27. Der Bruch
In letzter Zeit waren die Nachrichtensendungen und Zeitungen voller schlechter Neuigkeiten gewesen.
Als Stella im Fernsehen gesehen hatte, dass die Avengers schwer für ihren Einsatz in Lagos kritisiert worden waren, war sie schockiert, weil ihr Traum so zutreffend war. Nur hatte sie nicht mit der Anzahl an zivilen Opfern gerechnet und sie hatte sich die Frage gestellt, ob sie Steve nicht eindringlicher hätte warnen sollen. Andererseits war es völlig verrückt von einem Traum auf die Zukunft zu schließen. Das war zumindest Michaels Resümee gewesen, als sie ihm gegenüber derartige Andeutungen gemacht hatte. Er hatte ihr gar nicht weiter zuhören wollen und ihr nur gesagt, dass sie nicht zu sehr auf ihre immerhin sehr alte und möglicherweise schon demente Großmutter hören soll.
Ein weiterer Schlag war dann die Konsequenz aus der Situation in Lagos gewesen – die Avengers sollten sich einem Abkommen unterstellen. In diesem Moment hatte sie sich gefragt, ob Tony tatsächlich schon länger etwas in der Art vorbereitet hatte, ohne seine Kollegen darüber zu informieren. Nach dem Vorfall in Sokovia hatte er schließlich so etwas in der Richtung gesagt.
Wenig später wurde gezeigt, dass ein Anschlag auf das Treffen der UN in Wien verübt und dabei der König von Wakanda getötet worden war. Der Tatverdächtige war James Barnes, auch bekannt als der Wintersoldier. Stella war klar gewesen, dass Steve sich nun auf den Weg machen würde, um seinen besten Freund zu finden und zu versuchen, ihn zur Vernunft zu bringen. Ab diesem Zeitpunkt hatte sie Steve nicht mehr per Telefon erreicht.
Schließlich zeigten die Nachrichten Bilder vom Leipziger Flughafen. Die Avengers waren tatsächlich gespalten und gingen aufeinander los. Scheinbar war keine der Seiten zu einem Kompromiss bereit. Tonys Team wollte der Idee des Abkommens folgen und tat letzten Endes das, was die UN oder deren Vertreter ihnen aufgetragen hatten – sie sollten diejenigen stoppen, die sich gegen das Gesetz gestellt hatten. Auf das, was Steves Team eigentlich wollte, gingen die Nachrichten gar nicht ein. Ihnen ging es nur darum, dass er und seine Leute versuchten, einen Attentäter zu schützen. Sie kannte jedoch Steve gut genug, um zu ahnen, dass er einen wichtigen Grund für sein Handeln hatte. Er würde sich nie wirklich auf die Seite eines Verbrechers schlagen. Vielleicht wusste er etwas über Bucky, was die Öffentlichkeit einfach nicht hören wollte.
Die meisten aus seinem Team konnten noch in Leipzig gefasst werden, waren aber später aus dem Gefängnis entkommen. Sie alle waren jetzt von den Behörden gesuchte Leute. Und das CIA versuchte alles, um eine Spur zu finden.
Bei Stella waren die Beamten sehr bald aufgetaucht und hatten sie stundenlang verhört. Ebenso ihre ganze Familie. Sogar auf der Farm waren sie gewesen und hatten jeden Grashalm umgedreht. Und auch das Anwesen ihrer Großmutter in Irland wurde ausgiebig durchsucht. Irgendwann mussten sie dann einsehen, dass Stella und ihre Familie nichts über Steves Aufenthaltsort wussten.
Dass die Behörden jetzt Stella im Blick hatten, war wohl ein weiterer Grund, weswegen sie glaubte Steve lange Zeit nicht wieder zu sehen. Der wichtigere Grund war in ihren Augen aber, dass Sie ihn bei seinem letzten Besuch weggeschickt hatte.
Einerseits glaubte sie, dass Michael in dem Moment recht damit hatte, dass den beiden ein wenig Abstand guttäte. Aber andererseits hatte sie das Gefühl, Steve dafür eine Erklärung zu schulden.
Ein paar Wochen später war einer der Tage, an denen sie sich die Zeit nehmen konnte, sich in der Mittagspause mit Michael zu treffen. Dieses Mal wollten sie sich nicht in der Cafeteria in der Klinik treffen, sondern in der Offiziersmesse, die in einem der Verwaltungstrakte untergebracht war. In dem gleichen Gebäude befanden sich auch Büros der NASA und einiger wichtiger Space X Mitarbeiter, weswegen diese den Speisesaal mitbenutzen durften.
In dem Gang vor der Kantine gab es eine Reihe Kaffee- und Snackautomaten. Als Stella daran vorbei kam, entdeckte sie Tony, der gerade vor einem der Kaffeeautomaten stand.
„Bargeld – wo gibt es denn heutzutage sowas noch?", murmelte er genervt und wühlte in seinen Hosentaschen nach Kleingeld.
Stella holte aus ihrem Portmonee einen fünf Dollar Schein und hielt ihn Tony hin. „Hallo Tony. Was führt dich denn hierher?"
Er lächelte zurück. „Du meinst außer dem Kaffee?"
„So gut ist der nicht, dass du extra deswegen kommen würdest", schmunzelte sie.
„Na, Hauptsache er ist stark genug", entgegnete Tony, nahm den Schein und steckte ihn in den Schlitz. Er drückte die passende Taste und der Automat warf erst einen Becher aus und spuckte dann das dunkle Gebräu hinein.
Stella erinnerte sich daran, dass Kaffee irgendwann während seines Studiums zu Tonys Lebenselixier geworden ist. Sie zweifelte manchmal ein wenig daran, ob dies gesund für ihn war, aber andererseits hatte er sich in seinem Leben schon weitaus ungesündere Dinge angetan. Und sie wusste, dass er diesbezüglich nicht auf sie hören würde.
Nachdem er den ersten Schluck aus dem Plastikbecher genommen hatte, erklärte Tony: „Ich wollte mich hier eigentlich mit Elon treffen, aber der steht im Stau und hat mir nicht mal jemanden geschickt, der Kaffee kochen kann."
„Hat das was mit dem Start zu tun, der für heute angesetzt ist?"
„Kommt drauf an, was du über den Flurfunk schon weißt."
„Nichts", sagte sie unschuldig.
„Er soll mir dabei helfen, ein wenig Nutzlast in den Orbit zu schaffen", antwortete Tony mit einem Schulterzucken.
„Ich frage mich manchmal, warum du nicht einfach selbst ein Weltraumprogramm startest. Du könntest sicher mit ihm mithalten."
„Ich könnte locker mit ihm mithalten. Aber ich habe keine Lust auf das langwierige Verfahren, um überhaupt eine Starterlaubnis zu bekommen. Ich will das Zeug jetzt da oben haben und nicht in ein paar Jahren. Da ist es doch legitim auch mal für eine funktionierende Lösung zu bezahlen. Immerhin sind sie fast schon so weit, die Genehmigung für bemannte Flüge zu bekommen. Und die Leute müssen ja schließlich auch von was leben."
„Früher hätte dich das Genehmigungsverfahren nicht interessiert. Du hättest es einfach gemacht", deutete sie an.
„Die Dinge haben sich geändert", seufzte Tony.
„Bist du dir da sicher?"
„Ach komm schon! Du kannst mir nicht erzählen, dass du in letzter Zeit nicht mitbekommen hast, was in der Welt so los war."
„Ich habe den Eindruck, dass in den Nachrichten manches ausgespart wurde."
„Ja, aber alles Wichtige wurde gesagt."
„Du hattest ja manches schon angedeutet, als du mich damals in der Klinik besucht hattest."
„Und du weißt, dass es das einzig Richtige ist. Man kann uns nicht unkontrolliert auf die Welt loslassen."
„Aber hast du vorher mit den anderen gesprochen, so wie ich es dir geraten hatte, oder wurden sie einfach vor vollendete Tatsachen gesetzt?"
„Jeder hatte die Wahl, ob er unterschreiben will und weiter machen kann oder nicht unterschreibt und sich dann eben eine andere Beschäftigung sucht", erklärte Tony mit einem leichten Augenrollen.
Stella schüttelte mit dem Kopf. „Also konnten sie vorher nicht mitreden, auf was sie sich einlassen, wenn sie unterschreiben. Ich dachte immer, zumindest du und Steve, ihr würdet gleichberechtigt entscheiden."
„Ich hatte vor, mit ihm zu reden. Aber der Mist in Lagos hat einfach nochmal einen Stein ins Rollen gebracht und General Ross wollte die Sache endlich eintüten. Steve ist ein alter Sturkopf, der glaubt alles besser zu wissen."
„In dem Punkt seid ihr euch ähnlich", warf Stella ein.
Tony schwieg einen Moment und fragte dann nach einem weiteren Seufzer. „Hast du in letzter Zeit was von ihm gehört? Geht es ihm gut?"
Selbst wenn ich etwas wissen würde, glaubt er, ich würde es hier mitten auf dem Gang, ausplaudern?, dachte sie. Ihr Herz zog sich bei dem Gedanken, dass sie Steve vielleicht nie wieder sehen würde, zusammen. Aber ich hätte ihn so oder so nicht wieder gesehen. Ich hätte ihn nicht gehen lassen sollen. Aber ich wollte auch nicht, dass er sich mit Michael streitet.
„Nein, ich weiß nicht, wie es ihm geht oder wo er sich aufhält. Ich glaube auch nicht, dass ich je wieder von ihm hören werde", presste sie zwischen den Zähnen hervor.
„Hmm, nein, das wäre auch zu einfach, wenn er einfach bei dir aufkreuzen würde."
„Ich glaube, das CIA würde es mitbekommen", schnappte sie.
Er legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, bevor er mit der Schulter zuckte und sie wieder ansah.
„Gut, dann ein anderes Thema. Ich gebe demnächst eine Party in LA. Du müsstest meine Einladung eigentlich schon erhalten haben. Wirst du da sein?"
„Nein. Du willst Michael nicht dabei haben, also komme ich auch nicht."
„Hör zu, es tut mir leid, wie die Sache mit Steve gelaufen ist. Ich weiß, was für eine gute Freundin du für ihn bist und dass du ab und zu ein Hallo von ihm verdient hättest", fing Tony an.
Wäre ich eine gute Freundin gewesen, hätte ich ihn nicht aus dem Haus geworfen. Ich hätte ihm irgendwie mein Verhalten erklärt und dann hätten wir eine Lösung gefunden.
„Aber er hat das Gesetz gebrochen. Und er hat einen Attentäter in Schutz genommen. Ab dem Zeitpunkt hatte ich das gar nicht mehr in der Hand, was die Behörden von ihm halten. Ich wünschte, ich hätte ihn überzeugen können, dann wäre er vermutlich schon längst wieder hier gewesen, um Urlaub bei dir zu machen. Es ist nicht meine Schuld."
„Es hat auch nicht immer etwas mit dir zu tun", warf sie ihm entgegen.
Er hob abwehrend die Hände. „Okay – ich habe keine Ahnung, was zwischen euch los ist. Hat es was mit Michael zu tun?"
Sie verschränkte die Arme. „Nein, hat es nicht. Michael ist nicht an allem Schuld, weißt du? Auch wenn du es gerne hättest. Aber er ist nicht der üble Kerl, als den du ihn aus irgendeinem Grund immer gerne hinstellen würdest."
„Also, ich wüsste da schon einen Grund ...", begann Tony und blickte kurz zu Michael herüber, der sich inzwischen mit ein wenig Abstand hinter Stella gestellt hatte.
„Ich will ihn nicht hören." Sie folgte kurz Tonys Blick und sah ihn dann wieder an. „Und wenn du nicht aufhören kannst, immer wieder davon anzufangen, will ich gar nichts mehr von dir hören. Du hattest von Anfang etwas gegen ihn und ich weiß nicht, warum. Aber ich weiß, dass er mein Ehemann und der Vater meines Sohnes ist."
„Und damit ist für dich wohl klar, auf wessen Seite du stehst ...", sagte Tony resigniert.
„Komm schon, Schatz, lass uns einfach in Ruhe essen gehen", mischte sich Michael ein. Er legte einen Arm um ihre Schultern und führte sie von Tony weg.
***
Als die beiden ein paar Meter entfernt waren, hörte Tony, wie Michael sagte: „Ist doch auch besser so, dass du Steve nicht mehr siehst, oder? Ich hätte es zwar am Anfang selbst nie geglaubt, aber er ist ein Verbrecher und er würde dich nur in irgendein komisches Zeug mithineinziehen. Lass uns ihn einfach vergessen, ja?"
Michael Worte klangen noch in Tony nach, als er den beiden hinterhersah, während sie schon längst in der Kantine verschwunden waren.
Er hatte einen üblen Geschmack im Mund und er war sich nicht sicher, ob es an dem billigen Automatenkaffee lag oder an der Galle, die ihm bei Michaels Spruch hochgekommen war.
Nein, Steve ist kein Verbrecher. Nicht so wie die Typen, die wir sonst aufhalten. Er ist stur und verbohrt. Er war unehrlich, was Barnes anging, und unsere Freundschaft war ihm offensichtlich nicht ganz so wichtig. Aber letzten Endes will er der Welt immer noch helfen, oder?, überlegte Tony gerade.
Seine Gedanken wurden von Elon unterbrochen, der ihn eilig begrüßte.
„Also, sollen wir gleich mit der Führung beginnen?", fragte er und fing mit einem Monolog über die Zusammenarbeit zwischen Space X und der NASA an.
Tony bekam gerade mal die ersten drei Worte mit, bevor seine Gedanken wieder zu Stella abschweiften. Was findet sie an Michael, dass sie sich von ihm einfach alles gefallen lässt? Oder spielt er irgendwelche Psychospielchen mit ihr, um sie klein zu halten? Ist er denn dafür intelligent genug? Er wurde das Gefühl nicht los, dass er Stella nicht mehr als Freundin zurückbekommen würde, solange es Michael in ihrem Leben gab. Er malte sich Szenarien aus, wie diese Ehe eines Tages enden könnte und die meisten davon verursachten ein Ziehen in seiner Magengegend. Sie muss selbst einsehen, dass sie etwas Besseres verdient hat. Hoffentlich versteht sie das auch rechtzeitig.
„Ähm ... hörst du mir eigentlich zu?", unterbrach ihn Elon abermals.
„Gott Elon, jeder meiner Praktikanten hat mehr Charisma als du!", brachte Tony genervt hervor. „Du solltest daran wirklich mal arbeiten."
„Also willst du keine Führung?", versuchte Tonys Gegenüber zu erraten.
„Doch. Aber vorher brauche ich noch einen Kaffee. Aber einen Richtigen und nicht diese Automatenplörre. Du kannst mir nicht erzählen, dass deine Leute mit dem Zeug was zustande bringen."
Er holte das Wechselgeld aus dem Kasten, der sich Kaffeeautomat nannte, und sah es einen Augenblick an. Ich habe vergessen, ihr das zurückzugeben.
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