IV
Kayla starrte Welia an, als hätte sie das Ende einer Geschichte gehörig vermasselt.
"Was?", fragte sie tonlos.
"Du kannst diese Blockade nicht lösen", wiederholte Welia und ihre angestrengte Miene wurde weicher, als sie Kaylas Entsetzen sah. "Weil es nicht deine ist. Sieh her: Hier am Rand ist ein Symbol. Nur derjenigen, der die Blockade verursacht hat, kann sie lösen."
"Und … das bin nicht ich?"
Kayla wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte oder weinen wollte. Wenn sie es gewesen wäre, hätte sie sie wenigstens hier und jetzt auflösen können.
Welia kniete sich hin und fuhr mit den Fingern über das Symbol. "Ein Mann", stellte sie fest. "Hast du einen Bruder? Vater? Opa?"
Kayla näherte sich der Schreibblockade, obwohl alles in ihr nach Abstand schrie. Ihre Gedanken überschlugen sich. "Mein Vater? Er hat eine Schreibblockade?"
Ihr Vater war der absolut kreativste Mensch auf Erden. Er konnte keine Schreibblockade haben. Er hatte immer mehr Ideen, als sie Buchstaben zur Verfügung hatten. Er hatte ihr früher jeden Abend eine Geschichte erzählt, weil sie niemals so viele Drachen hätten schmieden können. Kayla hatte diese Zeit und Fantasie von ganzem Herzen geliebt.
"Es scheint so." Welia stand auf. "Er muss die Blockade lösen."
Kayla breitete wütend die Arme aus, obwohl sie nicht einmal wusste, warum sie wütend war. "Mein Vater hat keine Schreibblockade!", verteidigte sie ihn. "Niemals! Er ist der beste Geschichtenerzähler, den es gibt!"
Welia blieb ruhig. "Auch die besten Geschichtenerzähler stehen manchmal an einem Punkt, an denen ihnen nichts mehr einfällt."
"Aber ihm fällt immer etwas ein!"
"Sicher?"
Kayla hätte nicht geglaubt, dass eine Frage sie jemals so aus dem Konzept bringen konnte. Das eine Wort hallte in der plötzlichen Leere ihrer Gedanken wider und nur das Echo hallte zurück.
Ja, wollte sie sagen. Doch konnte sie sich wirklich sicher sein?
"Ich muss zu ihm", hauchte sie. "Sofort. Bartholomäus?"
Der Drache war sofort neben ihr und Kayla schwang sich auf seinen Rücken. Seine kräftigen Beine spannten sich an, doch Kayla stoppte ihn. Sie streckte Welia die Hand aus. "Aber zuerst bringen wir dich nach Hause."
Erstaunlicherweise schüttelte die junge Frau den Kopf. "Nicht nötig. Wenn ich schon hier bin, will ich das letzte Stück zur Quelle der Inspiration laufen und sie mir ansehen. Ich stecke momentan auch in einer Ideenkrise - keine Blockade, aber vielleicht bringt die Bergluft neue Frische in meine Gedanken. Den Weg finde ich danach schon zurück."
Kayla nickte knapp und fand Halt zwischen den Buchstaben-Schuppen. "Ich hoffe du findest, was du suchst." Ein zartes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. "Danke."
Dieses Mal sah die Welt nicht mehr so klein und zart aus, sondern viel größer. Sie flogen lange. Kayla klammerte sich am geschmiedeten Hals fest, als würde ihre Vorahnung so weniger greifbarer werden.
Und dann - endlich! - tauchte die Schmiede der Familie Wunderschmiede unter ihnen auf. Bartholomäus landete im Gras neben dem mittlerweile versiegen Ideenfluss und Kayla rannte los.
Etwas war anders als sonst. Es dauerte zwei verwirrte Herzschläge, bis sie es erkannte: Aus dem Schornstein kam kein Rauch mehr.
Schlitternd kam Kayla neben dem Fenster zum Stehen. Sie brauchte einen Moment, bis ihre Augen sich an die unnormale Dunkelheit gewöhnten.
Ihr Vater saß auf einem Hocker und sah grübelnd auf seine Hände. Auch wenn er ihr den Rücken halb zugedreht hatte, meinte sie, eine gewisse Ratlosigkeit in seinen Zügen zu erkennen.
Der Schmiede-Ofen neben ihm war erloschen, als wären Geschichten nicht länger seine Leidenschaft, die heißer als jedes Feuer brannte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top