Kapitel 27 《Blush》 Nero

Triggerwarnung: Depressive Gedanken und depressives Verhalten sind der Fokus dieses Kapitel.
Ich kann sowas nicht gut einschätzen, aber da die bisherigen Kapitel nicht ganz so heavy waren wie dieses, möchte ich sicherheitshalber mal erwähnt haben.

Später klopfte Vi an meine Tür und fragte mich, ob irgendwas passiert sei.
„Ne, alles gut", gab ich zurück. Ich saß auf meinem Klavierhocker und betrachtete die Tasten, während ich in Gedanken bei Viktor war.

„Ist wirklich alles okay?", vergewisserte sie sich und ließ sich auf meinen Schreibtischstuhl nieder. „Du hast gerade echt angespannt und genervt gewirkt."
„Ich hab Tristan nur vorhin von meinem Bruder erzählt, das ist alles." Ich drückte ein paar Tasten sehr langsam herunter, beobachte genau, wie sich meine Finger dabei bewegten und verdrängte die qualvoll verstimmten Töne, die ich erzeugte.
„Außerdem kannst du nicht einfach irgendwelchen Leuten sagen, dass sie hierbleiben können", ergänzte ich. Mein Blick war noch immer auf das Drücken der Tasten meiner Finger gerichtet.

Es ging mir wirklich gegen den Strich, dass Vi einfach so Tristans Freunde bei uns übernachten lassen wollte. Nur weil ich ihr und Tristan erlaubt hatte, hier einzuziehen, hieß das nicht, dass sie einfach Leute einladen kann, besonders nicht Leute, die nur einer von uns kennt und mit denen er ganz offensichtlich ein paar Probleme hat.

„Ich habe ihnen nicht angeboten, dass sie hier schlafen können", widersprach Vi. Ihre Stimme war genauso laut wie vorhin, nur sie klang irgendwie verletzt.
„Angeboten oder nicht, ich wollte es nur einmal erwähnt haben", murmelte ich. Mir war nicht nach Schreien oder laut sein zu Mute. Ich wollte leise sein und an nichts denken. Keine Gedanken, nur sitzen und existieren.

„Sie scheinen übrigens echt nett zu sein", meinte Vi nach einigen Sekunden unseres Schweigens.
„Der mit den Sommersprossen macht vielleicht den Mund manchmal zu weit auf, aber dafür scheint der Blonde ihn ganz gut im Griff zu haben."
Ich hörte ihr zu, fühlte mich aber nicht dazu in der Lage, irgendwas zu sagen. Wer von ihnen ist der, der davon weiß, dass Tristan schwul ist? Er hatte schonmal was von einem Freund erzählt. Sein Name begann mit F oder so. Fabian? Fynn? Felix? Irgendwie sowas. Ob er es ist?
Von den anderen hatte er nichts erzählt.

Vi sah mich von der Seite an. „Hat Tristan auch mit dir geredet oder hast nur du mit ihm geredet?"
„Er hat auch mit mir geredet", antwortete ich, noch immer leise. Wieso gibt es die Kraft der Telepathie nicht wirklich? Ich könnte ihr einfach alle Sachen, die ich eigentlich sagen will, mir aber zu viel Energie raubten, in ihren Kopf übertragen.
„Hat mir gesagt warum er mit dir reden musste," sagte ich dann noch.
„Also kennst du die Geschichte jetzt auch?"
„Von ihm und seinen Freund in den er sich verliebt hatte? Ja."
Ich ließ gerade meinen Zeigefinger auf der Taste gedrückt, hob die Hand an und drehte den Finger nach links und rechts, bevor ich mit dem kleinen Finger aufsetzte und den Zeigefinger von der Taste löste.
„Er war auch da", erzählte Vi. „Ich glaube wirklich, dass er sich ernsthaft bei Tristan entschuldigen will."
Ich zuckte mit den Schultern. Hab ihn ja nur für ein paar Sekunden gesehen.

„Du hast ihn zwar nicht gesehen, aber er hat sich echt nicht wohl gefühlt, so lange hier zu bleiben."
„Wo war er denn?", fragte ich nun. Dann mussten sie zu viert und nicht zu dritt gewesen sein.
„Im Garten. Er hatte einen richtigen Nervenzusammenbruch und war kurz davor zu weinen, da wollte er sich draußen beruhigen."

Weinen klingt gut. Einfach Tränen fließen lassen. Ja. Irgendwie hat das was. Einfach sitzen oder liegen – es kommt nach einer Weile sowieso nicht mehr darauf an, wie du existierst, du tust es ja einfach sowieso, ohne dass dich jemand danach gefragt hat, ob du es willst – und dann weinen.

„Okay, also, du bist gerade echt nicht redselig, dann lass ich dich besser mal etwas alleine", sagte Vi nach weiteren wortlosen Sekunden. „Bitte sag mir, wenn dich etwas bedrückt, okay?"
Ich nickte, sah ihr beim Aufstehen und Weggehen aber nicht hinterher.
Erst als ich hörte, dass die Tür wieder ins Schloss fiel, hob ich meinen Kopf an und sah zu dem Stück Holz.

Sie bemühte sich und ich blockte ab, die ganze Zeit. Warum tat ich das eigentlich nochmal?
Seufzend stellte ich meine Ellenbogen auf einige Tasten, löste damit unschöne Töne aus, und legte meinen Kopf in meine Hände.
„Ich will einfach nicht mehr."

Später, als sie wieder kam, um mir zu sagen, dass es Essen gibt, saß ich an meinem Schreibtisch und sah mir die ganzen alten Zeichnungen von mir an. Ich sagte, ich habe keinen Hunger, woraufhin sie genervt entgegnete, dass ich mich mit Tristan zusammentun könne.
„Ihr müsst beide etwas essen."

Ich wollte aber nicht. Und dass Tristan nicht wollte, fand ich zwar auch nicht gut, aber ich kann ihm das schlecht vorwerfen.

„Ich esse gleich", versuchte ich einen Kompromiss zu schließen, auch wenn es sich nicht nur wie eine leere Versprechung anhörte, sondern auch anfühlte.
Vi seufzte und verließ mein Zimmer, ohne zu antworten.

Ich sah mir wieder die Bilder an und stellte fest, dass ich mich noch an die Erarbeitung von manchen erinnern kann. Eins sollte mich und meine Freunde als Jedi darstellen. Oliver sah aus wie Obi-Wan und wir anderen waren wir selbst. Oliver war einfach Obi-Wan. Manchmal nannten wir ihn sogar so, aber das kam eher selten vor. Es war trotzdem lustig.
Und natürlich hatte ich ein lila Lichtschwert, wie Mace Windu.
Aber ich war natürlich ein weitaus coolerer Jedi.

Keine zwei Minuten nachdem Vi gegangen war, klopfte es erneut. „Ich hab immer noch keinen Hunger", rief ich zur Tür, weil ich dachte, dass sie es wieder sei. Aber es war Tristan.
„Vivian hat mir erzählt, dass du nichts essen willst."
Es klang eher wie eine Frage, als eine Aussage.
„Keinen Appetit", murmelte ich daraufhin.
„Ich auch nicht", gab er zu.

Ich sah ihn an und wartete auf eine weitere Reaktion. Wie so häufig hatte er seine Ärmel über seine Hände gestreift und spielte mit ihnen. Ich sah wieder hinab zu meinen Bildern.
„Kann ich dir etwas gestehen?", fragte er mich jetzt.
„Okay."
„Ich hab Angst, meine Freunde wieder zu sehen."

Ich hielt einen Moment inne. Er hat Angst davor? Ist es immer noch, weil er ihnen nichts gesagt hat? Oder warum hat er Angst?
Ich könnte gar nicht glücklicher sein, wenn ich die Möglichkeit hätte, meine Freunde wieder zu sehen.

„Alles ist so anders und ich glaube, wenn ich vor ihnen stehen würde, dann würde ich vor lauter Schuldgefühlen umkommen."
Langsam nickte ich. Das ergab schon mehr Sinn.
„Also hast du deinen einen Freund vor ein paar Tagen eigentlich nur weggeschickt, weil du Panik hattest, dass du den anderen begegnen könntest?", fragte ich nach.
Tristan druckste herum, holte tief Luft und räumte ein, dass das zwar nicht der Hauptgrund war, es ihn aber schon dazu verleitet habe.

„Egal was ich mache, ich fühl mich wie ein Arschloch", sagte er, mit ganz leiser Stimme.
Ich konnte nichts sagen, weil ich nicht wusste, was ich hätte sagen sollen. Wieso kommt er überhaupt damit zu mir?

Ich sah immer noch auf meine Jedi Zeichnung von meinen Freunden und mir und sorgte damit für Stille.
Tristan stand einfach da und sah mich vermutlich an, wie ich ihn ignorierte und anschwieg.

„Warum hast du eigentlich keinen Appetit?", fragte er mich irgendwann.
Ich atmete tief ein und stieß die Luft laut aus. Meine Hände sanken und ich legte meinen Kopf in den Nacken, als wäre er das Schwerste auf der Welt und ließ mich gegen die Stuhllehne fallen.
„Ich vermisse meinen Bruder."
„Oh", machte Tristan.
Ich richtete meinen Kopf wieder auf und sah wieder auf das Bild.
„Und meine Freunde."

Tristan sagte nichts, ich sagte nichts, und wenn ich ehrlich bin, ich glaube keiner wollte und konnte irgendwas sagen.

Aber Tristan sagte dann doch irgendwann was: „Tut mir leid."
Ich zuckte nur mit den Schultern.
„Ich... Ich bin wirklich ein Arschloch", murmelte er, so leise, dass ich es gerade so hören konnte.
„Keine Ahnung, bin die falsche Person, um das zu bestätigen", entgegnete ich. Und ich löste damit erneut Schweigen aus, bis Tristan es wieder brach: „Weißt du, du solltest dich entscheiden, ob du dich öffnen willst oder nicht. Oder zumindest einfach sagen, wenn du jetzt keine Lust hast, zu reden."

Er ging und genauso wie bei Vi, drehte ich mich erst um, als ich hörte, dass die Tür ins Schloss gefallen war.
Ich fühlte mich so verletzt und gleichzeitig so beschissen. Tristan hatte recht, ich sollte zumindest sagen, dass ich nicht sprechen will. Aber konnten sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?

Es ist doch mehr als offensichtlich gewesen, dass es mir gerade absolut unfassbar beschissen ging und ich nicht mal ansatzweise dafür offen war, zu reden.

Ich wollte nur alleine hierbleiben und vor mich hinvegetieren.
Mir kamen die Tränen.

Schnell legte ich das Bild von meinen Freunden und mir weg. Ich wollte nicht, dass es von meinen Tränen zerstört wird. Nicht dieses kleine Bisschen normale Kindheit.

Mein Blick schweifte über mein Zimmer. Ich wünschte mir, dass es so wie früher wäre, aber gleichzeitig wusste ich, dass ich mir nicht das Früher wünschte, wie es wirklich war, sondern das Früher, wie ich es gerne gehabt hätte. Ich wünschte mir im Grunde genommen nichts weiter als eine andere Vergangenheit und das war einfach nicht möglich und es würde nie möglich sein.

In mir war nichts als Hass, auf das, was mir das wenige, was ich liebte, genommen hat, und Trauer, um alles, was ich verloren hatte. Ich wollte schreien und weinen und ich wollte eigentlich nur in den Arm genommen werden und dass mir jemand sagt, dass alles wieder gut werden würde.
Aber da ist keiner, und abgesehen davon weiß keiner, ob wirklich alles wieder gut werden würde.

„Verdammte Scheiße ey", murmelte ich. Ich fluchte über mich selbst, weil ich mir so lächerlich und erbärmlich vorkam.
Wie alt war ich? 18, fast 19, und ich heule, weil mich keiner umarmt und mir falsche Wahrheiten serviert. Ich bin doch kein Kind mehr. Ich würde jetzt normalerweise studieren oder so. Ich würde jetzt alleine wohnen, definitiv. Ich hätte jetzt auch keinen um mich herum. Ich wäre jetzt auch alleine.
Und würde ich dann auch heulen und mir jemanden herbeiwünschen, der mich ganz dolle drückt und mir gut zuredet und mir erzählt, dass am Ende alles wieder super ist und alle glücklich werden?

Wie lächerlich!

Ich verdeckte mein Gesicht und lachte, während meine Tränen über mein Gesicht liefen. Ich war einfach fertig. Wieso bin ich eigentlich noch nicht tot?

Und plötzlich fühlte ich mich so leer wie noch nie.

Es ist zwar schon mal passiert, dass ich mich das gefragt habe, aber diesmal war es irgendwie anders. Es war irgendwie ernster und gleichzeitig auch nicht.

Als hätte ich nicht nur Tristan angelogen, als ich ihm gesagt habe, dass ich alles dafür tun würde, um zu überleben, sondern auch mich.

Ich fuhr mit meiner Hand durch meine Haare, krallte mich fest.
Was mach ich jetzt?

Ich brauche definitiv Hilfe, und die einzigen, die mir ihre Hilfe angeboten haben, hab ich eben noch ignoriert.

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Ich weiß nicht ganz was ich groß zu dem Kapitel schreiben soll.

Vielleicht könntet ihr mir Feedback geben ob die Triggerwarnung am Anfang angemessen war oder zu dramatisch?

Normalerweise schreibe ich ja eher wholesome oder leichter verdaubare Sachen, deshalb meine Unsicherheit gerade.

Ansonsten einen schönen Abend euch noch! :)

- LMS

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