Weihnachten auf dem Hügel
Langsam hob und senkte sich ihr Brustkorb und das leise Schnarchen unterstützte den sanften Rhythmus ihres Atems.
Gestützt auf seinen Ellbogen sah Harry den seeligen Engel neben sich einfach nur an. Es schien, als würde die Zeit stehenbleiben und sie wären einfach.
Es juckte ihn in den Fingern, ihr die Haarsträhnen aus dem Gesicht zu streichen und sie mit tausend kleinen Küssen zu wecken. Er wusste jedoch auch, dass er sich dann wohl nur ein Grummeln einfangen würde und wenige Sekunden später Mykaela's Rücken betrachten könnte. Sie war noch nie ein Morgenmensch gewesen. Also begnügte er sich damit, dass er sie ungeniert ansah und sich immer und immer wieder fragte, wie er eine solche Frau verdient hatte.
Er hätte sie jahrelang so betrachten können, wenn ihm sein Körper keinen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Das unangenehme Ziehen in seinem Unterleib ließ ihn schließlich aufgeben.
Leise und sorgfältig, um Mikey nicht zu wecken, schälte er sich aus der warmen Umarmung der Bettdecke und tapste mit nackten Füßen und mit nichts weiter als einer Boxershorts bekleidet in das kleine En-Suite-Bad.
Nachdem er sich angezogen und den Kaffee gebraut hatte, balancierte er das Tablett mit dem warmen Koffeingetränk und den Toasts – was sich mit seinem Verband schwieriger gestaltete, als angenommen – zurück ins Zimmer, wo er seine Freundin noch immer in die dicke Bettdecke gewickelt vorfand.
Das Tablett stellte er auf den Nachttisch, beugte sich zu Mykaela hinunter und flüsterte: „Frohe Weihnachten, mein Engel."
Dann küsste er sie sanft auf die Stirn und wartete darauf, dass sie sich regte, was oftmals sehr lange dauern konnte.
Heute waren es entweder Harry's vielen Küsse auf ihrem Gesicht oder der Kaffeeduft, der ihr bedächtig die Nase raufkroch, die den Prozess beschleunigten, denn nach einigen Sekunden schlug sie dann dennoch die Augen auf und blinzelte ihm verschlafen entgegen.
„Guten Morgen, Sonnenschein. Es ist Weihnachten", strahlte der Lockenkopf und entlockte ihr somit ebenfalls ein Lächeln.
„Guten Morgen", kam es heiser zurück und Harry drückte seiner verknitterten Freundin erneut einen Kuss auf den Mund.
Wie von der Tarantel gestochen, setzte sie sich jedoch nach einer Millisekunde jäh hin und sah Harry mit großen Augen an.
„Heute ist Weihnachten!", rief sie aus und schlug die Decke zur Seite. „Du weißt, was das heißt."
„Ja, heute gibt's Geschenke", antwortete er, wobei ihm klar war, dass es nicht die Geschenke waren, die seine Freundin auf diese Weise strahlen ließen. Sie etwas zu necken machte ihm nur gerade zu viel Spaß und er grinste sie schief an.
Für seinen Kommentar ernete er ein Augenrollen und Mykaela schwang ihre Beine über den Bettrand, wodurch sie ihm noch näher war. Sie griff nach einem Toast und lehnte sich ihm entgegen, sodass er ihre Wimpern hätte zählen können.
„Und wenn ich nun gar kein Geschenk für dich habe?", fragte sie und hob amüsiert eine Augenbraue.
Tausend Bilder schossen durch Harry's Kopf, doch er begnügte sich damit nur anzudeuten, worum sie sich drehten: „Dann hätte ich da schon eine Idee, womit du mir eine Freude machen könntest."
„Mmh, ist das so?", fragte sie leise, während ihr Kopf seinem noch näher kam.
Ehe er jedoch die Chance bekam, ihr Gesicht in seine Hände zu nehmen und sie in einen leidenschaftlichen Kuss zu verwickeln, schob sie den Toast zwischen ihre Gesichter und biss ein Stück davon ab. Daraufhin stand sie auf und ging hüfteschwingend ins Bad, woraus Harry kurz darauf die Duschbrause hörte.
Abkühlen war angesagt und so suchte Harry seine Jacke und einen Handschuh und trat wenige Minuten später aus der Hütte in den knöchelhohen Schnee, der sich nach dem Vordach erstreckte, so weit das Auge reichte.
Harry war gerade dabei, den Tannenbaum rechts neben dem Häuschen schüttelnd vom Schnee zu befreien, als Mykaela dick eingepackt mit pinken Handschuhen und passendem Ohrenwärmer neben ihn trat.
Die grelle Farbe ihrer wärmespendenden Kleidung trieb ihm beinahe die Tränen in die Augen, aber er wusste, dass sie diese beiden Stücke nie freiwillig tauschen würde. Sie waren etwas von den wenigen Dingen, die ihr noch von ihren Eltern geblieben waren.
Lächelnd stellte die junge Frau mit Engelslocken und rosigen Wangen die Box mit den Weihnachtsbaumornamenten in den Schnee vor sich.
Vor zwei Jahren hatten sie die Idee gehabt, den Tannenbaum neben der Hütte jeweils zu schmücken, denn aus dem Wohnbereich sah man direkt auf den Baum und so fühlte sich die Zeit der Bescherung noch mehr nach Weihnachten an. Seither kletterten sie jedes Jahr abwechselnd auf die Leiter, um auch die obersten Äste mit Kugeln und der Lichterkette zu behängen.
„Danke dir für's Vorbereiten. Können wir loslegen?", fragte Mykaela und öffnete die große Box.
Eine Kugel nach der anderen fand ihren Platz an den Ästen und nach nur einer viertel Stunde war das einzige, was noch fehlte, der Spitz und die Lichterkette mit Batteriebetrieb.
„Ich überlasse dir die Ehre", meinte die Blonde und streckte ihm den goldenen Stern entgegen.
Harry griff nach dem filigranen Teil und gab seiner Freundin noch einen kleinen Kuss auf ihren kalten Nasenspitz, was sie mit einem Lachen quittierte.
Er stieg die Leiter hoch und platzierte den Stern auf die Spitze.
„Mikey, kannst du mir bitte die Lichterkette reichen?", fragte er während er seinen Handschuh in die Jackentasche verstaute. Für diese Arbeit wäre er bloß im Weg. Die verbundene Hand würde es schon schwierig genug machen.
Als er von unten keine Antwort vernahm, drehte er sich langsam auf der Sprosse um, vorsichtig darauf bedacht, nicht auszurutschen und die vier Meter runterzufallen. Für diese fünf Feiertage hatte er definitiv genug Verletzungen und Unfälle gehabt. Noch bevor er seine Freundin jedoch richtig ansehen konnte, spürte er etwas Tennisballgroßes an seinem Kopf, was ihm direkt unter den Kragen fiel und unangenehm kalt den Rücken hinunterfloss.
Am Fuße der Leiter hörte er ein „Volltreffer!" und ein darauf folgendes Lachen, das getränkt war mit Schadenfreude.
„Na warte!", stieß er aus und kletterte so schnell wie möglich die Leiter runter.
Seine Freundin hatte sich hinter den Baum geflüchtet und beschoß ihn nun von dort aus. Lachend formte er ebenfalls einen Schneeball. Dass der Verband dadurch nass wurde, war ihm wurst. Jetzt ging es nur um Rache.
Schnell rannte er seiner Freundin hinterher, die sich im immer tiefer werdenden Schnee Richtung Wald vorankämpfte. Mit ihren kurzen Beinen war sie nun aber definitiv im Nachteil und so hatte Harry schnell aufgeholt und die Möglichkeit das gleiche Geschenk zu machen, wie sie es ihm soeben gemacht hatte. Der Schneeball zerfiel an ihrer Wange, doch lange Zeit, seinen Treffer zu feiern, hatte er nicht, denn der lachende Engel holte bereits zum Gegenschlag aus.
Die Beiden lieferten sich eine erbitterte Schneeballschlacht, sodass sie den kalten Schnee, der unter die Kleidung gelang zwar spürten, er aber nicht störte, da sie durch das Waten im mittlerweile knietiefen Schnee bereits begannen zu schwitzen.
Als Harry nach einigen Minuten nah genug an seiner Freundin war, reagierte er schnell, hob die erschrockene Übeltäterin hoch und warf sie sich über die Schultern.
„Hab ich dich!", lachte er und drehte sich mit ihr im Kreis.
„Lass mich runter!", wurde er ununterbrochen um Gnade angefleht.
„Ich weiß nicht, deine Attacke war sehr hinterhältig. Ich finde das berechtigt mich zur Auskostung meiner errungenen Oberhand in diesem Krieg", erwiderte Harry lachend und spürte sogleich sanfte Faustschläge durch die dicke Winterjacke.
Nach einigen weiteren Sekunden, in denen er ihr Flehen ignoriert hatte, gab er schließlich nach: „Na gut, wenn du so dringend runter willst ..."
Und mit diesen Worten ließ er sich nach hinten fallen. Sein Fall wurde von der flauschigen weißen Decke gebremst und er sah sich sofort nach seiner Freundin um, die dabei war, sich hochzudrücken, was sich bei der Tiefe des Schnees jedoch schwieriger gestaltete, als von ihr wohl angenommen. Bemüht darum das Gesicht nicht weiterhin im kalten Weiß liegen zu haben, versuchte sie den Schnee unter ihren Händen festzudrücken, um somit eine bessere Basis zu haben, worauf sie sich hochdrücken konnte.
Diese ganze Szene war dermassen amüsant, dass Harry sich vor Lachen kugelte, ehe er sich erbarmte und ihr hochhalf.
Ihre lachend hervorgebrachte Drohung, dass er dies zurückkriegen würde, winkte er ab, nahm sie bei der Hand und stapfte mit ihr zurück zum Baum.
Mit einer Tasse Tee in den Händen, dem Feuer im Kamin und den in Flausche-Socken steckenden Füßen lagen die beiden nun am Abend wieder auf dem Sofa. Das Fondue Chinoise lag wohlig im Magen und ließ Harry müde die Augen schließen.
Der Weihnachtstag hätte besser nicht sein können. Tannenbaum schmücken, Schneeballschlacht führen, gemeinsame warm duschen, ein leckeres Abendessen genießen und liebevoll verpackte Geschenke auspacken. Wenn's nach Harry ginge, hätte der Tag niemals geendet.
„Harry?"
„Hm?", summte der Angesprochene.
„Ich liebe dich. So, so sehr", antwortete Mykaela und Harry öffnete seine Augen.
Seine Freundin lag auf seinem Oberkörper und malte unsichtbare Muster auf seinen Pullover. Er zog sie noch fester an sich und küsste ihren Engelsschopf.
„Und ich liebe dich. Du bist das beste Geschenk, das ich je bekommen habe und jemals bekommen werde. Frohe Weihnachten, mein Engel."
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Heute etwas später, aber ich habe den 25.12.2018 nur knapp verpasst.
Was sagt ihr bis jetzt? Was haltet ihr von den beiden?
Ich hab mich irgendwie schon jetzt in Harry und Mykaela verliebt :-)
Ich wünsche euch einen guten Rest der Weihnachtsfeier, wenn ihr heute denn gefeiert habt und nach wie vor dabei seid, und sonst eine gute Nacht. Wir sprechen uns spätestens am 01.01.2019 wieder. Um 09:00 Uhr kommt dann das erste Update von zweien an diesem Tag. Es ist gleichzeitig auch bereits wieder das zweitletzte Kapitel.
Glg
Eure StephVi
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