3. Der gemeinsame Drink

Als Natasha zur Landung ansetzte, sah sie, dass Steve bereits am Rand des Flugplatzes auf sie wartete.

Nachdem die Maschine aufgesetzt hatte und sie die Triebwerke abgeschaltet hatte, öffnete Nat sofort die Frachtluke für ihn.

Er fuhr sein Motorrad bis an den Anfang der Rampe, stellte den Motor ab und schob die Maschine schweigend hinauf. Während er das Gefährt mit Spanngurten sicherte, begrüßte er Natasha knapp.

Sieht nicht so aus, als hätte er gute Neuigkeiten im Gepäck. Ob er noch vorhat, davon zu erzählen?, dachte sie, während sie den Schalter betätigte, um die Frachtluke wieder zufahren zu lassen.

„Zurück zum Tower?", fragte sie, als sie sich auf dem Weg zum Cockpit machte.

Er kam hinterher und setzte sich auf den Sitz neben ihr. „Ja."

„Na dann - auf zum Tower", sagte Nat und startete den Jet.

Nachdem sie die Reisehöhe erreicht hatten, drehte sich Nat zu Steve um und beobachtete ihn einen Moment.

Er hatte seinen alten Kompass hervorgeholt und starrte ihn an. Das machte er häufig, wenn er so in sich gekehrt war, wie jetzt gerade. Nat glaubte, dass es einer der wenigen Gegenstände war, die Steve noch von früher besaß.

„Gibt es irgendetwas, über das du reden magst?", hakte Nat vorsichtig nach.

Er schüttelte den Kopf und steckte den Kompass zurück in seine Hosentasche. „Nein, lass uns einfach nur heimfliegen."

„Gut. Aber wenn du trotzdem ein wenig Ablenkung willst, kann ich dir die Hinweise zeigen, die Sam in der Zwischenzeit gefunden hat. Es ist nicht viel und nichts Konkretes. Aber etwas, dem wir in nächster Zeit nachgehen können."

Sie nahm ein Tablet von der Ablage neben sich, schaltete es ein und reichte es Steve, nachdem sie die entsprechenden Dateien aufgerufen hatte.

„Sehr gut!", lobte er knapp und begann damit, alle Informationen aufmerksam zu studieren.

Den Rest des Fluges über, konnte Nat weiterhin kein vernünftiges Gespräch mit dem großen Blonden starten.

Nach der Landung brachte Steve sein Motorrad zurück an seinen Platz in der Garage, machte einen Abstecher in sein Zimmer, um sich umzuziehen, und zog sich dann in den Fitnessraum zurück.

***

Tony war in einer seiner Kaffeepausen Nat begegnet, die ihm erzählt hat, dass auch Steve in den Tower zurückgekehrt war. Jetzt war Tony auf dem Weg zum Fitnessraum. Er wollte Steve fragen, ob er Zeit für einen gemeinsamen Drink und ein Gespräch über die kommenden Missionen hatte.

Als Tony Steve entdeckte, war er gerade dabei, auf den Sandsack einzudreschen. Er musste schon Stunden damit zu Gange sein, was sogar ihn offenbar langsam ins Schwitzen brachte.

Tony hatte extra einen besonders stabilen Sandsack anfertigen lassen und dafür gesorgt, dass auch die Aufhängung den Kräften eines Supersoldaten standhalten würde.

Jetzt prügelte Steve gerade so erbarmungslos auf das arme Ding ein, dass die Aufhängung und die Nähte verdächtig knarzten.

Ich hätte vorher ermitteln sollen, wie stark der Kerl eigentlich wirklich ist. Wenn er den Sack jetzt kaputt macht, liege ich mit meinen Annahmen wohl daneben. Vielleicht hätte ich den Sack hulk-fest machen lassen sollen. Hulk-fest ... da kommt mir eine Idee, wir brauchen noch etwas, was wir dem großen Grünen entgegensetzen können. Eine stärkere Version meines Anzugs vielleicht?

Es juckte Tony in den Fingern und er hätte am liebsten gleich an seiner neuen Eingebung gearbeitet. Doch er besann sich darauf, es bei einer Notiz in seinem Smartphone zu belassen und Steve auf sein ursprüngliches Vorhaben anzusprechen.

Es kann nichts Gutes heißen, wenn er von einem Besuch bei Stella so gelaunt zurückkommt.

„Wow! Was hat dir denn der arme Sack getan?", versuchte Tony locker in das Gespräch einzusteigen.

Steve hielt inne und blickte ihn an. In seinen Augen loderte ein Zorn, den Tony bei ihm noch nie gesehen hatte.

Vielleicht sollte besser Banner mit ihm reden.

„Was willst du?", presste Steve ungeduldig hervor.

Tony hob sich verteidigend die Arme. „Nichts Böses. Ich wollte nur mit dir und Nat gemütlich einen Drink schlürfen und dabei mal über die Sachen reden, die so demnächst anstehen."

Die Muskeln des blonden Schwergewichts waren immer noch angespannt. Seine Lippen hatte er zu einer schmalen Linie zusammengepresst.

„Also gut. Wenn der Sack genug gebüßt hat, findest du mich oben an der Bar. Ich sorge in der Zwischenzeit schon mal für ausreichend Eis."

Steve nickte knapp und fuhr damit fort, den Sandsack zu malträtieren.

Tony machte kehrt und fuhr mit dem Aufzug in die Wohnetagen. Es war außer ihm noch niemand in dem großen Wohnzimmer. Tony ging hinter die Bar und prüfte schnell, ob alles an Ort und Stelle war, wollte aber noch nicht anfangen zu trinken. Er ging statt dessen zu einem der in der Wand eingelassenen Computerterminals und arbeitete an dem Entwurf für einen neuen Anzug. Der Projektdatei gab er gleich als Erstes den klingenden Namen „Hulkbuster". Er freute sich jetzt schon darauf, den Prototypen vor sich zu sehen und ausprobieren zu können.

Als der Entwurf begann Form anzunehmen, speicherte er alles noch einmal ab und schloss die Dateien.

Man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist. Steve könnte jederzeit kommen und ich glaube, er braucht meine Aufmerksamkeit. Und ich habe Pepper versprochen meinen Mitmenschen mehr davon zu geben.

Er holte ein Whiskeyglas aus dem Regal, gab zwei große Eiswürfel hinein und öffnete eine der Flaschen, die an der Wand hinter der Bar feinsäuberlich aufgereiht waren. Während er prüfend an der braunen Flüssigkeit roch, kam Steve leise in den Raum und setzte sich auf einen der Barhocker.

Tony hob die Flasche hoch und fragte: „Auch einen?"

Steve nickte kaum merklich. Als Tony ihm ein Glas hinstellte, Eis hinein füllte und etwas von dem Whiskey dazugoss, starrte Steve das Getränk schweigend an.

„Also gut. Welche Laus ist dir verdammt noch mal über die Leber gelaufen?", platzte es aus Tony heraus.

„Stella ist im Krankenhaus", brachte Steve hervor.

Tony wollte noch hoffen, dass es nicht so schlimm war, wie es sich gerade anhörte.

„Was? Schon wieder?"

„Sie liegt im Koma, nachdem sie die Treppe heruntergestürzt ist."

„Wie genau ist das passiert?", drängelte Tony.

Steve seufzte und fuhr dann endlich fort: „Sie war im Haus ihrer Eltern, weil Michael zunehmend aggressiv geworden ist. Er konnte sich jedoch Zugang zum Haus verschaffen, als Susan und Kenai unterwegs waren. Das ist auf den Überwachungskameras zu sehen, die Kenai vor dem Haus installiert hat. Kenai wertet das als Indiz, dass Michael sie gestoßen hat."

Tonys Herz begann wild in seinem Brustkorb zu hämmern. Ihm wurde warm und kalt zugleich und er wollte nichts dringender als Antworten.

„Und was macht die Polizei? Die ist doch hoffentlich mit eingeschaltet, oder?"

„Sie können nichts tun. Er hat sich in einer Zelle beim Wachdienst im Stützpunkt verkrochen. Stattdessen nehmen sie lieber die Haushälterin ins Visier, die kurz vor Michael das Haus verlassen hat. Sie ist ein leichteres Ziel", schnaubte Steve frustriert.

„Dieses miese Arschloch", knurrte Tony und trank sein Glas mit einem großen Schluck aus.

In Steves Gesicht blieb das gewohnte Zucken aus, das er immer dann hatte, wenn jemand herum fluchte.

Ich hatte dir ja gesagt, dass Michael ihr schaden wird. Jetzt würdest auch du ihn am liebsten mit jedem Schimpfwort belegen, das du kennst. Aber was bringt das noch?, dachte Tony und war nah dran es laut auszusprechen, doch Steve kam ihm zuvor.

„Ich habe mich gefragt, ob du ausreichend Kontakte hast, um Michael irgendwie aus diesem Stützpunkt zu bekommen."

Tony ging im Kopf alle Personen durch, die er in der Air Force kannte. Ein paar von ihnen hatten durchaus Rang und Namen, aber sie waren in völlig anderen Stützpunkten stationiert.

„Ich werde sehen, was ich tun kann", versicherte Tony und kramte unter der Theke nach einer Flasche, die er in einer Ecke vor den Augen der anderen versteckt hatte. Mit einem Lappen wischte er den Staub weg, schraubte den Deckel ab und kredenzte Steve und sich selbst etwas von der edlen Flüssigkeit.

„Aber was glaubst du, soll mit Michael geschehen?", wollte Tony wissen.

„Er soll der Polizei übergeben werden und seine Aussage machen, damit der Fall ordentlich untersucht werden kann. Und wenn sich die Vermutungen als wahr herausstellen, soll er vor Gericht gestellt werden."

„Und dann ohne über Los zu gehen in den Knast?"

Steve nickte: „Auf so ein Urteil würde es hinauslaufen, wenn er sie wirklich gestoßen hat, oder?"

Tony zog einen Mundwinkel nach oben. „Ist an sich keine so schlechte Vorstellung."

„Du glaubst nicht daran", stellte Steve fest.

„Doch ich glaube daran, dass der Drecksack sie gestoßen hat."

„Aber sie würde ihn trotzdem verteidigen, wenn sie wach wäre", seufzte Steve.

„Ja."

„Wie weit soll er denn noch gehen? Warum lässt sie sich das gefallen? Was sieht sie in ihm?"

„Ich weiß es nicht", antwortete Tony resigniert und nippte an seinem Glas. „Vielleicht liegt es daran, dass auch ihr Großvater schon ein Arschloch war. Nein, nicht Chatan – der ist ein witziger alter Kauz. Bei Susans Vater hingegen hat man sich schon manchmal gewundert, warum er nicht mal mit einem Küchenmesser im Bauch aufgewacht ist. Na ja, das Karma hat ihn schließlich geholt. Er hatte einen Herzanfall und wollte sich nicht von dem japanisch aussehenden Arzt versorgen lassen", erzählte Tony.

Steve hörte interessiert zu.

„Also könnte Stella die Vorliebe für Arschlöcher von Eilis geerbt haben. Würde passen. Schließlich war ihr erster Freund, dieser Fürst der Finsternis, auch nicht gerade ein Chorknabe", holte er weiter aus.

„Aber sie vergibt auch viel zu leicht. Man kann noch so ein Idiot sein, sie verlangt nicht mal eine Entschuldigung. Man sieht sie einfach irgendwann wieder und sie ist so nett, als wäre nichts gewesen. Ich selbst habe mich ihr gegenüber schon mal wie ein Riesenarsch verhalten und sie hat mich hinterher trotzdem mit offenen Armen empfangen", gestand Tony leise.

„Hat sie dann doch noch eine Entschuldigung von dir bekommen?", hakte Steve nach.

Tony musste bei dieser Frage schlucken und starrte einen Moment lang betreten in sein Glas. Als er wieder zu Steve aufblickte, schaute der große Blonde wissend und Tony glaubte, dass er an dieser Stelle nur entweder schweigen oder ihm die ganze Begebenheit erzählen konnte. Er schwenkte sein Glas und wägte ab, ob er sich die Zeit dafür nehmen wollte und ob er wirklich so viel von sich selbst preisgeben wollte. Schließlich handelte es sich um eines der düstersten Kapitel in seiner bisherigen Geschichte.

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