Kapitel 19

Vor uns stand ein völlig fremder Mann. Ich richtete mich langsam auf und starrte ihn verwirrt an. Abigail war doch unsere Schuldige, was hatte dieser Mann hier zu suchen? "Wer sind sie? Warum sind sie nicht Abigail?", fragte ich panisch. Ich hatte mich so darauf vorbereitet, Abigail gegenüberzustehen. Ich war verwirrter denn je. Der Mann lachte. Was war daran bitteschön lustig? Er setzte sich auf den Stuhl und legte seine Füße auf den Schreibtisch. "Abigail hätte wirklich eine wunderbare Schuldige abgegeben, nicht wahr? Wegen Irene traut doch jeder ihr so etwas zu.", sagte er. Ich verstand nicht, was er mir damit mitteilen wollte. "Ich Dussel habe doch glatt vergessen, mich vorzustellen! Harold Edwards, ich bin Abigails älterer Bruder. Natürlich kennt Mary mich schon.", stellte er sich vor. Abigails Bruder? Was in aller Welt ging hier vor sich? Tatsächlich fielen mir trotz der Unterschiede Ähnlichkeiten zu seiner Schwester auf. Trotz seiner schwarzen Haare, des drei Tage Bartes und der Tatsache, dass er ein Mann war, hatte er die gleichen dunklen Augen wie sie. Generell hatte er den gleichen Blick wie sie. Er konnte genau wie Abigail furchtbar arrogant dreinschauen und seinen Blick "Seht mich an! Ich bin viel besser als ihr alle zusammen! Ihr werdet nie so perfekt sein wie ich!" schreien lassen. Wenn man genau hinsah, hatte er wie seine Schwester ein Muttermal auf der rechten Seite des Kinns. Außerdem hatte beide den gleichen Kiefer und auch die Art, wie sie lächelten, glich sich.
"Wie werde ich dich wohl töten? Erschlagen, erstechen und vergiften hatte ich alles schon.", dachte er laut nach. Harold jagte mir große Angst ein. Innerlich betete ich, dass Marius sich beeilen würde und dass alles bald vorbei wäre. "Ich hab's! Ich werde dich erschießen. Du wirst sehen, mit einem Kopfschuss geht es sehr schnell.", sagte er belustigt. Er holte eine Pistole aus dem Schreibtisch und legte die Kugeln bereit. Ich musste Zeit schinden, nur wie? Ein Gespräch, das war es! Ich holte tief Luft. "Dürfte ich wenigstens erfahren, warum sie es auf meine Familie abgesehen haben?", fragte ich und versuchte, die Angst in meiner Stimme zu verbergen. Harold seufzte. "Es ist süß, wie viel Mut und Hoffnung du noch übrog hast. Und es ist gut, dass du mich trotz allem siezt. Dein Vater hat dich gut erzogen.", sagte er. "Ja, das wirst du sowieso erfahren. Du und Mary werdet nachher sowieso nicht mehr leben, um jemandem davon zu erzählen. Ich übrigens auch nicht, denn nach euch beiden werde ich sterben. Meine Arbeit wird getan sein."

Er wusste nicht, wie lange er schon rannte. Seine Lungen brannten wie Feuer. Tausende un abertausende Gedanken rasten ihm durch den Kopf. Was wäre, wenn er die nächste Polizeistation nicht rechtzeitig erreichen würde? Er würde nicht damit leben können, wenn seinenerste richtige Freundin und ihre Schwester in dieser Nacht sterben würden. Er durfte die Hoffnung auf keinen Fall aufgeben.
Das Londoner East End war nicht der Stadtteil, in dem man einen nächtlichen Spaziergang unternehmen wollte. Die Menschen, die sich um diese Uhrzeit noch draußen befanden, waren Obdachlose, Betrunkene und Prostituierte, von denen die meisten kaum älter als 15 Jahre alt waren. Es hatten viele versucht, sich ihm anzubieten. Oft versuchten sie es mit Sätzen wie zum Beispiel:"Warum denn so in Eile?", "Ich möchte dir doch nur etwas Gesellschaft leisen!", oder oft den Satz, den er über alles hasste:"Hey Süßer! Bräuchtest du Gesellschaft für heute Abend? Falls ja, ich habe Zeit." Was ihn aber noch mehr störte, war die Tatsache, dass sie ihn kostbare Zeit kosteten, Körperkontakt zu ihm suchten und sich gar nicht bis schwer abwimmeln ließen. Antworten wie "Ich habe kein Interesse." oder "Ich habe eine Freundin." ließen sie nicht gelten. Mittlerweile hatte er sich dazu entschieden, immer weiterzurennen. Irgendwann spürte er eine Hand auf seiner Schulter und er blieb stehen. "Wie oft muss ich es denn noch sagen? Ich habe eine Freundin und außerdem kein Interesse!", sagte er genervt. "Wer sagt denn du müsstest Interesse an mir haben? Geht es dir nicht gut?", fragte eine vertraute Stimme verwundert. Er drehte sich um und war glücklich, dass er seinen älteren Bruder Collin erblickte. "Ich dachte du würdest dich mir anbieten wollen.", sagte er. Sein Bruder schaute ihn verwirrt an. "Ich frage lieber nicht nach." "Was machst du überhaupt hier noch so spät?", fragte er seinen älteren Bruder. Dieser seufzte. "Du klingst wie Mutter. Dafür bist du noch etwas zu jung.", antwortete er und tätschelte den Kopf seines jüngeren Bruders, als ob dieser ein kleiner Junge wäre. "Ich geb dir die Frage gern zurück." "Hör zu, ich habe jetzt keine Zeit dafür. Bring mich einfach zur nächsten Polizeistation, dort wirst du es dann erfahren." "Wie du meinst.", sagte der Älteste achselzuckend und sie machten sich auf den Weg.

Harold stand auf und bedeutete mir, mich auf den Stuhl zu setzen. Ich hatte keine andere Wahl, als zu gehorchen und setzte mich hin. Er holte dicke Seile aus seinem Schreibtisch und stellte sich hinter mich. "Ich werde dich festbinden müssen, damit du nicht auf dumme Gedanken kommst.", sagte er. Er band mir die Hände hinter dem Rücken zusammen, die Beine an die Beine des Stuhles, er band sogar meinen Oberkörper an die Stuhllehne. Als er fertig war, stand er auf und betrachtete mich aus einer kleinen Entfernung. "Perfekt. Ich vertraue dir, dass du mich nicht unterbrechen wirst.", sagte er grinsend. Ich schaute in die Ecke, in der Mary aussah, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Ich hätte ihr so gern geholfen, jedoch war es mir leider nicht möglich. "Ich fange lieber an, sonst werde ich ja nie fertig mit dir.", sagte er. "Wie ich bereits erwähnt habe, ist Abigail meine kleine Schwester. Meine Adoptivmutter hat dir ja erzählt, dass Abigail in ihrem Leben viel zu viel Unrecht und Leid ertragen musste, weswegen sie ein perfektes Leben ohne jegliche Steine im Weg verdient hat. Der Anfang interessiert eh niemanden, weswegen ich sofort zum schönen Teil kommen möchte. Als ich ungefähr 20 Jahre alt war, traf ich die Entscheidung, mich an meinem Vater für das geschehene zu rächen. Dieses Schwein hat sich an meiner Abigail vergangen und ihr die schöne Kindheit, die sie mehr als verdient hätte, schamlos zerstört. Er hat ihr ihr ganzes Leben zunichte gemacht. Wegen ihm ist sie heute das, was man als geisteskrank bezeichnen würde. Ich konnte es nicht mehr ertragen, dass er ohne jegliche Strafe davongekommen war und musste selbst handeln. Deswegen schlich ich mich eines Nachts hierhin. Ich hatte großes Glück, denn er war nicht umgezogen. Als ich ihn fand, lag er betrunken auf dem Sofa und schlief. Neben ihm stand eine leere Weinflasche, die ich so leise es ging nahm und ihn weckte. Ihn im Schlaf zu töten wäre zu einfach gewesen. Ich weckte ihn und konfrontierte ihn mit seinen Taten, worauf er handgreiflich wurde. Ohne zu zögern schlug ich ihm die Flasche auf den Kopf, worauf er sofort tot umfiel. Ich ließ ihn einfach da liegen, denn er verdiente es nicht anders. Als ich sein Leben auslöschte, verspürte ich keinen Funken von Schuldgefühlen, sondern ich habe triumphiert. Ich fühlte mich wie ein Held, weil ich meiner Abigail einen großen Gefallen getan hatte. Ich hatte das Gefühl, ihre Depressionen und die Zeit, in der sie zu viele Tränen wegen ihm vergossen hatte, gerächt zu haben. Nun ja, in dieser Zeit merkte ich, dass meine Gefühle für sie weit über Geschwisterliebe hinausreichten. Ich wollte sie nicht abschrecken, weswegen ich diese ignorierte. Was mich jedoch etwas verletzte, was dass sie sich in deinen Vater verliebt hatte. So erzählte sie es mir. Am gleichen Tag nich kam sie weinend nach Hause, weil er mit dieser ach so tollen Vicoria zusammen war." Den Namen meiner Mutter sorach er mit solch einer Verachtung aus, dass es schon fasz wehtat. "Dein Vater erfuhr zu diesem Zeitpunkt denke ich nie von ihren Gefühlen. Ich habe in dieser Zeit mit ihr gelitten. Ich überspringe erneut einen unwichtigen Teil, weil wir sonst nie fertig werden. Irgendwann kam sie über ihre Gefühle hinweg und fand eine Arbeitsstelle als Krankenschwester in der Militärbasis außerhalb der Stadt. Dort lernte sie ihren ersten Ehemann, Jonathan, kennen. Wie sehr ich ihn gehasst habe! Es hat mich furchtbar aufgeregt, dass sie jemand anderes heiratete und sogar Kinder mit ihm hatte. Ihre Kinder konnte ich nicht hassen, da in ihren Adern auch Abigails Blut fließt. Nun ja, für Janes Teil eher floss." Harold lachte. "Ich musste Jonathan und Victoria unbedingt loswerden, nur wie? Ich bekam beide mit Drohungen nicht klein, sogar deine Schwester zu entführen war nicht schlimm genug und hat außerdem nicht funktioniert. Die Gelegenheit ihn zu entsorgen kam dann wie gerufen: der Krieg in Afghanistan. Ich hatte Glück, denn man brauchte Freiwillige, die mitgehen sollten. Ich meldete mich und schmuggelte seine Papiere in den Ordner von denen, die mitgehen sollten. Am Tag der Abreise hat Abigail mir trotzdem leidgetan, weil sie bald verwitwet sein würde. Sie und die Kinder haben doch tatsächlich eine Stunde gebraucht, um sich von Jonathan zu verabschieden. Sofort in der ersten Nacht in Afghanistan habe ich ihn von der Bildfläche verschwinden lassen. Ich habe ihn abseits des Lagers gelockt und ihn wie meinen Vater erschlagen. Ich habe seinen Leichnam verbrannt und es so aussehen lassen, als wäre er spurlos verschwunden. Als wir zurückkehrten und Abigail erfuhr, dass Jonathan "verschwunden" war, war sie am Boden zerstört. Ich hätte nie gedacht, dass sie wegen diesem Idioten erneut in eine Depression verfallen würde. Eines Tages habe ich sie dann besucht und ihr erklärt, was ich für sie empfand. Sie hat sich furchtbar darüber aufgeregt und much kurzerhand rausgeworfen. Den Kontakt zu mir brach sie ebenfalls ab. Deine Mutter verschwinden zu lassen war ebenfalls schwer. Meine Drohungen haben sie, wie gesagt, nicht kleinbekommen. Falls sie Angst hatte, man merkte es ihr erst ganz zum Schluss an. Am Abend des Balles habe ich es geschafft, mich dorthin zu schmuggeln und ihr Gift in den Wein zu schütten. Ich hatte erneut großes Glück, denn sie war wirklich ordentlich betrunken. Ich freute mich sehr zu hören, dass sie im Krankenhaus verstorben war. Endlicj war sie die beiden los! Nun musste ich nur noch darauf warten, dass dein Vater und Abigail aufhörten zu trauern und sich in die Arme liefen. Ich war glücklich, dass ihre Kinder an diesem Abend dafür sorgten, dass sie das Haus verließ. An diesem Abend liefen sie sich dann in die Arme und es funkte endlich zwischen den beiden. Ich habe mich tierisch gefreut, als sie geheiratet haben und Irene, Mary und Jane deiner Schwester und die das Leben zur Hölle auf Erden gemacht haben. Nun störten nur noch zwei Personen: deine Schwester und du. Dounia war leicht kleinzukriegen. Wegen meiner Briefchen wollte sie sich doch glatt das Leben nehmen! Solch einer schwachen Person bin ich in meinem ganzen bisherigen Leben noch nie begegnet. Ich habe es richtig genossen, sie innerlich zu zerstören. Umso mehr regte es mich auf, als sie ihren Robert kennenlernte und es ihr besser ging. Zufälligerweise wusste ich, dass er früher mit seiner Familie neben Abigail und Jonathan gewohnt hatte und sie ihm seit jeher nicht schlecht gefiel. Wem würde Abigail schon nicht gefallen? Wie auch immer, ich habe mich als sie ausgegeben und ihn dazu gebracht, deiner Schwester das Messer in den Bauch zu rammen. Ich hatte den Tod seiner Schwester gegen ihn in der Hand und konnte es so aussehen lassen, als hätte er sie umgebracht. Ich hötte ihn sowieso entsorgt, er hat von daher die schnellere Methode gewählt. Kommen wir nun zu Jane. Ich wusste schon von Anfang an, dass sie sich mit dieser Shanti trifft, was ich unter keinen Umständen zulassen konnte. Eine Frau gehört zu einem Mann, so ist es richtig. Alles andere ist ekelhaft und falsch. Außerdem war sie für eine Frau viel zu männlich und glich immer mehr ihrem Vater, was für mich ebenfalls nicht in Frage kam. Als ich sie an diesem Abend töten wollte, hing sie schon. Nach meinen Nachrichten hat sie ihr Schicksal wohl selbst in die Hand genommen und das richtige getan. Für mich gab es nichts mehr zu tun. Trotzdem fühle ich mich schuldig, da sie nun schuldig gesprochen wurde und in der Psychiatrie sitzt.
Nun zu dir, meine liebe. Du störst. Während di dich gegen Irene gewehrt hast, hast du Abigail verletzt, was ich nicht dulde. Du kommst ganz nach deiner arroganten, sadistischen, nichtsnutzigen Mutter. Wenigstens werde ich dich heute Abend entsorgen, dann wird jeder sich freuen. Obwohl du mit deinem Freundein süßes Paar abgegeben hättest, jedoch hat der arme Junge besseres verdient, meinst du nicht?"

Als Harold seine Erzählung beendet hatte, war ich sprachlos. Dieser Mann war definitiv verrückt! Welcher normal denkende Mensch verliebte sich in seine eigene Schwester und tötete Menschen, die ihr wichtig waren? "Du darfst nur noch eine Frage stellen.", sagte er. Ich wusste, was ich noch zu fragen hatte. "Warum lassen sie es aussehen, als ob Abigail die Schuldige wäre? Warum tun sie das, wenn sie ihnen doch so wichtig ist?", fragte ich. Augenblicklich kochte eine Unmenge von Wir in mir auf. Er lachte schon zum gefühlt hundertsten Mal auf. "Schätzen, glaubst du, ich möchte die Todesstrafe erleiden? Und nein, ich lasse nicht Abigail schuldig aussehen lassen, sondern Irene.", verbesserte er mich. Er lid die Pistole und drückte sie mir an die Schläfe. "Mach dich bereit zum sterben.", sagte er belustigt. Ich spürte einen dicken Kloß in meinem Hals und drohte, in Tränen auszubrechen. Ich durfte ihm diesen Gefallen unter keinen Umständen tun. Wenn wir jetzt nicht bald Hilfe bekommen würden, wären Mary und ich bald tot. Meine Eltern würden es womöglich nicht verkraften, auch noch mich wegen Harold zu verlieren. Angst übernahm die Kontrolle und mir liefen ungewollt Tränen übers Gesicht. Ich war solch ein Schwächling. Gerade als ich jegliche Hoffnung aufgeben wollte, hörte ich schnelle Schritte, die immer näher kamen. Ich atmete erleichtert auf. Wir waren gerettet! Die Person rüttelte am Türknauf. "Bist du dir bei dieser Sache wirklich sicher?", fragte eine Stimme, die ich als die meiner Mutter identifizierte. "Natürlich.", antwortete Abigail. ABIGAIL? Was in aller Welt hatte sie hier zu suchen?

Boom. Abigails Bruder, von dem man vorher nie etwas gehört hat, ist es. Wie denkt ihr, geht es weiter?

Ich freue mich auf eure Theorien und bis zum nächsten Mal!

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