30 Der Feld-Test
Ihr Stundenplan war extrem ausgedünnt. Zwar versuchten fast alle Lehrer mit ihr zu reden, aber sie verschloss sich dadurch noch mehr. Sie war sich fast sicher, dass Madame Pommfrey den gesamten Lehrkörper über ihren Zustand informiert hatte. Der Einzige, mit dem sie wirklich reden wollte, war nach wie vor Draco. Doch gleichzeitig hatte sie unglaubliche Angst vor diesem Gespräch.
Zaubertränke war eine der wenigen Stunden, die sie noch gemeinsam hatten. Doch als Hermione das Klassenzimmer betrat, hob Draco nicht einmal seinen Blick. Sie schlürfte an ihm vorbei und setzte sich an ihrem Platz neben Sue. Kurz drehte sie sich zu Pansy um. „Ich frag ihn, sobald sich eine günstige Gelegenheit ergibt", flüsterte Hermione ihr zu.
„Eine günstige Gelegenheit für was?", kam es entsetzt von Sue, die ihr Schicksal zu erahnen schien.
„Ach, nichts was dich irgendwie kümmern sollte, Miss Ohnegleichen!", flötete Pansy in einem so passiv-aggressiven Tonfall zurück, dass Hermione sehen konnte wie es Sue kalt überlief. Naja, ab und zu konnte sogar Hermione Pansy etwas leiden.
Dann kam Slughorn in die Klasse und es wurde augenblicklich still.
„So meine Lieben, in der letzten Stunde habt ihr bemerkt, dass Zaubertränke kein festgefahrenes Fach wie Geschichte der Zauberei ist. Es gibt keine perfekte Anleitung um einen Trank zu brauen. Immer lässt sich das ein oder andere verbessern oder einfach der Situation anpassen."
Die Klasse lauschte aufmerksam. Das was er sagte, konnte durchaus Hinweise auf die nächste Prüfung enthalten.
„Dennoch war es mir seit der letzten Stunde nicht möglich herauszufinden, wessen Trank der bessere war. Mr Malfoys oder Mrs Grangers. Deshalb wollen wir dies heute auf einem Feldtest ausprobieren."
Hermione schielte kurz zu Draco hinüber, der starr nach vorne sah.
„Kommt, bitte kommt nach vorne ihr beiden."
Sie erhob sich und ging staksenden Schrittes nach vorne. Draco ging neben ihr. Sie wagte nicht, ihn auch nur aus den Augenwinkeln heraus anzusehen.
„Nun meine Lieben", meinte Slughorn zufrieden, als beide vor ihm standen, „hier die Regeln für den Feldversuch: Ich habe eine verdünnte Version ihrer beider Zaubertränke dabei. Die Wirkung sollte innerhalb von wenigen Minuten verfliegen. Jeder von ihnen trinkt den Amortentia des jeweils anderen. Danach küssen sie sich unter der Wirkung des Liebestrankes. Derjenige, der sich als erstes aus dem Kuss löst, bekommt von mir ein zusätzliches Ohnegleichen."
Gemurmel brandete hinter ihnen auf. „Das können sie nicht tun!", krähte Ron lauthalts, „sie können doch nicht einfach zwei Schüler dazu zwingen sich zu küssen!"
Hermione fuhr herum. „Halt den Mund Ron! Es ist unsere Entscheidung ob wir dem zustimmen und nicht deine!" Auch die anderen Schüler wurden wieder still. Nachdem sie sogar einen Freund bereits derart scharf gemaßregelt hatte, wollte keiner sonst Ziel ihrer Wut werden.
Sie schluckte schwer, als sie die zwei Phiolen anstarrte. Dann bemühte sie sich um einen gelassenen Ausdruck.
„Für ein Ohnegleichen tu ich es", verkündete sie schließlich und trat herausfordernd einen Schritt auf Draco zu.
Dieser erwiderte ihren Blick hochmütig. „Das ist sowieso meine letzte Stunde Zaubertränke. Das Ohnegleichen ist mir egal." Sein Blick fixierte Hermione. „Aber ich werde beweisen, dass ich zumindest in diesem Fach besser bin als du."
„Oh das hört sich doch nach einer Herausforderung an", meinte Slughorn vergnügt.
Dann griffen Hermione und Draco je nach einer Phiole.
„Neineinein", ging Slughorn dazwischen, „die hier ist für Mrs Granger und die für Mr Malfoy. So... jetzt könnt ihr beginnen."
Hermione nippte zaghaft an der wohlriechenden Flüssigkeit. Sie hatte gelogen, wieder mal. Das Ohnegleichen war ihr vollkommen gleichgültig, aber sie wollte diesen Kuss. Wenn Draco wirklich die Schule verließ, wollte sie zumindest noch einmal seine Zuneigung genießen, auch wenn es wieder nichts als Schein wäre.
Draco stand etwas unschlüssig vor ihr. Als sie den Zaubertrank an ihre Lippen gesetzt hatte, folgten seine Augen der Flüssigkeit, die langsam in ihrem Mund verschwand. Dann hob er schließlich das Glas und ex'te es in einem Zug.
Der Trank zeigte bei Hermione sofort Wirkung. Zwar hatte sie gedacht, dass ihre Liebe zu Draco nicht größer hätte werden könne, aber bei Merlin, hatte sie sich geirrt. So, wie er vor ihr stand, war er einfach nur perfekt. Sie nahm sein zögerndes Lächeln als Einladung und ging auf ihn zu.
Er beugte sich hinunter zu ihr und strich ihr zärtlich ihre letzte wilde Locke aus dem Gesicht.
Sie streckte sich und er legte seinen Mund ganz sanft auf den ihren.
Seine Berührungen, halb besitzergreifend und doch auch vorsichtig, raubten ihr das letzte bisschen Willenskraft. Wild und ungezwungen antwortete sie ihm. Sein Mund verzog sich während des Kusses noch zu einem Lächeln. Der Kuss wurde immer intensiver, wenn es überhaupt noch ging. Seine Hände drückten sie weiter an sich, während sie mit den ihren Seinen Rücken entlangfuhr bis hoch zu den Schulterblättern.
Dann spürte sie, wie der Amortentia nachließ. Anstatt den Kuss jedoch abzubrechen, krallte sie sich in Dracos Rücken. Sie wollte ihn nicht verlieren! Nicht an eine andere und schon gleich gar nicht, weil er plötzlich beschloss die Schule abzubrechen. Auch Draco reagierte auf diesen Reiz, indem er sie noch fester an sich drückte.
Der Kuss wurde nur noch intensiver dadurch. Es kam Hermione so vor, als würden sie beide auf Wolken schweben.
„Mr Malfoy, Mrs Granger, bitte beenden sie diese Farce sofort!", peitschte plötzlich die Stimme Slughorns durch den Unterrichtssaal. Hermione fuhr zusammen und der Kuss war unterbrochen. Dracos Augen ruhten noch einen Moment auf ihr, dann löste er sich und sie blieb allein zurück.
Ihr Herz fühlte sich so kalt an, waren das Nachwirkungen des verklungenen Amortentias?
„Beide Tränke hätten maximal fünf Minuten wirken dürfen, aber sie spielen uns seit geschlagenen zehn Minuten vor, dass sie immer noch unter der Wirkung stehen würden. Setzen sie sich jetzt sofort hin. Ich möchte von ihnen beiden bis zur Ende der Stunde keinen Ton mehr hören. Danach kommen sie bitte augenblicklich in mein Büro zum Nachsitzen."
Hermiones Blick glitt zu Draco. Er hatte sie auch über das Ende der Wirksamkeit des Amortentias geküsst? Aber warum? Draco dagegen starrte nur verlegen seine Schuhspitzen an.
Erst jetzt wurde Hermione bewusst, dass die ganze Klasse ihnen zugesehen hatte. Blut stieg ihr in die Wangen und kleinlaut verkroch sie sich auf ihren Platz. Auch Draco verlor kein Wort. Der Rest der Stunde bestand aus trockenen Fakten, welche Zutat, welche Wirkungen und Nebenwirkungen hatte.
Nach der Stunde ging Hermione schweigend neben Draco in das Studierzimmer des Professors. Sie selbst wusste, warum sie den Kuss nicht unterbrochen hatte. Aber warum Draco ebenfalls über das Ende der Wirkungsdauer die Verliebtheit vorgetäuscht hatte, blieb ihr ein Rätsel. Hatte er ihr das Ohnegleichen gönnen wollen?
Überraschenderweise standen bereits zwei Pulte in dem Raum, jedes mit einem Tintenfässchen, einer Feder und etwas Pergament bestückt. „Setzt euch", kommandierte Slughorn. Sie taten wie geheißen. „Ich möchte, dass ihr einen mehrseitigen Aufsatz schreibt, warum ihr meinen Unterricht sabotiert habt! Wenn ihr fertig seid, gebt mir Bescheid und ich werde entscheiden, ob das, was ihr geschrieben habt ausreichend ist oder nicht."
Hermione setzte sich. Sie nahm die Feder und tauchte die Spitze in das Tintenfass, bis sie sich vollgesogen hatte. Sie würde einfach irgendetwas schreiben. Um Lügen war sie noch nie verlegen gewesen.
Draco zögerte. Ihre Feder fuhr dagegen schnell, in einer eleganten Schlaufe, über das Papier und es passierte... nichts. Das Pergament erstrahlte immer noch in dem gleichen Weiß wie zuvor.
„Na na Miss Granger, sie wollten doch nicht mogeln?", fragte Slughorn süffisant, „in der Tinte befindet sich Veritaserum. Alles was sie schreiben, muss der Wahrheit entsprechen, sonst wird die Tinte nicht wirken."
Sie hätte fluchen können, laut schreien vor Wut. Aber was hätte das gebracht? Erschöpft sah sie auf das Papier. Dann wurde ihre Aufmerksamkeit von einem Kratzen abgelenkt. Draco schrieb. Sie konnte sehen, wie sich sein erstes Blatt langsam mit seiner exakten, kantigen Schrift füllte.
Nachdenkend biss sie sich auf ihre Unterlippe, aber ihr fiel kein anderer Ausweg ein. Schließlich setzte sie die Feder erneut an und in geschwungenen Buchstaben schrieb sie alles nieder. Hatte sie nicht sowieso vorgehabt, sich das nächste Mal einem Blatt Papier anzuvertrauen?
Nur die Vorstellung, dass Slughorn alles lesen würde, behagte ihr nicht.
Irgendwann war Draco fertig und Hermione schrieb ihren letzten Satz. Slughorn las das was Draco geschrieben hatte gar nicht, sondern überprüfte nur schnell Schriftgröße und Seitenanzahl bevor er zustimmend nickte. Hermione war froh, dass er nicht vorzuhaben schien, in ihrer Anwesenheit die Aufsätze zu lesen.
Überraschenderweise holte Slughorn stattdessen zwei Umschläge aus seinem Schreibtisch. Dracos Aufsatz verschwand in dem ersten Umschlag, Hermiones in dem zweiten. Sie wollte schon aufstehen und gehen, als der erste Umschlag mit einem Knall auf ihrem Tisch landete.
„Der zweite Teil ihrer Bestrafung ist es, dies hier zu lesen", verkündete Slughorn, während er den zweiten Umschlag auf Dracos Schreibtisch donnerte. Hermione zuckte bei dem Knall zusammen. Das war jetzt nicht wahr. Bei Merlin, das konnte nicht wahr sein! Das durfte nicht wahr sein! Jeder konnte dieses Geständnis lesen aber bei Merlin und Morgana, nicht DRACO!
„Und versuchen sie gar nicht erst, etwas zu manipulieren, die Umschläge sind magieresistent. Ich wünsche ihnen einen guten Abend", er war schon dabei das Zimmer zu verlassen, als er sich noch einmal umdrehte, „ach und Miss Granger, bitte richten sie doch Poppy meine besten Grüße aus, wenn sie das nächste Mal im Krankenflügel erscheinen und sagen ihr, dass sie die Galleonen die sie mir schuldet, einfach vorbeibringen kann."
Dann war er weg. Draco saß immer noch mit versteinerter Miene an seinem Pult.
„Ok...", flüsterte Hermione, „ein Vorschlag. Du bekommst deinen Brief, wenn ich meinen kriege."
Der durchbohrende Blick der sie traf, beraubte sie ihrer Stimme. Draco musterte sie lang. Dann reichte er ihr den Brief, den sie geschrieben hatte. „Ich bin morgen hier weg, er wird nie erfahren, dass ich deinen Aufsatz nie gelesen habe."
Ihr Herz wurde ein Stück leichter als sie das Couvert in ihren Händen hielt. Sie reichte Draco den seinen, doch überraschenderweise lehnte er ab. „Betrachte es als meinen Abschiedsbrief an dich. Wir werden uns wahrscheinlich nicht mehr wiedersehen."
Er stemmte sich nach oben und ging Richtung Tür. Die Endgültigkeit seiner Worte, sickerte langsam in ihr Bewusstsein. Als er im Türrahmen stand, hielt er noch einmal inne. „Hermione...", ihr Name ließ sie noch einmal aufsehen. Doch dann schüttelte Draco nur den Kopf. „Ach, vergiss es...", murmelte er betrübt und ging.
Sie blieb noch eine Weile sitzen. Dann drückte sie sich die Briefe an die Brust. Hier stand alles, das wusste sie. Wenn sie Dracos Brief öffnete, dann hatte sie vielleicht noch eine letzte Chance selbstlos zu sein. Wenn sie diesen Merlin-verdammten Schockzustand irgendwie überwinden sollte, brauchte sie ihn dafür! Und wenn er morgen schon ging, hatte sie verdammt wenig Zeit... Die Briefe fest an sich gepresst, eilte sie in die Schulsprecherräume.
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Hinweis: Ja, ich mag Slughorn :D
Wen es interessiert ein bisschen was zu Hintergründen dieser Geschichte:
In Kapitel 25 rät Madame Pommfrey Hermione dazu mit ihrem Freund zu reden. Hermione denkt dabei an Ron. Aber wer war zuletzt Hermiones Freund, als sie das letzte Mal in der Krankenstation war? :)
Auch kennt Madame Pommfrey die Krankenakten aller Schüler.
Es mag etwas voreingenommen sein, aber Draco ist für die Zaubererwelt zu diesem Zeitpunkt kein großer Verlust, als Ex Todesser und derjenige, der die Todesser in Hogwarts eingelassen hat, ist er sicher nicht jemand der viele Freunde und Sympathisanten unter den Lehrkräften etc. hat.
Hermione dagegen ist eine Kriegsheldin. Würde sie ihre Zauberkraft verlieren, wäre das ein herber Schlag für Hogwarts. Also wurde ein Preisgeld auf den Lehrer ausgelobt, der ihr helfen kann. Das erklärt denke ich den Aufruhr am Lehrertisch und die plötzliche Hilfsbereitschaft der Lehrer die auf Hermione zugehen. (Habe ich nur am Rande erwähnt.)
Slughorn ist sich der Sachlage ziemlich klar. Nicht nur, weil große Teile sich in seinem Unterricht abgespielt haben. (Hier denke ich, ist ihm durchaus klar geworden, dass Draco und Hermione ein Paar sind, nachdem er sie zusammengesetzt hat. Außerdem halte ich ihn für wahnsinnig empathisch. Dumbledore deutet das ebenfalls leicht an, als er meint, dass Slughorn mehr oder minder immer weiß, welche Schüler es später einmal weit bringen. Um das zu tun muss er auch die Charaktere der Schüler sehr gut einschätzen können.)
Trotzdem schlug sein erster Versuch beide zur Einsicht zu bringen fehl... dies ist sein zweiter Versuch. ^.^
Oh Mann... ich bin bei jedem Kapitel das ich veröffentliche wieder aufgeregt.
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