10 Ein Date in der Bibliothek
In der nächsten Medimagi-Stunde (ein Fach, das nach dem Krieg eingeführt wurde) sprach Madame Pomfrey sie darauf an, dass sie den Arbeitsauftrag doch mit Malfoy machen könnte, um die ungerade Zahl der Klassenstärken auszugleichen. Hermione stimmte ihr zuliebe zu.
Das Thema war relativ interessant. Krankheiten, die nicht mit magischen Mitteln geheilt werden konnten. Sie würde sich trotzdem anstrengen, auch wenn sie Malfoy nicht länger als Freund sehen konnte. Hatte sie das je getan? Es war lächerlich.
In Gedanken versunken, ging sie nach dem Unterricht in die Bibliothek. Welche Krankheit sollte sie nehmen? Als sie ankam, stellte sie erstaunt fest, dass Malfoy so viele Bücher um sich getürmt hatte, dass er auf den ersten Blick gar nicht auszumachen war. „Was machst du hier?", fragte sie entgeistert. Er sah irritiert auf, dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Ich hatte eine Freistunde und habe mich schon einmal in das Thema eingearbeitet."
Hermione ließ sich auf den Stuhl ihm gegenüber fallen. Sie war baff. Er hatte vorgearbeitet? Aber warum? Wollte er nicht den Aufsatz von ihr abschreiben?
„Ich dachte, wir könnten Impulsa Magica nehmen. Angeblich ist diese Krankheit während und nach der Kriegszeit häufiger vorgekommen, so dass sie ein aktuelles Thema sind."
Hermione konnte ihn nur anstarren.
„Oder hast du bereits etwas anderes im Sinn?", fragte Draco nach und legte fast verbittert die Feder weg, mit der er sich gerade noch Notizen gemacht hatte.
Hermione schüttelte schnell den Kopf. „Nein, nein, wir können gerne das als Thema nehmen."
Die Erleichterung war ihm anzusehen, als er auch schon nach seinen Aufzeichnungen griff.
„Also", begann er, „ein Impulsa Magica wird meistens durch mehrere belastende Ereignisse ausgelöst. Ein Beispiel wäre den Verlust eines Verwandten. Die Eintrittswahrscheinlichkeit verhält sich dabei exponentiell zu der Anzahl der belastenden Ereignisse."
Sie nickte. Natürlich hatten sie alle im Krieg eine Menge durchgemacht.
„Dabei ist die Schwere des belastenden Ereignisses weniger bedeutend, wie die Begleitumstände. In angespannten Situationen, wie im Krieg selbst, scheint sich die Psyche von Hexen und Zauberern automatisch abzuschirmen. Vielleicht gibt es eine Art Schutzmechanismus des Körpers. In den darauf folgenden ruhigeren Zeiten reicht dafür oft ein geringfügig belastendes Ereignis aus, um den Impulsa Magica auszulösen."
Sie notierte sich alles, was er sagte im Kopf. „Wie macht sich dieser Impulsa Magica bemerkbar?", fragte sie schließlich.
„Also, zuerst verliert man seine magischen Attribute", fing er an. Hermione verzog das Gesicht. Machte er das absichtlich? Oder merkte er nicht, dass sie ihn nicht verstand. Auch in Malfoys Zügen spiegelte sich Verwirrung, die sich plötzlich klärte. „Entschuldige, ich habe vollkommen vergessen, dass du muggelgeboren bist."
„Du meinst ein Schlammblut", ging sie ihn an. „Ich sagte muggelgeboren", raunzte er zurück. „Wie dem auch sei. Viele Hexen und Magier sehen einfach anders aus als Muggel. Also nicht nur die Kleidung, sondern so etwas wie Augen, Haare, Haut oder Ähnliches. Oft ist das auch erblich bedingt, wie zum Beispiel die rote Haarfarbe oder die Sommersprossen der Weasleys." - „Davon habe ich noch nie etwas gehört", entgegnete ihm Hermione. „Wundert mich nicht", meinte Draco leichthin, „für uns ist das vollkommen normal, wie zwei Beine und zwei Arme zu haben. Man kann diese Attribute nicht verstecken, zumindest nicht für lange."
Hermione dachte kurz nach. „Ist Harrys Sturmfrisur auch so ein Attribut? Immer wenn man versucht, es zu kämmen oder schneiden, wachsen seine Haare sofort nach."
„Klingt so", meinte Draco trocken. Sie sah den Malfoyerben vor sich an. Dann griff sie in seine Haare, brachte sie kurz durcheinander, was nicht lange zu halten schien. Fast augenblicklich rutschten die platinblonden Haare wieder exakt an ihren Platz. Er schloss entnervt die Augen. Sie grinste ihn nur an. „Ich glaube, ich habe verstanden." - „Also wenn man diese Attribute verliert, würden Weasleys Haare wahrscheinlich bräunlich werden. Harrys Haare platt..." - „... und deine strubbelig blond", beendete Hermione amüsiert den Satz für ihn. „So ähnlich...", murmelte Draco vor sich hin.
„Ok, was hast du sonst noch so rausgefunden?", wollte Hermione wissen.
Malfoy druckste etwas herum, bevor er mit der Sprache herausrückte. „Man verliert seine magische Begabung."
Hermione blickte ihn entsetzt an. Ihre magischen Fähigkeiten verlieren? Konnte es etwas Schlimmeres geben?
Er hob beruhigend die Hände. „Meistens kommen sie von selbst wieder, zum Beispiel, wenn der auslösende Grund beseitigt wird oder wenn man es als nicht mehr so schlimm empfindet."
„Und wenn nicht?", wollte sie bang wissen.
Malfoy verzog das Gesicht. „Dann wird man zum Squib." Sie starrte, konnte nicht anders, als zu starren. Malfoy regte sich indessen nicht.
„Warum hast du gerade diese Krankheit ausgesucht?", fragte sie, immer noch entsetzt. Der Gedanke, ihre Zauberkräfte zu verlieren, war erschreckend.
Er atmete tief ein, dann sah er sie durchdringend an. „Versprich mir, es niemandem jemals zu sagen. Nein, schwöre es mir." Seine plötzliche Ernsthaftigkeit machte ihr Angst.
„Ok, ich schwöre, dass ich es niemandem erzählen werde", flüsterte sie eingeschüchtert zurück. Draco nickte. „Meine Tante wurde so zum Squib." Sie starrte ihn an und über ihre Lippen kam der erste Name, der ihr dabei einfiel. „Bellatrix Lestrange." Draco schaute sie kurz verwirrt an. Dann erst wurde ihr klar, dass das Blödsinn war. Bellatrix war im Krieg gestorben und bis zum Ende keine Squib gewesen. „Andromeda", sie hatte lange nichts von der Hexe gehört. Hatte sie der Tod ihrer Tochter so mitgenommen, dass sie ihre magischen Kräfte verlor?
„Nein", brach Malfoy ihren Gedankenfluss ab, „Lyra." Dies verwirrte nun Hermione.
„Die Zwillingsschwester meines Vaters. Lyra Malfoy." - „Hat dein Vater sie...", das Wort verstoßen hing unausgesprochen in der Luft. Aber Draco schüttelte nur den Kopf. „Nein, hat das er nie."
Es fiel Hermione schwer, das zu glauben. Leise, fast unhörbar, fügte Draco hinzu: „Mein Vater hat sie bis zum Schluss geliebt. Während des Krieges hat er sie versteckt. Aber dann... als ich noch klein war, hatte sie einen Unfall mit so einem Muggelding und ist dabei gestorben."
Er atmete tief durch. „Das ist eben das Problem, das wir Zauberer haben. Ihr Muggelgeborenen kommt in unserer Welt recht gut zurecht. Aber wir in der Muggelwelt, das ist eine Katastrophe."
Bei diesen Worten sah Draco so verloren aus, dass sie ihn spontan in den Arm nahm. Für einen Moment konnte sie spüren, wie er in ihrer Umarmung versteifte. Sie hatte es vergessen. Sie war für ihn ein Schlammblut und würde es immer bleiben, egal was er sagte. Ihre Beziehung war ein Schauspiel. Nichts davon war wirklich. Nichts war real. Er musste sich zu jeder Geste, weit mehr überwinden als sie.
Sie ließ ihn unvermittelt los. Sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt, welches es ihr unmöglich machte, seine Gefühle zu lesen.
Dann kam ihr, dass es nicht sein konnte. Draco log sie ganz offensichtlich an. „Aber dein Vater war doch ein Todesser. Wollten die Todesser nicht auch alle Squibs umbringen?"
Draco lächelte sie nur verächtlich an. „Was auch immer du dir gerade ausmalst. Mein Vater hat seine Schwester immer beschützt. Immer! Dadurch das er selbst ein Todesser war, konnte er sie besser vor den Anderen verstecken. Hast du noch nie von dem Sprichwort gehört, dass diejenigen die am lautesten schreien, am meisten zu verbergen haben?"
Hermione nickte und langsam fügten sich verschiedene Puzzleteile zusammen.
„Sei deinem Freund nah, aber deinem Feind näher", das war ein Sprichwort, das sie in diesem Bezug kannte. Draco nickte. „So könnte man es ausdrücken."
Er kramte in seinen Aufzeichnungen herum.
„Ich habe die Krankengeschichte meiner Tante anonymisiert aufgeschrieben. Zumindest soweit, wie ich sie von meinen Eltern weiß." Draco wies auf ein paar Blätter, die bereits mit einer sauberen Handschrift gefüllt waren. Sie biss sich auf die Lippen.
Er hatte schon so viel erledigt und sie? Panisch überlegte sie, was sie zu ihrem Projekt beitragen konnte. Hatte sie so etwas einmal bei jemandem beobachtet?
„Tonks", fiel es ihr siedend heiß ein, „natürlich, Tonks muss es auch gehabt haben." Draco erstarrte bei dem Namen. Dann erinnerte sie sich, dass er ja mit den Tonks verwandt war. Trotzdem hatte er sie wohl nie kennen gelernt. „Deine Cousine", erklärte Hermione einfühlsam. Sie wusste nicht, was es war, das Dracos Augen blitzen ließ, aber da er nichts sagte, fuhr sie fort. „Sie war unglücklich in Lupin verliebt. Während dieser Zeit schwanden ihre Morphmagus Fähigkeiten. Vielleicht auch ihre restlichen Zauberkräfte..."
Sie arbeiteten bis in den Abend hinein. Hermione bemerkte, dass es ihr Spaß machte, mit jemandem zu lernen, der auf ihrem Niveau war. Es war etwas anderes, als mit ihren Freunden, denen sie immer helfen musste. Draco entwickelte im Gegensatz zu diesen, eigene Ansätze, um Probleme zu lösen, und schaffte es so, dass auch sie neue Denkansätze ausprobierte.
Sie beendeten ihren Aufsatz damit, dass die Krankheit zwar nicht durch Zaubertränke heilbar wäre. Dennoch war eine Behandlung möglich und gewisse Tränke förderten den Heilprozess. Ein Trunk aus geriebenem Einhornhorn würde Gefühle dämpfen und den Krankheitsverlauf abmildern.
Als sich neben ihnen ein kleiner Berg an Papieren türmte, der ihrem Aufsatz entsprach, lehnten sich beide entspannt nebeneinander zurück. Hermione atmete tief den Duft der staubigen Folianten ein. Dieses Mal aber, war er durchdrungen von einer Mischung aus Sandelholz und frischen Äpfeln. Das, kam ihr, musste Draco sein. Ob er auch, nachdem ihre Abmachung beendet war, weiter mit ihr lernen würde? Wahrscheinlich nicht. Dabei hatte sie es so sehr genossen ...
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