I

Buchstabe für Buchstabe schmiedete Kayla das schimmernde Metall aneinander, bis ein Wort entstand: Abenteuer.

Zufrieden betrachtete die Wörterschmiedin ihr Werk. Jeder Buchstabe funkelte für sich, doch gemeinsam strahlte das Wort in einem besonderen Glanz. Sie konnte den Klang beinahe hören, als würde eine vorfreudige Stimme das Wort flüstern: Abenteuer!

Genauso freudig summend hob Kayla ihr Kunstwerk mit ihrer Zange an und ließ es in einen Eimer Wasser sinken. Sofort stieg eine zischende Dampfwolke auf und brachte einen süßen abenteuerlichen Duft mit sich.

"Kayla!", rief ihre Mutter aus dem Nebenraum.

"Komme!" Sie pustete, als würde das den Prozess beschleunigen. Das Abenteuer stolz von sich gestreckt, eilte in die Feuerstube.  

Überall häuften sich Wörter in den Regalen. Kayla wich zauberhaften Adjektiven aus, die sich bis zur Decke stapelten. Ihre ganze Familie waren Schmiede: Kayla selbst schmiedete aus den Buchstaben Wörter, ihre Mutter Alene schmiedete aus den Wörtern Sätze und ihr Vater Delur schmiedete die Sätze zu einem Geschichtendrachen zusammen. Gemeinsam waren sie unschlagbar.

Familie Wunderschmiede stand auf einem Schild und brachte Kayla zum Lächeln, als sie sich duckte und das Abenteuer ihrer Mutter übergab.

"Wie hübsch! Deine Schreibschrift wird immer feiner. Das ist ein wunderschönes Wort", freute sie sich und schwang ihren zarten Hammer. "Es ist die perfekte Ergänzung für den letzten Satz."

Sie legte das Wort neben die anderen.

Voller Freude lief sie los, bereit für das nächste Abenteuer.

Ihr Vater sah den beiden über die Schultern. "Perfekt! Alene, Schatz, machst du den Satz fertig?"

Auch wenn Kayla es schon tausend Mal gesehen hatte, staunte sie immer noch, wie ihre Mutter den Satz vollendete und ihrem Vater reichte. Dieser erwärmte ihn und drehte ihn in Form, um das letzte Stück vom Flügel des Geschichtendrachen zu biegen. Das Metall fügte sich perfekt in das Gesamtbild ein.

Eine ganze Geschichte in einem funkelnden Geschichtendrachen.

"Nur noch eine Sache fehlt." Ihr Vater wischte sich den Schweiß von der Stirn und kniete sich vor den regungslosen Drachen. "Die Geschichte braucht einen Funken Leben", sagte er und auch Kayla flüsterte den wohlbekannten Satz mit, als wäre sie sein Echo. "Der Ideenzauber." 

Die Lippen ihres Vaters kräuselten sich und er lächelte sie an, ehe er sich konzentrierte. Er hob die Hände und pustete zwischen sie, solange, bis ihm fast die Luft ausging. Dann entfachte ein Licht: Der Ideenzauber. Der letzte Funken Magie, der einer Geschichte Leben einhauchte.

Ihr Vater pustete erneut und der Zauber umhüllte den Geschichtendrachen. Er öffnete die Augen. 

"Er ist erwacht", flüsterte Kayla mit einer dramatischen Geste, weil das ihr Lieblingspart war. "Ich nenne dich … Bartholomäus!"

"Hallo." Der Drache hob den Kopf. Seine Schuppen bestanden aus einzelnen Buchstaben und in seinen Flügeln kreisten Worte. In seinen Augen funkelte der Ideenzauber. Neugierig sah er sich um. "Wo bin ich?"

Ihr Vater legte einen Arm um seinen Hals und geleitete ihn zum Fenster. "Du bist ein Geschichtendrache im Ideenland. Ich erkläre dir gleich alles. Komm mir."

Auch ihre Mutter betrachtete den Drachen zufrieden, ehe sie sich den Regalen zuwandte. Ihre Augen huschten über den Buchstabenbestand. "Ich glaube, wir haben nicht genug Material für den nächsten Geschichtendrachen. Kayla, würdest du bitte neues holen?"

"Sofort!" Die junge Wörterschmiedin schnappte sich das Netz vom Haken und duckte sich unter Bartholomäus Flügeln hindurch. Das Wort Abenteuer schimmerte besonders hell. 

Kayla rannte nach draußen. Seltsamerweise überkam sie das berauschende Gefühl, dass bald auch eines auf sie wartete.

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