Kapitel 12

"Ich durfte mich aber schon in die Kutsche setzen. Wenige Sekunden später stürmte diese Person bewaffnet auf mich zu und ehe ich mich versah, hatte sie mir die Pistole auf die Brust gesetzt. Ich wusste, dass es zu spät war und stellte mich darauf ein, erschossen zu werden. Als der Kutscher die Person bemerkte, ergriff sie die Flucht und schmiss einen Umschlag in die Kutsche. Auf dem Nachhauseweg las ich den Brief, in dem stand, es wäre nicht das letzte Mal gewesen, dass sie versuchen würde, mich aus dem Weg zu räumen. Als ich deinem Vater von diesem Vorfall berichtete, wollte er kurzerhand umziehen. Ich bestand darauf zu bleiben, denn ich wollte mich nicht von einem Psychopathen vertreiben lassen. Die Folge dieser Entscheidung war, dass ich immer Drohungen erhielt. Als Dounia sieben Jahre alt war, bist du dann auf die Welt gekommen. Ich bekam zwar noch immer Drohungen, doch ihr Inhalt, war nicht mehr so schlimm wie am Anfang. Es blieb auch ein paar Jahre so, doch dann wurde es immer schlimmer. Die Person drohte, dass wenn ich deinen Vater nicht umgehend verlassen würde, würde sie deiner Schwester und dir etwas zuleide tun. Sobald du mit deiner Schwester draußen gespielt hast, hatte ich schreckliche Angst um euch. Du kannst dich bestimmt nicht daran erinnern, dass ich wollte, dass ihr ausschließlich vor der Tür spielt, damit ich immer ein Auge auf euch haben konnte. Als deine Schwester älter wurde, hat sie mir oft vorgeworfen, euch die Freiheit zu rauben. Es hat mir das Herz zerrissen, jedoch hatte ich, wie gesagt, große Angst um euch. Die Briefe wurden immer angsteinflößender, oft schrieb die Person nicht nur ich hätte immer ein Auge auf euch. Ich fühlte mich ständig beobachtet und nie alleine. Ich schlief Nachts sehr schlecht oder überhaupt nicht und erlitt immer öfter heftige Panikattacken. Ich wollte die Wohnung nicht mehr verlassen und kapselte mich komplett von der Außenwelt ab. Hätten Abigail und ihr damaliger Ehemann mich nicht oft besucht, hätte ich wohl keine sozialen Kontakte mehr gehabt. Daher war es auch eine richtige Herausforderung, die Wohnung zu verlassen, um mich auf den Ball des Premierministers zu begeben." Mittlerweile hatte ich gegen meine Tränen verloren und versuchte, leise zu weinen. Mutter kämpfte ebenfalls mit den Tränen. "An diesem Abend war ich gegen 1:00 ordentlich betrunken. Ich habe mein letztes Glas Wein eine Zeit lang unbeaufsichtigt gelassen und es bevor wir den Ball verließen ausgetrunken. Auf dem Nachhauseweg bin ich zusammengebrochen. Jemand hatte versucht mich zu vergiften. Ich wurde schnell genug ins Krankenhaus gebracht und man hat mir Gegengift verabreicht. Ich bin ein paar Tage später aufgewacht und war völlig verängstigt. Die Person hatte ihre Drohung wahrgemacht und hatte versucht, mich zu ermorden. Ich wusste, dass sobald ich nach Hause zurückkehren würde, würde alles von vorne anfangen. Deshalb habe ich den schwersten Entschluss meines Lebens gefasst: ich wollte meinen Tod vortäuschen und untertauchen. Als kurz darauf ein Arzt vorbeikam, um nach mir zu sehen, flehte ich ihn an euch aufzutischen, ich wäre gestorben. Er verstand zwar nicht, wieso, doch er willigte ein. Er bat einen Bekannten, eine Puppe anzuschaffen, die so aussah wie ich. Später musste ich den Bestatter bechtechen, sie zu beerdigen. Als dieser ebenfalls einwilligte und ihm meine Doppelgängerin überlassen wurde, war es höchste Zeit zu fliehen. Ich wusste nicht wohin, deshalb beschloss ich, vorerst bei Abigail zu wohnen. Ich hatte sie über meine Entscheidung informiert. Ich konnte nur für eine Woche bei ihr bleiben, damit ich deine Großmutter darüber informieren konnte, dass ich zurück nach Dover reisen würde. Während dieser Woche schaffte ich mir Kleider, Perücken und eine falsche Identität an. Abigails damaliger Ehemann erhielt nach meinem angeblichen Tod ebenfalls Drohungen. Davon bekam ich nicht besonders viel mit, denn ich flüchtete, wie schon gesagt, eine Woche später nach Dover. Ich verließ nie ohne Perücke das Haus. Es ging mir besser, jedoch hatte ich das Gefühl, egoistisch gehandelt und euch im Stich gelassen zu haben. Ich habe euch alle so sehr vermisst. Ich habe wegen deiner Briefe erfahren, dass Abigails Ehemann im Krieg gefallen war und dass sie eine Beziehung mit deinem Vater führte. Es tat so unglaublich weh, dies zu hören. Andererseits war ich auch froh, dass sie ihr Leben weiterführten. Jetzt bekommen sie ja ein Kind. Ich schweife erneut vom eigentlichen Thema ab. Als ich erfuhr, dass Dounia ermordet worden war, brach für mich eine Welt zusammen. Ich bin mir sicher, dass diese Person daran schuld ist. Jane ist jetzt auch noch gestorben und ich konnte nicht bei euch sein um euch zu trösten und zu sagen, dass alles wieder gut wird. Ich habe es vor Janes Tod nicht mehr ausgehalten und kehrte nach London zurück, damit ich in deiner Nähe sein konnte. Diese Passantin, die du abends auf der Straße gesehen hast und die danach neben dir auf der Bank saß, war ich. Du hast mich bestimmt wegen meiner kleinen Botschaft für verrückt erklärt. Ich war dann noch auf der Beerdigung, damit ich euch irgendwie beistehen konnte, auch wenn es nicht viel Sinn hatte. Im Restaurant habe ich mich als Kellnerin ausgegeben, damit ich irgendwie in deiner Nähe sein konnte. Ich habe ständig das Gefühl, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Ich habe alles verpasst und meine Familie im Stich gelassen. Ich werde es mir nie verzeihen können."

Als sie ihre Erzählung beendet hatte, wischte sie sich ein paar Tränen weg. Ich war sprachlos. Dieser Verrückte trieb schon seit Jahren sein Unwesen und war nie gefasst worden. Alles, was ich in diesem Gespräch erfahren hatte, zerriss mir das Herz. Ich hatte plötzlich das Gefühl, Dounia nie richtig gekannt zu haben. "Sie haben uns nicht im Stich gelassen.", sagte ich nach einer Weile des Schweigens. Ich beschloss, ihr zu sagen, dass ich in der gleichen Situation wie sie war. "Das, was sie jahrelang durchgemacht haben, mache ich erst seit ein paar Wochen durch und werde jetzt "schon" verrückt. Diese Person geht definitiv zu weit!", sagte ich. Mary und Marius schauten mich an, als würden sie mir den Hals umdrehen wollen und Mutter und Großmutter schauten mich zutieft schockiert an. "Wie bitte?", fragte Mutter entsetzt. "Elisabeth, du musst deinem Vater davon berichten, hörst du? Ich möchte nicht dass du so endest wie ich!" Man sah ihr an, dass sie sich Sorgen machte. "Die Sache ist die: wir wollen die Identität dieser Person herausfinden.", meldete sich Marius zu Wort. Der Blick meiner Mutter schrie förmlich:"Bitte sagt mir, dass ihr es nicht ernst meint!" "Wenn euch etwas an eurem Leben liegt, dann hört auf der Stelle damit auf! Diese Person ist überaus gefährlich. Versprecht mir, dass ihr aufhört!", forderte Mutter panisch. Ich schaute Mary und Marius verzweifelt an. Schließlich versprachen wir gegen unseren Willen.

"Mutter, können sie bezahlen? Ich habe mein Geld im Hotel vergessen.", fragte Mutter Großmutter. Diese nickte und begab sich zur Theke. "Wir gehen schon vor, damit ihr noch ein wenig alleine sein könnt. Ihr müsste euch bestimmt viel erzählen.", sagte Mary, während sie und Marius zum gehen aufstanden. Als die beiden das Café verlassen und wir bezahlt hatten, gingen wir ebenfalls.

"Ich begleite euch noch bis zur Brücke, weiter darf ich nicht gehen.", sagte Mutter auf dem Nachhauseweg. Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. "Ich habe gehört, dein Vater und Abigail haben dir einen Ehemann ausgesucht. Gefällt er dir?", fragte Mutter nach einer Weile. Ich seufzte genervt. "Ich hasse ihn! Er ist einfach widerlich!", antwortete ich. Meine Mutter schüttelte enttäuscht den Kopf. "Ich weiß. Ich habe mich umgehört und erschreckendes über ihn herausgefunden. Würde ich noch leben, hätte ich diese Entscheidung nie zugelassen. Ich kann mir nicht erklären, was dein Vater sich dabei nur gedacht hat." Großmutter nickte zustimmend. "Ich habe noch eine Frage an dich.", sagte Großmutter. "Läuft etwas zwischen dir und Marius?" Ich schaute sie erschrocken an. Ich mochte ihn zwar mehr als einen Freund, dennoch war ich zu jung für eine Beziehung. "Nein, natürlich nicht!", sagte ich und spürte, wie ich errötete. "Schade eigentlich. Ihr würdet gut zusammenpassen.", sagte Mutter. "Er scheint dich dennoch sehr gern zu haben.", sagte Großmutter. "Wie meinen sie das?", fragte ich obwohl uch wusste, worauf sie hinaus wollte. "Ich habe euch vorhin Händchen halten gesehen.", sagte Großmutter grinsend. Ich war bestimmt schon so rot wie eine Tomate geworden und beschloss, nicht weiter auf dieses Thema einzugehen. Als wir die Brücke erreicht hatten, umarmte ich meine Mutter ein letztes Mal. "Versprich mir, dass du Abigail noch eine Chance gibst. Sie hat es mehr als verdient.", sagte sie. "Wir sehen uns die nächsten Tagen bestimmt." Ich nickte. Schließlich gingen Großmutter und ich nach Hause.

Zu Hause angekommen ging ich in mein Zimmer und schmiss mich auf mein Bett. Ich konnte die Ereignisse dieses Tages nicht fassen. Ich hatte Sachen erfahren, die ich mir nie hätte erträumen können. Etwas bei dieser Sache kam mir überaus faul vor. Abigail war mit meiner Mutter befreundet gewesen und hatte davon bescheid gewusst, dass sie untertauchen würde. Wenn sie ihr doch so wichtig gewesen war, warum hatte sie dann immer so schlecht über sie geredet? Unsere Ermittlungen kamen kaum voran und dieser Fall wurde immer verwirrender. Ich hatte komplett den Überblick verloren und hatte das Gefühl, dieses Geheimnis nie aufklären zu können. Das Motiv dieser Person war jedem unklar. Was in aller Welt hatte meine Familie ihr bloß angetan? Das seltsamste jedoch war, dass alle Spuren irgendwie zu Abigail führten. Sie war immer da gewesen. Ich grübelte noch eine Weile, als Mary plötzlich in mein Zimmer kam und sich auf mein Bett setzte. Sie seufzte. "Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich denken soll. Jeder dachte deine Mutter sei tot, doch jetzt taucht sie plötzlich wieder auf. Bist du ihr wirklich nicht böse?", fragte sie. Ich richtete mich auf uns setzte mich neben sie. "Nein, überhaupt nicht. Sie hat es nur getan, um uns zu schützen. Gut, ich bin sowieso in Gefahr, aber du weißt, worauf ich hinaus möchte.", sagte ich. "Weißt du, was ich befürchte?", fragte Mary. "Nein." "Ich befürchte, dass dein Vater davon erfährt und meine Mutter für deine Mutter verlässt." Ich schaute sie entsetzt an. Wie konnte sie nur so über meinen Vater denken? "Denkst du wirklich, dass mein Vater so etwas machen würde? Wenn er Abigail nicht lieben würde, hätte er sie auch nicht geheiratet. Wenn er davon wüsste, wäre er wahrscheinlich glücklich, mehr nicht. Außerdem bekommt er bald ein Kind mit Abigail.", sagte ich. "Aber was wäre, wenn deine Mutter auf eine Beziehung besteht?", fragte sie. "Für wen hältst du sie? Meine Mutter zerstört keine Beziehungen.", antwortete ich etwas gereizt. "Es tut mir leid, ich wollte dich nicht verärgern. Ich mache mir nur Sorgen.", entschuldigte Mary sich. "Kein Problem, ich kann dich verstehen. Hat Abigail dir gegenüber einmal erwähnt, dass sie mit meiner Mutter befreundet war?", fragte ich. Mary dachte kurz nach. "Sie redet sehr ungerne darüber. Sie war am Boden zerstört, als deine Mutter "verstarb". Es fällt mir gerade auf, wie gut sie uns Trauer vorgespielt hat. Wer weiß, vielleicht redet sie mit dir darüber." "Essen ist fertig!", rief mein Vater. Mary und ich begaben uns sofort in die Küche. Diese Freundschaft kam mir seltsam vor, weswegen ich beschloss, an diesem Abend mein Glück zu versuchen und Abigail auf dieses Thema anzusprechen.

Ich fürchtete mich etwas vor Abigails Reaktion, wenn ich sie auf meine Mutter ansprechen würde. Ich wusste, wie schlimm sie sein konnte und ließ mich deswegen etwas verunsichern. Es war schon sehr spät, jedoch konnte ich mit diesem Gespräch nicht mehr warten. Abigail saß im Wohnzimmer auf dem Sofa uns las die Abendzeitung. Ich setzte mich neben sie und schwieg. Ich wollte sie fragen, jedoch bekam ich kein einziges Wort heraus. "Müsstest du nicht schon längst im Bett sein?" Abigail legte die Zeitung zur Seite unf zog ihre Lesebrille aus. "Doch, aber ich kann nicht schlafen.", log ich. "Bedrückt dich etwas?", fragte sie besorgt. Nun war der richtige Augenblick, um zu fragen. "Ich muss in letzter Zeit viel an meine Mutter denken. Ist es wahr, dass ihr befreundet wart? Mein Vater erwähnte es einmal." Ihre Miene verdunkelte sich schlagartig. Ich hatte womöglich den Fehler meines Lebens begangen! "Ja, das waren wir. Um ehrlich zu sein waren wir vom ersten Tag an unzertrennlich. Sie ersetzte die Schwester, die ich nicht lange hatte. Ich hatte wirklich großes Glück, sie gekannt zu haben.", sagte sie. Ich hätte nicht gedacht, dass sie sich so gut verstanden haben. "Ich hatte keine besonders schöne Kindheit und war sehr einsam. Anderen Kindern wurde damals wegen meines Vaters der Umgang mit mir verboten, was ich später auch verstand. Die einzigen, die sich nicht so abwesend verhalten haben, waren deine Eltern und Großeltern. Deine Großmutter, Annabelle, wollte deine Mutter wegen meines Vaters nicht zu mir nach Hause lassen, weswegen ich die meiste Zeit bei ihr zu Hause war. Während dieser Zeit konnte ich, wenn auch nur kurz, den grausamen Alltag zu Hause vergessen. Oh nein! Ich rede viel zu viel! Es tut mir leid, falls ich mehr erzählt habe, als du eigentlich hören wolltest. Ich hoffe ich konnte dir weiterhelfen.", sagte sie. "Da gäbe es noch etwas, was ich loswerden möchte. Ich habe erfahren, was meiner Mutter damals geschehen ist. Dass ihr gedroht wurde und sie von diesem Irren ermordet wurde.", sagte ich traurig. Abigail nickte stumm. "Damals war eine Schreckliche Zeit. Ich finde es noch immer schlimm, dass dieser Verrückte nie gefasst wurde. Es schien, als hätte er sich in Luft aufgelöst, doch scheinbar ist er zurückgekehrt. Ich habe das Gefühl, dass diese Person dir auch Böses will.", sagte sie. Ich zuckte die Schultern. "Mein damaliger Ehemann geriet ebenfalls in das Visier dieses Verrückten. Es wurde ihm ständig vorgeworfen, er hätte mich nicht verdient und er solle, wenn ihm etwas an seinem Leben liege, mich schnell verlassen. Er hat sich nicht einschüchtern gelassen, warum sollte ein Soldat auch Angst vor solch einer Person haben? Wir hatten einen ganzen Waffenschrank zu Hause, mit dem wir dieser Person schnell den Garaus hätten machen können. Und ich rede erneut zu viel.", sagte Abigail. "Wie auch immer, wenn dich etwas bedrückt, kannst du immer mit mir darüber reden." In diesem Moment fielen mir Narben an ihrem Unterarm auf, die wie Kratzspuren aussahen. Was hatten diese zu bedeuten? "Vielen Dank. Ich gehe jetzt schlafen, gute Nacht!", sagte ich. "Gute Nacht!", sagte Abigail. "Behalten sie dieses Gespräch bitte für sich.", sagte ich. Sie nickte und wandte sich erneut ihrer Zeitung zu. Dieses Gespräch war besser verlaufen, als ich erwartet hätte. Das einzige, was mir nicht mehr aus dem Kopf ging, war die Sache mit ihrem Vater. Was hatte er bloß angestellt? Diese Momente, in denen sie angeblich zu viel preisgab, plagten meine Gedanken ebenfalls. Sie erweckte in mir das Gefühl, dass sie jemanden zum reden brauchte...

So, dieses Kapitel war etwas kürzer als der Rest (es war von Anfang an vorgesehen). Findet ihr die kürzeren Kapitel besser oder die langen? Nun zu unserer Frage:

Was hat Abigails Vater eurer Meinung nach gemacht?

Ich freue mich schon auf eure Theorien und hoffe, dass es euch gefallen hat. Bis zum nächsten Mal!

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