erblicke Izzy. Sie atmet erleichtert aus und bricht augenblicklich in Tränen aus. Ich stürme auf sie zu und drücke sie fest an mich.
Mir entfährt ein Schluchzen und ich kann nichts dagegen tun, das mir die Tränen die Wangen hinablaufen.
"Gott sei Dank!",vernehme ich Robins Stimme gefolgt von Steves.
"Meine Güte Izzy, hättest du nicht kurz warten können?!"
Izzy macht keine Anstalten mich loszulassen und auch ich bin noch nicht bereit dazu. Ihre Nähe ist beinahe heilsam.
"Was ist passiert?",will Robin wissen, doch ich schweige.
Izzy presst sich an mich, ich spüre ihren Herzschlag.
Ich schließe für einen Moment meine Augen und inhaliere ihren Duft. Er wirkt beruhigend auf mich.
Endlich versiegen meine Tränen und ich kann mich von Izzy lösen.
Sie wischt sich mit der flachen Hand durchs Gesicht und sieht mich an.
"Es tut mir so leid, Eddie!",sagt sie dann und schluchzt laut auf.
"Ich dachte ich könnte dich davor schützen",fügt sie mit bebender Stimme hinzu und ich ziehe sie erneut an mich.
Ich bekomme kein Wort heraus. Es würde auch nichts nützen. Kein Wort dieser Welt kann beschreiben, wie ich mich fühle. Oder wie Izzy sich fühlen muss.
Alles, was ich über die Lippen bringen kann, ist ein leises "Ich liebe dich."
Izzy schluchzt noch lauter und mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen.
"Leute, ich will wirklich nicht drängeln",sagt Robin, "Aber ich glaube, wir sollten nicht hier bleiben. Wir haben auf dem Weg hierher einige Polizeistreifen gesehen. Sie suchen die ganze Gegend ab."
Izzy löst sich wiederwillig von mir und nimmt mich bei der Hand.
"Wohin gehen wir?",frage ich heiser.
"Hoppers Hütte",sagt Izzy mit zitternder Stimme.
Ich habe keine Ahnung wovon sie spricht aber ich vertraue ihr blind.

Wir fahren in ein dicht bewaldetes Gebiet und die Schwärze der Nacht schluckt jeden Funken Licht. Steve hat die Scheinwerfer des Wagens ausgeschaltet und wir holpern beinahe blind den schmalen Weg entlang.
"Pass auf, hier kommt eine Kurve!",ruft Izzy gerade noch rechtzeitig, sodass Steve das Lenkrad herum reißt und nur knapp an einem Baum vorbeifährt.
"Sag das doch nächstes Mal etwas früher, bitte!",grummelt er.
Alle wirken unheimlich angespannt.
Meine eigene Unruhe treibt mich beinahe in den Wahnsinn.
Izzy sitzt neben mir auf der Rückbank und klammert sich an meinen Arm. Immer Mal wieder entfährt ihr ein leises Schluchzen, wie auch jetzt. Ich lege meinen Arm um sie und ziehe sie an mich, lege meine Lippen auf ihren Scheitel.
Alles fühlt sich so unwirklich an. Aus irgendeinem Grund hoffe ich immer noch, dass ich das alles nur träume.
Denn wenn es wahr ist, ist Chrissy tatsächlich tot und ich vermutlich Tatverdächtiger Nummer eins.
Ich bin noch nicht bereit, dieser Wahrheit ins Auge zu sehen.
"Stopp!"
Erschrocken macht Steve eine Vollbremsung und wir werden in die Gurte katapultiert.
"Scheiße nochmal!",entfährt es Steve und ich schaue zwischen den Vordersitzen hindurch durch die Windschutzscheibe.
Nur Zentimeter vor unserem parkt ein Wagen.
"Okay, wir sind da",sagt Robin und atmet hörbar aus.
"Und wie durch ein Wunder, leben wir noch!",sagt Steve und fährt sich durch die Haare.
Wir steigen aus und in der Dunkelheit mache ich eine Holzhütte rechts von uns aus. Im Fenster flackert ein kleines Licht. Vermutlich von einer Kerze.
Izzy nimmt mich bei der Hand ich folge ihr in die Hütte.
"Ach du scheiße",sagt Steve leise, "Hier sieht es schlimm aus."
"Nichts, was man nicht retten könnte!",ertönt eine Stimme aus der Dunkelheit. Ich kann sie nicht zuordnen, sie ist mir unbekannt.
"Ich habe Mikes Zimmer schon in einem schlimmeren Zustand gesehen",fügt die mir unbekannte Stimme hinzu.
Ein Feuerzeug erhellt für einen Moment den Raum und ich erkenne die Umrisse einer jungen Frau.
Das muss Nancy sein.
"Hier sind ein paar Kerzen, helft mir Mal, sie anzuzünden",sagt sie und reicht mir eine Kerze. Dabei wirft sie mir einen Blick zu, den ich nicht deuten kann. Entweder ist es Mitleid oder Misstrauen.
Ich fummle mein Feuerzeug aus meiner Hosentasche, dafür musste ich Izzys Hand loslassen. Sie klammert sich nun stattdessen an meinen Arm. Wie eine Ertrinkende.
Ich kann es nachfühlen. Ich würde sie am liebsten an mich ziehen und nie wieder loslassen.
"Izzy?",sagt Nancy und hält ihr zwei Kerzen hin. Izzy zögert einen Moment, wirft mir einen flüchtigen Blick zu und löst sich dann langsam von mir. Sie nimmt die Kerzen entgegen und lehnt sich dabei an mich.
Ich zünde die Kerze in meiner Hand mit meinem Feuerzeug an und halte die Flamme dann an Izzys Kerzen.
Das spärliche Licht erhellt zumindest teilweise den Raum und offenbart das Ausmaß. In der Decke klafft ein riesiges Loch. Der Boden ist mit Laub bedeckt. Überall liegen Möbelstücke herum.
"Besser als ich dachte",sage ich und stupse Izzy an. Ein leichtes Lächeln umspielt ihre Lippen, das aber sofort wieder erlischt und Sorgenfalten auf ihrer Stirn weicht.

Wir verbringen Stunden damit, im Halbdunkel das gröbste Chaos zu beseitigen. Zum Glück ist der Raum, in dem ein Bett steht, noch einigermaßen in Takt. Gerade hieve ich mit Steve die Couch zurück auf ihre Füße.
"Um das Dach kümmern wir uns, wenn es hell ist",sagt Nancy, die, den Kopf in den Nacken gelegt, das Loch betrachtet.
"Die Fenster müssen wir auch noch vernageln",sagt Robin und Nancy nickt.
"Aber fürs erste bist du hier sicher, Eddie",sagt Nancy und wendet sich mir zu.
"Danke",presse ich hervor.
"Vielleicht magst du uns ja gleich erzählen, was passiert ist?",fragt sie und mir schnürrt sich die Kehle zu. Stumm nicke ich.
Izzy verkrampft sich neben mir.
Sie ist mir die ganze Zeit über kaum von der Seite gewichen. Es ist, als hätte sie Angst, ich könnte mich in Luft auflösen. Mir geht es genauso. Ehrlich gesagt wünschte ich, es wäre so.
Nachdem wir den Boden vom Laub befreit haben und die Möbel wieder ordentlich hingestellt haben, sieht es beinahe wohnlich aus.
Im Kerzenschein ist es sogar fast ein wenig gemütlich.
Die anderen haben sich bereits hingesetzt und schweigen betreten.
Ich stehe unschlüssig im Raum. Izzy nimmt mich bei der Hand und wir setzen uns auf die Couch.
"Eddie, ich weiß, wie schwer das sein muss",sagt Dustin ruhig, "Aber wir müssen wissen, was genau passiert ist."
Ich schaue auf meine Hände und drehe nervös an meinen Ringen. Izzy legt eine Hand auf meine und ich sehe sie an.
"Ich helfe dir, es zu erzählen,"sagt sie sanft und ich nicke.
Ich seufze schwer und schließe die Augen.
"Als ich bei Chrissy ankam war noch alles normal. Sie wirkte ein wenig abwesend, vielleicht sogar ängstlich, ich weiß nicht genau. Irgendwas war anders an ihr. Sie hat mich gefragt, ob ich schonmal das Gefühl gehabt hätte, den Verstand zu verlieren. Das allein war schon komisch. Doch sie wollte mir nicht sagen, was mit ihr los ist",meine Stimme bricht und ich muss tief Luft holen, um weiter sprechen zu können.
"Ich hab mich nur kurz umgedreht und als ich mich wieder ihr zuwandte, stand sie einfach so da. Sie war nicht ansprechbar. Von ihren Augen war nur das weiße zu sehen. Ich hab versucht sie zu wecken, wirklich, aber es war als wäre sie in einer Art Trance oder sowas..."
"Vecnas Fluch",sagt Dustin leise und ich hebe den Blick.
Ich nicke langsam.
"Und dann...dann...",ich verberge mein Gesicht in meine Hände und schluchze.
"Dann schwebte sie plötzlich in der Luft und ihre Knochen brachen, richtig?",fragt Izzy und ich nicke.
"Und ihre Augen....Jesus Christ...ihre Augen...es war als wäre Jemand
...oder etwas... in ihrem Kopf und würde ziehen!" Ich lege nach Luft schnappen den Kopf in den Nacken.
"Ich konnte nichts tun...ich...ich war wie erstarrt... Und dann bin ich durchs Fenster abgehauen...ich hab sie einfach da liegen lassen...",erneut bricht meine Stimme und Tränen laufen mir über die Wangen.
Es laut auszusprechen hat es real werden lassen und genau das treibt mich dazu, an meinem Verstand zu zweifeln.
"Du hättest nichts für sie tun können, Eddie",sagt Izzy und drückt meine Hand.
Ich sehe sie an. Ihre sanften Augen betrachten mich liebevoll. Doch da ist noch etwas. Ich weiß nicht genau, was es ist aber in mir keimt das Gefühl, das sie mir etwas verschweigt.
"Offensichtlich haben wir deutlich weniger Zeit als wir angenommen haben",sagt Dustin, "Wann hätte Chrissy sterben sollen?"
Ich zucke zusammen.
Sterben sollen...als wäre es ein notwendiges Übel.
"Kurz vor den Sommerferien",sagt Izzy leise.
"Hast du eine Idee, wieso es jetzt schon passiert ist?"
"Ich habe eine Theorie",sagt Izzy und räuspert sich. Ihre Stimme klingt belegt.
"Ich glaube, ich beschleunige ungewollt die Ereignisse. Ich habe Eddie und Chrissy viel früher mit einander bekannt gemacht, als es vorgesehen war. Vermutlich hat allein das schon den Stein ins Rollen gebracht",sagt sie und senkt den Blick.
"Durch Chrissys Tod ist jetzt ein Tor auf, oder?",fragt Elfi und Izzy nickt schweigend.
Ich halte es kaum aus hier zu sitzen und mir anzuhören, wie theoretisch über Chrissys Tod gesprochen wird. Als wäre sie kein Mensch gewesen. Als wäre ihr Tod nur ein weiteres Problem, das behoben werden muss.
"Wir können also hindurch gehen",sagt Steve und hebt die Augenbrauen.
"Nicht so lange Elfi ihre Kräfte nicht zurück hat und selbst dann...",sagt Izzy und verbirgt seufzend ihr Gesicht in ihren Händen, "Selbst dann reicht es vielleicht nicht aus. Vecna ist bei voller Kraft. Und je mehr Opfer er absorbiert, umso stärker wird er. Chrissy war nur der Anfang. Ich befürchte, wir müssen damit rechnen, das wir ihn nicht töten können."
Mir wird plötzlich eiskalt.
"Du meinst, wir sind chancenlos?",fragt Robin und sieht aus wie ich mich fühle. Verzweifelt.
"Ich weiß es nicht. Es fühlt sich so an",sagt Izzy und für eine Augenblick habe ich das Gefühl, das alles seinen Sinn verloren hat.

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