21 Zabini

Im Krankenflügel angekommen, bemerkte sie als Erstes, dass Madame Pomfrey erschöpft wirkte.

„Hallo Miss Pomfrey. Können sie mir bitte sagen, wo ich Draco Malfoy finde?", fragte sie höflich.

Die Angesprochene verzog sofort ihr Gesicht. „Was hat der Junge jetzt wieder angestellt? Er ist doch nicht auf dem Weg in sein Zimmer wieder einmal eine Treppe hinuntergefallen?"

Diese Aussage war verwirrend. Er war nicht mehr hier? Zwar wusste sie nun, dass es Draco wohl nicht so schlecht gehen konnte, wie sie befürchtet hatte, aber die Behauptung an sich war doch sehr seltsam. „Nein, ich dachte nur, ich könnte ihn hier finden. Fällt er öfter Treppen herunter?", wollte wissen. Es gab zwar Schüler wie Neville Longbottom, die tatsächlich häufig die Stufen herunterfielen, aber Draco schien ihr nicht von der tollpatschigen Sorte zu sein.

„Er ist inzwischen mein häufigster Gast", kommentierte Madame Pomfrey. „Mal eine gebrochene Rippe, mal ein Arm, Hämatome, Schürfwunden, teilweise sogar offensichtliche Zaubereiverletzungen, aber es war immer eine Treppe." Madame Pomfrey sortierte entnervt ein paar Medikamente. „Verstehen sie mich nicht falsch, Miss Granger, aber ich werde einfach nicht gerne angelogen."

„Er hat sie belogen?" Hermione war entsetzt. Man log keine Lehrer an und schon gar keine Ärzte. Madame Pomfrey seufzte nur gequält auf. „Er ist nicht der Einzige." Hermione war ganz Ohr. „Eigentlich sind es alle aus dem Hause Slytherin. Sie entfernen sich noch weiter von den anderen Häusern, als bisher ohnehin schon. Nicht einmal unter sich können sie Frieden wahren. Vorhin war quasi das halbe Haus hier... herrje... was für eine Aufregung. Heilkunde sollte wirklich ab dem ersten Jahr in Hogwarts als Pflichtfach gelehrt werden. Es ist erschreckend, wie viele ein einfaches Episkey nicht zustande bringen." Unausgesprochen blieb, dass Draco, genau wie Hermione, Heilkunde belegt hatte. Wegen eines Episkeys wäre er nicht in den Krankenflügel gegangen.

Schließlich kramte Madame Pomfrey eine kleine Phiole von ganz hinten aus dem Medizinschrank hervor. „Wenn sie ihn sowieso noch treffen wollen, bringen sie ihrem Freund das doch mit. Es ist ein Blutbildungstrank. Der Blutstiller sollte inzwischen so weit gewirkt haben, dass es keine zu große Sauerei gibt." Sie schüttelte den Kopf. „Jemanden mit einem Buttermesser anzugreifen... auf so eine Idee, kann nur wer kommen, der aus mindestens drei Generationen reinem Zaubererblut abstammt."

Wie Hermione die Phiole zu Draco bringen sollte, war ihr ein Rätsel. Ihr fiel ein, dass sie sowieso noch mit Zabini reden wollte. Also suchte sie als erstes Harry auf.

Ausgerüstet mit der Karte der Rumtreiber, war der große Slytherin schnell gefunden.

„Hermione", begrüßte er sie, mit einem strahlend, weißem Lächeln. Sofort fühlte sie sich willkommen, obwohl noch andere Slytherins bei ihm standen. Zwar wusste sie nicht, mit was sie das verdient hatte, dennoch begrüßte er sie für alle erkennbar als Freundin. Sie konnte nicht anders als zurück zulächeln.

„Blaise, schön dich zu sehen! Wie geht es Draco?", war die erste Frage, die sie stellen musste. Beinahe hätte ihre Stimme versagt, deshalb schluckte sie schwer. Aber Blaise schien ihre Bedenken einfach wegzuwischen. „Der Schwerenöter hat sich in unserem Zimmer verkrochen und jammert dort herum. Nicht zum aushalten, sag ich dir." Er zwinkerte ihr zu.

Sie atmete tief durch. Ja, Draco war schon immer ein Schwerenöter gewesen.

Blaise löste sich von der Gruppe. „Du hast Fragen oder? Lass uns irgendwohin gehen, wo wir allein sind." Sein Lächeln irritierte sie. Während sie gingen, überlegte sie, warum. Dann kam es ihr.

„Du hast dich sehr verändert." Als Blaise nicht antwortete, fügte sie hinzu: „Früher warst du so arrogant, dass du niemals mit mir geredet hättest, geschweige denn, mit mir irgendwohin gegangen wärst."

„Und du bist eine Expertin, was mich betrifft?", fragte er sie mit einem Augenzwinkern.

„Nein", meinte sie, „aber ich habe dich dieses Jahr das erste Mal lächeln gesehen."

Wieder schwieg er für eine kurze Weile, bevor er gestand. „Ich hatte eine schwere Zeit. Also, nein. Eigentlich verglichen mit euch, war es wohl eine einfache Zeit. Aber ich musste in vielen Dingen umdenken."

Sie sah ihn verständnislos an. „Was meinst du damit?"

Er konterte mit einer Gegenfrage: „Weißt du, was meine Rolle im Krieg war?"

Hermione brauchte nicht lange zu überlegen. „Du warst immer einer der Anführer von Slytherin. Also wirst du deinen Teil dazu beigetragen..."

„Ich glänzte durch Abwesenheit", unterbrach er sie. Das verwirrte sie nur mehr. „Meine Mutter hat einen siebten Sinn, wenn es darum geht Gefahren zu vermeiden. Als der dunkle Lord an Macht gewann, brachte sie mich außer Landes und hat mich... in eine Muggelgastfamilie gesteckt. Zumindest bis die Ferien zu Ende waren."

Hermione musste bei der Vorstellung herzhaft lachen.

„Du darfst dir das ungefähr so vorstellen, dass ich den ganzen Tag vor so einem Kasten mit bewegten Bildern gesessen bin und alle Arten von verschieden gewürzten, frittierten Kartoffeln in mich hineingestopft habe."

Jetzt sah sie Blaise, vor ihrem inneren Auge, als Fernsehjunkie mit zwei Packungen Chips und einem Teller Pommes, während er sich beim Essen auf einer Couch herum fläzte.

Blaise lachte nur, als er offensichtlich in Erinnerungen schwelgte.

„Diese gezeichneten Figuren waren richtig lustig." Sie stimmte in das Lachen ein. Das Bild des ach so eitlen Slytherins, das sie nun bekam, trieb auch ihr Tränen in die Augen.

„Danach wurde ich in Durmstrang eingeschult", schlagartig wurde seine Stimme tiefer und bedrückter. „Ich war der Einzige dort mit dunkler Hautfarbe. Zudem hatte ich ein anderes Wissen in Hogwarts aufgebaut, als die Schüler in Durmstrang." Hermione ahnte, wohin die Geschichte ging.

„Es führte dazu, dass ich das erste Mal ein Ausgestoßener war", Blaise biss die Zähne sichtlich zusammen. „Anfangs versuchte ich, mich zu integrieren. Später habe ich sogar diesen Versuch aufgegeben. Sie konnten einfach nichts anderes in mir sehen, als ‚den Schwarzen Mann'."

„Das ist schrecklich", Hermione wusste nicht, was sie sagen sollte. Doch Blaise schüttelte nur den Kopf. „Irgendwann sagte jemand, meine Haut sähe aus, als wäre sie über und über mit Dreck besudelt, und ich solle mich waschen."

Hermione blieb aufgrund dieser Aussage der Mund offen stehen. Wie konnte jemand...

„In diesem Moment erinnerte er mich an jemanden – an mich selbst. Ich habe immer auf alle anderen herabgesehen und sie wie Dreck behandelt. In Durmstrang haben sich nur die Seiten umgedreht...", er zuckte mit den Schultern. „Na ja, auf jeden Fall gab es mir zu denken, ob ich wirklich so ein Mensch sein wollte. Und ich kam zu dem Schluss, dass es nicht so war." Sie erreichten einen freien Platz und machten es sich beide auf der grünen, mondbeschienen Wiese gemütlich.

„Nachdem ich meinen Abschluss in Durmstrang gemacht hatte, bat ich meine Mutter, noch einmal einen Abschluss in Hogwarts machen zu dürfen. Wegen meiner schlechten Noten stimmte sie zu und so kam ich wieder hierher. Es war wie nach Hause zurückzukehren und zu sehen, dass alles in Trümmern liegt. Nicht nur die Gebäude, sondern auch die Menschen waren... beschädigt."

Sie wusste, was Blaise meinte. Die Wunden des Krieges waren bei ihnen allen noch vorhanden. Sie selbst hatte sie tief in sich vergraben.

„Also suchte ich mir denjenigen aus, der am leichtesten zum Opfer werden würde, und bin bei Dray gelandet. Du willst doch sicher lieber über ihn sprechen, als über meine Zeit in Durmstrang, nicht?"

Dray ... ein Kosename. 'Brüder im Geiste', dachte sich Hermione. Er musste Blaise wirklich viel bedeuten. „Dray ist schwierig", sinnierte er. „Der Kerl schafft es, nach außen extrovertiert zu wirken, aber wenn es drauf ankommt, dann behält er alles, was er denkt und fühlt für sich."

Ja, sie hatte erlebt, wie extrovertiert er sein konnte und sie wusste, dass es dahinter noch jemand anderes gab. Jemanden, den sie nicht verstand und den sie nicht einschätzen konnte.

„Was fühlst du für ihn?", fragte Blaise unvermittelt.

Sie überlegte lange und Blaise ließ ihr Zeit. Trotzdem kam sie zu keinem Schluss. Sie wusste ja nicht einmal, ob der Junge, den sie glaubte kennen gelernt zu haben, wirklich existierte. „Ich weiß es nicht", gestand sie ehrlich.

„Nimm ihm sein derzeitiges Verhalten nicht zu übel. Du hast ihn wirklich verletzt."

Sie starrte Blaise an. „Ich habe IHN verletzt?", fragte sie ungläubig. „Er war derjenige, der mir Schimpfworte an den Kopf geworfen hat." - „Nachdem du, im Raum der Wünsche, nur an deinen tollen Ron gedacht hast!" - „Ich habe nicht nur an...", sie stockte, wie kam Blaise auf den Gedanken. „Versteh mich nicht falsch Hermione, aber du bist da rein gestürmt und hast nach Ron geschrien." Hatte sie das wirklich? „Und dann bist du so verliebt in ihn, dass du gleich am nächsten Tag mit dem Dreckskerl ausgehst." Dieser Vorwurf stand nun in der Luft und sie konnte es nicht abstreiten. Aber wie könnte sie Blaise bitte erklären, dass die ganze Beziehung mit Draco nur gespielt gewesen war und er ihr eigentlich helfen wollte, Ron als Freund zu bekommen. Das alles war so absurd.

„Also, was empfindest du für ihn?", fragte Blaise schließlich. Sie überlegte. Es war alles nur gespielt gewesen, aber dennoch. Für sie war er am Ende ihr Freund gewesen und sie hatte ihn geliebt. Genau wie sie Ron geliebt hatte, nur eben... anders. Sie konnte beide einfach nicht miteinander vergleichen. Aber Blaise würde das nicht verstehen. Deswegen antwortete sie nicht und fragte stattdessen: „Weiß man eigentlich, wer ihn mit dem Messer angegriffen hat?"

Blaise musterte sie immer noch mit einem scharfen Blick. Das Ergebnis schien ihn zumindest teilweise zufrieden zu stellen. Denn schließlich zuckte er mit den Schultern. „Nein, nicht wirklich. Wäre es ein Zauberstab gewesen, hätte man den letzten Zauber überprüfen können, aber bei einem Messer? Wie soll man in dem Chaos herausfinden, wer es gehalten hat."

Fingerabdrücke, dachte Hermione sich, sprach es aber nicht laut aus. Manchmal waren Zauberer echt begriffsstutzig.

„Aber wir wissen schon länger, dass ihm wer an den Kragen will. Dass es jemand aus Slytherin ist, ist dagegen eine neue Information. Es engt den Kreis der Verdächtigen ein."

Sie wussten das schon länger? Woher? Ihre Gedanken kreisten und fanden schließlich eine Antwort. Ihr wurde schlecht, als sie erkannte, dass es wohl nicht das Erste mal war, dass jemand ihm nach dem Leben getrachtet hatte. Blaise grinste nur und legte eine Hand auf ihren Rücken. „Keine Angst, ich pass schon auf den Kleinen auf. Und heute ist die Anzahl der Verdächtigen geschrumpft. Wir gehen davon aus, dass es jemand war, der einen Angehörigen an die Todesser verloren hat. Draco ist einfach das leichteste, lebende Opfer um Rache zu üben."

Beide schwiegen sie. Hermione beschloss Nachforschungen, in diese Richtung anzustellen. Immer wieder ging sie im Kopf eine Liste der Slytherin-Schüler durch, teilte sie ein in Leute, denen sie einen Mord zutraute und Leute, die im Krieg einen schweren Verlust erlitten hatten. Kam aber zu keinem Ergebnis.

Schließlich zog sie die Phiole von Madame Pomfrey aus der Tasche ihres Umhangs. „Kannst du bitte Draco das, von Madame Pomfrey, bringen?"

Blaise wog das kleine Fläschchen abschätzig in der Hand und schien zu überlegen. Der Schluss, zu dem er kam, war: „Bring es ihm selbst, ich lass dich rein."

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