Kapitel 23 《Hell or high water》 Eliza
Fynn, Linus und ich machten uns mit Aidan auf den Weg. Mira blieb im Haus zurück. Sie würde den anderen Bescheid sagen, wo wir sind.
Aidan führte uns aus dem ehemals belebten Wohnviertel eher stadtauswärts, bis wir an der Bahnstation ankamen. Obwohl sie sich mitten auf einen Platz befand, waren die Schienen von Pflanzen überwuchert und man konnte wegen des ganzen Mooses und Drecks nur noch gerade so entziffern, wie die Haltestelle hieß.
„Ich hab ihn da auf der Bank gefunden", erzählte Aidan. Er zeigte auf eine der Bänke unter dem Unterstand an der Haltestelle. „Er sah schon ziemlich grimmig aus, wenn ich so drüber nachdenke. Jedenfalls kam ich von da," jetzt zeigte er auf eine schmale Straße die schräg gegenüber von den Gleisen war, „und hab ihn direkt gesehen. Ich bin sofort zu ihm hin und hab seinen Namen gerufen. Er ist zwar von der Station runtergegangen, aber in die andere Richtung, also bin ich gerannt, um ihn aufzuholen. Und, wie gesagt: ich wollte ihm davon erzählen, dass wir ihn suchen und mich entschuldigen und alles, aber er hat mich nicht mal anfangen lassen richtig darüber zu reden, sondern er hat mich angeschrien, dass ich ihn mal kreuzweise kann und sowas halt."
Wir sahen in die Richtung, in die Tristan laut Aidan gegangen sein musste. Da der Platz ähnlich wie ein riesiger Kreisverkehr aufgebaut war, gab es nur vier Straßen und nur eine lag in der von Aidan angezeigten Richtung.
„Konntest du nicht einmal unsere Namen erwähnen?", fragte Fynn. Aidan schüttelte den Kopf. „Er hat mich direkt unterbrochen, als ich meinte, dass ich mit ihm reden müsse und mir gesagt, dass es ihn nicht interessiere, genauso wie es mich damals nicht interessiert habe, dass er über alles mit jemand anderem als mir reden müsse." Linus zischte. „Autsch..." Aidan presste die Lippen aufeinander und nickte langsam.
„Ich würde sagen", lenkte ich die Unterhaltung auf unser ursprüngliches Ziel zurück, „dass wir dann mal die Straße runtergehen. Vielleicht finden wir ja irgendwas. Lucky Vis Logo oder so." Ich ging los, bemerkte aber schnell, dass mir keiner der Jungs folgte. „Ich kann unmöglich alleine gehen, Leute!" Sie sahen sich gegenseitig nur an. „Wenigstens einer von euch", seufzte ich. Ich hatte doch keine Ahnung, wie Tristan aussah, wie soll ich ihn alleine bitte finden?
„Ich kann zwar mitgehen, aber keine Ahnung, was er machen wird, wenn er mich nochmal sieht", sagte Aidan dann endlich. Er ging zu mir. Fynn stieß Linus in die Seite und deutete mit dem Kopf in unsere Richtung. Er murmelte irgendwas zu dem Sommersprossigen, was diesen die Augen verdrehen ließ. Letztendlich gingen wir zu viert die Straße runter.
Allerdings nicht lange, denn schon bald gabelte sie sich. Wir bildeten wieder Zweiergruppen. Diesmal ging ich aber mit Aidan und Linus und Fynn gingen zusammen. „Damit wir uns nicht wieder in die Wolle bekommen oder warum?", hatte Linus, wenn auch scherzhaft, gefragt. Fynn meinte daraufhin, dass er sich nicht ganz sicher sei, ob er es sehr viel länger mit ihm aushalten könne. Kurz bevor es zu Drama kommen konnte, wies Aidan sie an, nach links zu gehen.
Ich sah meine Chance dem Streit zwischen Linus und Aidan auf den Grund zu gehen: „Worüber haben du und Linus euch eigentlich gestritten?" Aidan seufzte daraufhin. „Ach, wieder nur darüber, dass ich gegangen bin und dann ging es auch schon schnell um noch älteres Zeug."
„Ich mein, ich wäre auch ziemlich angepisst, aber ich finde es schon krass, dass ihr euch nicht mal für ein paar Stunden zusammenreißen konntet." Besonders nicht, wenn sie dasselbe Ziel hatten.
„Ich werde schnell gereizt und er muss immer recht haben und gewinnen", sagte Aidan dann, als würde das alles erklären. „Du hättest dabei sein sollen, wenn wir Mariokart gespielt haben. Das war immer wie Krieg. Außer wenn Tristan uns abgezogen hat. Aber das ist nicht allzu oft passiert. Manchmal haben wir uns aber auch gegen Fynn verschworen."
Wahrscheinlich hat Tristan es ausgenutzt, wenn die beiden sich gezofft haben. Wäre zumindest eine schlaue Taktik.
„Bei Mariokart hört sowieso die Freundschaft auf." Nickend stimmte ich ihm zu. Häufig braucht es nicht einmal den blauen Panzer für das Beenden einer Freundschaft.
„Wie bei Uno", ergänzte ich. Allein mit den ganzen verschiedenen Spielregeln fing es ja schon an. Jeder spielt das Kartenspiel anders und bevor man überhaupt die Karten rausgeholt hat, gibt es schon wilde Diskussionen darüber, ob man jetzt mit Einwerfen spielt oder ohne, und wenn man dann endlich am Spielen ist, entfacht eine neue Diskussion, ob man jetzt +4 Karten mit normalen Farbwunsch Karten stapeln kann oder nicht.
„Oh ja... Fynn wollte mit uns voll oft Canasta spielen, aber wir, also Linus und ich, haben es nie verstanden und Tristan hatte darauf oft keine Lust, weil er das mit seinen Großeltern immer spielen musste", erzählte er und lächelte dabei.
Fynn schien wohl oft nicht das durchgesetzt bekommen zu haben, was er geplant hatte. Dafür beharrte er heute wirklich sehr auf seinen Willen.
Canasta kannte ich ebenfalls, auch wenn ich mich an die Regeln nicht mehr ganz erinnere. „Canasta hab ich vielleicht einmal in meinem Leben gespielt und das war mit meiner Mutter und ihren Geschwistern. Es macht echt nicht viel Spaß." Aidan klatschte die Hände zusammen. „Danke! Bitte sag Fynn das irgendwann mal! Er hat immer wieder gesagt, dass wir einfach nur keine Ahnung haben, was ein gutes Kartenspiel ist, dabei wissen wir alle, dass Poker existiert." Ich musste etwas lachen. Wie alt waren die vier nochmal vor Anarchie gewesen? Dreizehn? Vierzehn? Hatten sie wirklich in dem Alter schon gepokert?
„Ich hab sowieso das Gefühl, dass er eher auf dich hören würde als auf mich oder Linus", meinte Aidan. „Glaubst du?", zweifelte ich an. Ich hatte eher das Gefühl, dass er auf keinen wirklich hören möchte. „Ich hab ihn weder davon überzeugen können, im Hausboot zu bleiben, noch hab ich ihn davon abbringen können, ohne Linus und dich zurück zur Wohnung von Tristans Tante zu gehen, um die Zettel zu lesen." Doch Aidan ließ sich nicht von meinen Beispielen entkräftigen: „Ich bin mir trotzdem sicher, dass er dir zumindest zuhören und es sich vielleicht sogar mal durch den Kopf gehen lassen würde."
Ich zuckte mit den Schultern und damit war das Gespräch auch vorbei.
Still gingen wir weiter. Zweimal bogen wir ab, weil die Straße sich aufteilte. Gerade als ich fragen wollte, ob wir nicht besser umkehren sollten, wies Aidan auf eine Villa hin, in der Licht brannte. Sie war vielleicht zwei Straßen entfernt, der Entfernung nach zu urteilen.
„Glaubst du, Tristan ist da drin?", fragte ich Aidan. Ich konnte es mir nur schwer vorstellen. Hätte Lucky Vi nicht hier in der Nähe irgendwo ihr Logo gesprayt, wenn sie da wäre? Sie waren außerdem nur zu dritt, warum sollten sie in so einem großen Haus sein?
„Es könnte sein", meinte Aidan. „Kein anderes Haus in der Nähe scheint bewohnt zu sein und Tristan geht halt normalerweise nie weit weg." Er wollte weitergehen. Ich war allerdings dagegen. „Lass uns besser umkehren. Wir sind schon lange unterwegs." Außerdem sollten auch Linus und Fynn dabei sein, wenn wir wirklich Tristan wieder finden. „Wir sollten besser mit Fynn und Linus nochmal kommen. Mit ihnen würde er wahrscheinlich eher reden", ergänzte ich deshalb.
Aidan war allerdings immer noch davon überzeugt sich der Villa zu nähern: „Wir müssen ja nicht unbedingt reingehen. Lass uns erstmal hingehen und versuchen, zu gucken, ob wir ihn vielleicht draußen entdecken."
Trotz meines unguten Gefühls gab ich nach und folgte ihm.
Als wir weitergingen, fiel mir ein, dass ich ja noch immer nicht wusste, wie der Junge aussieht. „Wie sieht Tristan überhaupt aus?"
Aidan machte ein langgezogenes „äh", bevor er mir eine Beschreibung gab: „Er ist ein paar Zentimeter größer als ich, hat ziemlich breite Schultern, recht dünn. Er ist ungefähr so blass wie Mira und er hat ein Muttermal am Hals, ungefähr da, wo das Schlüsselbein ist. Aber das sieht man wahrscheinlich eh nicht, wenn er wieder so einen Pulli mit hohen Kragen anhat. Seine Augen sind so grün-bräunlich und er hat relativ kurz geschnittene Haare; nicht ganz so lang wie ich, aber länger als Linus. Und sie sind braun, aber eher wie Kakaopulver. Ich glaub das wars." Er stockte zwischendurch und klang eher abwesend. Ob er noch auf ihn steht? Nach zwei Jahren? Wahrscheinlich nicht, oder? Die Pausen wirkten nicht so, als wären sie ausgelöst von Schwärmerei, sondern eher von Nachdenklichkeit.
„Alles gut?", fragte ich sicherheitshalber. Aidan nickte und räusperte sich. „Ja, alles gut. Ich frag mich nur, ob ich mich verändert habe. Also vom Aussehen her. Er sieht nämlich null anders aus als früher, abgesehen davon, dass er schon ein bisschen erwachsener geworden ist."
Ich zuckte mit den Schultern. Da konnte ich ihm wirklich nicht weiterhelfen. „Ich denk schon, dass du auch erwachsener als vor ein paar Jahren aussiehst."
Aidan brummte und sagte nichts mehr.
Die Villa war von einer Hecke umzäunt, sodass man nicht aufs Gelände gucken konnte. Nur der Weg zum Eingang war durch das Eisenstangentor einsehbar. Jeweils eine Statue stand auf beiden Seiten des Weges, ungefähr auf der Hälfte der Höhe. Man konnte trotz des Moosbefalls erahnen, dass die Statuen früher weiß waren und ich vermutete, dass die großen Buchsbäume einmal in eine schöne Form geschnitten wurden.
Die Haustür war höhergesetzt und das schwarze Vordach wurde von zwei weißen Säulen gehalten. Es war eine dieser schicken Haustüren, die trotz Klingel noch einen Türklopfer angebracht hatten. Der an dieser Tür war in der Form eines Löwenkopfes.
„Schick", meinte Aidan. Ich nickte. Die Villa war irgendetwas zwischen stilvoll und zu extravagant. Die Fenster waren mit schlichtem Stuck umrahmt, aber die Statuen neben dem Weg und der protzige Türklopfer treffen einfach nicht meinen Geschmack, auch wenn ich Türklopfer an sich etwas abgewinnen kann.
Aidan griff nach einer Stange des Tors. „Was machst du?" Er ruckelte an dem Tor, aber es tat sich nichts. „Ich versuch das scheiß Ding aufzubekommen", antwortete er mit zusammengebissenen Zähnen. Schnell gab er auf und betrachtete das Tor nochmal. Ich wies ihn nicht darauf hin, dass das Tor einen (zugegebenermaßen leicht übersehbaren) Türgriff hatte. „Willst du wirklich da einbrechen?", fragte ich lieber. Was, wenn Nero Masuku oder Lucky Vi uns angreifen oder was, wenn sie gar nicht da drin sind?
„Einbrechen? Das hier? Ach komm schon", entgegnete Aidan. Er fand den Türgriff, drückte ihn runter und das Tor öffnete sich. Widerwillig folgte ich ihm durch das Tor zur Haustür. „Und jetzt?", wollte ich von ihm wissen. „Klingeln wir? Klopfen wir? Und was sagen wir dann?" Aidan funkelte die Tür an.
„Du hast recht", murrte er. „Tristan würde mir wahrscheinlich eine reinhauen, wenn er mich nochmal sieht. Wir sollten Fynn und Linus holen."
So schnell wie er zur Haustür gegangen ist, ging er auch wieder zurück. „Was jetzt? Ich dachte, du willst Fynn und Linus holen oder hast du dich wieder umentschieden?", rief er, ohne sich zu mir zu drehen. Eingeschnappt wie ein Kleinkind. Um ihn nicht noch weiter zu verärgern schloss ich zu ihm auf.
Fynn und Linus kamen uns bereits auf halber Strecke entgegen. Linus sagte uns direkt, wie es bei ihnen aussah: „Unsere Suche war erfolglos. Habt ihr was gefunden?" Aidan erzählte ihnen von der Villa.
„Nice! Dann nichts wie hin!", meinte der Karamellblonde begeistert. Aidan nickte, klopfte mit seiner Handfläche leicht auf sein Bein und murmelte: „Ja... Besser ohne mich." Fynn und Linus zogen die Augenbrauen zusammen. „Gehst du zurück zu eurer Base oder was?", fragte Linus. Wieder nickte Aidan. „Eliza hat recht", erklärte er, „Tristan will mich nicht sehen und außer ich hab Bock darauf eine Schelle zu kassieren, sollte ich nicht mitkommen." Sofort verteidigte ich mich: „Das hab ich gar nicht gesagt! Ich meinte nur, dass er wahrscheinlich eher mit euch beiden reden will als mit ihm." Fynn verdrehte die Augen. „Aidan muss ja nicht mit ihm reden. Er muss ja nicht einmal mit uns reden, wenn er noch wütend ist. Es geht ja mehr darum, ihn wiederzusehen und ihm einfach zu sagen, wo wir sind und dass wir ihn vermissen."
Ich gab auf. Warum hab ich überhaupt nur gesagt, dass es eine gute Idee sei? Wieso hab ich nicht direkt daran gedacht, dass Tristan noch nicht bereit sein könnte, als wir über das Ganze gesprochen haben?
Aidan und ich führten die anderen beiden zu der Villa. Beim Anblick pfiff Linus und Fynn machte ein erstauntes „Wow".
„Klingeln wir einfach?", fragte Letzterer. Da wir alle mit den Schultern zuckten, klingelte auch er. Wir hörten einen Ton, der uns bestätigte, dass die Klingel funktionierte und dann warteten wir. Es war schon irgendwie seltsam.
Ich hatte vergessen, wie unangenehm die Zeit ist, zwischen Klingeln und dass jemand die Tür öffnet.
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Das nächste Kapitel ist schon geschrieben! Ich weiß allerdings noch nicht ob ich es sogar diesen Monat hochladen kann, weil Anfang September schon meine Klausurphase beginnt, relativ kurz danach/währendessen meine Abschlussfahrt und die Herbstferien sind und das mein letztes Schuljahr ist... :'D
Freu mich jedenfalls schon sehr darauf, Kapitel 24 zu veröffentlichen.
Und es tut mir leid, dass dieses Kapitel erst jetzt kommt... ':)
Schönen Abend noch!
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