Kapitel 60

Dank Renées Gabe stehen wir ein paar Sekunden später in der Gegend der 'Normalen'. Renée schiebt ihren Jackenärmel zurück und wirft einen Blick auf ihre Uhr.
"Okay, wohin?"
Ich drehe mich einmal im Kreis, bevor ich sicher in eine Richtung zeige und Liam am Arm packe und mitziehe, da er ja wieder normal laufen kann, weil sich die Fessel am Fuß aufgelöst hat. Zum Glück ist gerade niemand unterwegs, weil das wohl auch ziemlich falsch aussehen könnte. Also eigentlich würde das sogar so aussehen, wie es ist.
Eilig zerre ich ihn mit zu sich nach Hause und ich wundere mich echt, warum er sich nicht wehrt.
Wenig später stehen wir vor dem Haus.

"Einen Moment!", hält Renée mich auf. "Hat der Eltern oder so?"
Ehe ich antworten kann, hat Liam das Wort ergriffen. "Natürlich habe ich Eltern."
Renée seufzt.
"Na gut. Die werden uns nicht reinlassen, wenn wir ihren Sohn gefesselt haben. Ich bin für einbrechen.", bedenkt Renée.
"Ich auch.", stimme ich ihr zu und Liam wirft mir einen entsetzten Blick zu.
"Es wäre ja sinnlos, wenn ich bei deinen Eltern klingele, um etwas für die Nachhilfe zu holen. Aber Renée, kannst du dich nicht in das Haus zaubern?"
Renée überlegt.
"Ich versuchs mal."
Sie schließt die Augen und bevor ich einmal blinzeln konnte, stehen wir in Liams Zimmer.
Liam beugt sich zu mir.
"Besser als einbrechen, oder?"
Ich zucke mit den Schultern und fange an den Schreibtisch zu durchstöbern.
Die ganze Zeit spüre ich Liams Blick auf meinem Rücken, aber er schweigt.

Nach ein paar Minuten ziehe ich eine Kiste voller Schlüssel hervor.
Renée eilt zu mir und runzelt die Stirn.
"Verdammt sind das viele!", sagt sie und schaut die Schlüssel an, als wollte sie sie umbringen.

Schnell laufe ich zu Liam und schaue ihn flehend an, während ich ihm die Kiste der Schlüssel vors Gesicht halte.
"Der mit der roten Markierung.", murmelt er nach etlichen Sekunden und ich werfe ihm einen dankenden Blick zu, bevor ich einen Schlüssel mit etwas Rotem dran suche.
Als ich ihn habe reicht es mir gerade noch, die Kiste wieder einzuräumen, bevor wir in Renées Zimmer ankommen.

Ich lande genau zwischen Steven und Lukas, die sich mit giftigen Blicken bekriegen.
Bevor Lukas besitzergreifend einen Arm um mich legen kann, hat Steven mich zu sich gezogen. Seine Umarmung gefällt mir sogar besser als Lukas. "Hat aber lange gedauert, Unfallmädchen.", sagt er und ich spüre einen bohrenden Blick auf mir. Vorsichtig drehe ich den Kopf und stelle fest, dass dieser Blick von Lukas kommt. "Ich kann ihn einfach nicht leiden. Er hat vor ein paar Minuten behauptet, dass du ihm gehörst.", flüstert Steven und ich nicke.
Lukas war halt schon immer der Annahme, dass ich ihm gehöre, wie ein Gegenstand.

Ariane, die sich ihre schönen blonden Haare in einen lockeren Zopf zusammen gebunden hat, betrachtet den gefesselten Liam, wie ein zu untersuchendes Objekt.
"Gut.", sagt sie und hebt den Kopf, wobei ihr Blick meinen trifft. "Und der Schlüssel?"
Ich hebe ihn hoch und sie nickt.
"Dann sind wir jetzt fertig.", sagt sie und lässt ihren Blick über jeden von uns schweifen. "Oder?"
"Eine Frage.", mischt sich Renée ein. "Was machen wir, wenn einer seine Aufgabe nicht erfüllt? Also ich meine, was machen die anderen?"
Ariane zuckt die Schultern.
"Jeder schaut dann einfach, dass er so schnell wie möglich rauskommt."
Liam schüttelt grinsend den Kopf.
"Fantastischer Plan.", murmelt er und erntet Lukas bösen Blick.
"Halt du bloß die Klappe.", zischt er Liam zu. "Vielleicht sollten wir ihm den Mund zukleben."
"Vielleicht solltet ihr ihm den Mund zukleben.", sagt Liam und spricht aus, was ich gedacht habe. Lukas störende Sätze können wir echt nicht gebrauchen. Warte, seit wann bin ich auf Liams Seite?
"Oh man! Seid einfach beide ruhig!", sagt Ariane lauter und wendet sich dann mir zu. "Gut, dann bring uns hin."
"Dazu müssen wir ans Meer.", sage ich, weil ich von hier zu wenig Kraft auf das Meer habe.
Ariane seufzt, packt dann aber ihre Tasche und verlässt das Zimmer. Ich stehe auf, ziehe Liam hoch und folge Ariane.

"Kann sein, dass das ein ziemlich ungeplanter Plan ist?", fragt Liam neugierig, während wir durch den Vorgarten laufen und auf die Straße zu steuern.

"Was interessiert dich das?", stelle ich jedoch bloß eine Gegenfrage. Liam dreht den Kopf und schaut mir in die Augen. "Weil ich ein Gefangener bin.", antwortet er und zögert bei dem nächsten Satz. "Und weil ich Angst habe, dass dir etwas passieren könnte."
Verlegen schaue ich auf die Seite. "Der Plan ist gut durchdacht. Eigentlich kann nichts passieren." Liam schaut mich ernst an. "Ach ja und wenn etwas nicht klappt, dann schaut jeder, dass er so schnell wie möglich rauskommt?", wiederholt er Arianes Worte. Liam richtet seinen Blick auf die Mauer, der wir uns immer mehr nähern. "Bitte mach nicht mit." Ich schüttele den Kopf. "Du wirst mich nicht davon abhalten können. Außerdem interessiert es dich doch nicht wirklich, dass mir etwas passieren kann."

Liam bleibt stehen und schaut mich geschockt an. Ich packe ihn am Arm und will ihn weiterziehen, doch er bleibt wie angewurzelt stehen. "Liam-", fange ich an, jedoch unterbricht Liam mich.

"Grace, verdammt, ich liebe..."

Ein Hand zerrt mich von Liam weg und ich starre direkt in Stevens Augen, als ich den Kopf drehe. "Weiter.", murmelt er nur und ich bin mir sicher, dass er nicht absichtlich unser Gespräch unterbrochen hat. Er zieht mich zur Mauer und als ich zurückschaue, sehe ich Liam der uns folgt und einen besorgten Schimmer in seinen Augen hat, jedoch meinem Blick ausweicht. Hinter ihm laufen Renée und Lukas, wobei beide heftig miteinander streiten. Grinsend drehe ich mich wieder nach vorne um und klettere hinter Ariane über die Mauer, die mir hilfsbereit ihre Hand entgegen streckt.

Kaum stehe ich auf der anderen Seite der Mauer, spüre ich die Verbindung mit dem Wasser. Als alle dann auch endlich über der Mauer sind, lasse ich uns von dem Meer verschlingen und keine fünf Sekunden später stranden wir direkt bei der Festung des 'Bösen'.

Ariane macht eine Handbewegung und wir kriechen ihr hinterher in Richtung eines Felsens.

Total nass machen wir uns dort angekommen so klein wie möglich, damit auch niemand gesehen werden kann. "Okay.", fängt Ariane an und windet sich ihre Haare aus, wobei wir alle nass werden, aber uns noch einen Kommentar verkneifen können. "Renée und Steven, ihr seid die ersten. Aber den Wachen holst du am Besten mit jemand anderem, damit auch nichts schief geht." Stevens Augen weiten sich. "Was soll das denn heißen?", fragt er bissig und Ariane grinst. "Na, du siehst halt einfach nicht so aus, als würdest du einen Wachen zusammen schlagen. Du bist viel zu brav." Steven lehnt sich an den Felsen und schaut stur auf das Meer. "Ich mach es .", sagen Lukas und ich wie aus einem Mund. Ich drehe mich zu Lukas um und schaue ihm in die Augen. "Na gut, du darfst.", murmelt Lukas und ich drehe mich zu Renée um. Ariane nickt und schaut auf ihre Uhr, bevor sie jedem von uns etwas Komisches in die Hand drückt. "Was ist das?", frage ich und Ariane verdreht die Augen.

Sie zeigt auf den linken Knopf. "Wenn du den drückst und was sagst, dann können wir dich hören. Und dieser Knopf...", erklärt sie und zeigt auf den rechten Knopf, "...wenn der unten ist, ist es an, wenn der Knopf oben ist aus. Also wäre es sinnvoll, dass er unten ist, damit du auch hören kannst, was wir sagen. Wenn wir unsere Geräte aushaben, kannst du so viel sagen wie du willst. Niemand wird dich hören. Verstanden?" Ich nicke und Ariane grinst. "Typisch Reiche. Können nicht mit den einfachsten Dingen umgehen." Ich werfe einen Blick von dem Gerät auf sie. Okay sie ist definitiv eine 'Normale'.

Ich drehe mich zu Renée um, die das Gerät von allen Seiten begutachtet und nur ein 'Wow' rausbekommt. "Fertig?", frage ich und sie blinzelt zuerst mal. "Ja klar.", sagt sie und wirft Steven einen Blick zu, der nickt.

Und ehe ich einmal zu Liam schauen konnte, sitzen wir auf dem Dach des Gebäudes. Ich drehe mich einmal um mich selbst und bin froh, dass ich diese Aufgabe nicht machen muss, da ich merke, dass ich Höhenangst habe. "Viel Spaß.", murmele ich und Steven lächelt begeistert. "Das ist ja voll cool!", sagt er und ich schüttele den Kopf. Das wäre nichts für mich. Und Renée fühlt sich hier wohl auch nicht so wohl, da sie sich krampfhaft an mir festhält. Ich überblicke den Strand und sehe hinter einem Felsen die Köpfe der anderen. "Von hier aus kannst du die anderen gut sehen.", sage ich zu Steven und zeige auf den Felsen. "Ah gut.", sagt er und schaut mich an, bevor er mich in eine kleine Umarmung zieht.

"Pass auf dich auf, Unfallmädchen." Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. "Du auch." Ich löse mich von ihm und schaue Renée an, die mich versteht und uns in das Gebäude zaubert. Und zum Glück in ein leeres Zimmer. Ich schaue mich in dem Raum um und spüre eine Erinnerung in mir aufkommen. Das ist Liams Zimmer! Ich trete zur Tür und drücke leise den Griff runter. Vorsichtig spicke ich auf den Gang und sehe an dem Zimmer gegenüber einen Wachen, der mir direkt in die Augen schaut.

Seine braunen Augen, die in starkem Kontrast zu seinen hellen, blonden Haaren stehen, schweifen an mir runter und hoch. Dann öffnet sich wie in Zeitlupe sein Mund und etwas schiefe Zähne kommen zum Vorschein. Der Mund zieht sich ein wenig in die Länge, seine Augen weiten sich und die Augenbrauen werden nach oben gezogen, wobei die Stirn gerunzelt wird. Verdammt!

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