1
Romee
Es gibt über 70 Trilliarden Sterne im ganzen Universum. Damit übersteigt die Zahl der Sterne die der Sandkörner auf der Erde um das Zehnfache.
Bei einer solch großen Menge fällt es nicht auf, wenn ein einzelner Stern in eine Supernova übergeht, explodiert und somit verschwindet.
Bei uns Menschen schon.
Und das ist das Problem.
,,Romee, wie geht es dir heute?“
Ich spüre den durchdringenden Blick meiner Therapeutin auf mir und stöhne. Sie wird es nie lernen.
,,Don, wie oft habe ich Ihnen gesagt, dass ich diese Frage nicht mehr hören kann.“ Gespielt dramatisch werfe ich meine Arme hoch und lasse sie ebenso theatralisch wieder fallen, während ich hörbar aus atme. Diese Frau hat echt Nerven. Nerven, die ich nicht besitze.
Seit ganzen drei Monaten ist das die meist gestellte Frage, dicht gefolgt von „Wie geht es deinen Eltern?“ Ich habe diesen ständigen Wirbel um meine Familie sowas von satt. Vor dem Unfall hat sich auch keiner um uns geschert. Aber auf einmal sind wir interessant genug geworden, sodass wir sogar Nummer eins des Dorftratsches wurden und wie es aussieht noch lange bleiben werden.
Ich seufze.
Wahrscheinlich sind die Leute sogar froh über den Unfall. Endlich ist mal was in ihrem langweiligen Dorf passiert, weshalb sie sich wie die Geier auf ihre Beute darauf stürzen können.
Es ist nur leider echt unschön dabei die Beute zu sein.
,,Und wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst mich bei meinem Vornamen nennen?“
Ihr Tonfall klingt beleidigt und ich male mir aus, wie sie ihre Arme dabei entschlossen verschränkt. Ich muss mir ein Lachen verkneifen, als ich mir Doktor Don noch mit einem dazu passenden Schmollmund vorstelle, der sie wie ein Kleinkind aussehen lässt, welchem gerade das Lieblingseis heruntergefallen ist.
Seit meinem Unfall spielt sich mein Leben eigentlich nur noch in meinem Kopf ab. Denn dort tanzt alles nach meiner Nase. Dort herrschen meine Regeln und das gefällt mir. Diese neue Möglichkeit, mir mein Leben so zu fantasieren, wie ich es gerne haben würde, ist der einzige Vorteil, den ich durch meine Verletzungen entdeckt habe. Bei diesem einzigen Vorteil ist es aber auch leider geblieben.
,,Uns bei unseren jeweiligen Vornamen zu nennen, soll doch unser persönliches Verhältnis zueinander stärken, das weißt du doch, Romee.“, krächzt Don und das Kleinkind in meinem Gedankenspiel wird sofort in einen Raben verwandelt, der einfach nicht aufhören will zu Krähen.
Schon von der ersten Therapiestunde an habe ich mir geschworen Doktor Don niemals bei ihrem Vornamen zu nennen, denn das würde ihr hohes Alter, das stolze 61 beträgt, noch mal mehr unterstreichen. Zum Glück hat die alte Dame einen modernen Nachnamen, der sie in meinen Vorstellungen um mindestens 30 Jahre verjüngt.
Sie sollte es also eigentlich als Kompliment ansehen. Stattdessen hält sie mir eine Standpauke über die Beziehung zwischen uns, die laut ihr sich immer mehr verschlechtert. Laut mir war diese Beziehung noch nie existent.
Aber das lasse ich sie natürlich nicht wissen.
In den zwei Monaten, in denen ich jetzt nun schon regelmäßig jede Woche Therapiestunden absolviere, ist mir Don nie wie eine Freundin rübergekommen. Obwohl das das Ziel meiner Eltern war.
Eine Therapeutin, die sich in ihrem Metier auskennt, und mir das Gefühl vermittelt wie mit einer guten Freundin über meine Gefühlslage sprechen zu können.
Dass das absolut nicht der Fall geworden ist, behalte ich trotzdem lieber für mich. Sie haben auch so schon genug um die Ohren.
Das Gekrähe geht mir langsam aber deutlich auf die Nerven, weshalb ich es gegen das Gequake einer Ente austausche. Ich atme tief ein. Schon besser.
Ich beginne den Singsängen der Ente zu lauschen, während ich meine Augen beginne zu schließen. Jerry hat die Enten geliebt. Sie bedeuteten ihm genau so viel wie mir die Sterne.
Meine Augen fangen an zu brennen und ich wünschte er wäre hier bei mir und wir könnten der Ente gemeinsam zuhören. Ihm hätte das sicherlich gefallen, da bin ich mir sicher.
Ich hoffe sie haben dort oben auch Enten. Wenn nicht, sollte ich ihm nicht dann lieber vorsichtshalber eine schicken? Oder vielleicht gleich zwei? Wie groß ist überhaupt die
Wahrscheinlichkeit, dass Enten einen Flug von einer Strecke in Höhe von 5 Lichtjahren überleben? Ich denke, eher nicht so groß.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top