29. Kapitel - Offenes Lächeln

Meine Gedanken und Gefühle flackerten vor Aufregung und wurden zunehmend nervöser. Mit jedem Schritt, den wir uns der Großküche näherten. Was war, wenn man sah, dass ich nicht hierher gehörte? Dass England nicht meine Heimat war. Was war, wenn ich mit leeren Händen zu meinen Brüdern zurückkehren würde?


Abrupt blieb ich stehen, schloss für einen kurzen Moment die Augen, versuchte meine Atmung zu normalisieren und meine Gedanken zum Schweigen zu bringen. Ich würde dieser neuen Situation nicht so entgegentreten. „Ich pack das nicht", murmelte ich und fuhr mir panisch durch die Haare.

„Endlich", erwiderte Ryan zu meiner Verwirrung, weshalb mein Blick fragend zu ihm wanderte. „Was?"


Seine Mundwinkel zuckten. „Bis gerade hast du dir nicht anmerken lassen, dass du aufgeregt bist. Vermutlich, weil du es dir selbst nicht wirklich eingestehen willst, aber jetzt kann ich es sehen."

Verwirrt runzelte ich die Stirn und hob abwartend die Augenbrauen. „Was kannst du jetzt sehen?", hakte ich nach. Bevor er jedoch etwas sagte, zog er die graue Kapuze hinunter. „Dass du dir zu viele Gedanken machst", antwortete er und legte nachdenklich den Kopf schief. „Es wird nichts Schlimmes passieren."


Ich nickte und atmete tiefer ein, um mein Herz zu beruhigen. Ryan hatte recht. Es würde nichts Schlimmes passieren. Er hatte gesagt, er würde schauen, ob die Jobs sicher waren und ich vertraute ihm.

„Ja, du hast recht." Ich lief wieder weiter und er folgte mir.„Ich habe meistens recht", ergänzte Ryan mich und ich lachte, während ich zu ihm schaute. Er beobachtete mich lächelnd.


Wir gingen durch eine Gasse, die nach Urin und Alkohol stank. Mir fiel auf, dass uns nur wenige Menschen auf dem Weg zur Großküche begegnet waren. Als Ryan vor einem großen Gebäude hielt, das so alt zu sein schien, dass die ehemalig weiße Farbe eher einem gelb glich, blieb ich ebenfalls stehen. „Da wären wir", sprach er aus, was ich bereits vermutete.

Mein Blick glitt zu Ryan, der zum Eingang der Großküche sah. Nach einigen Sekunden drehte er den Kopf in meine Richtung und schenkte mir ein wehmütiges Lächeln. Vermutlich wusste er, dass ich trotz seiner Worte Angst hatte, dort reinzugehen.


„Ich komme noch mit rein, okay?", fragte er vorsichtig und ich nickte stumm. Wir öffneten die Tür und traten in einen kalten Flur.

Es roch nicht nach Essen, wie ich es vermutet hatte und ich konnte auch keine Stimmen vernehmen, die diesem Ort die Leblosigkeit genommen hätten. Das einzige Geräusch, das ich hörte, war das Widerhallen unserer Schritte.


Als sich der Flur spaltete, nickte Ryan in die linke Richtung, sodass wir wenig später vor einer Tür zum Stehen kamen. Er klopfte laut an, bevor sie ein breiter Mann mit meliertem Vollbart aufriss und ich erschrocken zurück stolperte. Sein fragender Blick wanderte interessiert von Ryan zu mir.

„Ist sie das?", begrüßte der fremde Mann uns und Ryan lächelte höflich. „Wäre komisch, wenn nicht." Er streckte dem Mann die Hand entgegen, ehe sein Blick zu mir glitt. „Hallo", sagte ich etwas unbehaglich. „Ich bin Aleyna Saliba."


Als ich meinen Nachnamen ausgesprochen hatte, fiel mir auf, dass ich ihn lange nicht mehr benutzt hatte. Auf dem Pass, den Ryan uns besorgt hatte, stand ein anderer, sodass ich mich beinahe schon daran gewöhnt hatte, jemand anderes zu sein.

Der Blick des Mannes glitt zu seiner Armbanduhr. „Pünktlich auf die Minute. Gefällt mir." Ein zufriedenes Lächeln entstand auf seinen Lippen. „Dann komm mal rein, Sweetheart."


Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen und blickte zu Ryan, der mir ein leichtes Lächeln schenkte, als er sah, wie unsicher ich mich fühlte. Er kam auf mich zu und nahm mich für einen kurzen Moment in die Arme, während er mir schöne Worte zuflüsterte. „Du bist hier sicher."

Seine Stimme klang wie ein Versprechen.

Er nickte dem Mann ein letztes Mal zu, bevor er sich langsam von uns abwandte. "Ich hol dich um achtzehn Uhr ab."

Obwohl diese Worte an mich gerichtet waren, stimmte der fremde Mann mit einem knappen Nicken zu.

Nachdem Ryan im Flur verschwunden war, trat er zur Seite und ließ mich eintreten. Als Ryan gesagt hatte, ich würde in einer Großküche arbeiten, hatte ich mir bereits versucht vorzustellen, wie das aussehen würde. Diese bunte Imagination stimmte jedoch in keiner Weise mit der dumpfen Realität überein.


Auch hier drinnen war alles in sterilem Weiß gehalten. Während auf dem Boden unterschiedliche Schalenarten lagen, nahmen lange Tische den meisten Platz im Raum ein. Die Menschen, die vor ihnen saßen, waren hauptsächlich weiblich. Sie schienen so tief in ihrer Arbeit versunken, dass sie gar nicht bemerkten, wie ich sie anstarrte.

Ich hatte keine Ahnung, was ich hier würde tun müssen.


„Komm mit." Die Stimme des Mannes zog mich aus meinen Gedanken und ich blickte zurück zu ihm. Schweigend lief ich ihm hinterher. Als mein Blick ein letztes Mal zu den anderen wanderte, fiel mir auf, dass mich ein Mädchen anlächelte. Ich erwiderte es beim Weitergehen. Sie konnte nicht viel jünger sein als ich.

Wir kamen an einer kleinen Abstellkammer an, bevor der Mann nach einem Besen, Kehrblech und Eimer griff und mir entgegenhielt. „Du siehst ja, wie es hier aussieht. Ich denke, so viel muss ich dazu also nicht sagen?" Fragend hob er die buschigen Augenbrauen, die genau wie sein Bart grau waren.


„Nein", erwiderte ich.

Er nickte und schien zufrieden mit meiner knappen Antwort zu sein. Ich nahm die Sachen entgegen und trat zurück, sodass er an mir vorbeigehen konnte. „Fang einfach irgendwo an. Wenn du Durst hast, kannst du dir da eine Wasserflasche vom Tisch nehmen." Er warf mir einen Blick über die Schulter zu. „Ich weiß, das ist nett von mir."


Zögernd nickte ich erneut, woraufhin er lachen musste.

„Wie heißen Sie?", fragte ich. Er hielt vor einer Tür inne, ehe er sich verwundert zu mir umdrehte, als hätte er nicht damit gerechnet, dass ich eine Frage stellen würde.


„Du kannst mich Elvis nennen."

Ich war mir beinahe sicher, dass Elvis nicht sein richtiger Name war. Ich bezweifelte, dass sich mir hier irgendjemand mit seinem echten Namen vorstellen würde.


Schweigend ging ich zum Ende der ersten Reihe und fing an, die Schalen und alles andere aufzukehren und in den Eimer zu werfen. Elvis war bereits hinter der Tür verschwunden. Ich hätte gerne gewusst, was hinter ihr lag.

Mit der Zeit schlich sich ein Rhythmus in meine Bewegungen und ich arbeitete mich immer weiter vor. Ich war so in meine Arbeit versunken, dass ich gar nicht bemerkte, wie die meisten ihre Posten verließen und durch eine Tür in einen anderen Raum traten. Ich machte weiter.Mittlerweile hatte ich fast alle Reihen aufgefegt, als mich plötzlich jemand an der Schulter berührte. „Hey."


Erschrocken fuhr ich herum und starrte in das Gesicht des Mädchens, das mich vorhin als einzige angesehen hatte. Ihre Haare waren beinahe rot und ihr Lächeln offen.

Ich habe lange nicht mehr jemanden so echt lächeln sehen. 


„Wir machen Pause."

Ich nickte. „Okay."

Sie legte den Kopf schief. „Du kannst auch Pause machen", erklärte sie, ehe sich auch auf meine Lippen ein Lächeln ausbreitete.

Ich nickte und folgte ihr zu einer weiteren Tür.

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