Kapitel 10 《 '74 - '75 》 Eliza

Fynn hatte Aidan angeboten bei uns zu übernachten, damit wir zusammen morgen früh zur Schule gehen konnten, um Tristan dort zu suchen. Der Abend mit Aidan war angenehmer als gedacht. Ich hatte damit gerechnet, dass es nur Stille geben würde, die zwar anfangs auch da war, aber zum Glück legte sie sich, nachdem Aidan ein Gespräch über morgen anfing. Wir vereinbarten, dass der Erste, der wach wird, die anderen weckt, sodass wir möglichst früh bei der Schule ankommen und mit der Suche schnell beginnen können. Die beiden redeten dann noch lange über ihre alte Schule und wie seltsam es sein würde, wieder dort zu sein. Ich hörte ihnen größtenteils zu, verlor aber auch hin und wieder ein paar Worte über meine Schule.

Je länger sie sich unterhielten, desto lockerer wurden sie. Es war schön, dass sie so schnell schon wieder gemeinsam lachen konnten, auch wenn man ihnen noch anmerkte, dass ein kleines bisschen Unsicherheit und leichtes Misstrauen noch zwischen ihnen war.

Am nächsten Morgen sah es nicht viel anders aus. Aidan war der Erste, der wach wurde. Nicht lange nachdem Fynn wach war, fiel ihm das Tagebuch von Alexander ein. Er holte es aus seinem Rucksack und legte es auf den Tisch hin, an dem wir alle saßen. „Eliza und ich haben das gestern in Tristans alten Zimmer gefunden. Es ist nicht sein Tagebuch, sondern das von Alex, was mich eigentlich nur noch mehr verwirrt hat. Bisher haben wir keinen Eintrag gelesen, aber eigentlich haben wir das noch vor", erzählte Fynn. Aidan zog die Augenbrauen zusammen, nickte und sah das Buch an. „Vielleicht weißt du, warum er das Tagebuch von Alex hatte?", fragte Fynn dann. Aidan antwortete schnell und hatte den Gleichen Gedankengang wie ich: „Er hat zu ihm aufgeschaut, ist doch klar. Alex war im Grunde genommen genau das Gegenteil von Tristan."
„Kann gut sein", murmelte Fynn. Aidan räusperte sich und schlug vor, aufzubrechen. Das Tagebuch wanderte wieder in Fynns Rucksack und dann brachen wir auf.

Auf dem Weg zur Schule sprach Fynn nochmal das Tagebuch an: „Ob Tristan wohl wissen wollte, wie Alex es nur hinbekommt alles zu ignorieren?" Aidans Miene verdunkelte sich wieder und sein Körper spannte sich auffällig an. „Ja, wahrscheinlich", war alles, was er zu Fynns Frage sagte. Er weiß mehr, als er zugeben will. Seine Körpersprache verriet es und auch seine knappe Antwort weckten einen leisen Verdacht in mir. Auch Fynn schien seine Zweifel zu haben, denn er musterte seinen alten Freund.

Noch ehe Fynn oder ich weitere Fragen oder Theorien aufstellen konnten, beschloss Aidan, dass wir Räume sammeln sollten, in denen es sich lohnt zu schauen, da die Suche sonst noch Jahrzehnte dauern würde. „Unser letztes Klassenzimmer würde mir zuerst einfallen", meinte Fynn. Aidan nickte. „Der Gemeinschaftsraum der Oberstufe, unsere anderen Klassenzimmer, die Lehrerzimmer im Hauptgebäude und das der Unterstufe", zählte er dann auf. „Ich glaube die Schule wird der schwierigste Ort sein", murmelte ich. Aidan stimmte mir zu: „Ja. Sie ist groß, es gibt einige Möglichkeiten, er kannte so gut wie jeden Winkel und es ist unheimlich alleine dort zu sein."
„Wenigstens sind wir zusammen und nicht alleine. Außerdem wird es extremst komisch sein, den Hof, die Klasse und den Flur wieder zu sehen", ergänzte Fynn.
Wir schwiegen kurz und hingen unseren Gedanken nach.

„Vermisst ihr es eigentlich zur Schule zu gehen?", fragte ich die beiden. Es war schon schön mit seinen Freunden in den Pausen zu reden und manche Fächer haben auch Spaß gemacht. Kunst war immer ganz angenehm. Wirklich was gelernt haben wir zwar nicht, aber man konnte sich gut unterhalten und man musste nicht so doll aufpassen wie in Mathe oder Deutsch.

Anders als Fynn brauchte Aidan nicht lange, um mir eine Antwort zu geben: „Nicht wirklich. Hausaufgaben waren beschissen, dann hattest du Fächer wie Deutsch, Musik oder Textil, die Lehrer haben sich auch oftmals kacke verhalten und einige Mitschüler waren auch nicht gerade geil." Fynn verzog das Gesicht und entgegnete: „Na ja, Mathe war auch nicht so nice und bevor du was sagst: Du warst gut darin, da kann ich genauso gut sagen, dass Deutsch sehr wohl ein tolles Fach ist!" Aidan hatte tatsächlich zum Reden angesetzt, als Fynn was gegen Mathe gesagt hat. „Ich bin auf Fynns Seite", rief ich, „Deutsch war zwar manchmal echt anstrengend, aber Mathe war schlimmer." Fynn sah Aidan grinsend an, woraufhin der nur schnaubte. „Seid halt nicht so schlau wie ich", entgegnete er eingeschnappt. „Daran wird's wohl liegen...", murmelte ich lachend. „Bezweifle ich", warf Fynn ein, „Vielleicht bist du heute schlauer, aber wenn du schon früher schlau gewesen wärst, wärst du erst gar nicht abgehauen." Ich hielt eine verbale Reaktion zurück, machte aber ein überraschtes Gesicht. Der Spruch hatte gesessen.

Aidan kratzte sich verlegen am Hals und auch sein zerknirschtes Lächeln zeigte von Reue. Fynn knuffte ihn in den Arm. „Das musste sein, tut mir leid." Aidan seufzte und nickte.

Es dauerte nicht mehr lange, bis wir bei der Schule ankamen. „So, da wären wir", grummelte Aidan, „Das ist die Astrid-Lindgren-Gesamtschule."
„Toller Name", sagte ich. „Hab ihre Bücher nie gelesen, muss ich gestehen", lachte Fynn. „Ich auch nicht", gestand Aidan, genauso grinsend wie der Blonde. „Ist doch auch egal", bestimmte ich, die selber gerne in die Geschichten der schwedischen Autorin eingetaucht ist.

„Lasst uns jetzt endlich Tristan suchen!" Fynn salutierte und rief laut „Aye aye Captain". Kopfschüttelnd betrat ich das Gelände und musste zugeben, dass die Schule gar nicht schlecht aussah. Sie war vor allem nochmal eine Nummer größer, als ich sie mir vorgestellt hatte.

„Wir fangen am besten im Gebäude für die Unterstufe an", bestimmte Aidan und lief vorneweg. Fynn und ich folgten ihm. Das Gebäude war riesig und hatte drei Etagen. Vor dem Gebäude war ein auf Asphalt gezeichnetes Fußballfeld und zwei Tore standen an den beiden Enden des Feldes. Auf dem Schulhof waren außerdem zwei Tischtennisplatten, ein paar Bänke und zwei große Bäume, welche mit ihrem Blätterwerk im sachten Wind leicht raschelten. Wieso wirken Schulen nur so verdammt gruselig, wenn kaum einer da ist? Ist es, weil das Gelände so unüberschaubar ist? Wahrscheinlich.

Aidan rüttelte an der Tür und nach einigen kräftigen Stoßen hatte er die Tür – wenn auch gewaltsam – geöffnet. „Et voilà!" Einladend hielt er sie uns offen und verbeugte sich leicht vor uns, als wir eintraten. Wir trotteten die Treppenstufen hoch – Das hieß Fynn und ich taten das, Aidan lief sie hoch, wahrscheinlich so enthusiastisch wie noch nie. Er bog links ab und rammte sich gegen die Tür. „Warum zur Hölle ist jede verfickte Tür abgeschlossen?!", fluchte er, nachdem er auch beim zehnten Versuch nicht in den Raum kam. Bevor er noch ein elftes Mal dagegen donnern konnte, wies ich darauf hin, dass Tristan sich auch nicht in dem Raum befinden konnte, wenn er abgeschlossen war. Aidan hatte mich für ein paar Sekunden wie ein Auto angeguckt, nickte dann aber und zeigte auf die restlichen Türen auf dem Gang. „Wir checken die anderen mal ab."

„Wir" war eigentlich nur er und „checken" bestand wie schon vorhin daraus, die Schulter wie einen Rammbock gegen die Türen einzusetzen.
Wie zu erwarten waren auch diese Räume abgeschlossen, genauso wie das Lehrerzimmer. „Als nächstes das Hauptgebäude?", fragte Fynn. Aidan bestätigte.

Das Hauptgebäude war noch riesiger als das Gebäude für die Unterstufe. Immerhin befanden sich auch die Räume der Mittel- und Oberstufe hier, wie Fynn erzählte, nachdem ich mein Erstaunen zum Ausdruck gebracht hatte.

„Würde vielleicht zuerst ins Lehrerzimmer gehen", meinte Aidan. Erstaunlich war, dass der Satz wie ein Vorschlag formuliert war, aber wie ein Befehl klang. Wir gingen zum besagten Raum und glücklicherweise war dieser nicht abgeschlossen. Aidan brauchte sich also nicht gegen die Tür werfen.
Das Lehrerzimmer war nicht gerade klein und die Tische waren nicht wirklich leer. Überall lagen irgendwelche Zettel, Mappen, Blöcke und Ordner herum. Fynn und Aidan gingen sofort zu den Tischen, nahmen einige Zettel in die Hand und lasen sie sich durch. Ich hingegen ging zu der Kommode, auf der eine Kaffeemaschine stand. Neben der Maschine befanden sich auch ein Wasserkocher und eine Mikrowelle. Ob die Schule noch am Strom angeschlossen ist? Ich drückte einfach auf „Start" bei der Mikrowelle und tatsächlich! Die Lampe innen ging an und das obligatorische Mikrowellen-Geräusch war zu hören.

Fynn und Aidan sahen von ihren Zetteln hoch und guckten mich verwirrt an. „Was machst du da bitte?", fragte der Braunhaarige. Ich stoppte das Piepsen der Mikrowelle, nachdem sie fertig damit war, Nichts zu erwärmen. „Hab nur geschaut ob es hier noch Strom gibt", antwortete ich. Sie nickten und wendeten sich wieder ihren Zetteln zu. „Was lest ihr da?", fragte ich sie nun. „'Ne alte Klassenarbeit", kam es von Aidan zähneknirschend wieder und von Fynn: „Einen Bericht eines Streites, der fast in eine Prügelei geendet hat."

Sofort ließ Aidan die Klassenarbeit, die er kurz vorher zerknüllt hatte, fallen und schaute auf den Zettel. „Prügelei?"
Meine Neugier war zugegebenermaßen auch geweckt, weshalb auch ich mich neben Fynn stellte und versuchte auf den Zettel schauen zu können. Das war nahezu unmöglich, denn Fynn war etwas mehr als einen Kopf größer als ich. „Ach, ist eh nur eine von Bens Schlägereien", murmelte er dann und legte das Blatt wieder hin, „Mit irgendeinem Oberstufenschüler mal wieder, nichts Besonderes." Scheint ja ein sympathischer Kerl zu sein, dieser Ben.

Aidan schnappte sich sofort den Zettel und las ihn durch. Allerdings legte auch er schnell den Zettel enttäuscht wieder hin. „Dachte es geht um die eine mit Alex, erinnerst du dich noch?" Fynn nickte. „Weißt du eigentlich, was da los war?" Aidan kratzte sich am Arm, sah wieder auf den Tisch vor sich und schüttelte anschließend den Kopf. Er lügt doch bestimmt schon wieder!

Während die beiden im Lehrerzimmer hin und wieder ein paar Dokumente und tatsächlich auch auf weitere alte Klassenarbeiten von ihnen stießen, riss ich den Feuerschutzplan von dem Schrank, der an der Tür stand. Anders als die beiden kannte ich mich hier nicht aus und wenn sie da irgendwas durchstöbern, von dem ich eh keine Ahnung hatte, könnte ich wenigstens dafür sorgen, dass ich hier nicht komplett verloren war.

Sobald ich aber bemerkte, dass es schon langsam düster wurde, machte ich die zwei darauf aufmerksam: „Jungs, sollten wir nicht so langsam irgendwo uns ein Lager aufbauen?" Die zwei sahen gleichzeitig auf und blickten zu den Fenstern. „Hast recht", stimmte Aidan mir zu, „Morgen früh gehe ich wieder zu..." Er machte eine Pause, als würde er nach dem richtigen Wort suchen. Fynn sah ihn abwartend an, hob die Augenbrauen und nachdem Aidan nichts mehr zu sagen schien, füllte der Blonde die Lücke: „Deiner Gruppe?" Aidan schnipste und zeigte mit dem Zeigefinger auf Fynn. „Ja, zu den anderen. Sollte ihnen sagen wo ich bin. Komme dann aber wieder am Abend zurück, denke ich. Will nur nach dem Rechten schauen und Bescheid sagen", meinte er dann. Er schien schon in Gedanken bei ihnen oder etwas anderem zu sein, denn seine Stimme wirkte leicht abwesend.

„In Ordnung", sagte Fynn daraufhin, „Lasst uns dann einfach hier schlafen. Hinten sind ein paar Sofas und Kissen. Vielleicht finden wir ja auch noch Decken?" Gemeinsam gingen wir in den hinteren Teil des Lehrerszimmers, dort wo auch die Kaffeemaschine und Mikrowelle standen. Tatsächlich fanden wir ein paar Decken und wir teilten uns die Kissen auf.

Wir hatten es uns auf den Sofas gemütlich gemacht und schwiegen. Fynn lag auf dem Rücken und sah zur Decke hoch, Aidan hatte sich an die Armlehne angelehnt, fixierte gedankenverloren einen Punkt auf seiner Decke und ich saß mit angewinkelten Knien auf meinem Sofa.

Jetzt, wo es dunkel war und wir hier auf den Sofas lagen, mit Decken und Kissen, in einen Lehrerzimmer, dachte ich wieder an meine, wenn auch relativ kurze Schulzeit.

Die Grundschule war super. Freunde finden war einfach und die Klasse war auch nicht so anstrengend. Mit ein paar kam ich weniger gut klar, aber es war nie wirklich schlimm, es war ertragbar.
Die weiterführende Schule war auch nicht schlecht, aber es war schwerer neue Freunde zu finden und einige Fächer wurden anspruchsvoller, was zwar auch logisch ist, aber dennoch: es war ein fetter Minuspunkt.

Leise brach ich die Stille: „Denkt ihr auch über die Schule nach?" Fynn flüsterte ein „Ja" und Aidan nickte. „Es fühlt sich irgendwie falsch an, ohne die anderen hier zu sein", murmelte Fynn. Aidan holte Luft, nickte erneut und strich sich über seine Arme, woraufhin Fynn sich drehte, sodass er zu ihm schauen konnte. „Alles gut?", fragte er ihn. Aidan zuckte mit den Schultern. „Abgesehn von Melancholie, schmerzhafter Nostalgie und leichten Schuldgefühlen? Gut, denk ich...", seufzte er. Das Lächeln auf seinem Gesicht war kein fröhliches. Er war bedrückt; seiner Aussage nach, sehr wahrscheinlich wegen der Vergangenheit oder um genauer zu sein: wegen dem, was auch immer da zwischen ihm und Tristan passiert ist. Aidan ist seltsam und ich hab ihn noch nicht ganz durchschaut.

„Willst du wirklich warten, bis du mit Tristan geredet hast?", versicherte sich Fynn besorgt. Es ist nie gut, alles in sich angestaut zu lassen und nicht über seine Probleme zu reden. Wenn Aidan es noch nicht sagen will, dann müssen wir das zwar akzeptieren, aber wir können zumindest darauf achten, dass er sich nicht zu sehr damit belastet.

„Ich muss warten!", antwortete Aidan auf Fynns Frage, „Ich muss warten, ansonsten kriege ich noch mehr Schuldgefühle." Wieder verblüffte es mich, was für ein immenser Unterschied in seinem Verhalten von vor ein paar Nächten und heute war. Er wirkte gerade so verletzt, so bekümmert und klein. Man merkte gar nichts mehr von dem starken, selbstbewussten und einschüchternden Jungen, der uns vor ein paar Stunden noch herumkommandiert hat und sagte, was jetzt Sache ist und was wir zu erledigen haben.

Fynn musterte Aidan kurz. „Na gut."
„Vielleicht sollten wir einfach schlafen gehen", schlug ich vor, in der Hoffnung, Aidan von seinem Fehler, den er anscheinend gemacht hatte, abzulenken. Ich bin mir zwar noch unschlüssig darüber, was ich von ihm halten soll, aber er scheint kein schlechter Mensch zu sein. Auch wenn er wohl Mist gebaut hat.

Der Braunhaarige machte seinen Rücken gerade, räusperte sich und auf einmal war seine betrübte Haltung verschwunden. „Scheint ganz schlau zu sein", meinte er, lächelte mich kurz an und legte sich dann richtig hin. Ich tat es ihm nach. Fynn ließ sich einfach mit einen dumpfen Knall wieder auf den Rücken fallen.

„Gute Nacht Jungs", flüsterte ich.
„Nacht", kam es von Aidan zurück. Fynn brummte irgendwas, was wohl auch in Richtung „Gute Nacht" oder so ging. Schmunzelnd machte ich die Augen zu und versuchte einzuschlafen.

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Ein neues Kapitel! Yaaay!
Und man lernt mehr über Aidan kennen!
Was denkt ihr von ihm? Würde mich mal interessieren zu hören. ^-^

Man sieht sich hier in zwei Monaten wieder, bis dann! o/
Schönen Abend euch noch.

LG LMS☆

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