Kapitel 18

Du verlässt am Morgen deinen Trailer und stolperst über etwas, das auf der Fußmatte liegt. Du bückst dich, um es aufzuheben.
Es ist eine Kassette.
"Absolut Munson"
Steht darauf, in krakeliger Schrift.
Sofort schießen dir wieder Tränen in die Augen. Du wischst sie wütend weg.
Du drehst die Kassette um. In der durchsichtigen Plastikhülle steckt ein kleiner Zettel. Du ziehst in heraus.
Open Mic, Hideout, Heute 20 Uhr
Steht dort in der selben Handschrift wie auf der Kassette.
Du legst den Kopf in den Nacken. Ist das seine Art, Entschuldigung zu sagen? Selbst wenn, es ändert nichts an der Tatsache, das er gestern offenbar den Tag mit Chrissy verbracht hat.
Wieder wollen dir Tränen in die Augen schießen und du schüttelst den Kopf.
Nein.
Schluss damit!
Deine Augen brennen sowieso schon wie Feuer, weil du dich in der vergangenen Nacht in den Schlaf geweint hast.
Du setzt dich in dein Auto, zögerst einen Moment und legst dann die Kassette ein.
Du presst deine Lippen aufeinander, als der erste Song ertönt.
Stand Up and Shout von Dio.
Das Lied, das du beim Soundcheck gesungen hast.
Du fährst dir durchs Gesicht und legst deinen Kopf auf dem Lenkrad ab.
Wieso? Wie schafft es dieser Mann, dich so unglaublich wütend zu machen und gleichzeitig sehnt sich alles an dir danach, in seiner Nähe zu sein.
Du fasst dir an die Brust und schnappst nach Luft.
So eine verdammte Scheiße!
Du hättest ihm einfach sagen sollen, das du aus der Zukunft kommst.
Hey Eddie, ich komme aus dem Jahr 2022 aber im Jahr 1986, allerdings erst in 6 Monaten, haben wir uns ineinander verliebt. Und zwar so richtig. Mit Blitz- Hochzeit! Und dann bist du gestorben und ich bin hier um das zu verhindern. Ach ja, und ich liebe dich mit jeder Faser meines Körpers, also bitte hör auf so ein Idiot zu sein!
Klingt doch total plausibel. Wer würde da schon die Nerven verlieren?
Vielleicht solltest du ihm das in einem Brief schreiben, dann ist es leichter zu verdauen. Du lachst hysterisch, ob dieser lächerlichen Vorstellung.
So langsam verlierst du den Verstand.

Die Stunden bis zu Mittagspause vergehen einigermaßen schnell.
Bislang bist du Eddie noch nicht begegnet. Und auch Chrissy hast du noch nicht gesehen.
Vermutlich weil sie aufeinander hocken.
Du gehst in die Cafeteria. Es kostet dich Überwindung aber du musst die beiden zusammen sehen. Du musst wissen, was da zwischen ihnen läuft. Egal, wie sehr es weh tun wird.
Eddie sitzt bereits am Hellfire Tisch. Von Chrissy fehlt allerdings jede Spur. Du lässt die Essensausgabe heute aus, du hast ohnehin keinen Appetit.
Also gehst du direkt zum Hellfire Tisch und setzt dich wortlos auf den freien Platz neben Dustin.
Er begrüßt dich fröhlich, du versuchst ihm ein Lächeln zu schenken.
Seinem Blick nach zu urteilen, bist du kläglich gescheitert.
Bisher hast du dich nicht getraut, Eddie anzusehen.
Bis er dir plötzlich eine Hand auf den Arm legt.
"Izzy, sehen wir uns heute Abend?",fragt er hoffnungsvoll und du zwingst dich, ihn anzusehen.
Er sieht dich aus traurigen Augen an.
Du schließt kurz die Augen, als du sie wieder öffnest, presst Eddie die Lippen aufeinander.
"Bitte",formt er tonlos mit seinen Lippen und du nickst kaum merklich.
Ein Lächeln legt sich auf sein Gesicht. Er sieht erleichtert aus.
Und du möchtest ihn am liebsten ohrfeigen.
Einfach weil er es schon wieder geschafft hat, dich in seinen Bann zu ziehen.

Du liegst auf deinem Sofa und bist noch immer nicht sicher, ob du wirklich zu dieser Open Mic Nacht gehen willst. Du bist bereits fix und fertig, hast dich umgezogen und Make Up aufgelegt. Du hast sogar zur Abwechslung Mal deinen Mähne gebändigt und sie dir geflochten.
Und jetzt liegst du hier und kannst dich nicht dazu durchringen, aufzustehen.
Eddies Van ist schon vor einer Stunde aus der Einfahrt gerollt.
Du hingegen hättest vor 15 Minuten losfahren müssen. Pünktlich schaffst du es auf keinen Fall mehr.
Seufzend richtest du dich auf.
Du schaffst es ohnehin nicht, dich von ihm fernzuhalten. Einerseits brauchst du ihn wie die Luft zum atmen, andererseits ist er dein Kryptonit, seine Nähe bringt dich um.
Aber du hast ihm gesagt, du würdest kommen. Ihn jetzt so zu versetzen kommt dir auch falsch vor.
Argh.
Du raufst dir die Haare und prompt lösen sich Strähnen aus deinem Zopf.
Scheiß drauf.
Du springst auf, verlässt deinen Trailer und machst dich auf den Weg zum Hideout.

Du betrittst die Kneipe und entdeckst Eddie an der Theke, wo er sich mit den Barkeeper unterhält. Einen Fuß hat er auf den Fußlauf an der Theke abgestützt. Sein Oberkörper lehnt halb über den Tresen. Seine beringte Hand umschließt ein Bier.
Mit der anderen gestikuliert er, während er spricht.
Allein dieser Anblick sorgt schon dafür, das dein Herz an die tausend mal schneller schlägt, als es gesund wäre.
Mit zitternden Knien gehst du auf ihn zu.
Der Barkeeper nickt dir zu und Eddie dreht den Kopf in deine Richtung.
Er schaut dich an und lächelt verlegen.
Du bleibst neben ihm stehen.
Er löst sich von Tresen und drückt dich ohne Vorwarnung an sich.
Deine Augen schließen sich wie von selbst, deine Nase saugt gierig seinen Duft ein, du kannst nichts dagegen tun.
Eddie drückt dich noch ein wenig fester.
Eine Hand ruht in deinem Nacken, die andere liegt an deiner Taille, presst dich an ihn.
Deine Hande krallen sich in den Stoff seines Shirts.
Nach einer gefühlten Ewigkeit lässt Eddie dich los.
Er schaut dich an.
"Danke, das du gekommen bist",sagt er leise und haucht dir einen Kuss auf die Stirn.
Schnell wendest du dich von ihm ab und hebst die Hand um dem Barkeeper zu suggerieren, das du bestellen möchtest.
"Kurz dachte ich, du würdest mich versetzen",sagt er und legt den Kopf schief.
"Ich hab darüber nachgedacht",murmelst du.
Der Barkeeper stellt ein Bier vor dir ab.
"Ich hatte schon für dich bestellt",sagt Eddie und nimmt sein Bier in die Hand. Er beginnt, am Etikett zu pulen.
"Izzy, ich...",beginnt er doch du schüttelst energisch den Kopf.
"Bitte, Eddie, ich will's nicht hören",sagst du und trinkst einen Schluck von deinem Bier, "Unsere Freundschaft ist dir zu wichtig, als das du sie für bedeutungslosen Sex aufs Spiel setzen würdest. Ich habs verstanden."
"Stop, Izzy!",sagt er und fixiert dich mit seinem Blick.
"So ist das nicht!"
"Wie dann?"
Eddie schweigt.
Du presst die Lippen aufeinander.
"Ich verstehe schon,"sagst du leise.
"Nein, das tust du nicht! Du bist mir wichtig, okay?! Ich will dich nicht verlieren!"
"Ich sagte doch schon, ich hab's verstanden!",sagst du und verdrehst die Augen.
"Wann bin ich dran? Du hast mich doch sicher auch schon angemeldet, oder?"
Eddie nickt und schaut auf die Casio an seinem Handgelenk.
"In 10 Minuten. Hör Mal, du musst nicht...",beginnt er und du knallst die Bierflasche auf den Tresen, sodass sie überschäumt.
"Lass es sein!"
"Okay",sagt er und beginnt wieder am Etikett seines Bieres zu pulen, das er bereits zur Hälfte abgekratzt hat.
"Was wirst du singen?",fragt Eddie und schaut dich mit einer Mischung aus Mitleid und Trauer an.
"Lass dich überraschen",sagst du und Eddie schmunzelt.
"Okay."

Nervös nimmst du auf dem Barhocker platz, der vor dem Mikro steht. Du stellst das Mikro auf deine Höhe ein.
Der Band hast du bereits die Noten für deinen Song gegeben. Damit sollten sie keine Schwierigkeiten haben.
Du schirmst deine Augen vor dem grellen Licht der Schweinwerfer ab und entdeckst, Eddie, der in einer Ecke an einer Wand lehnt und dich beobachtet.
Du hast einen Song gewählt, der während deiner Trauerphase nach Eddies Tod dein ständiger Begleiter war.
Es ist dir egal, das er noch nicht geschrieben wurde. Niemand wird sich an dich erinnern. Oder an den Song.
Niemand, bis auf ihn.
"Bist du soweit, Kleine?",fragt der Schlagzeuger und du nickst.
Er schlägt die ersten Takte des Songs an und du atmest tief durch.

(Kleiner Tipp von mir am Rande, hört euch den Song jetzt an, wenn ihr könnt
--- Billie Eilish - Six feet under ---)


"Help, I lost myself again
But I remember you
Don't come back, it won't end well
But I wish you'd tell me to

Our love is six feet under
I can't help but wonder
If our grave was watered by the rain
Would roses bloom?
Could roses bloom
Again?

Retrace my lips, erase your touch
It's all too much for me
Blow away like smoke in air
How can you die carelessly?

Our love is six feet under
I can't help but wonder
If our grave was watered by the rain
Would roses bloom?
Could roses bloom?

They're playin' our sound
Layin' us down tonight
And all of these clouds
Cryin' us back to life
But you're cold as a night

Six feet under
I can't help but wonder
If our grave was watered by the rain
Bloom
Bloom
Again

Help, I lost myself again
But I remember you"


Du wischst dir die Tränen aus dem Gesicht und gehst von der Bühne, ohne die Reaktion der Zuschauer zu beachten. Du gehst schnellen Schrittes zum Ausgang und atmest gierig die kühle Luft ein.
In deinem Rücken öffnet sich die Tür und im nächsten Moment hält Eddie dich fest im Arm. Du beginnst haltlos zu weinen.
Er schlingt seine Arme um dich und vergräbt sein Gesicht an deinem Hals. Du ziehst ihn an dich, ohne nachzudenken.
Gerade brauchst du ihn mehr als jemals zuvor.
Seine Hände umklammern deine Taille. Du lässt dich fallen. Du kannst nichts anderes tun. Du willst ihn nur spüren. Mehr verlangst du in diesem Moment nicht. Nur seine Nähe.
Du atmest seinen Duft ein, spürst die Wärme seines Körpers und wünschst dir, du könntest diesen Moment einfrieren.

Irgendwann löst du dich widerwillig von ihm und wischst dir die Tränen aus dem Gesicht. Ihr schweigt.
Geduldig wartet Eddie.
Bis du es endlich schaffst, etwas zu sagen.
"Eddie, ich...es ist schwer für mich dich so...",deine Stimme bricht und du räusperst dich, "...dich so nah an mich heran zu lassen. Aber ich möchte diese Freundschaft genau so sehr wie du. Du musst mir Zeit geben."
Er nickt kaum merklich.
"Okay",sagt er mit bebender Stimme.
Wieder schweigt ihr und Eddie fingert umständlich eine Schachtel Zigaretten aus seiner Hosentasche.
Er nimmt zwei heraus und bietet dir eine an. Du nimmst die entgegen.
Eddie gibt dir Feuer und du nimmst einen Zug.
"Das eben war übrigens wunderschön",sagt Eddie und er versucht, deinem Blick auszuweichen.
"Danke",sagst du leise.
Du betrachtest ihn. Auch wenn es dich vielleicht umbringt, du kannst nicht ohne ihn sein. Und wenn das bedeutet, das ihr nur Freunde seid, dann nimmst du diesen Stohhalm und greifst nach ihm, als würde dein Leben davon abhängen.
"Hast du Lust noch ein zwei Bier mit mir zu trinken, Munson?",fragst du und Eddie sieht dich endlich an.
Seine Augen strahlen.
"Nichts würde ich lieber tun",sagt er und lächelt.



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