19 Kindheitsschwarm
Als der Wecker sie am nächsten Morgen weckte, kam nur ein Stöhnen aus Harrys Schlafzimmer. Er musste selbst wissen, wann er aufstehen musste. In Windeseile machte sich Hermione fertig. Vielleicht war das Kind noch nicht komplett in den Kessel gefallen. Sie wollte retten, was zu retten war.
Als sie das Porträt öffnete, erwartete sie gähnende Leere. Dort wo der blonde Slytherin bisher fast jeden Tag auf sie gewartet hatte, stand einfach niemand. Irgendwie hatte sie erwartet ... oder vielmehr gehofft, dass diese Routine immer noch in seinem Tagesablauf enthalten wäre. Wie viel früher hatte er aufstehen müssen, dass er hier bereits auf sie warten konnte?
Sie wagte es nicht, beim Frühstück sich an den Slytherintisch zu setzen, und so endete sie neben Ron.
„Was? Gar kein Begrüßungskuss", fing dieser schon in aller Früh an zu motzen. „Susan hat mich jeden Morgen zur Begrüßung geküsst." Hermione verdrehte die Augen und drückte ein Küsschen auf Rons Wange, das ihn nicht zufriedenzustellen schien, aber zumindest ruhig stellte. „Ist nicht so, dass nur dein morgendlicher Ablauf gestört ist", grummelte sie.
„Ach, was hat denn bei dir nicht gepasst?", fragte Ron gedehnt. Sie ging auf den Spott in seiner Stimme nicht ein.
„Draco hat immer vor dem Porträt auf mich gewartet. Heute war er nicht da...", ihre Stimme hatte wieder sämtlichen Klang verloren und wirkte künstlich.
Ron stöhnte laut auf. „Dann werde ich morgen eben früher aufstehen, um dich abzupassen, bevor dieses Frettchen auf die Idee kommt, dass er es da noch einmal probieren könnte."
Das riss nun Hermione aus ihren Tagträumen. „Bitte was?", fragte sie, da sie komplett den Bezug verloren hatte.
„Er wird sich nicht an die Abmachung halten. Er ist kein Gentleman. Natürlich wird er versuchen, dich mir wieder wegzunehmen, aber das lasse ich nicht zu." Und mit diesen Worten umschlang Ron sie mit seinen Armen, um sie zu küssen. Sie wich dem Kuss aus.
„Verdammt Hermione, sei nicht so verklemmt. Du bist meine Freundin!", kam es nun von Ron.
„Lass mich raten, Bones war nie so verklemmt, nicht war?", giftete sie ihn an.
„Nein, war sie nicht, und du mit dem Frettchen auch nicht", das stimmte bedingt. Aber sie könnte Ron nicht sagen, dass alles nur gespielt gewesen war, zwischen Draco und ihr. Draco war ein so verdammt guter Schauspieler.
Sie erinnerte sich plötzlich daran, dass Draco sie gewarnt hatte, wenn sie es zu weit trieben, könnten sie beide es am Ende glauben. Hätte sie doch nur auf ihn gehört. Jetzt war das Kind sprichwörtlich in den Kessel gefallen. Sie warf einen sehnsuchtsvollen Blick in Richtung Slytherintisch. Draco war nicht da. Sie hoffte, dass er sich nicht immer noch vom Vortag erholen musste.
Sie hoffte, dass es nur Sorge um einen Freund war, die sie umtrieb, nicht Liebe. Das, was sie für Draco empfand, war so anders, als ihre Gefühle für Ron. Aber so seltsam es auch war, sie waren nicht um so viel geringer, als sie hätten sein müssen. Mit Ron hatte sie so viel Zeit verbracht und so viel zusammen mit ihm durchgemacht.
Bei Draco war es eher das Gegenteil, dachte sie und lächelte in sich hinein. Sie hatte so viel gerade wegen ihm durchgemacht. Nein, sie hatte die Hänseleien und kleinen Gehässigkeiten ihrer Kindheit nicht vergessen. Aber er war so anders geworden, so rücksichtsvoll ... so sanft.
„Magst du Kirschmarmelade?", wurde sie aus ihren Gedanken gerissen.
„Nein, da ist zu viel Zucker drin, das ist schlecht für die Zähne", antwortete sie Ron.
„Schade, Susan hat immer Kirschmarmelade gegessen... ihre Küsse waren nach dem Frühstück immer so süß...", fing er an zu schwärmen. Hermione biss entnervt in das Ei, das sie gerade geschält und gesalzen hatte und verzog prompt das Gesicht. Sie hatte es unglaublich versalzen. Ron würde wohl keinen süßen Kuss bekommen, dachte sie verbittert.
„Weißt du, ich bin froh, dass du wieder mit Ron ausgehst." Seit wann saß Harry neben ihr? Sie bemerkte ihn erst jetzt. „Ich hatte wirklich befürchtet, das mit Malfoy könnte was Ernstes werden."
Hätte Harry alle Umstände gewusst, hätte er das nie geglaubt. Draco hatte seine Rolle so gut gespielt, dass sie selbst irgendwann vergessen hatte, dass alles nur ein Trick war.
„Ein Glück, dass es jetzt zu Ende ist", stimmte Ron ihm zu. 'Zu Ende', war alles, was Hermione dachte. Aber war wirklich alles zu Ende? Hatte Draco wirklich alles nur gespielt oder mochte er sie vielleicht doch, zumindest ein bisschen? Würde es ausreichen, um eine Freundschaft mit ihm zu beginnen.
Sie grübelte den ganzen Vormittag darüber. Draco war entweder krank oder er schwänzte alle Stunden, die sie gemeinsam hatten. Die nagende Angst, dass er bleibende Schäden davongetragen haben könnte, setzte sich tiefer in ihr fest. Doch mit wem konnte sie darüber reden?
Schließlich, als sie wieder bei ihren Freunden am Mittagstisch saß, verkündete sie: „Heute Abend esse ich bei den Slytherins."
Ron ließ seine Gabel mitten während des Essens fallen und Harry verschluckte sich und hustete. „Du tust bitte was?", fragte Ron empört.
„Ich möchte sicherstellen, dass es Draco gut geht... und ich hoffe, dass eine Freundschaft zwischen uns noch möglich ist, selbst nach allem was du getan hast!", fuhr sie ihn an.
„Du hast versprochen nicht mehr mit ihm zu reden", ging Ron nun auf Konfrontationskurs.
„Im Falle, dass ich verliere, aber ich hatte nie vor zu verlieren", wendete Hermione ein. Etwas sanfter fügte sie hinzu: „Draco ist mir wichtig, genau wie ihr mir wichtig seid."
Beide starrten sie lange und durchdringend an, bis Harry schließlich nickte. Ron, der Harrys Meinung so gut wie immer teilte, schloss sich seinem Freund an.
Und so kam es, dass sie am Abend dieses Tages in Richtung des Slytherintischs ging. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, mit Blaise zu reden, doch zu ihrer Überraschung war Draco nun auch selbst wieder aus den Kerkern gekrochen. Er sah blasser aus als normal, dachte sie. Seine Wangenknochen zeichneten sich, in dem vom Krieg ohnehin gezeichneten Gesicht, noch mehr ab.
Ihm gegenüber war der Stuhl frei, den sie sonst immer eingenommen hatte. Millicent saß nun daneben, ihr gegenüber Blaise. Und neben Blaise... Daphne Greengrass... wäre Blaise nicht, sie würde direkt neben Draco sitzen. Es verursachte einen Kloß in Hermiones Hals. War Dracos Plan am Ende für ihn doch aufgegangen? Versuchte Daphne seine Nähe zu suchen?
Sie verpackte diese Überlegungen ganz tief in ihrem Unterbewusstsein. Mit aufgesetzter Selbstsicherheit ließ sie sich vor Draco auf den Stuhl sinken, genau so, als wäre nichts gewesen. Dieser warf ihr sofort, einen unverkennbar bösen Blick zu.
„Was willst du hier? Du bist nicht mehr meine Freundin, geh zu deinem Wieseljungen und lass uns hier in Frieden."
Noch bevor Hermione antworten konnte, kam Hilfe von unerwarteter Seite. „Mione ist immer noch mit mir befreundet. Sie darf sich jederzeit neben mich setzen oder möchtest du jetzt auch noch mir vorschreiben, mit wem ich befreundet sein darf?", kam es süffisant von Millicent.
Hermione lächelte sie an. Also meinte Millicent das ernst, mit ihrer Freundschaft. „Danke Milli", flüsterte sie dem pummeligen Mädchen zu, das sofort breit grinste.
Man sah, wie das Blut in Dracos Gesicht schoss. Seine Augen funkelten Hermione in einem so hellen durchdringenden Blau an, wie sie es nie zuvor an ihm wahrgenommen hatte.
Auf seiner anderen Seite saß Nott, der das Geschehen beinahe auffällig interessiert beobachtete. Ein schönes Schauspiel boten sie ihm dar.
„Misch dich nicht ein, Bulstrode", ging Draco nun auch Millicent an.
„Beruhige dich Draco und lass uns reden. Das gestern Abend war..." Weiter kam Hermione nicht, denn Draco schnitt ihr das Wort ab. „Was sollte ich denn mit einem Schlammblut wie dir besprechen?"
Sie fuhr zusammen. Er hatte sie wieder mit diesem Wort bezeichnet. Tränen bildeten sich in ihren Augen. Warum tat er das?
„Was soll das Draco...", versuchte Blaise seinen Freund zurückzuhalten. „Du mischst dich nicht ein", ging dieser nun auch Blaise an. Der hob nur beschwichtigend seine Hände. „Tu was du nicht lassen kannst, aber wer mit Bombarda eine Tür öffnet, darf sich später nicht ärgern, wenn es zieht."
„Willst du wissen, was das Ganze war, Granger? Das zwischen uns? Ich erzähle es dir. Es war eine Wette", seine Stimme war so voller Gehässigkeit, dass sie sich fragte, ob es immer noch der gleiche Junge war, mit dem sie die letzten Wochen ausgegangen war.
„Blaise und ich haben uns jeweils Aufgaben gestellt und meine Aufgabe war es, dich zu fragen, ob du mit mir ausgehst." Sie starrte Draco an. „Blaise musste dafür seine Unterhose am höchsten Fahnenmasten von Hogwarts hissen." Das war nicht sein Ernst. Das konnte einfach nicht sein Ernst sein. Sie spürte, wie ihr Tränen die Wangen hinunter liefen.
„Frag Blaise, er wird es dir bestätigen."
Der groß gewachsene Slytherin neben Draco verzog angeekelt sein Gesicht. „Das verlangst du jetzt nicht wirklich von mir..."
„Tu was ich dir gesagt hab, erzähl Granger die Wahrheit", zischte ihn Draco an.
„Wie du meinst", kam es unwillig von Blaise, „alles was Draco gesagt hat, entspricht der Wahrheit."
Hermione starrte die beiden Slytherins mit großen verweinten Augen an. „Das ist nicht euer Ernst", brachte sie nun endlich schluchzend hervor.
„Das ist mein voller Ernst", Draco grinste sie breit an, „du siehst, es ging nie wirklich um dich oder um Ron oder jemand anderen. Es war alles nur eine Wette." Er schnippte mit den Fingern. „Und ich habe sie gewonnen."
Hermione sprang auf und floh aus dem Speisesaal. So bekam sie nicht mit, was danach passierte.
„Du bist ein echtes Arschloch, Draco", kommentierte Blaise.
Sein Sitznachbar biss die Zähne zusammen, zuckte aber gleichzeitig mit den Schultern. „Es ist besser so, als anders. Du würdest das gleiche für Duffy Duck machen."
„Boah, Malfoy, du nicht auch noch", antwortete eine weibliche Stimme entnervt, was die beiden Jungen, trotz der schlechten Stimmung die um sie herum herrschte, kurz zum Glucksen brachte.
Blaise wollte gerade etwas erwidern, doch eine Faust, die Draco ins Gesicht traf und ihn beinahe umhaute, kam ihm zuvor.
Man konnte viel über Millicent sagen, aber sie machte selten einen Fehler zweimal. Statt wie das letzte Mal, bei dem Versuch über den Tisch zu hechten um wie ein gestrandeter Wal liegen zu bleiben, hatte sie dieses Mal den Umweg in Kauf genommen, einmal um die Tafel herumzulaufen. Deswegen traf ihre Faust erst um so viel verspätet ein. Sofort stürzten sich ein paar der Slytherins auf Millicent, um sie festzuhalten, bis sie sich beruhigt hatte. Eine Dampfwalze war nichts gegen sie. Doch andere nutzten die Chance, die sich ihnen in dem Tumult bot, um alte Rechnungen zu begleichen. In kürzester Zeit war aus dem kleinen Handgemenge, eine ausgewachsene Rauferei geworden, in der kaum ein Slytherin unbeteiligt blieb. Keiner griff mehr nach seinem Zauberstab, während die Lehrer heraneilten. Nur eine Hand schloss sich um ein Messer, dass bis dahin unschuldig auf dem Tisch gelegen hatte. Noch bevor die Professoren die Jugendlichen voneinander trennen konnten, verunzierte eine Lache roten Blutes die weißen Steinfliesen des Bodens.
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Ihr habt es geschafft :D
Das war aus meiner Sicht das letzte Kapitel, in dem wirklich viel Porzellan zerdeppert wurde ;D
Die Lage ist jetzt so mies, die kann nur besser werden :D
Im nächsten Kapitel kommt Luna wieder zum Zug und versucht Hermiones Sichtweise ein wenig zu ändern :D
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