1. Alles auf Anfang*
Dieses Leben konnte man nicht mit Worten erklären. Man konnte versuchen es zu malen, es zu beschreiben, doch jeder sah es anders. Als ob jeder einen anderen Filter auf den Augen hätte, welcher diese Welt in die unterschiedlichsten Farben tauchte. Ich denke, das ist es, was dieses Leben ausmacht. Wir sind alle verschieden und doch irgendwie gleich.
Vor einigen Monaten
Alles war vorbei, aus und vorbei. Kein winziger Funken Hoffnung glänzte mehr in meinen Augen. Was ich sah, war einfach nur der Anfang eines völligen Chaos, welches in sich selbst zusammen brach.
"Wenn du dann einmal fertig bist mit starren, kannst du mir ruhig helfen, Jess", murmelte eine Stimme neben mir und ehe ich mich versah, warf mir dieser jemand eine vollbeladen Kiste mit Büchern entgegen.
"Riley!", fauchte ich und ließ die Kiste auf den staubigen Fußboden fallen.
Es war schon eine wahnsinnige Zumutung. Meine Mutter wollte unbedingt von mir und meinem Bruder, dass wir die High-School besuchten und somit auch gleich in die Nähe dieser Schule zogen. Ganze 30 Minuten von der West Briks High-School entfernt. Irgendwo in einer Niemandsgegend, umgeben von kleinen Familienhäusern und leerstehenden Wohnblöcken. Wenigstens etwas Positives hatte das Ganze. Da unsere Eltern sich zurzeit um andere Dinge kümmern mussten, schoben sie uns hier her ab. Das Haus stand ziemlich günstig zum Verkauf, da es schon ein wenig älter war und da und dort etwas fehlte. Mein Vater hatte also die Chance gleich gepackt und es gekauft.
Hier war alles anders, die Temperaturen waren um einiges wärmer und auch der Winter kam erst später. Es gab sogar ein Meer und einen riesigen Strand.
Seufzend klopfte ich mir die Hände an den Hosen ab. Wenn man hier einmal die schrägen Nachbarn ignorierte und dass man mit seinem älteren, absolut chaotischen Bruder auf engsten Raum leben musste, war es hier in Ordnung.
"Ich sehe mich einmal in der Gegend um. Mach keinen Unsinn", rief Riley mir zu, bevor er mit seinem klimperten Autoschlüssel an mir vorbeirauschte.
Da stand ich also, vor einer offenen Wohnungstür, neben mir alles voller Kartonschachteln überladen. Im Übrigen, ich bin Jessica Annela Senara-Montgomery-Patricksen, aber alle nennen mich Jess. Da das Risiko, sich zu verschlucken beim Aussprechen meines vollen Namens, ziemlich hoch war.
"Na dann, wollen wir einmal." Keuchend hob ich eine nach der anderen Kiste in das noch leere Innere des Hauses. Es war ein kleines Haus, mit einem großen Wohnzimmer, einer Küche, einem Badezimmer und dem dazugehörendem Zimmer im ersten Stock. Wenn man die Treppe hochlief, kam man in einen engen Gang, welcher in ein kleines Zimmer führte, mit einem schrägen Dachbalken und einem winzigen Balkon.
Im Ernst, ich hatte Angst ich könnte mich dort nicht einmal um mich selbst drehen, ohne über das Geländer zu purzeln.
Es gab dort auch ein anliegendes Badezimmer, einfach viel kleiner als das im ersten Stock. Ich nahm jedoch den ganzen Platzmangel lieben gerne in Kauf, wenn ich dafür einfach meine Ruhe hatte. Riley konnte von mir aus den ganzen unteren Stock, die Küche mit dem Essen, die große Terrasse, das riesige Zimmer und das wunderschöne helle Bad haben. Hauptsache ich konnte mich hier oben verziehen und meine Ruhe haben.
Bis ich fertig mit einrichten war, brach bereits die Nacht ein. Erschöpft sank ich auf das weiche Bett und blickte aus dem Fenster hinaus in die Nacht. Morgen würde der Ernst des Lebens losgehen.
-
"Jess! Jessica!" Irgendetwas Lästiges rüttelte an meinen Armen, bis ich mich mit einem Ruck aufrichtete und in das verschlafene Gesicht meines Bruders blickte. Er trug einfache Boxershorts und das braune Haar hing wirr von seinem Kopf.
"Nein!", sprach ich und sprang aus dem Bett. "Nein!", rief ich erneut und raufte mir die Haare.
"Was?", fragte Riley leicht verwirrt.
"Du hast verschlafen und mich vergessen zu wecken. Mein erster Tag an der High-School und ich komme zu spät." Seufzend ließ ich mich auf das Bett fallen. Wenigstens war ich inzwischen wach, hellwach!
"Ganz ruhig, du hast noch genau 30 Minuten zum dich duschen, anziehen und um etwas zu essen, bevor wir losfahren." Mit einem breiten Grinsen verließ er das Zimmer. Wütend warf ich ihm ein Kissen nach, welches einfach gegen die Tür knallte, wie ein Sack voller Kartoffeln. Ich durchwühlte einige der Kisten, bis ich ein paar zerrissene Jeans und eine weiße Bluse gefunden hatte. Nach einer ausgiebigen Dusche und einem schnellen Morgenessen, hastete ich hinter Riley her zu seinem Auto.
"Nervös?", fragte er. Ich blickte noch einmal zu dem kleinen Haus zurück.
"Es ist nur die High-School", sprach ich genervt und sah aus dem Autofenster.
Wir fuhren einige Minuten, die mir wie Stunden vorkamen, ehe wir vor dem West Briks Gelände stehen blieben. Mein Bruder parkte den Wagen und stieg lässig aus, die Sonnenbrille im Gesicht, den Schulrucksack auf einer Seite. Grinsend drückte er mir einen Kuss auf die Wange. "Bis später, Schwesterherz", flüsterte er, ehe er zwischen all den Menschen verschwunden war.
Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass Riley bis morgen um die 20 neuen Freunde gefunden hatte. So war er einfach, nur so war ich nicht.
Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, das eigentlich dazu gedacht war meine Nervosität zu überdecken, lief ich langsam durch die dichten Schülermengen die Treppen hoch.
Im ersten Fach hatte ich Mathematik, das wusste ich. Was danach kam, keine Ahnung.
Die Tasche mit meinen wenigen Unterlagen dicht an mich gepresst, erreichte ich die Aula. Von überall drangen Stimmen, niemand schien mich zu beachten. Suchend sah ich mich um. Vor mir stand ein Mädchen mit einem hohen Pferdeschwanz. Ihr blondes Haar schimmerte im Licht wie Gold. Seufzend sah ich auf meine braunen Haare, die eher wie das Fell eines Pferdes aussahen. Ich hielt ein paar der losen Strähnen gegen das Licht. Fehlanzeige, bei mir schimmerte gar nichts.
"Ehm, hei", murmelte ich und tippte ihr auf die Schulter. Das Mädchen drehte sich ganz langsam um und betrachtete mich von oben bis unten.
"Ja?", zischte sie.
"Ich suche das Zimmer 17b."
Sie schien einen Moment zu überlegen, ehe sie sich umdrehte und auf eine kleine rote Tür zeigte. "Da lang."
Nickend lief ich in die angezeigte Richtung. Bevor ich die Tür öffnete, atmete ich noch einmal ganz tief ein und wieder aus. Also los
Ich drückte die Türklinke hinunter und öffnete die Tür ganz langsam.
Doch was mir entgegen kam war kein Lehrer, auch keine Horde Schüler, sondern eine Horde Besen. Hinter mir hörte ich schrilles Kichern. Wütend drehte ich mich in die besagte Richtung um. Das Mädchen, mit dem Haar aus Gold, hielt sich kichernd die Hand vor den Mund, um nicht laut loszulachen.
"Sehr witzig, wirklich. Danke für das zeigen wo die Besenkammer liegt!", rief ich ihr über den Lärm der Schüler hinweg zu.
Genervt wanderte ich einfach durch die Gänge bis ich irgendwann anhielt.
"Brauchst du Hilfe?", erklang es neben mir. Langsam drehte ich mich um. Hinter mir stand ein Mädchen in meinem Alter. Sie hatte auffallende helle Augen und einen wirklich tollen Kleidergeschmack. Ihre Haare waren in einem leichte hellviolett. Mit einem Lächeln auf den Lippen sah sie mich an.
"Ich suche das Zimmer 17b."
Sie nickte und deutete mit der Hand, dass ich ihr folgen sollte.
"Ich bin Sam und du?", fragte sie nach einer Weile.
"Jess."
"Freut mich, Jess. Wir haben zusammen Mathematik. Zwar eines der langweiligsten Fächer, aber eben."
Sie zwinkerte mir aufmunternd zu.
Es klingelte bereits zum dritten Mal, als wir das Klassenzimmer betraten.
Der Lehrer, ein kleiner Mann mit Nickelbrille, sah nur kurz auf und schrieb dann weiter ein paar krakeligen Zahlen an die Tafel. Sam setzte sich neben ein Mädchen mit kurzen Haaren. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte ich den einzigen freien Platz im Raum.
Dort saß ein Typ mit braunen, etwas längeren Haaren. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und kaute auf einem roten Bleistift. Keiner nahm auch nur eine Notiz von mir. Ganz langsam schlich ich zu dem freien Platz und setzte mich hin. Der Typ musterte mich kurz und schenkte mir dann ein Lächeln. Blaue Augen blickten mir entgegen und für einen kurzen Moment, verlor ich mich in ihnen.
"Hei", flüsterte ich.
Totenstille
Die ganze Klasse drehte sich nach hinten zu mir um.
"Jessica, wären Sie so freundlich den Unterricht nicht zu stören, wenn sie bereits zu spät erscheinen?", zischte der Lehrer. Verwundert und sichtlich peinlich berührt, sah ich nach vorne. Das fing ja gut an.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top